BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13405 21. Wahlperiode 19.06.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein und Carl-Edgar Jarchow (FDP) vom 12.06.18 und Antwort des Senats Betr.: Cyber-Grooming Cyber-Grooming bezeichnet und erfasst das Anbahnen sexueller Kontakte mit Kindern und Jugendlichen über das Internet. Täter zielen mit der Kontaktaufnahme im virtuellen Raum auf einen Kontakt zu den Opfern in der realen Welt ab. So zeigt sich bei Ermittlungen zur Verbreitung von Kinderpornographie , dass Täter zuvor mit dem Kind kommuniziert haben. Dem Kontakt im Internet folgt regelmäßig eine Kontaktaufnahme über Telefon oder E-Mail, wobei meistens unterdrückte Telefonnummern verwendet werden. Den Tätern bietet sich eine virtuelle Welt, in der sie – geschützt durch die Anonymität im Netz – direkten und unbeobachteten Zugang zu Kindern erhalten. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Als Cyber-Grooming werden Tathandlungen nach § 176 Absatz 4 Nummer 3 des Strafgesetzbuches (StGB) bezeichnet. Der Straftatbestand wurde innerhalb des angefragten Zeitraums durch das 49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 21. Januar 2015 (BGBl. I, 10), in Kraft getreten am 27. Januar 2015, erweitert. Unter Strafe gestellt ist seitdem ein Einwirken auf ein Kind mittels Schriften oder mittels Informations - oder Kommunikationstechnologie, um das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einer dritten Person vornehmen oder von dem Täter oder einer dritten Person an sich vornehmen lassen soll oder um eine Tat nach § 184b Absatz 1 Nummer 3 StGB (Herstellen einer kinderpornografischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt) oder nach § 184b Absatz 3 StGB (Unternehmen der Besitzverschaffung oder Besitz einer kinderpornografischen Schrift, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt) zu begehen. Ein Abzielen auf einen Kontakt in der „realen Welt“ ist somit nicht Tatbestandsvoraussetzung , weil insbesondere die Herstellung oder Besitzerlangung kinderpornografischer Schriften, aber auch die Vornahme sexueller Handlungen vor dem Täter oder einer dritten Person auch digital, nämlich mittels Webcam, erfolgen kann. Die Absicht des Täters muss somit nicht auf ein Treffen mit dem Kind gerichtet sein, kann aber selbstverständlich mit dem Tatvorsatz verbunden sei. Die Justizbehörde beteiligt sich derzeit in der durch die Justizministerkonferenz (JuMiKo) eingesetzten Länderarbeitsgruppe „Digitale Agenda für das Straf- und Strafprozessrecht “ unter anderem auch an der Prüfung von Reformbedarf im Deliktsbereich des Cyber-Grooming. Der Abschlussbericht der vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) eingesetzten Reformkommission zum Sexualstrafrecht wird dabei berücksichtigt. Die Arbeitsgruppe wird ihren Bericht voraussichtlich zur JuMiKo im Herbst 2018 vorlegen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Drucksache 21/13405 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Welche Erkenntnisse haben die zuständigen Behörden seit dem 1. Quartal 2013 über Cyber-Grooming gewonnen? 2. Welche Maßnahmen haben die zuständigen Behörden aus diesen Erkenntnissen umgesetzt, um Cyber-Grooming effektiver zu bekämpfen? 