BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13114 21. Wahlperiode 29.05.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 22.05.18 und Antwort des Senats Betr.: Skrupellose Täter, „leichte Beute“ – Straftaten zum Nachteil von Senioren Die durchschnittliche Lebenserwartung nimmt erfreulicherweise zu und parallel dazu steigt auch die Anzahl der Senioren und Seniorinnen in Hamburg. Knapp 20 Prozent der Hamburger Bevölkerung sind über 65 Jahre alt; Tendenz steigend. Leider stellen sich nicht nur Wirtschaft und Gesellschaft auf den demographischen Wandel ein, sondern auch skrupellose Straftäter. Insbesondere wegen ihrer Gutgläubigkeit, Hilfsbereitschaft und eingeschränkten Mobilität werden Senioren häufiger überrumpelt, betrogen oder sogar ausgeraubt. Gerade Trickbetrüger suchen sich absichtlich ältere und hochbetagte Menschen als Opfer. Straftaten, die mit der gezielten und bewussten Ausnutzung der altersbedingten Hilfsbedürftigkeit der Geschädigten in Zusammenhang stehen , haben bei den Betroffenen oftmals traumatische Folgen; teils fühlen sie sich nach derartigen Vorfällen in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher. In einigen Bundesländern wurden aufgrund steigender Fallzahlen im Bereich der Straftaten gegen ältere Menschen („SÄM-Delikte“) sowie der hohen Hemmschwelle zur Justiz, die auch auf das persönliche Schamgefühl des Opfers zurückzuführen ist, bereits entsprechende Sonderdezernate bei den Staatsanwaltschaften eingerichtet. Spezielle Seniorenschutzdezernate bestehen beispielsweise in Schleswig-Holstein bei den Staatsanwaltschaften Kiel, Lübeck, Itzehoe und Flensburg. Neben der Bearbeitung der Ermittlungsverfahren sind die dort tätigen Dezernenten auch im engen Kontakt mit Sachbearbeitern der Polizei und anderer Behörden, auch zur Verbesserung des präventiven Seniorenschutzes. Auch in Bremen und Nordrhein-Westfalen wurden Sonderdezernate bei den Staatsanwaltschaften eingerichtet. In NRW wurde zudem vom Innen- und Justizministerium eigens für diese Zielgruppe ein Informationsflyer herausgegeben: „Seniorinnen und Senioren als Opfer von Straftaten. Informationen zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten“. Ein sensibler Umgang mit älteren Opfern von Straftaten bedarf entsprechender Kenntnisse und Kompetenzen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie hat sich die Gesamtzahl der Opfer, die 60 Jahre und älter sind, in Hamburg nach der PKS jährlich seit dem Jahre 2010 entwickelt? Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Eine Opfererfassung erfolgt in der PKS grundsätzlich nur bei strafbaren Handlungen Drucksache 21/13114 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 gegen höchstpersönliche Rechtsgüter, soweit sie im Straftatenkatalog zur Opfererfassung vorgesehen sind. Dies betrifft vornehmlich die Bereiche Straftaten gegen das Leben, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Rohheitsdelikte. Entgegen der „Echttäterzählung“ bei den Tatverdächtigen gibt es in der PKS keine „Echtopferzählung “. So werden in der PKS bei der Opfererfassung die Opferwerdungen gezählt. Wird eine Person mehrmals Opfer von Straftaten, für die eine Opfererfassung vorgesehen ist, wird sie in der PKS für jede dieser Straftaten erneut als Opfer gezählt. Die in der PKS erfassten Opferwerdungen sind in der nachfolgenden Tabelle dargestellt : Erwachsene Veränderung 60 Jahre und älter männlich weiblich gesamt absolut relativ 2010 916 730 1.646 - - 2011 927 700 1.627 -19 -1,2% 2012 870 680 1.550 -77 -4,7% 2013 934 741 1.675 125 8,1% 2014 1.020 709 1.729 54 3,2% 2015 1.049 718 1.767 38 2,2% 2016 1.119 