BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/12737 21. Wahlperiode 24.04.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Joachim Lenders und Dennis Gladiator (CDU) vom 17.04.18 und Antwort des Senats Betr.: Profitieren Täter von der Überlastung der Justiz? Einem Bericht des „Hamburger Abendblatts“ vom 17. April 2018 zufolge musste ein Strafverfahren wegen Nötigung und Freiheitsberaubung gegen fünf kurdische Angeklagte eingestellt werden, weil das Verfahren seit Jahren zwischen verschiedenen Abteilungen des Amtsgerichts Hamburg-Altona hin und her geschoben wurde und nun verjährt ist. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg bereits im November 2012 Anklage erhoben und sich seitdem mehrfach nach dem Verfahrensstand erkundigt. Dass Angeklagte straffrei davon kommen, weil die Verfahren so lange dauern , dass sie verjähren, erschüttert das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat zutiefst. Auch wenn Strafverfolgungsbehörden und Gerichte massiv überlastet sind, darf dies nicht sein. Es stellt sich die Frage, welche Kontrollmechanismen dem gegenüberstehen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie häufig hat die Staatsanwaltschaft im oben genannten Fall seit der Anklageerhebung im November 2012 Sachstandsanfragen an das Amtsgericht Altona gerichtet? a. Wann ging die letzte Sachstandsanfrage ein? b. Welche Reaktionen erfolgten jeweils auf die Sachstandsanfragen hin? c. Wurde Beschwerde seitens der StA eingelegt? Falls nein, weshalb nicht? Die Staatsanwaltschaft hat insgesamt 26 Sachstandsanfragen an das Amtsgericht Altona gerichtet. In 17 Fällen erfolgte keine Antwort. In sieben Fällen teilte das Amtsgericht mit, dass aus unterschiedlichen Gründen noch keine Terminierung der Hauptverhandlung erfolgt sei. In einem Fall wurde mitgeteilt, dass die Akte zur Richtervorlage gegeben worden sei und in einem weiteren Fall, dass sich die Akte zur Einsicht beim Verteidiger befinde. Im Übrigen ging die Staatsanwaltschaft nach der letzten Zuschrift vom 25. Oktober 2017, in der auf das für die Verfolgungsverjährung maßgebliche Datum der Anklageschrift hingewiesen wurde, davon aus, dass nunmehr rechtzeitig eine verjährungsunterbrechende Handlung erfolgt. 2. Wie viele Strafverfahren, bei denen bereits Anklage erhoben wurde, wurden seit dem Jahre 2015 jährlich wegen Verfolgungsverjährung eingestellt ? (Bitte unter Angabe der den Verfahren zugrunde liegenden Straftaten sowie des jeweiligen Gerichts darstellen.) Drucksache 21/12737 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die Erledigung wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung wird statistisch nicht explizit erfasst. Im Regelfall wird sie durch die Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses nach § 206a StPO oder die Einstellung im Urteilswege gemäß § 260 Absatz 3 StPO gerichtlich festgestellt. Zu Einstellungen gemäß § 206a StPO und § 260 Absatz 3 StPO führt neben weiteren Umständen, beispielsweise der Rücknahme eines Strafantrags bei Antragsdelikten oder dem Tod des Beschuldigten, oftmals die Verfolgungsverjährung . Ursächlich für die Verfolgungsverjährung ist üblicherweise allerdings die Nichtgreifbarkeit des Beschuldigten, weil sich dieser zum Beispiel ins Ausland abgesetzt hat und trotz einer polizeilichen Fahndung bis zur absoluten Verjährung nicht aufgegriffen werden kann. Neben dem vom Fragesteller aufgegriffenen Verfahren sind aus den letzten Jahren keine weiteren Verfahren bekannt, die unter vergleichbaren Umständen zu einer Verfolgungsverjährung geführt haben. Die Häufigkeit der genannten