BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/12458 21. Wahlperiode 03.04.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir und Dr. Carola Ensslen (DIE LINKE) vom 26.03.18 und Antwort des Senats Betr.: Reduzierung des Regelbedarfs durch Aufrechnung mit Darlehen für Mietkautionen und Genossenschaftsanteile Wer als Mieter/in in eine neue Wohnung zieht, muss üblicherweise eine Kaution hinterlegen, die Schäden an der Wohnung oder Mietrückstände abdecken soll. Für Leistungsberechtigte nach SGB II übernehmen die Jobcenter die Kaution oder den Erwerb von Genossenschaftsanteilen – allerdings als Darlehen. Für alle Darlehen, die nach SGB II gewährt werden, werden nach § 42a SGB II die Rückzahlungsansprüche mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgerechnet. Dies soll in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des Regelbedarfs geschehen und im Folgemonat der Darlehensauszahlung beginnen. Nach den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 42a SGB II ist diese Regelung auch auf Mietdarlehen oder den Erwerb von Genossenschaftsanteilen gemäß § 22 Absatz 6 Satz 3 Genossenschaftsanteile anzuwenden. Dementsprechend rechnen die Jobcenter Darlehen mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf. Die Leistungsberechtigten erhalten somit einen um 10 Prozent reduzierten Regelbedarf, obwohl diese Leistungen das verfassungsrechtliche geschützte Existenzminimum sichern sollen. Aufgrund der Höhe von Mietkautionen und Genossenschaftsanteilen kann die Bedarfsunterdeckung über mehrere Monate bis Jahre andauern. Auch deshalb werden die bestehenden rechtlichen Regelungen zur Anrechnungsbefugnis des § 42 SGB II auf Darlehen für Mietkautionen und Genossenschaftsanteile zunehmend angezweifelt, zuletzt vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. Demnach gehören Mietkautionen und Genossenschaftsanteile zum Unterkunftsbedarf und sind daher nicht im Regelbedarf berücksichtigt. Daraus ergibt sich ein Widerspruch zur Systematik und zum Bedarfsdeckungskonzept des SGB II, die Bedarfe danach zu unterscheiden, ob sie den Lebensunterhalt oder die Unterkunft betreffen. Entgegen dem Ansparkonzept des SGB II sieht der Regelbedarf keinen Ansparbetrag für diese Darlehen vor. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Die Anweisungen für die Praxis der Standorte von Jobcenter team.arbeit.hamburg beruhen zum einen auf der Fachlichen Weisung der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu § 42a SGB II „Darlehen“ und zum anderen auf der Fachanweisung der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) zu § 22 Absatz 6,8 SGB II „Gewährung und Rückforderung von kommunalen Darlehen“. Zuständig für den Erlass von fachlichen Weisungen zur Umsetzung des § 42a SGB II gegenüber Jobcenter team.arbeit.hamburg ist gemäß § 6 Absatz 1 Nummer 1 SGB II die BA. Soweit kommunale Leistungen betroffen sind, ist die BASFI rechtlich gehalten, Drucksache 21/12458 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 auf die Weisungen des Bundes Bezug zu nehmen. Jobcenter team.arbeit.hamburg ist verpflichtet, die fachliche Weisung des Bundes zu § 42a SGB II umzusetzen. Zu den beschriebenen Rechtsfragen besteht im Übrigen noch keine einheitliche Rechtsprechung (siehe hierzu LSG Nordrhein-Westfalen 29.06.2017 – L 7 AS 607/17 sowie LSG Nordrhein-Westfalen vom 31.08.2017 – L 19 AS 787/17). Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften des Statistikamtes Nord, Jobcenter team.arbeit.hamburg (Jobcenter) und der Agentur für Arbeit Hamburg (AA) wie folgt: 1. In wie vielen Fällen findet gegenwärtig eine Aufrechnung von Darlehen für Mietkautionen oder den Erwerb von Genossenschaftsanteilen gemäß § 22 Absatz 6 SGB II durch das Jobcenter t.a.h statt? Bitte aufschlüsseln nach Anzahl der Bedarfsgemeinschaften, Anzahl der Leistungsberechtigten in den betroffenen Bedarfsgemeinschaften sowie betroffenen Minderjährigen . 2. In wie vielen Fällen wurden Darlehen für Mietkautionen oder den Erwerb von Genossenschaftsanteilen gemäß § 22 Absatz 6 SGB II in den Jahren 2015 bis 2017 vergeben, in wie vielen Fällen wurde durch das Jobcenter t.a.h zur Tilgung solcher Darlehen aufgerechnet? Bitte aufschlüsseln nach Anzahl der Bedarfsgemeinschaften, Anzahl der Leistungsberechtigten in den betroffenen Bedarfsgemeinschaften sowie betroffenen Minderjährigen. 3. Auf welche durchschnittliche Höhe beliefen sich diese Darlehen jeweils in den Jahren 2015 bis 2017? 4. Auf welche durchschnittlichen Zeiträume erstreckten sich die Tilgungsphasen per Aufrechnung jeweils in den Jahren 2015 bis 2017? 5. In wie vielen Fällen wurde die Gewährung eines solchen Darlehens in den Jahren 2015 bis 2017 abgelehnt? Bitte nach Anzahl der Bedarfsgemeinschaften und Gründen aufschlüsseln. Die zur Beantwortung benötigten Daten werden nicht gesondert statistisch erfasst. Eine Einzelfallauszählung ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehen Zeit nicht möglich, da hierfür rund 100.000 Leistungsakten ausgewertet werden müssten. 6. Auf welchen Anweisungen beruht die Praxis der Jobcenter? 7. Inwieweit hält der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde es für möglich, dass die Jobcenter t.a.h von dieser Praxis abweichen und Kautionen beziehungsweise Genossenschaftsanteile (wieder) übernehmen und diese bei Auszug dann an die Jobcenter t.a.h fließen? Wenn ja, zieht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde dies in Erwägung? 8. Sind dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde die rechtlichen Zweifel, die die Zulässigkeit der Aufrechnung von Wohnungsbeschaffungskosten zur Aufrechnung mit dem Regelbedarf betreffen, bekannt? Welche Konsequenzen zieht der Senat daraus? Siehe Vorbemerkung.