3. In welcher Form werden insbesondere Anti-Cyber-Grooming-Organisationen unterstützt? Falls dies nicht erfolgt, aus welchem Grund wird eine Unterstützung nicht vonseiten des Senats vorgenommen? Siehe Drs. 20/7159. In der Regel erfolgt eine Anzeigeerstattung durch die Eltern der Opfer oder es wird diese Form der Kontaktanbahnung in bereits laufenden Ermittlungsverfahren gegen Beschuldigte etwa durch Sicherstellung und Auswertung von elektronischen Speichermedien entdeckt. Die Art und Weise der Tatbegehung hat sich nicht verändert. Nach wie vor findet eine Beweissicherung durch Sicherstellung und Auswertung von elektronischen Speichermedien statt. Die Sachbearbeitung entsprechender Ermittlungsverfahren in einer Spezialabteilung der Staatsanwaltschaft bleibt weiterhin unverzichtbar. Die Polizei Hamburg trifft im Sinne der Fragestellung im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und zur Verfolgung von Straftaten, die sich am jeweiligen Einzelfall orientieren . Zur Prävention und Aufklärung setzt sie grundsätzlich Materialien der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) sowie eigene Informationsmaterialien ein. Zu den Gefahren des „Cyber-Groomings“ informiert das Medienpaket „Verklickt“ (https://www.polizei-beratung.de/startseite-und-aktionen/ verklickt/?L=0) von ProPK, das in Kooperation mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik entwickelt wurde. Kindern und Jugendlichen ab Klassenstufe 7 wird mit Hilfe des Medienpakets gefahrenbewusstes Verhalten in ihrer digitalen Alltagswelt vermittelt. Darüber hinaus hält die Polizei den eigenen Flyer „Onlinesicherheit für Kinder und Jugendliche“ (https://www.polizei.hamburg/jugendarbeit/ 11222178/onlinesicherheit/), der auf die besonderen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung eingeht, vor. Nach Erfahrungen und Bewertungen der zuständigen Ermittlungsdienststellen des Landeskriminalamts ist das Fallaufkommen seit 2013 eher unauffällig. Der für Bildung zuständigen Behörde liegen keine schulspezifischen Erkenntnisse vor. Im Rahmen der fachlichen Auseinandersetzung zur Prävention und Intervention zur sexualisierten Gewalt im Handlungsfeld Schule werden aktuelle Befunde zur Kenntnis genommen. Dazu gehören die Veröffentlichung des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) „Bekämpfung von Cyber- Grooming, sexuellen Übergriffen und Interaktionsrisiken für Kinder und Jugendliche im digitalen Raum“ und die neuausgewerteten Ergebnisse der MiKADO (Missbrauch von Kindern: Aetiologie, Dunkelfeld, Opfer")-Studie „Sexualisierte Gewalt in den digitalen Medien“. Das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI), die Beratungsstelle Gewaltprävention und die Regionalen Bildungs- und Beratungszentren der für Bildung zuständigen Behörde arbeiten mit den spezialisierten Fachberatungsstellen bei sexualisierter Gewalt und zur sexuellen Bildung in den Arbeitsfeldern Einzelhilfe, Fortbildung und Prävention zusammen. Einmal pro Quartal erfolgt ein Austausch in der dazu am LI angesiedelten Arbeitsgruppe sowie anlassbezogen auch zu unterschiedlichen Fragestellungen des Cyber-Groomings. Verfahrenswege werden festgelegt und gemeinsame Projekte initiiert. Außerdem findet zu diesem Aspekt ein regelhafter Austausch mit den Fachkräften der Medienpädagogik statt (siehe http://li.hamburg.de/medien). In Beratungen und Fortbildungen der schulischen Fachkräfte wird der Aspekt „sexualisierte Gewalt im Internet und mit sozialen Medien“ regelhaft aufgegriffen. Grundlegende Hinweise zur sexualisierten Gewalt erhalten schulische Fachkräfte auf den Internetseiten des LI unter http://li.hamburg.de/sexualisierte-gewalt-grundschule/ (die Rubrik für weiterführende Schulen wird gerade aktualisiert und ist zurzeit nicht online verfügbar) und der Beratungsstelle Gewaltprävention unter http://www.hamburg.de/ kein-raum-fuer-missbrauch/. Im Übrigen siehe Antwort zu 9. und 10. