BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/12561 21. Wahlperiode 10.04.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Alexander Wolf (AfD) vom 04.04.18 und Antwort des Senats Betr.: Fälle von muslimischem Antisemitismus an Hamburger Schulen – Quartalsabfrage BSB 01/2016 Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, äußert in einem aktuellen Interview seine Sorgen über den wachsenden muslimischen Antisemitismus in Deutschland. Auf die Frage, ob es sich um ein verbreitetes Phänomen handele, dass „Jude“ auf deutschen Schulhöfen vermehrt als Schimpfwort benutzt werde, sagt Schuster: „Dieses Phänomen beobachten wir leider schon seit einigen Jahren und durchaus verbreitet, so dass wir nicht von Einzelfällen sprechen können. Sowohl in Schulen als auch auf Sportplätzen wird „Jude“ als Schimpfwort verwendet. Vor allem unter muslimischen Schülern sind antisemitische Vorurteile weit verbreitet. Es ist uns daher wichtig, dass im Schulunterricht mehr Wissen über das Judentum vermittelt wird, um diesen Vorurteilen entgegenzuwirken . (…) Das Problem des muslimischen Antisemitismus sollte die ganze Gesellschaft sehr ernst nehmen (…).“1 Gefragt, ob Schuster die starke Migration aus mehrheitlich muslimischen Ländern als Bedrohung wahrnehme, antwortet er: „Gerade von jüdischer Seite gibt es Verständnis für Menschen, die ihr Land verlassen müssen, weil Leib und Leben bedroht sind. Auf der anderen Seite gibt es eine berechtigte Sorge, wenn zahlreiche Menschen kommen, die mit Israel- und Juden-feindlichen Parolen aufgewachsen sind. Wer ein Leben lang indoktriniert wurde, wirft das nicht an der deutschen Grenze ab. Gegen diese Vorstellungen müssen wir aktiv arbeiten. Die Ablehnung von Antisemitismus und die Anerkennung des Existenzrechts Israels müssen für jeden in Deutschland eine Grundlage des Zusammenlebens sein. (…) In einigen Bezirken der Großstädte würde ich empfehlen, sich nicht als Jude erkennen zu geben. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das offene Tragen einer Kippa oder einer Halskette mit Davidstern verbale oder körperliche Bedrohungen zur Folge haben kann.“2 Schusters Aussagen werden gestützt von einer Reihe quantitativer und quantitativ-qualitativer Studien, die übereinstimmend zu dem Ergebnis kommen , dass antisemitische Einstellungen unter muslimischen Jugendlichen 1 http://www.bild.de/politik/inland/antisemitismus/alle-islamverbaende-sollten-deutlich-mehrgegen -antisemitismus-tun-52625284.bild.html (abgerufen am: 06.08.2017). 2 Ebenda. Drucksache 21/12561 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 verbreiteter sind als bei nicht muslimischen Jugendlichen.3 Der aktualisierte Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus im Auftrag der Bundesregierung stellt dazu fest: „Zusammenfassend konstatieren diese Studien, dass antiisraelische Äußerungen, die dann auf alle Juden generalisiert werden, unter den Jugendlichen gebräuchlich sind. Der Nahostkonflikt wird als die Hauptquelle für antisemitische Äußerungen angesehen, wobei die Jugendlichen dabei auf eine imaginierte muslimische oder ethnische Kollektividentität zurückgreifen, um sich selbst zu versichern, dass es eine von allen Muslimen geteilte Ablehnung von Juden gebe und dass dies demnach eine »normale Haltung« sei.