BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/12807 21. Wahlperiode 30.04.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Jörn Kruse (AfD) vom 23.04.18 und Antwort des Senats Betr.: Asylbewerber verkaufen ihre Ausweispapiere Anerkannten Flüchtlingen ist es nur in Ausnahmefällen gestattet, in ihr Heimatland zu reisen. Ein Artikel von „SPIEGEL ONLINE“ vom 17. April 2018 berichtet von der sich häufenden Problematik, dass anerkannte Flüchtlinge ihre Dokumente und damit ihre Identitäten über das Internet verkaufen, bevor sie den Heimweg über die Türkei mithilfe von Schleppern antreten. Bei den begehrten Dokumenten handelt es sich um den Reiseausweis, Flüchtlingspass und die AOK- Karte. Erstgenannte Dokumente dienen zum Reisen und zur Identifikation, die AOK-Karte, um die Leistungen des Deutschen Gesundheitssystems in Anspruch zu nehmen. Die ursprünglichen Besitzer melden oftmals ihre Dokumente als verloren und beantragen die Neuausstellung der abhandengekommen Papiere in den deutschen Auslandsvertretungen. Mit den verkauften Dokumenten reisen andere Personen unter falscher Identität nach Deutschland ein. Die Anzahl an gefälschten oder missbräuchlich verwendeten Dokumenten stieg so sehr an, dass die Bundespolizei Unterstützungsbeamte an die griechischen Flughäfen von Athen und Thessaloniki schicken musste, um illegale Einreisen nach Deutschland zu unterbinden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Bei Asylsuchenden wird gemäß § 16 Asylgesetz (AsylG) im Rahmen ihrer Registrierung die Identität stets durch erkennungsdienstliche Maßnahmen (Lichtbilder, ab Vollendung des 14. Lebensjahrs Abdrucke aller zehn Finger) gesichert, sodass eine missbräuchliche Nutzung von Dokumenten, die auf andere Personen ausgestellt wurden , wesentlich eingeschränkt ist. Unter der „AOK-Karte“ im Sinne der Fragestellung wird die elektronische Gesundheitskarte (eGK) der AOK Bremen/Bremerhaven verstanden, die Empfänger von Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Hamburg erhalten . Die AOK Bremen/Bremerhaven übernimmt im Auftrag der Stadt Hamburg die Abrechnung der Gesundheitsversorgung im Rahmen einer Betreuung gemäß § 264 Absatz 1 SGB V. Empfänger von Leistungen in besonderen Fällen nach § 2 AsylbLG (Analogleistungen ) werden gemäß § 264 Absatz 2 SGB V bei einer Krankenkasse ihrer Wahl betreut. Anerkannte Flüchtlinge sind bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II bei einer Krankenkasse ihrer Wahl pflichtversichert (und erhalten ebenfalls eine Karte). Für die beiden letztgenannten Personengruppen ist eine Beantwortung aufgrund der Vielzahl der Krankenkassen mit jeweils unterschiedlichen Regelungen nicht möglich. Drucksache 21/12807 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Ausweisdokumente für Flüchtlinge hat die Stadt Hamburg seit 2015 ausgestellt? Bitte nach Ausweisart, Herkunftsland und Geschlecht aufschlüsseln. Reiseausweise für Flüchtlinge werden von der Bundesdruckerei ausgestellt. Die nachfolgende Übersicht enthält die in Hamburger ausgehändigten inklusive der aktuell noch in Bestellung befindlichen Dokumente: Staatsangehörigkeit Reiseausweis für Flüchtlinge vorläufiger Reiseausweis für Flüchtlinge Reiseausweis für Flüchtlinge unter 12 Jahren Summe männlich weiblich männlich weiblich männlich weiblich Syrien 5.575 2.165 7 1 4 2 7.754 Afghanistan 2.166 1.597 8 13 6 9 3.799 Iran 1.882 1.036 4 1 1 3 2.927 Irak 1.568 956 19 6 0 1 2.550 Eritrea 1.403 429 1 0 1 0 1.834 ungeklärt 390 171 0 0 0 0 561 Türkei 257 76 4 1 0 0 338 sonstige asiatische Staaten 221 111 0 0 0 0 332 Somalia 155 159 