BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/12535 21. Wahlperiode 10.04.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 03.04.18 und Antwort des Senats Betr.: Belastung der Hamburger Justiz – Weiterhin hohe Belastung am Landgericht (IV) Die Belastung der Hamburger Justiz hält auch am Landgericht weiter an. Aktuell ist ein mutmaßlicher Vergewaltiger und Geiselnehmer freigelassen worden, weil die stark belastete Strafkammer Urteilsbegründung und Protokoll nicht rechtzeitig fertigstellen konnte, um den nächsten Prozess zu ermöglichen . Im 3. Quartal 2017 gab es sogar Verfahrensdauern von 47,1 Monaten in der Wirtschaftsstrafkammer. Fehlzeitenquoten von 10,5 Prozent bei den Bürokräften in Teilzeit unterstreichen die Belastungssituation.1 Ein nachhaltiges Personalkonzept ist notwendig, um das Landgericht wieder in die Lage zu versetzen, die Verfahren in angemessenen Zeitraum für die Bürger/-innen zu erledigen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die zuständige Behörde beobachtet am Landgericht eine Zunahme der Haftsachen. Im Jahr 2017 hat das Bundesverfassungsgericht und in der Folge auch das Hanseatische Oberlandesgericht strengere Maßstäbe für den Umgang mit Haftsachen formuliert . Bereits im letzten Jahr wurden durch vorläufige Maßnahmen die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Verstärkungskammer geschaffen. Durch die Drs. 21/12324 Stärkung der Strafjustiz und deren Verstetigung im Haushalt 2019/2020 wird das Landgericht nun in die Lage versetzt, insgesamt vier Große Strafkammern nebst Servicebereich einzurichten und so den Strafbereich des Landgerichts nachhaltig und dauerhaft zu verstärken. Auch in den Jahren zuvor hat das Landgericht vom größten Personalzuwachs seit 20 Jahren in der Hamburger Justiz profitiert. Insgesamt wurden seit 2015 rund 170 neue Stellen an Gerichten und Staatsanwaltschaften geschaffen. Im Übrigen siehe Drs. 21/10847. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Warum musste der mutmaßliche Täter aus Sicht des Senats aus der Untersuchungshaft entlassen werden (bitte die Gründe genau benennen )? Der Haftbefehl wurde durch die zuständige Große Strafkammer per Beschluss aufgehoben , weil aufgrund einer durch den Angeklagten nicht zu vertretenden Verfahrensverzögerung die Fortdauer der bereits circa ein Jahr und zwei Monate währenden Untersuchungshaft nunmehr unverhältnismäßig war. 1 Vergleiche Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/10847 vom 10.11.2017. Drucksache 21/12535 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 a. Zeigten sich Auffälligkeiten im Verhalten bei dem mutmaßlichen Täter? Wenn ja, seit wann und durch wenn wurden diese dokumentiert? Besondere Auffälligkeiten im Verhalten des Angeklagten während der Hauptverhandlung wurden nicht festgestellt, während der Untersuchungshaft hat er sich – den Urteilsfeststellungen zufolge – aus seinem früheren Milieu gelöst. b. Ab welchem Zeitpunkt war der zuständigen Stelle klar, dass der mutmaßliche Täter freigelassen werden muss (bitte begründen)? Die zuständige Große Strafkammer hat die Fortdauer der Untersuchungshaft im Rahmen der Haftprüfung mit Beschluss vom 28. März 2018 für unverhältnismäßig erklärt. c. Wann hat Justizsenator Steffen von der Entlassung des Jason B. Kenntnis erlangt? Wie bewertet der Senat die vorzeitige Haftentlassung und welche Konsequenzen werden daraus gezogen? Der Justizsenator hat von der Entlassung des Angeklagten im Rahmen des ordentlichen Berichtswesens der Staatsanwaltschaft am 29. März 2018 Kenntnis erhalten. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Wie hoch sind die Fallzahlen bezogen auf Eingänge, Bestände und Erledigungen bei den Strafkammern und Zivilkammern am Landgericht? (Bitte darstellen für 2017 bis Ende März 2018 und nach Kammern gliedern .) a. Wie viele Nichthaftsachen bei den Strafkammern sind nicht beendet worden (bitte den Zeitraum von 2017 bis Ende März 2018 betrachten und die Situation bei Verfahren Untersuchungshaft darstellen)? b. Wie viele Verfahren sind in den Baukammern am Landgericht in dem Zeitraum 2017 bis Ende März 2018 eingegangen und wie viele sind in dieser Zeit erledigt worden (bitte auch nach Großverfahren differenzieren)? c. Wie viele Verfahren sind in den Schwurgerichtskammern am Landgericht in dem Zeitraum 2017 bis Ende März 2018 eingegangen und wie viele sind in dieser Zeit erledigt worden? d. Wie viele Verfahren sind in den Wirtschaftsstrafkammern am Landgericht in dem Zeitraum 2017 bis Ende März 2018 eingegangen und wie viele sind in dieser Zeit erledigt worden (bitte auch nach Großverfahren differenzieren)? e. Inwieweit stellen Großverfahren eine überdurchschnittliche Belastung in den Kammern am Landgericht dar? Was wird der Senat unternehmen, um diese Situation zu verbessern? 