BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13371 21. Wahlperiode 15.06.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Stephan Gamm (CDU) vom 08.06.18 und Antwort des Senats Betr.: „Tschüss Kohle“ – Naive Volksinitiative oder Verfassungsbruch mit Ansage? Wo steht der Hamburger Senat bei diesem Versuch? Am 8. Juni 2018 hat die Volksinitiative „Tschüss Kohle“ die gesammelten Unterschriften der Volksinitiative eingereicht. Ob die notwendige Zahl an Unterschriften zustande gekommen ist, wird die Stadt Hamburg in den nächsten Tagen feststellen. Doch ob die Ziele der Initiative überhaupt nach geltendem Recht über den Weg einer Volksinitiative umsetzbar sind, bleibt bisher ungeklärt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Erst im Anschluss an die Feststellung, dass eine Volksinitiative zustande gekommen ist, prüft der Senat, ob eine Volksinitiative die Grenzen des Artikels 50 Absatz 1 Satz 2 der Hamburgischen Verfassung (HV) wahrt oder mit sonstigem höherrangigem Recht vereinbar ist und ob anderenfalls nach § 5 Absatz 4 des Volksabstimmungsgesetzes (VAbstG) zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Volksinitiative das Hamburgischen Verfassungsgericht anzurufen ist. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wann wurde der Beginn der Volksinitiative „Tschüss Kohle“ gegenüber welcher Behörde angezeigt? Am 21. Februar 2018 wurde bei dem Senat der Beginn der Sammlung von Unterschriften für das Zustandekommen der Volksinitiative angezeigt. 2. Wer vertritt die Volksinitiative? Als nach § 3 Absatz 2 Nummer 3 Volksabstimmungsgesetz (VAbstG) zur Vertretung der Initiatoren berechtigte Vertrauenspersonen wurden Frau Ulrike Eder, Herr Dr. Ulf Skirke und Frau Wiebke Hansen benannt. 3. Wann wurden die Unterschriftenlisten der Volksinitiative eingereicht und fand die Einreichung innerhalb der gesetzlichen Fristen statt? Die Unterschriftslisten wurden innerhalb der gesetzlichen Einreichfrist von sechs Monaten nach Eingang der Anzeige (§ 5 Absatz 3 VAbstG) am 8.Juni 2018 eingereicht . 4. Bis wann wird das Zustandekommen der Volksinitiative festgestellt? Gemäß §§ 5 Absatz 2, 31a VAbstG stellt der Senat innerhalb von 30 Tagen nach Einreichung der Unterschriftslisten – vorliegend bis zum 8. Juli 2018 – fest, ob die Volksinitiative von mindestens 10.000 zur Bürgerschaft Wahlberechtigten unterstützt worden und damit zustande gekommen ist. Eine rechtliche Prüfung der Inhalte nimmt der Senat zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Drucksache 21/13371 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 5. Welche Kosten werden bis zu dem unter Frage 4. erfragten Zeitpunkt durch die Volksinitiative auf die Stadt Hamburg zugekommen sein? Bis zur Feststellung über das Zustandekommen einer Volksinitiative entstehen Kosten für die Prüfung der Gültigkeit der Unterstützungsunterschriften in Höhe von rund 6.000 Euro. 6. Der Homepage der Volksinitiative ist zu entnehmen, dass die Senatoren Fegebank und Kerstan die Volksinitiative unterstützen. Welche weiteren Mitglieder des Senats unterstützen die Volksinitiative? 7. Wie bewertet der Senat den Umstand, dass einzelne Mitglieder des Senats die Volksinitiative unterstützen, andere jedoch nicht? Gibt es innerhalb des Senats bereits eine Entscheidung beziehungsweise Positionierung bezüglich der Volksinitiative? Der Senat nimmt zu Äußerungen seiner Mitglieder und deren Wiedergabe in den Medien grundsätzlich nicht Stellung. 8. Die Volksinitiative hat zum Ziel, das Hamburgische Klimaschutzgesetz zu ändern. Unter anderem soll der Senat per Volksinitiative über den Weg der Änderung des Hamburgischen Klimaschutzgesetzes dazu verpflichtet werden, darauf hinzuwirken, dass in der Freien und Hansestadt Hamburg bis zum 31. Dezember 2030 die Beendigung der Energieerzeugung aus Stein- und Braunkohle erfolgt. a. Inwieweit kann dieses Ziel durch alleinige landesgesetzliche Regelungen erreicht werden? b. Gibt es bezüglich der Energieerzeugung aus Stein- und Braunkohle bundesgesetzliche Regelungen wie zum Beispiel das BImSchG, die es einem Betreiber erlaubt, derartige Anlagen zu betreiben? Ist es dem Senat ohne Bundesratsinitiative möglich, im Gesetzgebungsverfahren , ausschließlich für das Bundesland Hamburg, den Betrieb sämtlicher Anlagen zur Energiegewinnung aus Stein- oder Braunkohle zu untersagen und welche rechtlichen Schritte sind dafür nötig? Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen zur Energieerzeugung aus Stein- und Braunkohle sind nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) genehmigungsbedürftig . Die Genehmigungsvoraussetzungen ergeben sich aus §§ 4 fortfolgende BImSchG in Verbindung mit den entsprechenden Verordnungen zur Durchführung des BImSchG und allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Da der Bund hinsichtlich der Errichtung und des Betriebs solcher Anlagen von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch Erlass des Bundes Immissionsschutzgesetzes Gebrauch gemacht hat, hat das Bundesland Hamburg insoweit keine Kompetenz zur Gesetzgebung. Der Senat hat sich nicht abschließend damit befasst, inwieweit es darüber hinaus Möglichkeiten der Landesgesetzgebung gibt, das beschriebene Ziel zu erreichen. Dies ist Gegenstand weiterer Prüfungen. 9. Welche durch die Volksinitiative betroffenen Anlagen werden gegenwärtig in Hamburg betrieben und in welchem Umfang tragen diese zur a. Wärme- und b. Stromversorgung bei? (Bitte bei der Wärme insgesamt und getrennt nach Gesamtwärme und Fernwärme angeben.) Laut Begründung vom 21. Februar 2018 richtet sich der Gesetzentwurf „Tschüss Kohle “ gegen die Kraftwerke Wedel, Tiefstack und Moorburg. Die Heizkraftwerke Wedel und Tiefstack liefern derzeit rund 65 Prozent der im VWH- System verbrauchten Wärme. Bezogen auf den Gesamtwärmeverbrauch der Stadt (rund 19 TWh/a) entspricht dies rund 13 Prozent. Beide Anlagen haben in 2017 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13371 3 zudem 2,17 TWh Strom geliefert. Dies entspricht rechnerisch in etwa 18 Prozent des jährlichen Strombedarfs der Stadt. Außerdem wäre das Heizkraftwerk Moorburg betroffen, das heute einen Industriekunden mit Wärme versorgt. Moorburg hat im Jahr 2017 eine Strommenge von 7,7 TWh erzeugt. Dies entspricht rechnerisch rund 63 Prozent des jährlichen Hamburger Strombedarfs. 10. Kann der Senat durch Volksgesetzgebung zu einer anderen als einer rein rechtlichen Vorgehensweise verpflichtet werden? Gegenstand einer Volksinitiative kann nach Artikel 50 Absatz 1 Satz 1 HV ein Gesetzentwurf oder eine Befassung mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung sein. Im Falle der Annahme sind Gesetze allgemeinverbindlich; andere Vorlagen binden Bürgerschaft und Senat (Artikel 50 Absatz 4a HV). 11. Kann der Senat per Volksgesetzgebung zu Verhandlungen mit Dritten verpflichtet werden, um diese zur Änderung bundesgesetzlicher Regelungen zu bewegen, deren Änderung der Senat selbst nur durch eine Bundesratsinitiative anstoßen könnte? Bundesratsinitiativen können nach Artikel 50 Absatz 1 Satz 2 HV nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein. Im Übrigen hat sich der Senat mit der Fragestellung nicht befasst. 12. Sind die inhaltlichen Ziele der Volksinitiative alleine durch die Stadt Hamburg und ohne eine Bundesratsinitiative durchsetzbar? Gegenstand der Volksinitiative „Tschüss Kohle“ ist ein Gesetzentwurf und keine Aufforderung an den Senat. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 13. Wäre die Volksinitiative, sollten die Ziele für den Senat verpflichtend nur durch eine Bundesratsinitiative umsetzbar sein, nach § 50 Absatz 1 S. 2 der Hamburgischen Verfassung zulässig? 14. Hat der Senat nach § 5 Absatz 4 VAbstG Zweifel daran, ob die Volksinitiative den Rahmen nach § 50 Absatz 1 S. 2 wahrt oder mit sonstigem höherrangigem Recht vereinbar ist? Wenn ja, welche Konsequenzen zieht der Senat aus diesem Zweifel? Siehe Vorbemerkung. 