“4 Die frühere Aussage der Behörde für Schule und Berufsbildung aus Drs. 21/5315, dass zum vom Fragesteller „dargelegten Zusammenhang zwischen Antisemitismus, Muslimen beziehungsweise dem Islam und (muslimischem) Migrationshintergrund (…) keine belastbaren Daten oder repräsentativen Forschungsergebnisse vor(liegen), die eine allgemeine Einschätzung zum Phänomen judenfeindlicher Einstellungen unter Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund zulassen“, muss aufgrund der überwältigenden wissenschaftlichen Befundlage als unzutreffend zurückgewiesen werden. Zwar gibt es tatsächlich keinen Beweis für einen allgemeinen Zusammenhang zwischen antisemitischen Einstellungen und deren tatsächlichen Ausprägungen bei jedem einzelnen Muslim – einen solchen Zusammenhang hat der Fragesteller entgegen der Behauptung der BSB auch zu keinem Zeitpunkt unterstellt –, die vermehrte Verbreitung antisemitischer Einstellungen unter muslimischen Jugendlichen im Vergleich zu nicht muslimischen Jugendlichen ist jedoch evident. Auch die Warnung einiger Autoren, man könne bei Personen muslimischen Glaubens keinesfalls per se antisemitische Einstellungen und Weltbilder unterstellen, widerspricht der geschilderten Befundlage eben gerade nicht (siehe Fußnote 3). Es ist für die politische Bewertung dieses Komplexes auch unerheblich, ob Schusters Terminus eines „muslimischen Antisemitismus“ von der BSB geteilt wird; erheblich dagegen ist, ob es antisemitische Vorfälle dieses Phänomenbereiches vermehrt an Hamburger Schulen gibt, wie sich deren Anzahl entwickelt (hat) und ob daraus spezifische Präventionsstrategien entwickelt werden können beziehungsweise ob die bisherigen effektiv genug sind. 3 Vergleiche zum Beispiel: MANSEL, Jürgen, SPAISER, Viktoria (2010): Soziale Beziehungen, Konfliktpotentiale und Vorurteile im Kontext von Erfahrungen verweigerter Teilhabe und Anerkennung bei Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. Abschlussbericht, Dezember 2010 (05.10.2012), Seite 25; JIKELI, Günther, Antisemitismus und Diskriminierungswahrnehmungen junger Muslime in Europa. Ergebnisse einer Studie unter jungen muslimischen Männern , Essen 2012, S. 270; ADL Global 100: A Survey of Attitudes Toward Jews in over 100 Countries around the World. Executive Summary. Online unter: http://global100.adl.org/ public/ADL-Global-100-Executive-Summary.pdf (eingesehen 07.08.2017); Jikeli, Antisemitismus und Diskriminierungswahrnehmungen; Gabriel Fréville/Susanna Harms/Serhat Karakayali , Antisemitismus – ein Problem unter vielen, in: Wolfram Stender/Guido Follert/Mihri Özdogan (Hrsg.), Konstellationen des Antisemitismus, Wiesbaden 2010, S. 185-198; Susanna Harms, Antisemitismus – ein Problem unter vielen. Eine Befragung in Jugendclubs und Migranten - und Migrantinnen-Organisationen, Berlin 2009. Online unter http://www.amiraberlin .de/Material/Publikationen/64.html (eingesehen 07.08.2017); Katrin Brettfeld/Peter Wetzels , Muslime in Deutschland: Integration, Integrationsbarrieren, Religion sowie Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und politisch motivierter Gewalt, Berlin: Bundesministerium des Innern, 2007, S. 280; Dirk Baier/Christian Pfeiffer/Julia Simonson/Susann Rabold, Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt: Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Hannover 2009, Tab. 6.14. und Abb. 6.16.; Frindte/ Boehnke/Kreikenbom/Wagner, Lebenswelten junger Muslime in Deutschland, S. 227-247. 4 Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus im Auftrag der Bundesregierung: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/119/1811970.pdf (abgerufen am: 07.08.2017). Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12561 3 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Es liegt keine Studie über die antisemitische Einstellung von muslimischen Jugendlichen in Hamburg vor. Am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) werden Präventionsmaßnahmen gegen Antisemitismus für Hamburger Schulen angeboten , die sich an Schülerinnen und Schüler unabhängig von einem möglichen Migrationshintergrund richten, die aber auch der Heterogenität in den Klassen gezielt Rechnung tragen (siehe Drs. 21/5315). Aufgabe der Schule ist es, im Einzelfall zu prüfen, ob menschenfeindliche