0 0 0 0 314 Russische Föderation 90 102 3 2 1 0 198 übrige Staaten 483 340 11 2 1 0 837 Gesamt 14.190 7.142 57 26 14 15 21.444 (Stand: 24.04.2018) 2. Wie hoch belaufen sich die Kosten für die Ausstellung von Reisedokumenten ? Wer kommt für die Kosten auf? Für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge stellt die Bundesdruckerei der zuständigen Behörde 36,69 Euro (netto) in Rechnung. Die Kosten werden grundsätzlich von den Betroffenen selbst getragen, sofern nicht ein Ausnahmefall im Sinne des § 53 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) vorliegt. Die Gebühren sind § 48 AufenthV zu entnehmen. 3. Wie viele an Flüchtlinge in Hamburg ausgestellte Dokumente (Flüchtlingspässe , Reiseausweise und AOK-Karten) wurden seit 2015 als abhandengekommen gemeldet und wie viele von ihnen wurden neu beantragt? Bitte nach Ausweisart, Herkunftsland, Geschlecht und Ort der deutschen Auslandsvertretung aufschlüsseln. Eine Auswertung im Sinne der Fragestellung ist nicht möglich. Eine weltweite Erfassung von Dokumenten, die in Hamburg ausgestellt wurden und nun abhandengekommen sind, existiert nicht. Zudem stellen deutsche Auslandsvertretungen keine Reiseausweise für Flüchtlinge aus. Dem ausländerbehördlichen Fachverfahren können Angaben zu Reiseausweisen von aktuell in Hamburg lebenden Flüchtlingen entnommen werden, unabhängig vom Ausstellungsort dieser Dokumente. Weitere „Flüchtlingspässe“ sind der zuständigen Behörde nicht bekannt. Krankenversicherungskarten werden nicht von der Ausländerbehörde ausgestellt. Das Vorhandensein dieser Karten wird auch nicht im ausländerbehördlichen Fachverfahren erfasst. Im Übrigen sind die Angaben der folgenden Übersicht zu entnehmen: Staatsangehörigkeit verloren gemeldet davon neu erhalten oder beantragt männlich weiblich Summe männlich weiblich Summe Reiseausweise für Flüchtlinge Syrien 50 8 58 37 7 44 Iran 21 7 28 16 6 22 Afghanistan 15 10 25 14 10 24 Eritrea 21 2 23 12 2 14 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12807 3 Staatsangehörigkeit verloren gemeldet davon neu erhalten oder beantragt männlich weiblich Summe männlich weiblich Summe Reiseausweise für Flüchtlinge Irak 14 6 20 11 3 14 Türkei 7 0 7 4 0 4 ungeklärt 4 4 8 4 4 8 Somalia 0 3 3 0 2 2 übrige Staaten 6 2 8 3 1 4 Gesamt 138 42 180 101 35 136 vorläufiger Reiseausweis für Flüchtlinge Afghanistan 0 3 3 0 3 3 Gesamt 0 3 3 0 3 3 Reiseausweis für Flüchtlinge unter 12 Jahren Gesamt 0 0 0 0 0 0 (Stand: 24.04.2018) Der Verlust der eGK wird statistisch nicht erfasst. Eine händische Auswertung ist aufgrund der Vielzahl der Fälle (rund 50.000 betreute Personen seit 2015) in der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 4. Welche Mehrkosten entstehen durch die Neuausstellung der Dokumente ? Wer kommt für die Kosten auf? Keine. Für das Ausstellen der eGK erhält die AOK einmalig 8,00 Euro. Damit ist auch die Ausstellung sämtlicher weiterer Karten, zum Beispiel bei Verlust oder Ablauf, abgegolten. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 2. 5. Wie viele Reiseausweise für Flüchtlinge aus Hamburg befinden sich derzeit im Umlauf? Die Anzahl der im ausländerbehördlichen Fachverfahren erfassten Reiseausweise für aktuell in Hamburg lebende Flüchtlinge, unabhängig vom Ausstellungsort dieser Dokumente, ist der folgenden Übersicht zu entnehmen: Dokument Anzahl Reiseausweis für Flüchtlinge 19.939 vorläufiger Reiseausweis für Flüchtlinge 11 Reiseausweis für Flüchtlinge unter 12 Jahren 41 Gesamt 19.991 (Stand: 24.04.2018) 6. Ist dem Senat bekannt, ob es zu Missbräuchen mit gefälschten, gestohlenen oder verkauften Dokumenten gekommen ist? Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung liegen in statistisch auswertbarer Form nicht vor. Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die Auswertung von PKS-Daten in Tabellenform als standardisierte Ergebnistabellen unterliegt einem bundesweit abgestimmten Prozess. Darin wird fachlich beschrieben, wie die PKS-Daten zu erheben sind und wie sie in den jeweiligen Ergebnistabellen ausgewertet werden. Delikte im Sinne der Fragestellung werden im Deliktsbereich Urkundenfälschung unter dem den folgenden PKS-Schlüsseln erfasst: 540001 Sonstige Urkundenfälschung 540002 Mittelbare Falschbeurkundung Drucksache 21/12807 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 540003 Verändern von amtlichen Ausweisen 540004 Urkundenunterdrückung, Veränderung einer Grenzbezeichnung 540005 Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen 540006 Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen 540010 Missbrauch von Ausweispapieren Eine Differenzierung, ob ein genutztes Dokument gefälscht, gestohlen oder verkauft wurde, findet bei der Erfassung nicht statt; zu den erfassten Fällen siehe Anlage 1. Grundlage sind die Jahre 2015 bis 2017. In der PKS wird bei der Erfassung der Daten von Tatverdächtigen (TV) der Aufenthaltsstatus erhoben. Bei der Berechnung der TV wird in der PKS eine echte Tatverdächtigenzählung vorgenommen. Dabei wird ein TV nur einmal gezählt, auch wenn er mehrfach registriert wurde. Dieses Prinzip wird sowohl für die Anzahl der TV insgesamt als auch für die Anzahl der TV für jedes Delikt angewendet. Wird ein TV mit zwei verschiedenen Delikten registriert, wird er für das jeweilige Delikt als TV gezählt. Für TV insgesamt wird er dagegen nur einmal gezählt. Daher ist es nach der echten Tatverdächtigenzählung regelwidrig, die Summe der TV aus den erfragten Delikten zu errechnen. Standardisierte Ergebnistabellen im Sinne der Fragestellung zu tatverdächtigen Asylbewerbern liegen nicht vor. Für die Beantwortung ist eine Sonderauswertung in der PKS erfolgt; diese kann lediglich für ein Jahr rückwirkend durchgeführt werden. Zu den für das Jahr 2017 zu TV im Sinne der Fragestellung vorliegenden Daten siehe Anlage 2. Darüber hinaus wäre für eine Beantwortung eine manuelle Durchsicht sämtlicher Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums bei der Kriminalpolizei erforderlich . Die Auswertung mehrerer Hunderttausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Vorgangsverwaltungs- und -bearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft wird nicht erfasst, ob der Täter ein (anerkannter) Flüchtling ist. Allein die Abfrage des etwa in Betracht kommenden Delikts § 281 StGB ergab für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 31. März 2018 479 Js- und UJs-Verfahren. Unabhängig davon, ob die Akten kurzfristig beigezogen werden könnten, wäre deren Auswertung innerhalb der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 7. Welche strafrechtlichen Konsequenzen hat der Verkauf/Erwerb der Dokumente für die Betrüger? Eine strafrechtliche Bewertung würde hinreichend genaue und gesicherte Kenntnisse über den Sachverhalt im konkreten Einzelfall voraussetzen, die dem Senat hier nicht vorliegen. 8. Welche Auswirkungen auf das Asylverfahren hat der Verkauf/Erwerb für die Betrüger? Die Asylverfahren werden in alleiniger Zuständigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführt (§ 5 Asylgesetz [AsylG]). Das BAMF hat mitgeteilt , es sei grundsätzlich nicht verpflichtet, und auf freiwilliger Grundlage aufgrund der anhaltenden Arbeitsbelastung aktuell nicht in der Lage, Parlamentarische Anfragen aus Hamburg zu beantworten. 