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13405 3 In Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit werden gefährdende Einflüsse für die Entwicklung junger Menschen thematisiert. Die jungen Menschen werden über Risiken und Gefährdungen aufgeklärt und so befähigt, kritisch damit umzugehen und sich vor ihnen zu schützen. Dies gilt auch für den Umgang mit jugendgefährdenden Medien , Gewalt und sexualisierter Gewalt. Unterstützung für Kinder und Jugendliche bieten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kinder- und Jugendtelefons der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. Im Rahmen der Auswertung des Kinderund Jugendtelefons werden Beratungsanlässe verschiedenen Themenbereichen zugeordnet. 2016 entfielen auf die Themenbereiche „Sexualität“ 32 Prozent und „Gewalt /Missbrauch“ 9,5 Prozent. Die zuständigen Behörden gewährleisten eine breit aufgestellte Präventions- und Strafverfolgungsarbeit. Darüber hinaus steht der Senat in engem Austausch mit Opferschutzorganisationen wie dem Weißen Ring e.V., die sich unter anderem auch mit dem Thema „Cyber-Grooming“ beschäftigen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung sowie Drs. 20/7159 und 21/11788. 4. Werden die Fälle des Cyber-Groomings mittlerweile (seit dem Jahr 2013) in einer gesonderten Kriminalstatistik der Polizei Hamburg erfasst? a. Falls nein, aus welchem Grund wird dies nach Ansicht der Behörde nicht getan? b. Falls nein, wie werden Cyber-Grooming-Fälle von den zuständigen Behörden statistisch erfasst? Die Polizei Hamburg erfasst Straftaten, und damit auch Sexualstraftaten, die mittels „Cyber-Grooming“ begangen werden, gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Der Modus Operandi „Cyber-Grooming“ wird dabei jedoch nicht gesondert statistisch erfasst. Nach Erfahrungen und Bewertungen der zuständigen Ermittlungsdienststellen des Landeskriminalamts ist das Fallaufkommen seit 2013 eher unauffällig. Aus polizeilicher Sicht besteht daher derzeit kein Erfordernis einer gesonderten Erfassung zu „Cyber-Grooming“. 5. In wie vielen Fällen des Cyber-Groomings wurden von der Staatsanwaltschaft seit dem Jahr 2010 Ermittlungsverfahren eingeleitet? Wie viele dieser Verfahren wurden eingestellt? 6. Was sind die überwiegenden Gründe für die Einstellung von Ermittlungen des Cyber-Groomings? Verfolgt wird der Deliktsbereich Cyber-Grooming in der für die Bekämpfung von Sexualdelikten zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft Hamburg, wobei eine gesonderte statistische Erfassung dieser Fälle nicht erfolgt. Insbesondere wird nicht erfasst, ob eine Kontaktaufnahme des Täters mit dem Opfer über das Internet stattgefunden hat. Zur Beantwortung der Frage müssten daher sämtliche Verfahren aus den Aktenzeichenjahrgängen 2013 bis 2018, in denen als Delikt der in Betracht kommende § 176 StGB notiert wurde, händisch ausgewertet werden. Hierbei handelt es sich ausweislich des Vorgangsverwaltungs- und -bearbeitungssystems MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg (vorbehaltlich der vollständigen und richtigen Erfassung) für die Aktenzeichenjahrgänge 2013 bis 2018 (Stand 1. Juni 2018) um 1.150 Verfahren mit 1.302 Beschuldigten. Eine Auswertung der Verfahrensakten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 7. Was wird unternommen, um die Zuordnung der E-Mail-Adresse der Täter zu einer Person zu ermöglichen? Falls keine Maßnahmen ergriffen werden, weshalb erfolgen keine Maßnahmen? 8. In welcher Form werden Täter ermittelt, die eine unterdrückte Telefonnummer verwenden? Falls diese Anrufer nicht ermittelt werden, woran fehlt es zur Ermittlung dieser Anrufer nach Ansicht der Behörden? Drucksache 21/13405 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Zuordnung der E-Mail-Adresse ist je nach Einzelfall über den zuständigen Diensteanbieter möglich. Die dort angegebenen Personalien werden aber in der Regel durch den Diensteanbieter bei Anmeldung nicht überprüft und können daher häufig keiner realen Person zugeordnet werden. Die Fragestellungen betreffen im Übrigen die Ermittlungstaktik der Polizei, zu der aus grundsätzlichen Erwägungen keine Angaben gemacht werden. 