Äußerungen und im Besonderen antisemitische Vorfälle im Unterricht oder in schulischen Veranstaltungen vorliegen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, siehe hierzu Drs. 21/719. Schulische Fachkräfte, die mit antisemitischen Vorfällen konfrontiert werden, können sich bei den Schulleitungen und Beratungsdiensten der Schulen, den Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ), verschiedenen Referaten des LI und der Beratungsstelle Gewaltprävention Unterstützung holen. Die für Bildung zuständige Behörde beantwortet mit dieser Schriftlichen Kleinen Anfrage die Frage nach der Meldung von antisemitischen Vorfällen bei der Behörde zwischen dem 2. Quartal 2015 und dem 1. Quartal 2018, sodass die Beantwortung der Drs. 21/12561 bis 21/12572 (quartalsweise Abfrage der gemeldeten antisemitischen Vorfälle) an dieser Stelle erfolgt. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Vorfälle von Antisemitismus an Hamburger Schulen wurden der BSB im Zeitraum des 1. Quartals 2016 gemeldet? Hierzu bitte die gemeldeten Gewaltvorfälle mit dem Zusatz „politisch motivierte Straftat“ oder „verfassungsfeindlich“ auswerten. 2. Wie viele dieser Fälle gingen von muslimischen Schülern beziehungsweise von Schülern mit einem Migrationshintergrund eines muslimisch geprägten Landes aus? Bitte hierzu die betreffenden Schülerakten hinzuziehen und gegebenenfalls händisch auswerten. (Da von einer geringen Meldezahl antisemitischer Vorfälle auszugehen ist, sollte ein möglicher Migrationshintergrund auch im Zeitrahmen der Beantwortung für eine Schriftliche Kleine Anfrage ermittelt werden können.) 3. Wie viele Vorfälle von Antisemitismus an Hamburger Schulen wurden der BSB im Zeitraum des 1. Quartals 2016 über sonstige Quellen gemeldet? 4. Welche Kenntnisse über antisemitische Vorfälle an Hamburger Schulen hat die BSB seit der letzten Anfrage allgemein? 5. Gibt es in der BSB seit der letzten Anfrage Überlegungen, antisemitische Vorfälle oder auch andere religiös motivierte Anfeindungen/Übergriffe an Hamburger Schulen zu dokumentieren? Wenn nein: warum nicht? Wenn ja: Bitte die Überlegungen umfassend erläutern. Siehe Drs. 21/10075. Die erfragten Daten werden von der für Bildung zuständigen Behörde nicht zentral erfasst und sind auch nicht aus den Meldungen der Schulen gemäß der „Richtlinie zur Bearbeitung und Meldung von Gewaltvorfällen in Schulen“ ableitbar, da nicht nach Motivation und Zielrichtung der Gewalttat (siehe Drs. 21/9096) und Herkunft oder dem Bekenntnis der Betroffenen unterschieden wird. Im erfragten Zeitraum zwischen dem 2. Quartal 2015 bis zum Ende des 1. Quartals 2018 sind beim LI im 4. Quartal 2016 drei Beratungsanfragen, im 2. Quartal 2017 und im 1. Quartal 2018 je eine Beratungsanfrage zum Thema Antisemitismus eingegangen . Die Anfragen der einzelnen Schulen sowie die fallbezogenen Beratungen sind vertraulich. Der Senat sieht in ständiger Praxis von der öffentlichen Benennung von Schulnamen oder weiteren Informationen zu Beratungs- und Vermittlungsanfragen ab, um eine Stigmatisierung einzelner Schulen zu verhindern, die Vertraulichkeit der fallbezogenen Beratungsarbeit zu wahren und eine Identifizierung einzelner Schülerinnen Drucksache 21/12561 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 und Schüler sowie Lehrkräfte zu verhindern. Mehrere Beratungsanfragen erfolgten zudem anonym. Der Schulaufsicht sind keine Fälle von Antisemitismus seit dem 2. Quartal 2015 bekannt oder gemeldet worden. Zu Kenntnissen der Behörde über antisemitische Vorfälle siehe Drs. 21/719 sowie Drs. 21/9096. Angesichts der geringen Anzahl von Vorfällen, die in den letzten fünf Jahren aufgetreten sind, plant die für Bildung zuständige Behörde zurzeit nicht, eine Dokumentationspflicht für antisemitische Vorfälle einzuführen.