BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1236 21. Wahlperiode 14.08.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dietrich Wersich (CDU) vom 06.08.15 und Antwort des Senats Betr.: Wird das Erbe des Ohlsdorfer Friedhofs ausreichend geschützt? Wie kein anderer steht der 1877 eingeweihte Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg für die Idee eines überkonfessionellen Parkfriedhofes. Mit fast vier Quadratkilometern übertrifft er den etwa zeitgleich entstandenen Wiener Zentralfriedhof bei Weitem und ist fester Bestandteil des Hamburger Bewusstseins und der Hamburger Identität. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Grabanlagen: Ehrenanlagen, Genossenschaftsgräber, Massengräber und Mahnmale – über 250.000 Grabstellen. Ein in den 1980er Jahren mithilfe der Volkswagen-Stiftung durchgeführtes Forschungsprojekt zur Friedhofsgeschichte und zum Grabmalbestand führte 1990 zur Veröffentlichung eines umfangreichen Katalogs bedeutsamer Grabmäler. In ihm sind eine Vielzahl von Grabanlagen dokumentiert, darunter auch solche, die wie der Althamburgische Gedächtnisfriedhof, die Soldatenfriedhöfe oder Sondergrabanlagen, wie die Ehrengrabstätte der Polizei mit einer Vielzahl von Einzelgräbern, als eine Anlage gezählt wurden. Allerdings sind in dieser Forschungsarbeit lediglich Grabmäler bis 1950 erfasst, sodass keine nach 1950 erstellten Grabsteine als schützenswert erkannt und registriert worden sind. Seit dem 1. Mai 2013 steht der gesamte Friedhof Ohlsdorf als Gartendenkmal einschließlich aller denkmalwürdigen Hochbauten wie Verwaltungsgebäude , Wassertürme, historische Nebengebäude und 13 Kapellen, weiterem Zubehör wie zum Beispiel die Einfriedung und Tore, freie Kunstwerke (Skulpturen ) sowie circa 3.000 ausgewählte Grabmäler aufgrund seiner geschichtlichen und gartenkünstlerischen Bedeutung unter Denkmalschutz. Zuvor war lediglich das Grabmal Eckler (Friedhof-Planquadrat P8) am 3. Januar 2005 unter der Nummer 1316 in die Denkmalliste eingetragen worden. Ebenfalls unter Schutz steht seit dem 1. Mai 2013 der unmittelbar angrenzende jüdische Friedhof Ilandkoppel mit der Abdankungshalle sowie Sonder- und Nebenanlagen. Gleichzeitig gibt es immer wieder Bestrebungen, Teile beziehungsweise Flächen des Friedhofs zu entwidmen und sogar für den Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund des 2005 verabschiedetet B-Planes Ohlsdorf 12 („Anzuchtgarten“). Informationen zufolge arbeitet die Friedhofsverwaltung beziehungsweise der LB Friedhöfe an einem Flächenkonzept 2050, mit dem auf die stark sinkende Nachfrage nach Grabflächen, unter anderem durch bis auf 90 Prozent steigende Urnenbeisetzungen mit geringerem Flächenbedarf sowie Seebestattungen und andere Begräbnisformen, reagiert werden soll. Bis zu 80 Prozent Drucksache 21/1236 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 der Fläche des Friedhofs sollen so nicht mehr für Beisetzungen genutzt werden und anderen, noch nicht bestimmten Nutzungen zugeführt werden. Im Vorgriff auf künftige Entwicklungen und zur sofortigen Minderung der laufenden Betriebskosten für den Flächenunterhalt soll die Verwaltung des Friedhofs beabsichtigen, ohne weitere Sichtung unter denkmalschützerischen Gesichtspunkten, abgelaufene, nicht erneuerte Grabmonumente abzuräumen , wobei nur die 1980 als denkmalwürdig erkannten Monumente der Erstellungszeit bis 1950 ausgenommen wurden. Die einzigartige und schützenswerte Struktur des Friedhofs, seine kulturhistorische Bedeutung sowie sein identitätsstiftender Charakter für Hamburg werfen die Fragen auf, ob und wie viele Grabmäler wirklich denkmalgeschützt sind und ob Flächen des Friedhofs für Wohnprojekte zweckentfremdet werden sollen. Die Entwicklung des Ohlsdorfer Friedhofs sollte als nach Größe und Charakter einzigartiger Park und als Ort kultur- und sozialgeschichtlicher Monumente nicht ohne parlamentarische Befassung und muss ohne voreilige Schaffung von Tatsachen erfolgen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Vor dem Hintergrund rückläufiger Belegungszahlen und einer veränderten Bestattungskultur plant die Behörde für Umwelt und Energie zusammen mit den Hamburger Friedhöfen (HF) eine langfristige und umfassende Strategie, um den Ohlsdorfer Friedhof als national und international bedeutendes Kultur- und Gartendenkmal zu bewahren und nachhaltig weiterzuentwickeln. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften der HF wie folgt: 1. Wer ist für den Erhalt der denkmalgeschützten und der nicht denkmalgeschützten Grabmale auf dem Ohlsdorfer Friedhof zuständig? Für den Erhalt zuständig sind die Eigentümer der Grabmale. Veränderungen an Denkmalen müssen von der für den Denkmalschutz zuständigen Behörde genehmigt werden. 2. Wie viel Geld aus dem Hamburger Haushalt fließt jedes Jahr in den Erhalt der denkmalgeschützten Grabmale? Bitte für die Jahre 2010 bis 2014 auflisten. Für Erhalt und Pflege von Grabmalen werden keine Mittel aus dem Hamburger Haushalt verwendet. Dafür werden Mittel zum Beispiel aus Stiftungen, Spenden und Patenschaften genutzt. 3. a) Trifft es zu, dass in 2014 und 2015 Grabmäler ohne Bewertung unter dem Gesichtspunkt des Ablaufs der Liegezeit abgeräumt worden sind? Wenn ja, wie viele? Wenn nein: Nach welchen Kriterien wurde die Auswahl betroffen? Es gehört zu den Aufgaben eines Friedhofes, nach Ablauf der Ruhe- beziehungsweise Nutzungszeit noch vorhandene Grabmale abzuräumen. Das betrifft auf dem Friedhof Ohlsdorf jährlich circa 3.000 bis 4.000 Grabmale. Solche, die erhaltenswert oder geschützt sind, werden nicht geräumt. b) Wie und mit welchen Ergebnissen wurde das Amt für Denkmalschutz dabei befasst? Eine Beteiligung des Denkmalschutzamtes findet im Einzelfall statt. Auch das Ergebnis richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1236 3 4. a) Wie viele Grabmale umfasst die im Zusammenhang mit der Studie der Volkswagen-Stiftung (siehe oben) entstandene Liste der schützenswerten Grabanlagen? Bitte differenziert nach Einzel- und Ensemble-Grabmalen auflisten. b) Wie viele davon sind aus welchen Gründen heute nicht mehr vorhanden ? 5. Wie viele Grabmale auf dem Ohlsdorfer Friedhof aus der Zeit vor 1950 stehen genau unter Denkmalschutz oder sind als erhaltenswürdig erkannt? Bitte differenziert nach Einzel- und Ensemble-Grabmalen auflisten . 6 Wie viele Grabmale auf dem Ohlsdorfer Friedhof der Zeit nach 1950 stehen genau unter Denkmalschutz? Bitte differenziert nach Einzel- und Ensemble-Grabmalen auflisten. Als „erhaltenswert“ sind 3.866 Grabmale einzeln und 2.462 im Ensemble-Zusammenhang bewertet worden. Die Liste enthält 33 größere öffentliche Anlagen und Denkmale sowie 1.274 überwiegend private Grabstätten, die alle unter Denkmalschutz stehen. Die Liste und die ihr zugrunde liegende umfassende Untersuchung wurden veröffentlicht in Barbara Leisner/Heiko K.L. Schulze/Ellen Thormann: Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf. Geschichte und Grabmäler, bearbeitet von Andreas von Rauch, Hamburg 1990 (Themenreihe des Hamburg-Inventars, Bd. 4, hrsg. von der Kulturbehörde /Denkmalschutzamt). Das Buch ist in der Parlamentsbibliothek sowie nach Vereinbarung auch im Denkmalschutzamt einsehbar. Bereits bei Veröffentlichung der Liste waren 23 Grabmale als verloren oder stark beschädigt verzeichnet. Bis 2008 sind dem Denkmalschutzamt weitere 75 Grabmale als nicht mehr vorhanden gemeldet worden. Die Ursachen für die Verluste sind im Einzelnen nicht bekannt. Darüber hinaus sind Beschädigungen (Vandalismus, Diebstahl insbesondere von Metallteilen, mangelnde Pflege) zu verzeichnen. Eine laufende Überprüfung des Bestandes findet nicht statt. Aus der Zeit nach 1950 sind die folgenden Grabmale denkmalgeschützt: Teile des Althamburgischen Gedächtnisfriedhofs, der Soldatenfriedhöfe, der Bombenopfergräber bei Kapelle 10, der Gräber der Opfer von Krieg- und Gewaltherrschaft, des Ehrengrabs für die Opfer des Nationalsozialismus und des Widerstandes 1933 bis 1945 sowie das Mahnmal für die Opfer des Bombenkrieges, die Gedenkstätte für die Opfer der „Van-Imhoff“-Katastrophe, das Grabmal für die überführten Urnen der in Schanghai verstorbenen Deutschen, die Ehrenanlage für Feuerwehrleute, die Grabanlage für die Opfer der Flut 1962 und die Gruppe „Prophet und Geist“. Alle anderen denkmalgeschützten Grabmale sind vor 1950 entstanden. Eine