BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1250 21. Wahlperiode 18.08.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Regina-Elisabeth Jäck (SPD) vom 10.08.15 und Antwort des Senats Betr.: Medizinisches Zentrum für erwachsene Menschen mit Behinderung der Evangelischen Stiftung Alsterdorf Am 01.07.2015 wurde im Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf das bundesweit erste Medizinische Zentrum für erwachsene Menschen mit Behinderung (MZEB) feierlich eröffnet. Das Zentrum soll die ambulante medizinische Versorgung von erwachsenen Menschen mit geistigen und komplexen Mehrfachbehinderung in Hamburg verbessern. Somit wird Hamburg der Anforderung der UN-Behindertenrechtskonvention des Artikels 25 gerecht, Menschen mit Behinderung Zugang zu medizinischer Versorgung in der gleichen Qualität und auf demselben Standard wie anderen Menschen zu ermöglichen. Der Landesaktionsplan zu Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (Drs. 20/6337) wurde im Dezember 2012 vom Hamburger Senat verabschiedet . Der Landesaktionsplan wird beständig fortgeschrieben und mit neuen Handlungsfeldern ergänzt. Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist ein auf Dauer angelegter offener, dynamischer Prozess, in dem Ausschussempfehlungen der Hamburgischen Bürgerschaft berücksichtigt werden. Die Bürgerschaft hat den Senat anlässlich der Beratungen des Landesaktionsplans ersucht, die Verbesserung der medizinisch-diagnostischen Versorgung für mehrfach schwerbehinderte Menschen weiter voranzutreiben und die Errichtung eines medizinischen Kompetenzzentrums für Erwachsene mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen zu prüfen (Drs. 20/9570, Nummern 1. e. und 1. f.). Die Hamburger Gesundheitssenatorin hat die Umsetzung dieses Vorhabens auf Bundesebene maßgeblich vorangebracht. Die Schaffung von medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen sowie die Finanzierung über die gesetzliche Krankenversicherung wurden in den Koalitionsvertrag auf Bundesebene aufgenommen. Die notwendigen bundesgesetzlichen Änderungen wurden zwischenzeitlich vorgenommen. Hamburg hat damit bei der medizinischen Versorgung erwachsener Menschen mit Behinderung eine wichtige Vorreiterrolle übernommen und mit der Eröffnung des MZEB die bundesweit erste Einrichtung dieser Art etabliert. In der Vorlage des Berichts zum Stand der Umsetzung und Weiterentwicklung des Landesaktionsplans wurde das Bürgerschaftliche Ersuchen beantwortet (Drs. 20/14150) und mitgeteilt, dass die Evangelische Stiftung Alster- Drucksache 21/1250 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 dorf ein Ambulantes Kompetenzzentrum für Erwachsene mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen realisieren wird. Ich frage den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen auf der Grundlage von Informationen der Evangelischen Stiftung Alsterdorf wie folgt: 1. Am 01.07.2015 wurde das MZEB offiziell eröffnet. Wann hat das MZEB seine Arbeit konkret aufgenommen? Das Medizinische Zentrum für erwachsene Menschen mit Behinderung (MZEB) am Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf hat nach dem positiven Bescheid des Zulassungsausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) seine Arbeit ab dem 1. April 2015 aufgenommen. 2. Wie gut wird das MZEB bislang angenommen? Bislang wurden rund 90 Patientinnen und Patienten behandelt. Zurzeit sind die Sprechstunden noch zeitlich beschränkt. Mit steigender Nachfrage (und Bekanntwerden des Angebotes) werden die Sprechstundenzeiten bedarfsgerecht erweitert. Die Evangelische Stiftung Alsterdorf geht davon aus, dass die Nachfrage mittelfristig bei bis zu 800 Patientinnen und Patienten pro Quartal liegen wird. Ein entsprechender Umfang des Behandlungsangebotes wurde mit den Krankenkassen in Hamburg und der KVH vereinbart. 3. Welche medizinischen Versorgungsangebote bietet das MZEB? Am MZEB stehen besonders qualifizierte und erfahrene Ärztinnen und Ärzte der Fachrichtungen Neurologie, Innere Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Orthopädie /Neuroorthopädie zur Verfügung. Zum Team gehören außerdem Psychologinnen /Psychologen, Physio- und Ergotherapeutinnen/Physio- und Ergotherapeuten, Logopädinnen/Logopäden und Pflegekräfte. Bundesweit bisher einmalig ist das umfassende interdisziplinäre Konzept. Danach wird jede Patientin/jeder Patient von mindestens zwei Ärztinnen/Ärzten oder Therapeutinnen /Therapeuten untersucht und gemeinsam ein Therapieplan entwickelt. Die Behandlung selbst erfolgt – soweit möglich – wohnortnah bei niedergelassenen Ärztinnen /Ärzten oder Therapeutinnen/Therapeuten. Zum Leistungsangebot des MZEB gehört unter anderem: ‐ die Abklärung von unklaren und komplexen Erkrankungen ‐ Diagnostik und Therapie von Schluckstörungen ‐ Abklärung bei Schmerzen ‐ Indikationsstellung, Planung und Durchführung komplexer Untersuchungen ‐ Diagnostik bei speziellen oder seltenen Syndromen mit Therapieempfehlung und -überwachung ‐ Beratung und Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln ‐ Vorsorgeuntersuchungen, wenn sie in der Praxis eines niedergelassenen Facharztes nicht möglich sind ‐ Zweitmeinung vor Wahleingriffen Das MZEB am Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf versteht sich als Teil eines Kompetenznetzes und strebt Kooperationen mit Ärztinnen/Ärzten weiterer Fachgebiete an. Patientinnen/Patienten und ihre Angehörigen können sich bei Fragen außerdem an die Ombudsstelle Medizin beim Elternverein von Leben mit Behinderung Hamburg e.V. wenden, die mit dem MZEB kooperiert. Zu den Zugangskriterien siehe Antwort zu 7. 