BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13109 21. Wahlperiode 25.05.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Jörn Kruse (AfD) vom 18.05.18 und Antwort des Senats Betr.: Fünf Jahre Hamburger Staatsvertrag mit den Muslimen – Eine Bilanz Am 13. November 2012 hat der Hamburger Senat unter Bürgermeister Olaf Scholz als erste Landesregierung in Deutschland einen Staatsvertrag mit den großen islamischen Glaubensgemeinden der Hansestadt Hamburg geschlossen. Diese sind der DITIB-Landesverband Hamburg e.V., der Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. (SCHURA) und der Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. Zu den in der Präambel des Vertragstextes fixierten Motiven gehört auch der Wunsch, „die Freiheit der Religionsausübung der Bürgerinnen und Bürger islamischen Glaubens als Teil einer pluralen und weltoffenen Gesellschaft zu bestätigen und zu bekräftigen“ sowie die Überzeugung, „dass Religion einen wertvollen Beitrag als Mittlerin zwischen unterschiedlichen Kulturen und Traditionen zu leisten vermag“. In Artikel 2 einigen sich beide Seiten verbindlich auf gemeinsame Wertegrundlagen , die als Fundament für das Zustandekommen des Staatsvertrags verstanden werden. In diesem Sinne formulieren die islamischen Glaubensgemeinschaften das Bekenntnis, „Toleranz gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen“ zu üben und verpflichten sich dazu, „Gewalt und Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Glauben oder religiöser oder politischer Anschauungen“ zu ächten und diesen entgegenzutreten. Zu den wichtigsten Konzessionen, die die islamischen Glaubensgemeinschaften in Hamburg durch den Staatsvertrag in Anspruch nehmen können, zählen hingegen die Rechte, an islamischen Feiertagen der Arbeit fernbleiben zu dürfen1, Bildungs- und Kultureinrichtungen zu unterhalten2, die Lehrinhalte von Religionsunterricht an Hamburger Schulen mitfestzulegen3 sowie religiöse Betreuung in besonderen Einrichtungen zu erhalten, was vor allem beinhaltet, in öffentlichen Einrichtungen eine Ernährung zu erhalten, die den religiösen Speisevorschriften des Islam entspricht.4 Diversen Medienberichten kann man entnehmen, dass die islamischen Glaubensgemeinschaften von vielen der ihnen im Staatsvertrag garantierten Rechte seither regen Gebrauch machen. Dies hat offenbar bereits in mehreren Fällen dazu geführt, dass öffentliche Kantinen wie in Schulen und Kitas wegen ihrer mus- 1 Zu diesen gehören das Opferfest, der Ramadan und die Aschura. Confer Artikel 3 – Islamische Feiertage. 2 Confer Artikel 4 – Bildungswesen. 3 Confer Artikel 6 – Religionsunterricht. 4 Confer Artikel 7 – Religiöse Betreuung in besonderen Einrichtungen. Drucksache 21/13109 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 limischen Gäste teilweise beziehungsweise gar vollständig auf Schweinefleisch verzichten.5 Da seit der Unterzeichnung des Staatsvertrages mittlerweile mehr als fünf Jahre vergangen sind und sich die islamischen Glaubensgemeinschaften in Hinblick auf ihre Aktivität damals dazu verpflichtet haben, „die Ziele von Transparenz und Öffnung“ zu verfolgen, soll nun eine erste Bilanz gezogen werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Haben sich die muslimischen Glaubensgemeinschaften Hamburgs (MGH), wie in Artikel 2 festgelegt, bislang aktiv für Toleranz gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen eingesetzt? Falls ja, in welcher Weise? Falls nein, warum nicht? Siehe Drs. 21/4035 sowie 21/9040. Ergänzend wird ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf die folgenden Mitteilungen hingewiesen: Mitteilung des Islamischen Zentrums Hamburg vom 21.12.2017 – „Weihnachtsgruß von Ayatollah Dr. Ramezani – Wir gratulieren zum Geburtstag des Propheten Jesus“: http://www.izhamburg.de/index.aspx?pid=99&articleid=191048&itemid=70536. Mitteilung der SCHURA vom 30.01.2018: „Kein Platz für Nationalismus, Hass und Gewalt“: http://www.schurahamburg.de/index.php?start=6. SCHURA-Resolution vom 30.03.2018: Resolution über Selbstverständnis, Ziele und Tätigkeitsrahmen der SCHURA: http://www.schura-hamburg.de/index.php/2-uncategorised/188-resolution-ueberselbstverstaendnis -ziele-und-taetigkeitsrahmen-der-schura. SCHURA-Resolution vom 04.05.2018: „Stellungnahme zum Thema Antisemitismus“: https://schura2.netzleiter.net/stellungnahme-zum-thema-antisemitismus/. 2. Welche Anstrengungen haben die MGH seit November 2012 unternommen , um Gewalt und rassistische beziehungsweise sexistische Diskriminierung zu bekämpfen? Unterhalten sie womöglich Anlaufstellen wie telefonische Notfallrufnummern oder gemeinnützige Einrichtungen, an die sich Opfer von entsprechend gearteter Diskriminierung hilfesuchend wenden können? 