3. Wie lange dauern durchschnittlich Verfahren am Landgericht (bitte nach Strafkammern, Zivilkammern insbesondere Verfahren Baukammern, Verfahren Schwurgerichtskammer, Verfahren Wirtschaftsstrafkammern und Verfahren Untersuchungshaft sowie weitere eilbedürftige Verfahren für den Zeitraum 2017 bis Ende März 2018 darstellen)? Die Nicht-Haftsachen werden nicht über eine standardisierte Statistik abgebildet. Vielmehr wird seit 2013 eine Handliste beim Landgericht ausschließlich für die großen Strafkammern (ohne Strafvollstreckungskammern, nur erstinstanzliche Verfahren) geführt, aus der ein tagesaktueller Stand abgelesen werden kann. Die Haftsachen (Differenz von Bestand und Nicht-Haftsachen) sind Untersuchungshaftsachen oder Fälle einstweiliger Unterbringung und können im Falle der Untersuchungshaftsachen auch solche sein, bei denen der/die Betroffene außerdem eine Haftstrafe in anderer Sache verbüßt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12535 3 Dieses vorausgeschickt, beträgt die Anzahl der nicht beendeten Nichthaftsachen zum Stichtag 4. April 2018 insgesamt 140 Verfahren. Die folgenden Daten für das Jahr 2017 sind den Ergebnistabellen der Zählkartenstatistik entnommen, sie werden vom Statistikamt Nord quartalsweise erstellt. Die Daten der Zivilsachen für das 1. Quartal 2018 liegen noch nicht vor. Im Übrigen siehe Drs. 21/10847. Dies vorausgeschickt, sind die erfragten Daten der folgenden Tabelle zu entnehmen: Zivilkammern 1. Instanz 2017 Neuzugänge 13.158 Erledigungen 13.954 Bestand 13.903 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 10,5 Zahl der Termine insgesamt (ohne Verkündungstermine) 10.270 darunter Bausachen* Neuzugänge 846 Erledigungen 849 Bestand 1.391 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 17,0 Zahl der Termine insgesamt (ohne Verkündungstermine) 1.083 Zivilkammern Berufungsinstanz 2017 Neuzugänge 1.361 Erledigungen 1.482 Bestand 973 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 9,4 Zahl der Termine insgesamt (ohne Verkündungstermine) 894 darunter Bausachen* Neuzugänge 39 Erledigungen 39 Bestand 37 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 8,9 Zahl der Termine insgesamt (ohne Verkündungstermine) 23 * Hier werden Verfahren ausgewiesen, die das Sachgebiet 10, „Bau-/Architektensachen (ohne Architektenhonorarsachen)“ betreffen. Eine Bausache liegt vor, wenn das Verfahren Forderungen aus Werk- oder Werklieferungsverträgen betrifft, die aufgrund von Bauvorhaben geschlossen worden sind, insbesondere wenn der Schwerpunkt der Streitigkeit in einem Streit um bauwerkbezogene Mängel (§ 634a Absatz 1 Nummer 2 BGB) liegt. Strafsachen I. Instanz 2017 Große Strafkammer Neuzugänge 272 Erledigungen 238 Bestand 178 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 5,7 Hauptverhandlungstage insgesamt 1.205 Schwurgericht Neuzugänge 47 Erledigungen 45 Bestand 30 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 5,8 Zahl der Termine insgesamt (ohne Verkündungstermine) 427 Drucksache 21/12535 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Strafsachen I. Instanz 2017 Wirtschaftsstrafkammer Neuzugänge 23 Erledigungen 13 Bestand 38 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 23,3 Hauptverhandlungstage insgesamt 78 Jugendkammer Neuzugänge 38 Erledigungen 44 Bestand 13 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 5,5 Hauptverhandlungstage insgesamt 208 Strafsachen Berufungsinstanz 2017 Kleine Strafkammer (Strafrichter) Neuzugänge 1.301 Erledigungen 1.251 Bestand 650 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 4,8 Hauptverhandlungstage insgesamt 1.196 Kleine Strafkammer (Schöffen) Neuzugänge 222 Erledigungen 194 Bestand 145 