9. In welcher Weise betreibt der Senat Aufklärung bzw. setzt welchen Präventionsmaßnahmen zu den Gefahren des Cyber-Groomings um? 10. In welcher Weise wird an Schulen Aufklärung zu den Gefahren des Cyber-Groomings für Kinder und Jugendliche betrieben? Falls dies erfolgt, in welchem Alter befinden sich die Kinder und Jugendlichen, wenn sie aufgeklärt werden und an wie vielen Schulen in Hamburg wird auf diese Gefahren hingewiesen? Das gemeinsam seit 2015 mit den spezialisierten Fachberatungsstellen in Hamburg begleitete Projekt „Trau Dich“ für Grundschulkinder (dritte/vierte Jahrgangsstufen), eine Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), greift im interaktiven Theaterstück verschiedene Grenzverletzungen sowie sexualisierte Übergriffe auf und veranschaulicht diese Aspekte durch Theaterszenen. In vorgeschalteten Lehrerfortbildungen und auf verbindlichen Elternveranstaltungen werden auch die Täterstrategien beim Cyber-Grooming dargestellt. In Hamburg konnten insgesamt über 4.000 Kinder der Grundschulen das Theaterstück „Trau Dich“ sehen und in den Klassen vor- und nachbereiten (siehe http://www.hamburg.de/kein-raum-fuermissbrauch /4488158/trau-dich/). Im Kooperationsprojekt mit der Fachberatungsstelle Zündfunke e.V. „Echt Klasse“ wird dieses ebenfalls in der Fortbildung und Elternveranstaltung thematisiert (siehe https://www.zuendfunke-hh.de/praevention/echtklasse .html). Weiterführende Schulen können unter anderem „online sein – smart sein“ der Fachberatungsstelle Dunkelziffer e.V. (siehe http://www.dunkelziffer.de/praevention/ praevention-in-weiterfuehrenden-schulen/online-sein-smart-sein/) oder in Kooperation mit der Hamburger Fachberatungsstelle Allerleirauh e.V. die interaktive Ausstellung vom Präventionsbüro PETZE/PETZE Institut für Gewaltprävention gGmbH „ECHT KRASS“ nutzen (siehe https://www.petze-institut.de/projekte/echt-krass-ab-klasse-8- und-jugendhilfe/film-ueber-die-ausstellung-echt-krass/). Im Rahmen der Entwicklung von Kinderschutzkonzepten an Hamburger Schulen werden auch die möglichen Risiken der digitalen Medien in den Fokus gerückt und pädagogische Schutzmaßnahmen geprüft beziehungsweise umgesetzt (siehe http://www.hamburg.de/schwerpunkte/kinderschutz/). Außerdem wurde gerade vom SuchtPräventionsZentrum des LI in Kooperation mit dem Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) das Lernarrangement für die Jahrgangsstufen 7 – 10 „Digitale Medien: Chancen und Risiken“ für die 3. Auflage vollständig überarbeitet (siehe http://li.hamburg.de/ unterrichtsmaterial/3023764/art-medienwerkstatt/). Auch hier wird auf das Unterstützungsangebot zum Cyber-Grooming verwiesen. Jugendliche erhalten zum Thema Informationen und Hinweise zu Unterstützungsangeboten (siehe http://www.jugendserver-hamburg.de/?tid=160) auf dem Jugendserver des Jugendinformationszentrums (JIZ). Hier gibt es unter anderem Hinweise der Initiative „klicksafe.de“ zum „Sexting“ (siehe http://www.jugendserverhamburg .de/?bid=3243). Im Infoladen des Jugendinformationszentrums werden Materialien zu der Thematik vorgehalten. Zudem ist mit der Website „zu nah dran“ (http://www.zu-nah-dran.de) vor kurzem ein digitales Angebot für Jugendliche ab 14 Jahren zu sexuellen Übergriffen unter Jugendlichen online gestellt worden, das Informationen und Ansprechpartner auch zur sexuellen Belästigung über digitale Medien wie zu „Cybermobbing“ und „Sexting“ bereit stellt. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. bis 3. sowie Drs. 20/7159, 21/6430 und 21/11788.