3. Inwieweit tragen die MGH zu einem offenen interreligiösen Dialog mit den anderen Religionsgemeinschaften bei? a) In wie vielen Fällen haben Vertreter der MGH bereits aus Eigeninitiative den Kontakt zu den christlichen Religionsgemeinschaften gesucht? b) Bestehen Kontakte zwischen den MGH und der jüdischen Gemeinde in Hamburg? Siehe Drs. 21/4035. 4. Beteiligen sich die MGH daran, den Salafismus in Hamburg proaktiv zu bekämpfen? Falls ja, inwiefern? Falls nein, warum nicht? 5 Confer Drs. 20/8989, 21/3606 und 21/3612. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13109 3 Siehe Drs. 21/4035, 21/5039 sowie Drs. 20/13460. 5. In den Medien wird immer wieder darüber berichtet, dass Muslima in Hamburg Opfer von häuslicher Gewalt durch männliche Familienangehörige (Ehepartner, Verwandte) werden.6 Unterhalten die MGH daher eigene Frauenhäuser in Hamburg, die den speziellen Besonderheiten muslimscher Opfer in gebührender Weise Rechnung tragen? Wenn ja, wie viele? Falls nein, warum nicht? Siehe Drs. 21/11156. 6. Setzen sich die MGH auf der Grundlage von Artikel 2 des Staatsvertrags auch öffentlich für die Stärkung der Rechte von Homosexuellen beziehungsweise von Angehörigen des breit gefächerten sexuellen Spektrums , wie zum Beispiel Transgendern, ein? Sind die MGH dabei bisher aus Eigeninitiative an den Hamburger Lesben- und Schwulenverband (LSVD) beziehungsweise ähnliche Initiativen herangetreten, um zur Sensibilisierung des Themas beizutragen? Im Juni 2015 fand eine öffentliche Podiumsdiskussion zu der Thematik „Homosexualität und Religion“ statt. An dieser von Hamburg Pride e.V. organisierten Diskussion nahm unter anderem auch der Vorsitzende des Rates der islamischen Gemeinschaften Hamburg (SCHURA) teil. Eine Anfrage beim Magnus-Hirschfeld-Centrum e.V. ergab, dass bislang keine Kontaktaufnahme seitens der muslimischen Verbände erfolgte. Ob es Kontaktaufnahmen der muslimischen Verbände zu anderen Interessenvertretungen aus dem LSBTI*-Bereich gab, entzieht sich der Kenntnis des Senats. 7. Gemäß Artikel 6 soll nach fünf Jahren ein in Zusammenhang mit den MGH erarbeiteter Lehrplan für den Religionsunterricht an Hamburger Schulen vorgestellt werden. Wie weit ist dieses Unternehmen bisher gediehen? Die Entwicklung von Rahmenplänen erfolgt für den Religionsunterricht in Umsetzung von Artikel 7 Absatz 3 GG in Kooperation zwischen der zuständigen Behörde und den beteiligten Religionsgemeinschaften. Die Erarbeitung ist noch nicht abgeschlossen. Im Übrigen siehe Drs. 21/4035 sowie Drs. 21/4140, 21/5841, 21/8833, 21/9101 und 21/10132. 8. Inwieweit stehen die MGH der Entscheidung muslimischer Schüler offen gegenüber, nicht islamischen Religionsunterricht zu besuchen? Siehe Drs. 21/4035. 9. Inwiefern spielen die in Artikel 2 festgeschriebenen Wertegrundlagen, wie zum Beispiel religiöse Toleranz und Weltoffenheit, bei der Ausgestaltung des islamischen Religionsunterrichts in Kooperation mit den MGH eine Rolle? Wird das islamische Dogma, demzufolge Juden und Christen nach dem Tod in Hölle kommen, im Jahr 2018 im Unterricht thematisiert ? Gemeinsam mit den anderen beteiligten Religionsgemeinschaften entwickelten und beschlossen die islamischen Religionsgemeinschaften didaktische Prinzipien, die für die Weiterentwicklung des gemeinsamen Religionsunterrichts für alle maßgeblich sind. Die didaktischen Prinzipien sehen unter anderem vor, dass im Religionsunterricht „die Quellen der Religionen insbesondere auch hinsichtlich ihres Bezugs zur Entdeckung, Förderung und Stärkung von Menschenwürde und Menschenrechten“ erschlossen werden. Der unterrichtliche Dialog soll sich „an Regeln des vernunftbezogenen , auf Verständigung gerichteten Diskurses (orientieren). Die Grenzen der Akzeptanz von Auffassungen werden durch die universale Geltung der Menschenrechte und die damit verbundenen fundamentalen Rechte auf freie Meinungsäußerung und Partizipation in einem auf Frieden angelegten Miteinander gezogen.“ Die 6 Confer „Guck mal – Mann übergießt Ehefrau mit heißem Öl.“ „Die Welt“ online vom 29.2.2016. Drucksache 21/13109 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Inhalte und Lernformen des Religionsunterrichts sind an der wissenschaftlichen „Theologie der jeweiligen Religion (zu messen), um ein fehlerhaftes Verständnis und fundamentalistische Vereinnahmungen zu vermeiden.“ Das in der Frage so bezeichnete „islamische Dogma“ wird lediglich in extremistischen islamischen Kreisen geäußert und widerspricht der wissenschaftlich etablierten islamischen Theologie. Sollte eine solche Auffassung zum Beispiel von Schülerinnen oder Schülern im Unterricht thematisiert werden, sind im Sinne der von den muslimischen Religionsgemeinschaften getragenen didaktischen Prinzipien der fundamentalistische Charakter dieser Auffassungen aufzuzeigen und die angemessene islamische Sichtweise vor dem Hintergrund ihrer akademischen Theologie dagegenzustellen. Siehe auch Drs. 21/4035.