Verfahrenserledigungen bei den einzelnen Gerichten im Verhältnis zur Gesamterledigungszahl wird in der folgenden Tabelle dargestellt: Amtsgericht 2015 2016 2017 Erledigte Verfahren gesamt 16.413 16.048 15.717 darunter Einstellung wegen Verfahrenshindernisses (§ 206a StPO) 57 70 67 darunter Urteil auf Einstellung wegen Verfahrenshindernisses (§ 260 Abs. 3 StPO) 14 6 6 Landgericht – I. Instanz Erledigte Verfahren gesamt 280 314 340 darunter Einstellung wegen Verfahrenshindernisses (§ 206a StPO) 1 1 2 darunter Urteil auf Einstellung wegen Verfahrenshindernisses (§ 260 Abs. 3 StPO) 0 1 1 Landgericht – Berufungsinstanz Erledigte Verfahren gesamt 1.449 1.553 1.639 darunter Einstellung wegen Verfahrenshindernisses (§ 206a StPO) 14 9 6 darunter Urteil auf Einstellung wegen Verfahrenshindernisses (§ 260 Abs. 3 StPO) 1 0 1 Oberlandesgericht – I. Instanz Erledigte Verfahren gesamt 2 2 3 darunter Einstellung wegen Verfahrenshindernisses (§ 206a StPO) 0 0 0 darunter Urteil auf Einstellung wegen Verfahrenshindernisses (§ 260 Abs. 3 StPO) 0 0 0 Oberlandesgericht – Revisionsinstanz Erledigte Verfahren gesamt 211 190 244 darunter Einstellung wegen Verfahrenshindernisses (§ 206a StPO) 0 1 1 darunter Urteil auf Einstellung wegen Verfahrenshindernisses (§ 260 Abs. 3 StPO) 0 0 0 Die weitergehende Fragestellung könnte nur durch manuelle Auswertung aller erledigten Verfahren beantwortet werden, da über die Statistik kein Rückgriff auf die Aktenzeichen möglich ist. Dies ist in der für die Beantwortung Parlamentarischer Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12737 3 3. Wie viele Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft wurden seit dem Jahre 2015 jährlich wegen Verfolgungsverjährung eingestellt? (Bitte unter Angabe der den Verfahren zugrunde liegenden Straftaten darstellen .) Im Falle des Eintritts der Verjährung erfolgt eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Absatz 2 StPO. Bezogen auf die Jahre 2015 bis 2017 wären jeweils deutlich mehr als 40.000 Verfahren auszuwerten. Seit dem 1. Januar 2018 werden die MESTA-Erledigungsarten für Einstellungen gemäß § 170 Absatz 2 StPO differenzierter erfasst, unter anderem ist eine eigene Erledigungskennziffer bei Vorliegen eines Verfahrenshindernisses (soweit nicht § 20 StGB pp.) verfügbar. Darunter fallen seit dem 1. Januar 2018 knapp 3.000 Verfahren. Das Fehlen eines genügenden Anlasses zur Erhebung der öffentlichen Klage kann dabei verschiedene Gründe haben. Umfasst sind insbesondere auch diejenigen Verfahren , in denen sich die Unschuld eines Beschuldigten im Zuge der Ermittlungen herausstellt oder eine vorgeworfene Straftat mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln im Rahmen einer gedachten Hauptverhandlung wahrscheinlich nicht nachzuweisen sein wird. Auch prozessuale Gründe können einer Anklageerhebung entgegenstehen, etwa wenn bei absoluten Antragsdelikten der Strafantrag nicht, nicht von einem Berechtigten beziehungsweise verspätet gestellt wurde, ein Strafklageverbrauch oder eine anderweitige Rechtshängigkeit festzustellen ist oder die Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Einstellungen wegen Verfolgungsverjährung sind dabei üblicherweise darauf zurückzuführen, dass der Aufenthalt eines Beschuldigten (häufig im Ausland) bis zum Verjährungseintritt unbekannt geblieben ist und Fahndungsmaßnahmen nicht zum Erfolg geführt haben. Einzelheiten zu den Einstellungsgründen ließen sich nur durch eine händische Auswertung der Verfahrensakten feststellen. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 4. Welche Dienstanweisungen bestehen bei der Staatsanwaltschaft zur Fristenkontrolle und Wiedervorlage von Akten? a. Gab es hier seit 2015 Änderungen? Falls ja, wer hat welche aus jeweils welchem Grund angeordnet? b. Wer kontrolliert die ordnungsgemäße Einhaltung der Fristenkontrollen /Wiedervorlagen? c. Welche Erkenntnisse liegen darüber vor, ob es hier zu Problemen auf den Geschäftsstellen beziehungsweise bei einzelnen Dezernenten kommt? Maßgeblich zu beachten ist von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die „Dienstanweisung für die Arbeit mit der IT-Fachanwendung MESTA“ vom 11. August 2015, die zuletzt am 13. Juli 2016 geringfügig geändert wurde. In dieser Dienstanweisung wird darauf hingewiesen, dass die Aktenkontrolle wesentlicher Zweck von MESTA und deswegen mit besonderer Sorgfalt zu bearbeiten ist. Jede Frist und jede Vorlage ist durch einen Aktenkontrollsatz zu erfassen. Jede neue Vorlage bedarf eines neuen Kontrollsatzes unter Erledigung des nicht mehr aktuellen Satzes. Die ordnungsgemäße Einhaltung ist Gegenstand der Dienstaufsicht. Dezernentinnen und Dezernenten sind verpflichtet, hinsichtlich unerledigter Ermittlungsverfahren – seit der Dienstanweisung „Einführung elektronischer Reste-/Sachstandslisten “ vom 5. Mai 2017 in elektronischer Form – sogenannte Restelisten zu führen, die durch die Dienstvorgesetzten vierteljährlich überprüft werden. Aus dem zu fertigenden Sachstandsvermerk der Dezernentinnen und Dezernenten zu allen länger als neun Monaten unerledigten Verfahren muss sich nach dieser Dienstanweisung jedenfalls der voraussichtliche Beginn der Verjährung und einer eventuellen Verjährungsunterbrechung bezüglich jeder einzelnen Beschuldigten beziehungsweise jedes einzelnen Beschuldigten ergeben. Im Falle festgestellter Probleme einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bewältigung des insbesondere in den Hauptabteilungen II und III enormen Aktenum- Drucksache 21/12737 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 laufs tragen die jeweiligen Dienstvorgesetzten durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge, dass eine sachgerechte Bearbeitung der Verfahren sichergestellt wird. 5. Welche Dienstanweisungen bestehen für die Geschäftsstellen der Strafgerichte (Amtsgerichte/Landgericht) zur Fristenkontrolle und Wiedervorlage von Akten? a. Gab es hier seit 2015 Änderungen? Falls ja, wer hat welche aus jeweils welchem Grund angeordnet? b. Wer kontrolliert die ordnungsgemäße Einhaltung der Fristenkontrollen /Wiedervorlagen? c. Welche Erkenntnisse liegen darüber vor, ob es hier zu Problemen auf den Geschäftsstellen kommt? Die Anweisung für die Verwaltung der Akten ist in der Aktenordnung (AktO) nebst Anlage sowie den Hamburgischen Zusatzbestimmungen zur Aktenordnung (HmbZu- BestAktO) geregelt, darüber hinausgehende Dienstanweisungen liegen nicht vor. Änderungen hat es seit 2015 nicht gegeben. Die Einhaltung der Fristen wird durch die Geschäftsstellenmitarbeiterinnen und Geschäftsstellenmitarbeiter beziehungsweise deren Vorgesetzte kontrolliert. Die verfügte Frist wird sowohl in forumSTAR als auch im Tischkalender am Arbeitsplatz notiert. Dadurch hat bei einem Ausfall der Verwalterin beziehungsweise des Verwalters die Vertreterin beziehungsweise der Vertreter sofort einen Überblick über die anstehenden Fristen. Die Eintragung in forumSTAR führt dazu, dass auch Richterinnen und Richter sowie Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger bei Bedarf die Frist einsehen , kontrollieren und überprüfen können. Hinsichtlich der Fristen beziehungsweise Wiedervorlagen sind keine Probleme bekannt.