766 1.885 118 6,7% 2017 1.013 739 1.752 -133 -7,1% 2. Wie hat sich die Anzahl der Straftaten gegen ältere Menschen („SÄM- Delikte“) in Hamburg jährlich seit dem Jahre 2010 entwickelt? Statistiken im Sinne der Fragestellung werden bei der Polizei nicht geführt. Zur Beantwortung dieser Frage wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums bei der Polizei erforderlich. Die Auswertung von mehreren Zehntausend Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 3. Welche Erkenntnisse liegen den zuständigen Behörden über spezifische „modi operandi“ im Bereich des Trickdiebstahls und Trickbetrugs der Täter beziehungsweise Tätergruppen vor? 4. Welche Erkenntnisse liegen den zuständigen Behörden über telefonischen Trickbetrug an älteren Menschen, der aus dem Ausland heraus begangen wird, vor? Im Wesentlichen wird zwischen zwei Fallkonstellationen unterschieden: - Fälle mit direktem Täter-/Opfer-Kontakt: Täter, die persönlich beim Geschädigten zur Tatausführung erscheinen, nutzen unterschiedlichste Legenden wie sogenannte Amtspersonen (zum Beispiel falscher Polizeibeamter), Dienstleister (zum Beispiel falscher Mitarbeiter von Versorgungsunternehmen) oder Angehörige (zum Beispiel Verwandtschaft wie beim Enkeltrick). Bei dem Phänomen „betrügerische Handwerker“ handelt es sich um einen Leistungsbetrug. Die Täter suchen die Geschädigten zu Hause auf und bieten ihnen minderwertige Handwerksleistungen (zum Beispiel Reparatur- und Reinigungsarbeiten) zu meist stark überhöhten Preisen an. - Fälle ohne direkten Täter-/Opfer-Kontakt: Beim sogenannten Callcenterbetrug handelt es sich zumeist um organisiert agierende ausländische Tätergruppierungen . Durch geschickte telefonische Präsentation einer falschen Legende (zum Beispiel falsche Pfändungsbeschlüsse) werden die angerufenen älteren Geschädigten dazu gebracht, hohe Geldbeträge zu überweisen. 5. Wie beurteilen die zuständigen Behörden die Einrichtung von speziellen Seniorenschutzdezernaten bei der Staatsanwaltschaft? Die Einrichtung von Sonderdezernaten beziehungsweise Sonderabteilungen bei den Strafverfolgungsbehörden kann in geeigneten Fällen eine wirksame Maßnahme bei der Bekämpfung bestimmter Kriminalitätsformen darstellen, wobei andererseits nicht jeder Deliktstypus und jeder Modus Operandi eine derartige organisatorische Vorge- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13114 3 hensweise erfordert. Die Strafverfolgungsbehörden haben die Besonderheiten der jeweiligen Schwerpunktbereiche umfassend im Blick. Sofern die Tatumstände es notwendig erscheinen lassen, erfolgt die Bearbeitung von Straftaten zum Nachteil von Senioren in Sonderabteilungen der Staatsanwaltschaft. So wurden etwa umfangreiche Ermittlungsverfahren im Bereich des sogenannten Enkeltrickbetruges wegen der banden - und gewerbsmäßigen Begehungsweise in Dezernaten der Abteilung für Organisierte Kriminalität geführt. 6. Welche Fortbildungen werden für Polizeibeamte, Staatsanwälte und Strafrichter im Hinblick auf den Umgang mit älteren Opfern von Straftaten angeboten? Für Polizeibeamte des Besonderen Fußstreifendienst (BFS) wird ein einwöchiger Fortbildungslehrgang zum „BFS-Seniorenberater“ angeboten. Für Staatsanwälte/ -innen und Strafrichter/-innen werden im Hinblick auf den Umgang mit älteren Opfern von Straftaten derzeit keine speziellen Fortbildungen angeboten. 