BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1307 21. Wahlperiode 21.08.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels und Dr. Wieland Schinnenburg (FDP) vom 14.08.15 und Antwort des Senats Betr.: Stand der Lehrerausbildung Hamburgs Lehrer leisten eine hervorragende Arbeit. Doch durch ständige Reformen des Schulwesens und die Zuweisung neuer Aufgaben haben sich die Herausforderungen für die Lehrkräfte verändert und verstärkt. Die Inklusion ist ein Beispiel hierfür. Dass die Inklusion „in allen Lehramtsstudiengängen und in der Lehrerfortbildung als Ziel verankert“ wird, ist zwar bereits als Ziel im Landesaktionsplan Inklusion beschlossen worden (Drs. 20/14150, Seite 21). Eine vollständige Umsetzung der geplanten Maßnahmen ist aber noch nicht erfolgt. Insgesamt wird die Zusammensetzung der Schülerschaft immer heterogener und damit werden die Aufgaben für die Lehrkräfte immer vielfältiger. Ein wichtiges Element der Lehrerausbildung muss daher ein möglichst früher und häufiger Praxisbezug sein. Dabei ist der Weg, Referendare immer mehr eigenverantwortlichen Unterricht geben zu lassen (vergleiche Drs. 20/13458, Seite 17), kritisch zu sehen: Es geht hier wohl weniger um eine „Verbesserung der Unterrichtspraxis“, als mehr um eine Einsparmaßnahme . Denn wenn ein Referendar tatsächlich bereits eigenverantwortlich und ohne begleitende Lehrkraft unterrichten kann, braucht er auch keine Ausbildung mehr und könnte regulär bezahlt werden. Wenn er aber noch in der Ausbildung ist, darf er nicht selbstständig und alleine unterrichten. Diese Praxis ist unverantwortlich. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Inwieweit werden Lehramtsstudenten an den Hamburger Hochschulen aktuell auf die Inklusion vorbereitet? Ist die Beschäftigung hiermit ein Pflichtteil des Studiums oder erfolgt sie freiwillig? Welchen Umfang nimmt das Thema im Studium ein und in welchen Semestern? Bitte nach Studiengängen getrennt angeben. Die Herausforderungen der Inklusion werden in allen Studiengängen in verschiedenen Teildisziplinen der Erziehungswissenschaft (insbesondere Schulpädagogik, Fachdidaktiken , Behindertenpädagogik, Berufs- und Wirtschaftspädagogik und schulpraktische Studien) thematisiert. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Inklusion erfolgt integriert in bestehenden (Pflicht-)Veranstaltungen, sodass alle Lehramtsstudierenden mit dem Thema Inklusion vertraut gemacht werden. In der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit kann die Universität Hamburg die erfragten Daten zur Anzahl der Lehrveranstaltungen , in denen das Thema Inklusion behandelt wird, nicht liefern. Hierfür müssten für jedes Semester die Lehrveranstaltungen für insgesamt rund 6.000 Lehramtsstudierende ausgewertet werden. Drucksache 21/1307 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Inwieweit werden Referendare im Vorbereitungsdienst aktuell auf die Inklusion vorbereitet? Das Thema inklusive Bildung ist in allen Lehrämtern von Beginn des Vorbereitungsdienstes an integraler Bestandteil der Arbeit in den Fach- und Hauptseminaren. Darüber hinaus ist „Inklusive Schule“ im Rahmen der teilmodularisierten Ausbildung Gegenstand der Modulwochen. Der für alle jeweils neuen Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst vorgesehene Thementag „Über den Tellerrand blicken“ eröffnet zudem die Möglichkeit, den eigenen Erfahrungshorizont auch im Hinblick auf Inklusion zu erweitern. Die Seminarleitungen der Abteilung Ausbildung des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) werden, um ihr Grundverständnis über Inklusion auf eine noch solidere Wissens- und Haltungsbasis zu stellen, durch Fortbildungen entsprechend qualifiziert. 