BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/12230 21. Wahlperiode 09.03.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein und Carl-Edgar Jarchow (FDP) vom 02.03.18 und Antwort des Senats Betr.: Was tut der Senat gegen die Radikalisierung in den JVAs? (II) Das Hamburger Oberlandesgericht hat den Angeklagten im Prozess um den tödlichen Messerangriff im Hamburger Stadtteil Barmbek zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Täter hatte gestanden, dass er am 28. Juli 2017 in einer Edeka-Filiale einen 50-Jährigen erstochen und anschließend sechs weitere Personen zum Teil schwer verletzt habe. Nach den Ergebnissen der Ermittlungen handelte der Täter aus islamistischer Gesinnung. Der Verurteilte war ein Einzeltäter, der sich selbst radikalisierte. Es besteht nun die Gefahr, dass sich der Täter in der Justizvollzugsanstalt (JVA) weiter radikalisiert und/oder auf andere Personen Einfluss nimmt. Zu hinterfragen ist in diesem Zusammenhang , wie sich die Radikalisierung in den Justizvollzugsanstalten (JVAs) entwickelt hat und wie der Senat Radikalisierungstendenzen aktuell entgegenwirkt . Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Erkenntnisse zur Bestimmung extremistischer Haltungen von Gefangenen werden auf der Grundlage des Konzeptes „Maßnahmen gegen gewaltbereite Salafisten und andere extremistische Gefangene im Hamburger Justizvollzug“ erhoben und ausgewertet. Bei Gefangenen, die sich wegen Delikten mit Extremismusbezug in Untersuchungshaft befinden, greifen das gerichtliche Haftstatut und gegebenenfalls zeitlich befristete Sicherheitsmaßnahmen bis zum Eintreten der Rechtskraft des Urteils und der Überführung der beziehungsweise des Gefangenen in die Strafhaft. In den folgenden Fällen erfolgt durch die zuständige Behörde eine Einschätzung des Radikalisierungsgrades und des von der Gefangenen beziehungsweise dem Gefangenen ausgehenden Risikos: Es liegt eine rechtskräftige Verurteilung wegen Delikten mit Extremismusbezug vor. Eine aufgrund von in Haft gemachten Beobachtungen veranlasste Prüfung einer Gefangenen beziehungsweise eines Gefangenen führt zu dem Ergebnis, dass eine extremistische Haltung vorliegen könnte. Eine aufgrund von Hinweisen durch andere mit der Thematik befasste Stellen veranlasste Prüfung einer Gefangenen beziehungsweise eines Gefangenen führt zu dem Ergebnis, dass eine extremistische Haltung vorliegen könnte. Aus den gewonnenen Erkenntnissen werden gegebenenfalls Sicherheitsmaßnahmen und/oder Behandlungsansätze und -angebote abgeleitet. Im Übrigen siehe Drs. 21/5504, 21/9102 sowie 21/10987. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Drucksache 21/12230 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Welche Erkenntnisse haben der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden über die Radikalisierung von Personen während oder nach ihrem Aufenthalt in hamburgischen Justizvollzugsanstalten? a. Wie hat sich die Radikalisierung von Inhaftierten zum religiösen Extremismus aus Sicht des Senats seit 2015 bis März 2018 entwickelt? b. Welche religiösen und politischen Radikalisierungen konnte der Senat seit 2015 insgesamt feststellen? c. In welcher Phase der Haft sind die Inhaftierten radikalisiert? Werden die Inhaftierten in der Regel in der Haft radikalisiert und/oder kommen Inhaftierte bereits radikalisiert in die hamburgischen Justizvollzugsanstalten ? Bitte Erkenntnisse darüber seit 2011 bis März 2018 darstellen. d. In welchem durchschnittlichen Alter kommen die Inhaftierten, die bereits radikalisiert sind oder in der Justizvollzugsanstalt radikalisiert worden sind, in die Justizvollzugsanstalten? e. Wegen welcher Straftaten wurden die Inhaftierten verurteilt, die bereits radikalisiert sind oder in der Haft radikalisiert wurden? Bitte die Straftaten nach Jahren seit 2011 und nach der jeweiligen Justizvollzugsanstalt darstellen. f. Was unternimmt der Senat, um der Radikalisierung von Inhaftierten entgegenzuwirken? Dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg liegen Erkenntnisse über bereits vor Haftantritt radikalisierte Islamisten vor. Verdachtsfälle von möglichen Radikalisierungen in Haftanstalten von bislang dem LfV Hamburg nicht bekannten Islamisten werden seitens der Justiz unter anderem an das LfV Hamburg gemeldet. Gleichwohl liegen der zuständigen Behörde keine Erkenntnisse darüber vor, dass sich Gefangene in der Haft radikalisiert haben. In allen Fällen findet ein Informationsaustausch statt, der im Falle einer begründeten Annahme einer extremistischen Haltung auch von der Justiz initiierte Fallkonferenzen beinhaltet. Eine Statistik wird vom LfV Hamburg im Sinne der Fragestellung nicht geführt. Das Durchschnittsalter aller bereits radikalisierten Gefangenen zum