9. Liegen dem Senat Informationen zu Internetforen oder Facebook- Gruppen vor, in denen die ausgestellten Dokumente zum Verkauf angeboten werden? Neben den Informationen, die der Medienberichterstattung entnommen werden konnten , liegen keine weiteren Erkenntnisse vor. 10. Wie wird sichergestellt, dass ein als abhandengekommenes Dokument nicht weiter verwendet wird? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12807 5 Bei Verlustmeldung von Identitätsdokumenten erfolgt eine Ausschreibung über das INPOL-System der Polizei von Bund und Ländern. Wenn die zuständige Behörde Kenntnis über den Verlust einer eGK erlangt, erfolgt eine Meldung gegenüber der AOK, damit die abhandengekommene eGK zeitnah gesperrt wird. Eine Weiternutzung der eGK ist dann nicht mehr möglich. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 11. Werden Fingerabdrücke bei der Beantragung eines neuen Reiseausweises genommen? Ja, da ansonsten eine Ausstellung (mit Ausnahme eines vorläufigen Reiseausweises) technisch unmöglich ist. 12. Werden Fingerabdrücke abgeglichen, um sicherzustellen, dass ein Flüchtling nicht unter einem anderen Namen einen Asylantrag stellt, nachdem er mit einem anderen Pass eingereist war? Ja, siehe auch Drs. 21/7423. Mehrfachantragstellungen werden somit unterbunden. Darüber hinaus ist der zuständigen Behörde nicht bekannt, mit welchen Dokumenten die Einreise erfolgte, sofern diese nicht vorgelegt beziehungsweise angegeben werden . Sonstige Urkundenfälschung (PKS 540001) Mittelbare Falschbeurkundung (PKS 540002) Erfasste Erfasste Fälle absolut relativ Fälle absolut relativ 2015 886 738 83,3% 2015 53 50 94,3% 2016 946 794 83,9% 2016 96 95 99,0% 2017 1.433 1.235 86,2% 2017 43 39 90,7% Urkundenunterdrückung, Veränderung einer Verändern von amtlichen Ausweisen (PKS 540003) Grenzbezeichnung § 274 StGB (PKS 540004) Erfasste Erfasste Fälle absolut relativ Fälle absolut relativ 2015 2 2 100,0% 2015 5 4 80,0% 2016 3 3 100,0% 2016 3 1 33,3% 2017 9 8 88,9% 2017 4 3 75,0% Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen (PKS 540005) Ausweisen (PKS 540006) Erfasste Erfasste Fälle absolut relativ Fälle absolut relativ 2015 0 0 - 2015 34 34 100,0% 2016 0 0 - 2016 26 22 84,6% 2017 0 0 - 2017 108 71 65,7% Missbrauch von Ausweispapieren (PKS 540010) Erfasste Fälle absolut relativ 2015 136 123 90,4% 2016 140 124 88,6% 2017 166 150 90,4% Aufklärung Aufklärung Aufklärung Aufklärung Aufklärung Aufklärung Aufklärung Drucksache 21/12807 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 Anlage 1 Ta tv er dä ch tig e 20 17 in te rn at io na l/ D ul du ng na tio na l S ch ut z- (A bs ch ie bu ng sh in de r- P K S Ta tv er dä ch tig e ge sa m t A sy l be re ch tig te u nd ni ss e na ch A bs ch lu ss K on tin ge nt - S ch lü ss el S t r a f t a t e n in sg es am t be w er be r A sy lb er ec ht ig te de s A sy lv er fa hr en s) flü ch tli ng e 54 00 01 S on st . U rk un de nf äl sc hu ng § 2 67 S tG B 1. 27 0 84 6 81 25 31 1 54 00 02 M itt el ba re F al sc hb eu rk un du ng 42 37 3 0 2 0 54 00 03 V er än de rn a m tli ch er A us w ei se 10 8 1 1 0 0 54 00 04 U rk un de nu nt er dr üc ku ng p p § 27 4 S tG B 3 1 0 0 0 0 54 00 06 V er sc ha ffe n fa ls ch er a m tl. A us w ei se 73 59 3 0 1 0 54 00 10 M is sb ra uc h vo n A us w ei sp ap ie re n 17 4 94 5 9 3 2 N ic ht de ut sc he T at ve rd äc ht ig e Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12807 7 Anlage 2 12807ska_Text 12807ska_Anlagen 12807ska_Antwort_Anlage1 12807ska_Antwort_Anlage2