3. Welche weiteren Maßnahmen in welchen zeitlichen Schritten sind in der Lehrerausbildung vorgesehen im Bereich Inklusion gemäß dem Landesaktionsplan Inklusion? In der Ausbildung werden Kenntnisse über die Handreichungen zur inklusiven Bildung , zum Nachteilsausgleich sowie zu den Möglichkeiten einer angemessenen Leistungsrückmeldung in inklusiven Kontexten vermittelt. Über die vielfältigen Fortbildungsmöglichkeiten zum Thema Inklusion und die Bedeutung der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren wird informiert. Die im Rahmen des Referendariats organisierten Bildungsangebote zur Vorbereitung auf die Inklusion werden regelmäßig reflektiert und weiterentwickelt. Diejenigen Bewerberinnen und Bewerber für den Vorbereitungsdienst, die Behinderungen aufweisen, können über eine Härtefallregelung bevorzugt eingestellt werden. Das im Landesaktionsplan Integration genannte Ziel, die Anzahl der neu eingestellten Referendarinnen und Referendare mit Migrationshintergrund kontinuierlich zu erhöhen , wird ebenfalls bereits erreicht: Der Anteil der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst, die einen Migrationshintergrund nachgewiesen haben, ist zum Einstellungstermin 1. August 2015 auf 24,3 Prozent gesteigert worden. Im Lehramt der Primarstufe und Sekundarstufe I liegt der Anteil inzwischen auf über 30 Prozent. 4. Wie weit sind die Vorbereitungen für die Initiative „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ in Hamburg gediehen (vergleiche Drs. 20/13458, Punkt 2.7.2, Seite 17)? Welche Punkte werden in Hamburg konkret umgesetzt und welche Fördermittel in welcher Höhe erhält Hamburg hierfür vom Bund? Das Projekt „Professionelles Lehrerhandeln zur Förderung fachlichen Lernens unter sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen (ProfaLe)“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung mit 4.505.816,08 Euro gefördert wird, ist am 1. Juni 2015 gestartet. Die Handlungsschwerpunkte des Hamburger Projekts sind „Kooperation zwischen Fächern und Fachdidaktiken“, „Sprachlich-kulturelle Heterogenität“, „Inklusion“ und „Phasenübergreifende Kooperation“. In jedem dieser Handlungsschwerpunkte wird mit Bezug auf ausgewählte Unterrichtsfächer (beziehungsweise berufliche Lernfelder) untersucht, wie der Aufbau vernetzten Professionswissens einschließlich verhaltensnaher, situationsspezifischer und affektiv-motivationaler Komponenten von Lehrerkompetenz gelingen kann. 5. Wie werden im Lehramtsstudium ein möglichst früher Praxisbezug und Praxiserfahrungen sichergestellt? Die Studierenden des Lehramts an Gymnasien und des Lehramts der Primarstufe und der Sekundarstufe I besuchen in ihrem ersten Semester des Bachelorstudiums eine „Praxisbezogene Einführung“ und absolvieren im fünften und sechsten Semester ein Integriertes Schulpraktikum. Im zweiten und dritten Semester des Masterstudiums folgt das „Kernpraktikum“. In den Studiengängen des Lehramts der Sonderpädagogik und des Lehramts an beruflichen Schulen sind vergleichbare Schulpraktika verankert. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1307 3 Damit ist für das Lehramtsstudium ein hohes Maß an Praxisbezug und Praxiserfahrung sichergestellt. 