BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/12380 21. Wahlperiode 23.03.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dennis Thering und Stephan Gamm (CDU) vom 16.03.18 und Antwort des Senats Betr.: Stammen die Hamburger Dieselfahrverbote aus der „Trickkiste“? Zweifel an der Standortauswahl der „Straßen- und Verkehrsmessstationen“ in Hamburg Seit 1984 werden über das „Hamburger Luftmessnetz“ (HaLm) Daten zur Luftqualität in Hamburg erhoben. Kernbestandteil sind die über das gesamte Stadtgebiete verteilen Messstationen. Diese wiederum werden unterteilt in Anlagen zur Messung von Hintergrund-, Ozon- und verkehrsbedingten Emissionen . Zu den Standorten der vier aktuell in Hamburg betriebenen „Straßenund Verkehrsmessstationen“1 zählen neben der Habichtstraße (Betriebsbeginn 31.12.2001) und der Kieler Straße (Betriebsbeginn 31.5.2001) auch und vor allem die Max-Brauer-Allee (Betriebsbeginn 12.2.2002) und die Stresemannstraße (Betriebsbeginn 1.11.1991), in denen auf der Basis des vom rotgrünen Senat im vergangenen Jahr beschlossenen Luftreinhalteplans und nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018 in Kürze voraussichtlich Fahrverbote für eine Vielzahl von Dieselfahrzeugen gelten werden. Sowohl die Standorte der Messstationen an diesen stets als „hochbelastet“ verschrienen Straßen als auch die weit zurückliegenden Zeitpunkte des jeweiligen Betriebsbeginns wecken erhebliche Zweifel an der Messwerterhebung . Dabei ist es weniger problematisch, dass die dem „Diesel-Urteil“ und den Fahrverboten zugrundeliegenden Grenzwerte für Stickoxide (NOx) bereits seit 2010 gelten und die seit 2011 in Hamburg regierenden SPD- Senate die damit verbundenen Probleme schlicht und ergreifend unterschätzt haben. Vielmehr sind es die maßgeblichen Rechtsnormen, die für die Standortauswahl von Luftmessstationen gelten, die für die Hamburger Messstationen und die darüber erhobenen Werte inklusive der daraus gezogenen Rückschlüsse (bis hin zu den verhängten Dieselfahrverboten) Fragen aufwerfen . Die maßgebliche europarechtliche Norm ist die Richtlinie „2008/50/EG“ des Europäischen Parlaments (EP) und des EU-Ministerrates über „Luftqualität und saubere Luft für Europa“. Diese stammt aus dem Jahr 20082 und trat damit rund sechs Jahre nach dem Betriebsbeginn der „jüngsten“ aktiven Straßenmessstation in der Max-Brauer-Allee in Kraft. Darin werden im Abschnitt „C. Kleinräumige Ortsbestimmung der Probenahmestellen“ folgende Kriterien für die Standorte von Stationen zur Messung von unter anderem Stickoxiden genannt: 1 http://luft.hamburg.de/messstationen-liste/, letzter Zugriff: 15.03.2018. 2 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2008:152:0001:0044:de:PDF, letzter Zugriff: 15.03.2018. Drucksache 21/12380 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 „Der Luftstrom um den Messeinlass darf in einem Umkreis von mindestens 270° nicht beeinträchtigt werden, und es dürfen keine Hindernisse vorhanden sein, die den Luftstrom in der Nähe der Probenahmeeinrichtung beeinflussen, d.h. Gebäude, Balkone, Bäume und andere Hindernisse müssen normalerweise einige Meter entfernt sein und die Probenahmestellen für die Luftqualität an der Baufluchtlinie müssen mindestens 0,5 m vom nächsten Gebäude entfernt sein.