genaue Differenzierung des Bestandes nach Entstehungszeit vor beziehungsweise nach 1950 ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 7. Für wie viele und welche Grabanlagen auf dem Ohlsdorfer Friedhof traten Änderungen durch die Neufassung des Denkmalschutzgesetzes (Ipsa-lege-Prinzip) zum 1. Januar 2013 in Kraft? Wie viele und welche Denkmäler gibt es heute dort? Nachdem zuvor nur das Grabmal Eckler in die Denkmalliste eingetragen war, ist seit dem Inkrafttreten des neuen Denkmalschutzgesetzes am 1. Mai 2013 der Friedhof Ohlsdorf insgesamt geschützt. Das Denkmal ist das Friedhofsgelände in seinen heutigen Grenzen mit dem Wegenetz, den Grabfeldern, den denkmalwerten Grabmälern, Mausoleen, Denkmälern und dem Museumsfriedhof, der parkartigen Gestaltung und Bodenmodellierung, den Baulichkeiten, den Gebäuden (insbesondere Verwaltungsgebäude , Kapellen, Krematorium, Wassertürme, Funktionsgebäude) und der Einfriedigung mit verschiedenen Toren. Zu den Details der einzelnen Denkmäler siehe auch die in der Antwort zu 4. Bis 6. erwähnte Publikation. Drucksache 21/1236 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 8. a) Nach welchen Kriterien wurden die bisher geschützten Denkmäler auf dem Ohlsdorfer Friedhof ausgewählt? Gemäß § 2 des Hamburgischen Denkmalschutzgesetzes wurden die Objekte wegen ihrer geschichtlichen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bedeutung oder zur Bewahrung charakteristischer Eigenheiten des Stadtbildes im öffentlichen Interesse ausgewählt. b) Werden neue Kriterien seit Inkrafttreten der Novelle des Denkmalschutzgesetzes am 1. Januar 2013 angewendet? Nein. c) Gedenkt der Senat bei der Anerkennung von neuen geschützten Denkmälern neue beziehungsweise aktualisierte Kriterien anzuwenden beziehungsweise wendet er sie an? Wenn ja: welche? Nein. 9. a) Gibt es bereits ein neues Forschungsprojekt oder Planungen, um die Einzel- und Ensemble-Grabmale nach 1950 zu dokumentieren und auf ihre Schutzwürdigkeit hin zu untersuchen? Nein. b) Wenn ja: Was sind die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts? Wenn nein: Warum nicht und bei wem gegebenenfalls ist die Erstellung einer neuen Forschungsarbeit geplant? c) Gedenkt die Kulturbehörde beziehungsweise das Denkmalschutzamt , weitere Einzel- und Ensemble-Grabmale unter Denkmalschutz vor und/oder nach 1950 unter Schutz zu stellen? Und wenn ja: wie viele? Wenn nein: warum nicht? Die Kenntnisse über Grabstätten der 1950er bis 1980er Jahre als Denkmale sind bundesweit sehr gering ausgeprägt. Mit Beteiligung des Denkmalschutzamtes wird die Arbeitsgruppe Inventarisation der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland ihre nächste Tagung im Oktober 2015 daher dem Thema „Friedhöfe der Nachkriegszeit. Beurteilungskriterien für die Denkmalfeststellung“ widmen . Über mögliche weitere Schritte wird danach entschieden werden. 10. a) Sind seit Verabschiedung des Bebauungsplans Ohlsdorf 12 im Jahr 2005 Flächen auf dem Ohlsdorfer Friedhof umgewidmet oder umfunktioniert worden? Wenn ja: welche Flächen und wofür? Nein. b) Welche Behörde und/oder Institution ist für diese oder generell für Umwidmungen oder Umnutzungen zuständig? Die Behörde für Umwelt und Energie. c) Plant der Senat und/oder die zuständige Behörde oder Institution weitere Umwidmungen beziehungsweise Umnutzungen? Und wenn ja: welche und zu welchem Zweck? d) Plant der Friedhof, weitere Flächen, insbesondere die „Bürofläche Klein Borstel”, zur Bebauung freizugeben? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1236 5 Derzeit gibt es auf dem Gelände des Ohlsdorfer Friedhofes keine Flächen, auf denen eine Bebauung möglich wäre. Eine Ausnahme ist die oben genannte verbliebene Fläche der Anzuchtgärtnerei Klein Borstel, die nur noch in sehr geringem Maße genutzt wird und auf der auch keine Beisetzungen stattgefunden haben. Die Fläche der Anzuchtgärtnerei wurde bereits 2014 der Freien und Hansestadt Hamburg angeboten. Die für die Unterbringung der Flüchtlinge in der Zentralen Erstaufnahme (ZEA) und öffentlichen Unterbringung zuständigen Behörden prüfen zurzeit alle in Betracht kommenden Flächen. Die Prüfungen sind noch nicht abgeschlossen.