4. Welche medizinischen Versorgungsangebote gab es bislang in Hamburg für erwachsene Menschen mit Behinderung? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1250 3 Erwachsene Menschen mit Behinderung werden sowohl im stationären wie im ambulanten Bereich in einer Vielzahl von Institutionen gut und qualifiziert behandelt. Beispielhaft zu nennen sind das Querschnittgelähmten-Zentrum des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Hamburg, die Versorgung von ConterganGeschädigten in der Schön Klinik Hamburg Eilbek oder das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) mit seinen Angeboten für Menschen mit seltenen Erkrankungen , die häufig mit Behinderung einhergehen. In Einzelfällen schwieriger stellte sich bisher die Versorgung von Menschen mit einer geistigen oder schweren Mehrfachbehinderung dar, die die Zielgruppe des MZEB sind. 5. Wer war in die Planung des MZEB involviert? Das MZEB wurde auf Initiative der Evangelischen Stiftung Alsterdorf geplant. Daran beteiligt waren: ‐ Das Deutsche Krankenhausinstitut und die Hochschule für Angewandte Wissenschaften , die in 2011 im Auftrag der Evangelischen Stiftung Alsterdorf eine Studie erstellt haben mit dem Titel: „Die medizinische Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung in Hamburg“. Auf den Ergebnissen dieser Studie basieren die ersten Konzeptideen für das MZEB. ‐ Elternverein von Leben mit Behinderung Hamburg e.V. (Bei den regelmäßigen Treffen mit dem Elternverein waren auch andere Institutionen eingebunden: die Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus e.V. ASBH Hamburg; die Patienteninitiative; die Hamburger Arbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen LAG; KIDS Hamburg e.V. – Kontakt- und Informationszentrum Down-Syndrom). ‐ Träger der Eingliederungshilfe: Assistenzgesellschaften der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Leben mit Behinderung Hamburg, Vereinigung Integration und Assistenz e.V. Bergedorf. ‐ Wohnbeiräte von Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung, die das Konzept geprüft haben. ‐ Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen. ‐ Vorstand Evangelische Stiftung Alsterdorf und Fachleute des Evangelischen Krankenhauses Alsterdorf (federführend Dr. Georg Poppele, Chefarzt des MZEB und Mitglied im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Ärzte für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung BAG e.V., darüber auch Austausch mit Experten aus anderen Ländern). ‐ Fachleute des Werner Otto Instituts (Sozialpädiatrisches Zentrum). ‐ Die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz Hamburg. ‐ Hamburger Ärztekammer (Resolution der Ärztekammer aus dem Jahr 2012, die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung verbessern zu wollen). ‐ Dr. Michael Wunder, Mitglied des Deutschen Ethikrats. ‐ Außerdem wurden die Ergebnisse der Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Ärzte für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung im April 2013 in Alsterdorf bei der Entwicklung des Konzeptes berücksichtigt. ‐ Ebenfalls berücksichtigt wurden die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Fortbildungen für Ärzte zum Thema „Med. Versorgung von Menschen mit Behinderung“ (wird von Experten der Evangelischen Stiftung Alsterdorf seit drei Jahren über die Hamburger Ärztekammer angeboten). ‐ Die KVH, die Landesvertretungen der gesetzlichen Krankenkassen und der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) waren in den Entwicklungsprozess eingebunden. 6. Welche gesetzlichen Regelungen mussten berücksichtigt werden? Waren Ergänzungen des gesetzlichen Rahmens notwendig? Drucksache 21/1250 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Das MZEB richtet sich an Menschen über 18 Jahre mit geistiger Behinderung oder schwerer Mehrfachbehinderung. Als gesetzliche Regelungen mussten §§ 119a und 119c SGB V berücksichtigt werden. Ergänzungen des gesetzlichen Rahmens waren nicht notwendig. 7. Von wem wird das MZEB genutzt? Werden auch Patienten behandelt, die nicht in Hamburg wohnhaft sind? Das MZEB wird von Menschen genutzt, die aufgrund der Art, Schwere oder Komplexität ihrer geistigen oder Mehrfachbehinderung vom niedergelassenen Haus- oder Facharzt nicht ausreichend versorgt werden können. Zugangsvoraussetzung ist eine Überweisung durch eine niedergelassene Ärztin/einen niedergelassenen Arzt. Zugangskriterien sind: ‐ Schwerbehindertenausweis mit GdB >=70 ‐ sowie ein Merkzeichen: G (Bewegungsfähigkeit eingeschränkt) oder aG (außergewöhnliche Gehbehinderung), H (hilflos), BL (blind) oder GL (gehörlos) ‐ sowie eine Intelligenzminderung/eine Persönlichkeits- und Verhaltensstörung aufgrund einer Krankheit, Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns/eine tiefgreifende Entwicklungsstörung/eine Zerebralparese oder eine angeborene Fehlbildung des Nervensystems. Das MZEB steht allen Menschen offen, die die Zugangskriterien erfüllen. Der Wohnort Hamburg gehört nicht dazu. 8. Ist ein weiteres MZEB an einem anderen Standort geplant? Nein. Sollte der Bedarf größer sein als in der Planungsphase angenommen, ist das MZEB am Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf in der Lage, die Behandlungskapazitäten zu erweitern und dem Bedarf anzupassen.