“ „Im Allgemeinen muss sich der Messeinlass in einer Höhe zwischen 1,5 m (Atemzone) und 4 m über dem Boden befinden. Eine höhere Lage des Einlasses (bis zu 8 m) kann unter Umständen angezeigt sein. Ein höher gelegener Einlass kann auch angezeigt sein, wenn die Messstation für ein größeres Gebiet repräsentativ ist.“ „Der Messeinlass darf nicht in nächster Nähe von Quellen angebracht werden, um die unmittelbare Einleitung von Emissionen, die nicht mit der Umgebungsluft vermischt sind, zu vermeiden.“ „Die Abluftleitung der Probenahmestelle ist so zu legen, dass ein Wiedereintritt der Abluft in den Messeinlass vermieden wird.“ „Bei allen Schadstoffen müssen die Probenahmestellen in verkehrsnahen Zonen mindestens 25 m vom Rand verkehrsreicher Kreuzungen und höchstens 10 m vom Fahrbahnrand entfernt sein.“ Der Bundesgesetzgeber hat diese EU-Richtlinie 2010 mit der „Neununddreißigste (n) Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen (39. BImSchV)“3 in deutsches Recht übertragen, im Abschnitt „C. Kleinräumige Ortsbestimmung der Probenahmestellen“ aber nur minimale Änderungen vorgenommen. Die Abstandsvorgaben wurden sogar bedeutungsgleich übernommen: „Bei allen Schadstoffen dürfen verkehrsbezogene Probenahmestellen zur Messung höchstens 10 Meter vom Fahrbahnrand entfernt sein; vom Fahrbahnrand verkehrsreicher Kreuzungen müssen sie mindestens 25 Meter entfernt sein. Als verkehrsreiche Kreuzung gilt eine Kreuzung, die den Verkehrsstrom unterbricht und gegenüber den restlichen Straßenabschnitten Emissionsschwankungen (durch Stop-and-go-Verkehr) verursacht .“ Insbesondere dieses Entfernungskriterium sorgt seit geraumer Zeit für erhebliche Diskussionen, ganz aktuell auch in München.4 So steht dort eine Luftmessstation direkt am Fahrbahnrand der stark befahrenen Kreuzung am „Stachus“-Platz. Der in der EU-Richtlinie und der 39. BlmSchV vorgeschriebene Mindestabstand von 25 Metern wird dort massiv unterschritten. Eine deutliche Verzerrung der Messwerte nach oben ist zu vermuten. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Das Hamburger Luftmessnetz (HaLm) wird im Auftrag der für Luftreinhaltung zuständigen Behörde vom Institut für Hygiene und Umwelt (HU) betrieben. Derzeit sind insgesamt 15 Luftmessstationen in Betrieb. Diese werden unterschieden in städtische 3 https://www.gesetze-im-internet.de/bimschv_39/BJNR106510010.html, letzter Zugriff: 15.03.2018. 4 https://www.merkur.de/wirtschaft/schadstoffwerte-in-muenchen-sind-messtationen-falschplatziert -9671855.html, letzter Zugriff: 15.03.2018. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12380 3 Hintergrund-, Verkehrs-, Ozon- und Sondermessstationen, an denen die Immissionsbelastungen der Luftschadstoffe ermittelt werden. Daneben messen Straßenmessstationen den Verkehr, die Zuständigkeit hierfür liegt bei der für Verkehr zuständigen Behörde. Die Luftmessstationen des Hamburger Luftmessnetzes sind auf Grundlage der 39. BImSchV errichtet und in Betrieb genommen worden. Entgegen dem in der Fragestellung genannten Betriebsbeginn Stresemannstraße erfolgte der Betriebsbeginn dieser Messstation am 24. Oktober 1991. Die vorgegebenen Kriterien, insbesondere die Anforderungen der Anlage 3, A – C, werden eingehalten. Entscheidend für die Ortsbestimmung einer Probenahmestelle ist nicht der Abstand des Messcontainers zum Fahrbahnrand, sondern der Abstand des Messeinlasses zum Fahrbahnrand. Im Übrigen siehe dazu auch Drs. 21/12305. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Zur Straßen- und Verkehrsmessstation „Habichtstraße“: a) Wie groß ist die Entfernung dieser Messstation zum Fahrbahnrand? b) Wie groß ist die Entfernung dieser Messstation zum Fahrbahnrand der nächstgelegenen verkehrsreichen Kreuzung? c) Erfüllt der Standort dieser Messstation sämtliche Kriterien der Richtlinie „2008/50/EG“? Wenn nein, in welchen Punkten nicht und welchen Einfluss hat diese Nicht-Einhaltung auf die Höhe der dort gemessenen Stickoxid- Werte? d) Erfüllt der Standort dieser Messstation sämtliche Kriterien der 39. BImSchV? Wenn nein, in welchen Punkten nicht? Wenn nein, in welchen Punkten nicht und welchen Einfluss hat diese Nicht-Einhaltung auf die Höhe der dort gemessenen Stickoxid- Werte? e) Inwiefern sind aktuell Klagen gegen den Standort dieser Messstation anhängig? Wogegen richten sich diese Klagen gegebenenfalls? f) Inwiefern wurden seit ihrem Betriebsbeginn Gerichtsurteile gegen den Standort dieser Messstation gefällt? Wogegen richteten sich die zugrundeliegenden Klagen und wie lauteten die Urteile gegebenenfalls ? 2. Zur Straßen- und Verkehrsmessstation „Kieler Straße“: a) Wie groß ist die Entfernung dieser Messstation zum Fahrbahnrand? b) Wie groß ist die Entfernung dieser Messstation zum Fahrbahnrand der nächstgelegenen verkehrsreichen Kreuzung? c) Erfüllt der Standort dieser Messstation sämtliche Kriterien der Richtlinie „2008/50/EG“? Wenn nein, in welchen Punkten nicht und welchen Einfluss hat diese Nicht-Einhaltung auf die Höhe der dort gemessenen Stickoxid- Werte? d) Erfüllt der Standort dieser Messstation sämtliche Kriterien der 39. BImSchV? Wenn nein, in welchen Punkten nicht? Drucksache 21/12380 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Wenn nein, in welchen Punkten nicht und welchen Einfluss hat diese Nicht-Einhaltung auf die Höhe der dort gemessenen Stickoxid- Werte? e) Inwiefern sind aktuell Klagen gegen den Standort dieser Messstation anhängig? Wogegen richten sich diese Klagen gegebenenfalls? f) Inwiefern wurden seit ihrem Betriebsbeginn Gerichtsurteile gegen den Standort dieser Messstation gefällt? Wogegen richteten sich die zugrundeliegenden Klagen und wie lauteten die Urteile gegebenenfalls ? 3. Zur Straßen- und Verkehrsmessstation „Max-Brauer-Allee“: a) Wie groß ist die Entfernung dieser Messstation zum Fahrbahnrand? b) Wie groß ist die Entfernung dieser Messstation zum Fahrbahnrand der nächstgelegenen verkehrsreichen Kreuzung? c) Erfüllt der Standort dieser Messstation sämtliche Kriterien der Richtlinie „2008/50/EG“? Wenn nein, in welchen Punkten nicht und welchen Einfluss hat diese Nicht-Einhaltung auf die Höhe der dort gemessenen Stickoxid- Werte? d) Erfüllt der Standort dieser Messstation sämtliche Kriterien der 39. BImSchV? Wenn nein, in welchen Punkten nicht? Wenn nein, in welchen Punkt nicht und welchen Einfluss hat diese Nicht-Einhaltung auf die Höhe der dort gemessenen Stickoxid- Werte? e) Inwiefern sind aktuell Klagen gegen den Standort dieser Messstation anhängig? Wogegen richten sich diese Klagen gegebenenfalls? f) Inwiefern wurden seit ihrem Betriebsbeginn Gerichtsurteile gegen den Standort dieser Messstation gefällt? Wogegen richteten sich die zugrundeliegenden Klagen und wie lauteten die Urteile gegebenenfalls ? 