15. Wie sind nach bisherigen Rechtsrahmen Wärmenetze definiert? Eine einheitliche Begriffsdefinition gibt es derzeit nicht. Eine Orientierung zur Begriffsbestimmung gibt § 2 Nummer 32 Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) in der aktuellen Fassung. Demnach sind Wärmenetze mit Bezug auf KWK: „Einrichtungen zur leitungsgebundenen Versorgung mit Wärme, (a) die eine horizontale Ausdehnung über die Grundstücksgrenze des Standorts der einspeisenden KWK-Anlage hinaus haben, (b) an die als öffentliches Netz eine unbestimmte Anzahl von Abnehmenden angeschlossen werden kann und (c) an die mindestens ein Abnehmender angeschlossen ist, der nicht Eigentümer, Miteigentümer oder Betreiber der in das Wärmenetz einspeisenden KWK-Anlage ist“. 16. Wie viele Wärmenetze gibt es gegenwärtig in Hamburg und wie hat sich deren Anzahl seit 2011 verändert? 17. Wer sind die Eigentümer und wer die Betreiber der unter Frage 15. abgefragten Wärmenetze? Die Anzahl der Wärmenetze wird statistisch nicht erfasst. Zu wesentlichen Eigentümern und Betreibern von Wärmenetzen siehe Drs. 21/5758. 18. Welche gesetzlichen Regelungen gewährleisten gegenwärtig die Vergabe von Wegerechten für den Leitungsbau von Unternehmen zur Energieversorgung der Bevölkerung? Welche Gesetze sind dabei vorrangig und welche nachrangig? Drucksache 21/13371 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Einräumung der Wegerechte für Wärmeleitungen bestimmt sich nach § 19 Hamburgisches Wegegesetz. 19. Wie stellt der Senat die diskriminierungsfreie Vergabe von Wegerechten in Hamburg sicher? Die Wegerechte werden zu einheitlichen Vertragskonditionen eingeräumt. Von diesen wird nur abgewichen, soweit dies sachlich geboten ist. 20. In welcher Form würde sich die Vergabe der Wegerechte durch die Umsetzung der Volksinitiative ändern? Sieht der Senat durch diese Änderung die Erfüllung der diskriminierungsfreien Vergabe von Wegerechten gefährdet? Es müsste zusätzlich als besonderes öffentliches Interesse der Klimaschutz mit dem Ziel berücksichtigt werden, jeden Treibhausgasemissionsbeitrag möglichst zu vermeiden . Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 21. Welche Regelungen für die Verlegung von Wärmenetzen gelten in Hamburg außerhalb des öffentlichen Wegenetzes? Sind diese Regelungen durch alleinige landesgesetzliche Bestimmungen änderbar? Dies hängt von der Zweckbestimmung des jeweiligen Grundstücks ab. Soweit die Grundstücke nicht einer öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung dienen, gelten die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Ferner gilt die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV), die auch die Grundstücksbenutzung mit Ausnahme der öffentliche Verkehrswege und Verkehrsflächen sowie der Grundstücke, die durch Planfeststellung für den Bau von öffentlichen Verkehrswegen und Verkehrsflächen bestimmt sind, regelt (§ 8). Für Grundstücke, die einer öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung dienen, gelten zudem die jeweils einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen, wie beispielsweise das Gesetz über Grün- und Erholungsanlagen, das Hamburgischen Wassergesetz sowie die Deichordnung. Die landesrechtlichen Bestimmungen sind änderbar, soweit dies nicht übergeordnetem Bundesrecht widerspricht. 22. Ist dem Senat bekannt, dass durch landesrechtliche Regelungen Bundesgesetze wie zum Beispiel das BImSchG eingeschränkt werden dürfen ? Soweit der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz, zum Beispiel mit Erlass des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, Gebrauch gemacht hat, haben die Länder keine Befugnis zur Gesetzgebung, Artikel 72 Absatz 1 Grundgesetz. 23. Besteht nach Ansicht des Senats durch die angestrebten Regelungen der Volksinitiative die Gefahr einer Einschränkung von Rechten, die sich aus Bundesgesetzen ergeben, durch landesgesetzliche Regelungen? Siehe Vorbemerkung.