BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13149 21. Wahlperiode 29.05.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider und Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 23.05.18 und Antwort des Senats Betr.: Tatbeobachter/-innen beim G20-Gipfel In einem Strafverfahren vor dem AG Hamburg gegen einen Beschuldigten im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel, hat ein sächsischer Polizeibeamter als Zeuge ausgesagt, dass er mit drei weiteren Kollegen seiner Einheit bei der Welcome-to-Hell-Demonstration am 06.07.2017 als Tatbeobachter eingesetzt war. Tatbeobachter/-innen sind zivil eingesetzte Polizeikräfte, die sich unter das Geschehen mischen und Straftaten lediglich beobachten, ihre Erkenntnisse später Zugriffskräften mitteilen und im Ermittlungs- und Strafverfahren gegen den Beschuldigten der beobachteten Straftat zur Verfügung stehen. Das Institut der Tatbeobachter/-innen ist rechtlich umstritten, da die Beobachtung von Straftaten von Polizeikräften im Dienst, ohne dass diese intervenieren und die Straftat zu verhindern versuchen, gegen das Legalitätsprinzip verstößt . Der als Zeuge aussagende Beamte hat ausgesagt, dass er und seine drei Kollegen sich in der Demonstration aufgehalten haben, sie dunkel gekleidet waren und sich vermummt hatten. Die Polizei hat die Welcome-to-Hell-Demonstration schließlich zerschlagen und als Argument angeführt, dass Versammlungsteilnehmer vermummt waren. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Die Polizei ist nach dem Legalitätsprinzip gemäß § 163 Strafprozessordnung (StPO) verpflichtet, Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattende Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Sie trifft im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle erforderlichen und rechtlich zulässigen Maßnahmen zur Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr. Soweit die Beantwortung von Fragen Rückschlüsse auf polizeitaktisches Vorgehen zulässt und dadurch die Wirksamkeit polizeilichen Handelns berührt ist, steht einer Beantwortung der Fragen die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Polizei als Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörde entgegen . Eine auch teilweise Offenlegung der Umstände konkreter Vorgehensweisen kann Rückschlüsse auf strafprozessuale oder gefahrenabwehrende Maßnahmen der Polizei zulassen, die künftige Erfolge von Maßnahmen gefährden würden. Tatbeobachter sind ein taktisches Einsatzmittel der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten , für die es keine bundesweite Definition gibt. Sie werden in lageangepasster Kleidung im Einsatzraum an Brennpunkten eingesetzt. Drucksache 21/13149 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Je nach Einsatzauftrag sind unterschiedliche Rechtsgrundlagen für das Handeln von Aufklärungskräften in Zivil beziehungsweise von Tatbeobachtern einschlägig: Der verdeckte Einsatz von nicht offen ermittelnden Polizeibeamten ist in Versammlungen unter freiem Himmel zum Zwecke der Strafverfolgung nach §§ 161 Absatz 1, 163 Absatz 1 Strafprozessordnung (StPO) zulässig. Darüber hinaus ist ein Einsatz als Minusmaßnahme zu §§ 12a, 19a Versammlungsgesetz (VersammlG) möglich, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass es in einer Versammlung zu schwerwiegenden Rechtsverletzungen kommen wird. Eine Legitimationspflicht besteht nur für die Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen, die zur Erfüllung versammlungsgesetzlicher Aufgaben anwesend sind. Die Legitimationspflicht dient dazu, die Kooperation von Versammlungsleiter und Polizei als zuständiger Behörde während der Versammlung zu erleichtern, indem dem Leiter eindeutig erkennbare Ansprechpartner zur Verfügung gestellt werden. Die Offenbarungspflicht gilt somit nicht für Beamte, die aus sonstigen Gründen der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung zugegen sind; bei diesen könnte die Offenbarung im Einzelfall die erfolgreiche Wahrnehmung ihrer Aufgaben gefährden (VG Göttingen, Urteil vom 6. November 2013, 1 A 98/12, -juris -, Rn. 23f.). Außerhalb von Versammlungen können die Kräfte in Zivil auf Grundlage der §§ 161 Absatz 1, 163 Absatz 1 StPO, § 6 Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) oder ohne Befugnisnorm tätig werden, wenn kein Eingriff in Grundrechte gegeben ist. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Tatbeobachter/-innen aus welchen Bundesländern beziehungsweise der Bundespolizei waren bei der sogenannten Welcome-to- Hell-Demonstration am 06.07.2017 eingesetzt? 2. Wie viele von den bei der Welcome-to-Hell-Demonstration eingesetzten Tatbeobachtern/-innen a. waren dunkel gekleidet? b. haben sich erst kurz vor der Aufstellung der Demonstration umgezogen ? c. haben sich vermummt? d. haben eine Sonnenbrille und Kapuze getragen? e. haben sich, nachdem die Versammlungsteilnehmer/-innen aufgefordert wurden, die Vermummung abzulegen, entmummt? f. haben mit anderen, nicht polizeilichen Versammlungsteilnehmern/ -innen kommuniziert und worüber fanden Gespräche statt? 3. Wo haben sich die Tatbeobachter/-innen jeweils innerhalb der Welcometo -Hell-Demonstration aufgehalten? 4. Zu welchem Zeitpunkt wurden die Tatbeobachter/-innen aus der Welcome -to-Hell-Demonstration abgezogen? 5. Sind Tatbeobachter/-innen bei der Welcome-to-Hell-Demonstration über die Flutschutzmauer geklettert? Die Fragestellungen betreffen die Einsatztaktik der Polizei, zu der aus grundsätzlichen Erwägungen keine Angaben gemacht werden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 6. Was versteht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde generell unter den Begriff „Tatbeobachter“? Siehe Vorbemerkung. 7. Welche weiteren zivile Aufklärungskräfte werden noch von der Polizei eingesetzt? Auch welcher Rechtsgrundlage erfolgt der Einsatz von zivilen Aufklärungskräften und mit welchem Einsatzauftrag? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13149 3 Polizeiliches Aufklären dient dem Erheben von Informationen über Personen oder Gruppen, Objekte, Räume sowie Ereignisse und Entwicklungen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Drs. 21/10409. 8. Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt der Einsatz von Tatbeobachtern/ -innen? Siehe Vorbemerkung. 9. Wie werden Tatbeobachter/-innen und andere zivile Aufklärungskräfte voneinander abgegrenzt? 10. Wie viele Tatbeobachter/-innen wurden insgesamt während des G20- Gipfels eingesetzt? Bitte nach Tagen und Protestereignissen aufschlüsseln ? 11. Welche und wie viele Einsatzmittel (zum Beispiel Handys, Tablets) wurden für den G20-Gipfel für die Tatbeobachter/-innen angeschafft? Siehe Vorbemerkung und Antwort zu 1. bis 5. sowie Antwort zu 7. 12. Haben sich die Tatbeobachter/-innen, sofern sie sich bei Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes aufgehalten haben, den jeweiligen Versammlungsleitern/-innen gemäß § 12 VersG zu erkennen gegeben? Wenn nein, warum nicht? Bitte nach Tagen und jeweiligen Protestereignis aufschlüsseln. Nein. Aus einsatztaktischen Gründen erfolgten keine Kontaktaufnahmen im Sinne der Fragestellung. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 13. Wer hat über den Einsatz von Tatbeobachtern/-innen jeweils entschieden ? Über den grundsätzlichen Einsatz von Tatbeobachtern entscheidet der Polizeiführer, über den konkreten Einsatz der Einsatzabschnittsführer. 14. Wem gegenüber und auf welchem Weg erstatten die jeweiligen Tatbeobachter /-innen Meldungen? Siehe Antwort zu 1. bis 5. 15. Wird, und wenn ja, inwiefern, der Einsatz von Tatbeobachtern/-innen dokumentiert? Wenn nein, warum nicht? Die Dokumentation unterliegt den gleichen Verfahren wie der Einsatz uniformierter Kräfte; sie erfolgt im unmittelbaren Einsatz im polizeilichen Einsatzdokumentationssystem , durch spezifische Berichtsfertigung oder auch durch zeugenschaftliche Vernehmungen . 16. Ausweislich der Antwort auf unserer Anfrage vom 26.09.2017 (Drs. 21/10409) verfügten die Einsatzabschnitte Aufklärung, Kriminalpolizeiliche Maßnahmen, Wasser und Einsatzkräfte über zivil eingesetzte Polizeikräfte . Wie viele zivile Polizeikräfte standen der BAO Michel insgesamt zur Verfügung? Wie viele davon a. gehörten zum EA Aufklärung? b. gehörten zum EA Kriminalpolizeiliche Maßnahmen? c. gehörten zum EA Wasser? d. gehörten zum EA Eingreifkräfte e. waren Tatbeobachter/-innen? 17. Waren die Tatbeobachter/-innen während ihres Einsatzes bewaffnet? Drucksache 21/13149 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Wenn ja, welche Waffen und andere Einsatzmittel hatten die Tatbeobachter /-innen bei sich geführt? Sind bewaffnete Tatbeobachter/-innen in irgendeiner Form gekennzeichnet? Siehe Antwort zu 1. bis 5. 18. Inwiefern hält der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde den Einsatz von Tatbeobachter/in für mit dem Legalitätsprinzip vereinbar? Siehe Vorbemerkung.