4. Zur Straßen- und Verkehrsmessstation „Stresemannstraße“: a) Wie groß ist die Entfernung dieser Messstation zum Fahrbahnrand? b) Wie groß ist die Entfernung dieser Messstation zum Fahrbahnrand der nächstgelegenen verkehrsreichen Kreuzung? c) Erfüllt der Standort dieser Messstation sämtliche Kriterien der Richtlinie „2008/50/EG“? Wenn nein, in welchen Punkten nicht und welchen Einfluss hat diese Nicht-Einhaltung auf die Höhe der dort gemessenen Stickoxid- Werte? d) Erfüllt der Standort dieser Messstation sämtliche Kriterien der 39. BImSchV? Wenn nein, in welchen Punkten nicht? Wenn nein, in welchen Punkten nicht und welchen Einfluss hat diese Nicht-Einhaltung auf die Höhe der dort gemessenen Stickoxid- Werte? e) Inwiefern sind aktuell Klagen gegen den Standort dieser Messstation anhängig? Wogegen richten sich diese Klagen gegebenenfalls? f) Inwiefern wurden seit ihrem Betriebsbeginn Gerichtsurteile gegen den Standort dieser Messstation gefällt? Wogegen richteten sich die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12380 5 zugrundeliegenden Klagen und wie lauteten die Urteile gegebenenfalls ? Der Messeinlass der Messstation „Habichtstraße“ liegt für NO2 in 2,13 m Entfernung vom Fahrbahnrand, der Messeinlass der Messstation „Kieler Straße“ liegt für NO2 in 4,00 m Entfernung vom Fahrbahnrand, der Messeinlass der Messstation „Max-Brauer- Allee“ liegt für NO2 in Richtung Altona in 4,50 m und in Richtung Innenstadt in 4,10 m Entfernung vom Fahrbahnrand und der Messeinlass der Messstation „Stresemannstraße “ liegt für NO2 in 2,50 m Entfernung vom Fahrbahnrand. Die Probenahmestellen stehen jeweils mindestens 25,00 m von der nächstgelegenen verkehrsreichen Kreuzung entfernt. Alle Standorte der Messstationen erfüllen sämtliche Kriterien der Richtlinie „2008/ 50/EG“ sowie der der 39. BImSchV. Es sind keine Klagen gegen Standorte von Messstationen anhängig. Seit ihrem Betriebsbeginn sind auch keine Gerichtsurteile gegen Standorte von Messstationen gefällt worden. 5. Welche Stelle trifft in Hamburg die Letztentscheidung über die Standorte der Straßen- und Verkehrsmessstationen? Die Entscheidung über die Standorte der Messcontainer des Hamburger Luftmessnetzes werden von der für den Vollzug der 39. BImSchV und der damit verbundenen Beurteilung der Luftqualität zuständigen Behörde, gemeinsam mit dem für den Betrieb zuständigen Institut abgestimmt. Im Übrigen siehe dazu auch Vorbemerkung. 6. Haben sich der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden seit 2011 mit der Frage befasst, einzelne oder sämtliche Standorte der oben genannten vier Straßen- und Verkehrsmessstationen zu verlegen? Wenn ja, welche Stelle hat solche Ideen wann mit welcher Begründung vorgebracht und warum wurden gegebenenfalls entsprechende Pläne verworfen? Die Standorte der Messcontainer des Hamburger Luftmessnetzes werden entsprechend den gesetzlichen Regelungen (Anlage 3 Abschnitt D der 39. BImSchV) regelmäßig , das heißt mindestens alle fünf Jahre, überprüft. Die Verlegung einer Messstation kann erst in Betracht gezogen werden, sofern alle gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte der Schadstoffe, die an dem Standort gemessen werden, eingehalten werden.