6. Welche Erfahrungen hat die zuständige Behörde mit der deutlichen Erhöhung des eigenverantwortlichen Unterrichts für Referendare auf zehn Stunden pro Woche seit Februar 2013 gemacht? Die Steigerung des Anteils schulpraktischer Zeiten im Studium – vor allem durch das Kernpraktikum – führt dazu, dass die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst, die nach einem Masterstudium in den Vorbereitungsdienst gehen, gesichert bereits eigene Unterrichtserfahrungen erworben haben. Begleitet von Kolleginnen und Kollegen der Universität, der Schule und von Seminarleitungen der Abteilung Ausbildung des LI können die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst diese Erfahrungen analysieren und reflektieren. Für die schulische Betreuung dieser Kernpraktika durch Mentorinnen und Mentoren hat die für Bildung zuständige Behörde außerdem insgesamt rund 20 Lehrerstellen zur Verfügung gestellt. Vieles, das bisher in den ersten Monaten des Vorbereitungsdienstes erarbeitet werden musste, kann bei Beginn des Vorbereitungsdienstes bereits als Kompetenzbestand vorausgesetzt werden. Deswegen ist der Ausbildungsunterricht in eigener Verantwortung in Höhe von sechs bis acht Wochenstunden bereits im ersten Halbjahr des Vorbereitungsdienstes möglich. In der einjährigen Kernphase des Vorbereitungsdienstes waren im Rahmen der früheren Regelung zur Unterrichtsverpflichtung zwölf Wochenstunden eigenverantwortlicher Unterricht vorgesehen. Diese Wochenstundenzahl wird auch jetzt in den Halbjahren zwei und drei im Regelfall nicht überschritten. 7. Wie viel Geld wurde durch diese Maßnahme, durch die reguläre Lehrkräfte abgezogen wurden, eingespart? Auf der Grundlage von 855 Referendarstellen erhöht sich die Bedarfsdeckung durch die Umstellung des Verfahrens ab dem 1. Februar 2013 rechnerisch um insgesamt 2.462 WAZ (Wochenarbeitszeitstunden) pro Schuljahr. Dies entspricht 52,88 Lehrerstellen (beziehungsweise nach Personalkostenverrechnungssatz-Tabelle 2015, Jahreswert Lehrer A 13 hD, 4.042.729 Euro). Die höhere Bedarfsdeckung ergibt sich in vollem Umfang erst seit dem Schuljahr 2014/2015, da die letzten Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst , die nach alter Regelung begonnen hatten, den Vorbereitungsdienst am 30. April 2014 abgeschlossen hatten. Ein Abzug von Lehrerstellen wurde im Schulsystem kompensiert durch zahlreiche qualitative Verbesserungen, die zu einer höheren Lehrerzuweisung führten. 8. Ist eine Vergleichbarkeit und Anerkennung der Lehramtsstudienabschlüsse mit anderen Bundesländern sichergestellt? Ja. 9. Ist es möglich, während eines Lehramtsstudiums das Bundesland zu wechseln? Es ist während eines Lehramtsstudiums jederzeit möglich, sich an einer Universität in einem anderen Bundesland zu bewerben und sich nach der Zulassung die bereits erbrachten Leistungen anerkennen zu lassen. 10. Wie ist die derzeitige Arbeitsmarktsituation für Lehrer in Hamburg? Können alle ausgeschriebenen Stellen zügig besetzt werden oder ist ein Mangel an geeigneten Bewerbern, wie bereits in anderen Bundesländern , durch die zuständige Behörde feststellbar? Plant die zuständige Behörde, die Kapazitäten für die Lehrerausbildung zu erhöhen? Hamburg als attraktive Großstadt kann seine Lehrkräftebedarfe vollumfänglich decken. Lediglich Stellen für die in allen Ländern festzustellenden Mangelfächer wie Physik oder Informatik, einige berufliche Fachrichtungen (unter anderem Metalltechnik, Elektrotechnik ) und sonderpädagogische Förderschwerpunkte (emotionale und soziale Entwicklung, Lernen) können nicht immer nach der ersten Ausschreibung besetzt werden. Ein Ausbau der Kapazität für die Lehrerausbildung trüge wegen der bundes- Drucksache 21/1307 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 weit zu geringen Anzahl an Studierenden mit den genannten Mangelfächern nicht dazu bei, die Anzahl der Absolventinnen und Absolventen des Hamburger Vorbereitungsdienstes mit einem der genannten Mangelfächer zu erhöhen.