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 6,3 Hauptverhandlungstage insgesamt 281 Wirtschaftsstrafkammer Neuzugänge 56 Erledigungen 36 Bestand 57 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 12,1 Hauptverhandlungstage insgesamt 43 Große Jugendkammer Neuzugänge 89 Erledigungen 92 Bestand 16 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 2,7 Hauptverhandlungstage insgesamt 87 Kleine Jugendkammer Neuzugänge 61 Erledigungen 66 Bestand 11 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 2,7 Hauptverhandlungstage insgesamt 47 4. Wie hoch ist der Krankenstand bezogen auf die Vollzeitäquivalente und die Teilzeitstellen bei den Strafkammern, den Zivilkammern des Landgerichts (bitte die tatsächlichen Zahlen und in Prozenten in dem Zeitraum 2017 bis Ende März 2018 bezogen auf die Kammern, die Richter/-innen und Geschäftsstellen darstellen)? Was sind Hauptursachen für gegebenenfalls den Anstieg der Krankenstand/Krankenquote? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12535 5 Landgericht Hamburg 2017* Teilzeit Vollzeit Gesamt Berufskategorien Tage Prozent Tage Prozent Tage Prozent Bürofach-/Bürohilfskräfte 1.239 10,0% 2.899 8,5% 4.138 8,9% Richter/-innen, Staatsanwälte/-innen 335 4,1% 1.026 2,1% 1.361 2,4% Berufskategorien Gesamt 1.574 7,6% 3.925 4,7% 5.499 5,3% * Die Fehlzeitenstatistik wird nur für das Landgericht gesamt erstellt. Die Auswertung einzelner Kammern ist nicht möglich. Belastbare Zahlen liegen zu dieser Fragestellung derzeit für 2018 noch nicht vor. 5. Wie viele Sitzungstage in Strafsachen und in Zivilsachen hatten Hamburger Richter/-innen von 2017 bis Ende März 2018 am Landgericht zu bewältigen (bitte je Amtsgericht darstellen)? Siehe Antwort zu 2. und 3. 6. Wie viele Richterinnen und Richter am Landgericht haben in 2017 bis Ende März 2018 den gesetzlichen Anspruch auf Elternzeit in welchem Umfang wahrgenommen? Wie wurden diese Stellen besetzt? Die Beurlaubungen wegen Elternzeit werden statistisch nicht erfasst. Zur exakten Beantwortung der Frage müssten mehrere Hundert Personalakten aller im fraglichen Zeitraum am Landgericht Hamburg tätigen Richterinnen und Richter ausgewertet werden . Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind in Unterlagen für interne Zwecke seit 2017 insgesamt elf Richter/-innen in Elternzeit mit einer durchschnittlichen Dauer von 7,8 Monaten vermerkt. Sofern es sich um einen längeren Zeitraum handelte, für den Elternzeit genommen wurde, wurden diese Stellen grundsätzlich nachbesetzt. Bei kurzfristigen Elternzeiten erfolgt (seit Ende 2016) ein pauschaler Ausgleich auf der Basis der durchschnittlichen kumulierten Abwesenheiten der Vorjahre. 7. Welche baulichen Maßnahmen werden derzeit am Landgericht in welchem Zeitraum durchgeführt (bitte Kosten und je nach Amtsgericht anführen)? Welche weiteren Baumaßnahmen sind noch in Planung? Gibt es dazu Abweichungen von den ursprünglichen Planungen? Wenn ja, welche und warum? Das Landgericht nutzt gemeinsam mit Amtsgericht, Hanseatischem Oberlandesgericht , der Justizbehörde und anderen das Straf- und das Ziviljustizgebäude. Die im Folgenden genannten Baumaßnahmen lassen sich daher nicht auf das Landgericht eingrenzen. Ziviljustizgebäude: Der Vermieter nimmt seit November 2017 bis voraussichtlich Herbst 2018 eine Ertüchtigung der Elektroverteilungen vor. Die Kosten sind nicht bekannt. Hinsichtlich der vom Vermieter geplanten Brandschutzmaßnahmen siehe Drs. 21/10847. Nach Vorliegen der Kostenermittlung für die Sanierung der Kantine in Höhe von rund 250.000 Euro wurde die ursprünglich für Mitte 2018 geplante Sanierung aus Kostengründen vorläufig zurückgestellt. Strafjustizgebäude: Derzeit erfolgt die Renovierung von Saal 142 mit Gesamtkosten von rund 70.000 Euro, die voraussichtlich im April 2018 beendet wird. Bezüglich der vermieterseitig laufenden Restarbeiten einer Brandschutzmaßnahme siehe Drs. 21/10847 und Drs. 21/9372. Für die Jahre 2018/2019 hat der Vermieter die Umsetzung der nachfolgend aufgeführten Baumaßnahmen angekündigt (konkrete Termine oder Kosten wurden nicht benannt): Drucksache 21/12535 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 Sanierung der Heizungsstränge, Sanierung der Sielleitungen und Ertüchtigung der elektrischen Unterverteilungen.