7. Welche Präventionsmaßnahmen ergreifen die zuständigen Behörden, um insbesondere ältere Menschen vor Straftaten zu schützen? „Sicherheit für Senioren“ ist eines der zentralen Themen innerhalb der Präventionsarbeit des Landeskriminalamtes (LKA), da aufgrund der demographischen Entwicklung zunehmend ältere Menschen im Fokus von Straftätern stehen. Die zuständige Dienststelle des LKA (Fachstab (FSt) 3 – Jugend, Opferschutz und Prävention) hat in Zusammenarbeit mit der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz sowie der Verbraucherzentrale Hamburg verschiedene Präventionsveranstaltungen durchgeführt . Ende 2017 führte die Polizei die Aktionswoche „#mieseMasche“ durch. Ziel war die Aufklärung der Bevölkerung über aktuelle Begehungsweisen bei Straftaten zum Nachteil von Senioren. Während der Aktionswoche fand eine Schulung von Mitarbeitern der Hamburger Sparkasse zum Thema „Trickbetrug“ statt. Zudem wurden spezielle Präventionsmaterialien entwickelt, die in den Filialen der Hamburger Sparkasse aushängen oder von deren Mitarbeitern vor Ort an Kunden verteilt werden. Zum Themenkomplex „Sicherheit für Senioren“ bietet das LKA FSt 3 Interessenten auf Anfrage Vorträge an, bei denen umfassend auf Straftaten eingegangen wird, die vorwiegend zum Nachteil älterer Menschen begangen werden. Hierbei werden zielgruppenorientierte Präventionsmaterialien verteilt. Handlungsempfehlungen zur Prävention von Gewalt in Pflegebeziehungen sind im Hamburger Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege (Drs. 20/10994) beschrieben. Im Zuge der Novellierung des Hamburgischen Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetzes – HmbWBG (HmbGVBl. 2009, S. 494) ist vorgesehen, Pflegeeinrichtungen zur Anwendung von Methoden zur Gewaltprävention zu verpflichten. 8. Medienberichten zufolge ist leider auch die „Erbschleicherei“ ein wachsendes Phänomen in unserer Gesellschaft. Der Erbschleicher gewinnt zunächst durch gespielte Zuwendung und Hilfsbereitschaft das Vertrauen des Erblassers und wirkt dann gezielt auf eine Testamentserrichtung hin, die ihn oder Personen aus seinem Umfeld als Erbe oder Vermächtnisnehmer vorsieht. Erbschleicher nutzen dabei zum Beispiel die Willensschwäche , Krankheit, psychische Abhängigkeit oder Hilfslosigkeit aus oder setzen den Erblasser unter Druck. Strafrechtlich ist diese Vorgehensweise oftmals nicht zu ahnden, dennoch bedürfen gerade ältere Menschen eines besonderen Schutzes vor derartigen Vorgehensweisen. Welche Erkenntnisse liegen den zuständigen Behörden über Vorfälle der Erbschleicherei vor und welche Maßnahmen, insbesondere zur Aufklärung , werden dagegen ergriffen? Das Phänomen der „Erbschleicherei“ ist bei der Staatsanwaltschaft bekannt, allerdings kann nicht mitgeteilt werden, wie viele Ermittlungsverfahren in diesem Bereich geführt werden und wurden. Im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft werden entsprechende Umstände der in Betracht kommenden Verfahren wegen Betrugs und Untreue nicht verlässlich erfasst. Es müssten daher zur Feststellung allein der Anzahl der Verfahren sämtliche Akten, in denen Drucksache 21/13114 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 unter anderem der Tatvorwurf § 263 StGB und/oder § 266 StGB in MESTA notiert worden ist, händisch ausgewertet werden. Dabei handelt es sich allein für den Aktenzeichenjahrgang 2018 um mehr als zehntausend Bekanntverfahren und mehr als fünftausend Verfahren gegen unbekannte Täter. Weder eine Beiziehung noch eine entsprechende Auswertung dieser Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit möglich. § 5a des Hamburgischen Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetzes sieht das Verbot der Annahme von Leistungen und Geschenken vor, die über das vertraglich vereinbarte Entgelt hinausgehen. Diese Regelung soll im Zuge der anstehenden Gesetzesnovelle mit einem Bußgeld bewehrt werden.