Zeitpunkt der Zuführung beträgt 27,9 Jahre. Im erfragten Zeitraum kamen drei bereits radikalisierte Personen in Strafhaft, die rechtskräftig verurteilt wurden. Justizvollzugsanstalt (JVA) Jahr der Zuführung Straftaten gemäß StGB Billwerder 2011 § 129a Billwerder 2014 § 224 Fuhlsbüttel 2016 § 267 Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Wie viele mutmaßliche Islamisten/Salafisten befinden sich zurzeit in hamburgischen Justizvollzugsanstalten? Bitte aufschlüsseln nach Justizvollzugsanstalten . Mit Stand 9. März 2018 befindet sich die folgende Anzahl mutmaßlicher Islamisten/ Salafisten in Untersuchungs- und Strafhaft: JVA Anzahl Billwerder 1 Fuhlsbüttel 2 Untersuchungshaftanstalt 6 Hahnöfersand 2 3. Wie viele andere Extremisten befinden sich zurzeit in hamburgischen Justizvollzugsanstalten? Bitte aufschlüsseln nach JVA, Anzahl und Gruppe. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12230 3 In der Untersuchungshaftanstalt befinden sich zurzeit zwei Funktionäre der DHKP-C und einer der PKK. 4. Wie schätzt der Senat die Gefährdungslage bezüglich einer Radikalisierung in den hamburgischen Justizvollzugsanstalten ein? Inwieweit gibt es konkrete Anhaltspunkte, dass diesbezüglich von salafistischen/ islamistischen Gruppierungen konzertierte Aktionen in Gefängnissen geplant sind oder bereits durchgeführt werden? Dem Senat liegen keine entsprechenden Erkenntnisse vor. 5. Wie wird die Gefahr, die von dem verurteilten Täter des tödlichen Barmbeker Messerangriffs ausgeht, beurteilt und welche Maßnahmen werden in seinem Fall von welcher zuständigen Stelle ergriffen? a. Wird der Verurteilte vom Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde als besondere Gefahr bezogen auf Radikalisierungen von Personen in den JVAs gesehen? Wenn ja, inwiefern? Wenn nein, warum nicht? b. Gibt es daher gegebenenfalls besondere Sicherheitsvorkehrungen beziehungsweise besondere Maßnahmen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Die Rechtsmittelfrist im vorliegenden Fall endete mit Ablauf des 8. März 2018. Rechtsmittel wurden nicht eingelegt. Zum jetzigen Zeitpunkt befindet sich der Betroffene noch in der Untersuchungshaftanstalt. Dort besteht kein Kontakt zu anderen Gefangenen. Eine Verlegung in die Strafhaft erfolgt nach Zustellung der Vollstreckungsunterlagen durch die Staatsanwaltschaft. Die zuständige Behörde bereitet bereits eine extremismusbezogene Risikoeinschätzung vor. Nach deren Abschluss können Aussagen über besondere Gefahren und die gegebenenfalls daraus resultierenden Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Zu den einzelnen Maßnahmen siehe Vorbemerkung. c. Inwieweit wird eine Trennung zu anderen Inhaftierten erfolgen, da sich der Verurteilte als abgelehnter Asylbewerber bereits früh selbst radikalisiert hat? In welcher JVA wird er räumlich untergebracht werden? Bei Rechtskraft des Urteils ist zum Zwecke der Trennung von anderen extremistischen Gefangenen geplant, den Betroffenen zunächst in der JVA Billwerder unterzubringen . 6. Wie viele muslimische Seelsorger beziehungsweise Imame sind aktuell in hamburgischen Justizvollzugsanstalten tätig? Bitte nach fest angestellten und ehrenamtlich tätigen Seelsorgern differenzieren. a. Wie sieht aktuell der Umfang der Betreuung durch muslimische Seelsorger beziehungsweise Imame in den hamburgischen Justizvollzugsanstalten aus? b. Welche Fluktuation herrscht bei den eingesetzten muslimische Seelsorgern? Wie werden die muslimischen Seelsorger in den Justizvollzugsanstalten bezahlt? c. Wie viele christliche Seelsorger sind aktuell in den hamburgischen Justizvollzugsanstalten tätig? Wie werden diese bezahlt? Wie bewertet der Senat die Fluktuation? In den Anstalten ist ein Imam ehrenamtlich tätig. Drei weitere muslimische Seelsorger werden von der SCHURA im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit der Justizbehörde entsandt. Eine Fluktuation ist derzeit nicht feststellbar. Drucksache 21/12230 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Der Imam führt in der JVA Fuhlsbüttel das Freitagsgebet durch. Die muslimischen Seelsorger bieten in der JVA Billwerder, der Untersuchungshaftanstalt, der JVA Fuhlsbüttel und der JVA Hahnöfersand wöchentlich bis zu vier Stunden Gesprächskreise beziehungsweise bei Bedarf Einzelgespräche an. Die Leitung des Freitagsgebets erfolgt auf ehrenamtlicher Basis. Im Übrigen siehe Drs. 21/5504, 21/9102 und 21/10987. 7. Welche Maßnahmen zur Prävention von Salafismus im Justizvollzug hat der Senat seit Verabschiedung des Programms wie umgesetzt? Welche Maßnahmen sind darüber hinaus wann und wie begonnen und umgesetzt worden, um Radikalisierungen in den JVAs entgegenzuwirken? Bitte je nach JVA und Umsetzungsstand darstellen. Siehe Drs. 21/10987.