BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1343 21. Wahlperiode 25.08.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 19.08.15 und Antwort des Senats Betr.: Überlastung der Justiz Freilassung zweier verurteilter Totschläger – Überlastung des Landgerichts und unzumutbare Verfahrensverzögerungen Wie am Wochenende bekannt wurde, ordnete das Hanseatische Oberlandesgericht im Mai an, zwei wegen Totschlags verurteilte Männer unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen, weil es vermeidbare Verfahrensverzögerungen von mehr als sieben Wochen gegeben habe. Die Fortdauer der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig, obwohl das Gericht durchaus die Gefahr sah, dass sich die Cousins dem Strafverfahren entziehen würden, was zumindest einem der Täter auch gelungen zu sein scheint: Seine Ladung zum Haftantritt konnte nach Auskunft der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg nicht zugestellt werden. Für die Hinterbliebenen des Opfers ist dies ein Schlag ins Gesicht. Für den Rechtsstaat ist es ein Zeichen nicht hinzunehmenden Versagens. Der gute Ruf der Hamburgischen Justiz wird erschüttert und der zuständige Senator für Justiz hält es für angemessen, dem „Hamburger Abendblatt“ (Berichterstattung vom 18.08.2015) gegenüber zu erklären, er sei „sehr beunruhigt“ gewesen (sic!), als er „die Entscheidung“ las. Er wolle sich zukünftig dafür einsetzen, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften von weiteren Sparverpflichtungen ausgenommen werden. Dieser Ansatz greift zu kurz und berücksichtigt die Kritik der Richterschaft nicht. Vor allem auch im Bereich der Strafgerichtsbarkeit muss gewährleistet sein, dass die Gerichte personell und materiell auskömmlich ausgestattet sind. Bereits seit langer Zeit gibt es Hinweise auf die Überlastung der Justiz. Nicht nur die Gerichtsvollzieher und die Mitarbeiter des Allgemeinen Vollzugsdienstes sind dabei betroffen, sondern auch Teile der Richterschaft. Zuletzt schlugen Hamburgs Strafrichter Alarm. Sie fassten in einem Brandbrief an den Justizsenator die Probleme zusammen und wiesen auf die massive Arbeitsüberlastung hin, die nicht nur zu Verfahrensverzögerungen führe, sondern auch zu milderen Urteilen. Der Justizsenator hält die Kritik unter Verweis auf die Eingangszahlen in den vergangenen Jahren für nicht nachvollziehbar . Dabei übersieht er, dass Umfang und Komplexität vieler Verfahren stark zugenommen haben. Seine Ankündigung im „Hamburger Abendblatt “, weitere Sparverpflichtungen abwehren zu wollen greift daher zu kurz. In der letzten Sitzung des Justizausschusses verweigerte der Justizsenator außerdem, der Bitte des Fragestellers nachzukommen, den Parlamentsmitgliedern , die den Justizausschuss bilden, den Text (nicht die Namen der Absender) des Briefes der Strafrichter am Landgericht zuzuleiten, damit sich Drucksache 21/1343 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 das Parlament mit der Kritik und den Anregungen der Richter sachlich befassen könne. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Geschäftsverteilung und damit auch die Entscheidung über die Verteilung der Richterinnen und Richter des Landgerichts auf Zivilkammern beziehungsweise große oder kleine Strafkammern obliegt dem Präsidium des Landgerichts. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie hat sich Anzahl der großen Strafkammern am Landgericht Hamburg seit 2010 entwickelt? Die nachstehende Tabelle gibt die Anzahl der großen Strafkammern jeweils zum 31. Dezember (beziehungsweise 30. Juni im Jahr 2015) wieder. Jahre Anzahl große Strafkammern 2010 33 2011 31 2012 30 2013 30 2014 30 2015 30 Mit Verfügung vom 2. April 2015 hat das Präsidium des Landgerichts mit Wirkung zum 1. August 2015 eine große Strafkammer in eine Zivilkammer umgewandelt. 2. Wie hat sich die Anzahl der diesen Strafkammern angehörenden Berufsrichter seit 2010 entwickelt? Die nachstehende Tabelle gibt die Anzahl der Richter und Richterinnen in den großen Strafkammern jeweils zum 31. Dezember (beziehungsweise 30. Juni im Jahr 2015) wieder. Jahre Anzahl Richter/-innen in großen Strafkammern 2010 87 2011 81 2012 77 2013 78 2014 84 2015 85 Mit Inkrafttreten der neuen Geschäftsverteilung zum 1. August 2015 hat sich die Zahl der in den großen Strafkammern eingesetzten Richterinnen und Richter auf 83 verringert . 3. Wie viele Große Strafkammern nehmen gegenwärtig am Turnus der Haftsachen teil? 18. 4. In wie vielen Haftsachen konnte seit 2010 die Frist des § 121 StPO nicht eingehalten werden? 5. In wie vielen weiteren Haftsachen wurden seit 2010 Haftbefehle außer Vollzug gesetzt, weil die Verfahrensdauer vermeidbar verzögert wurde? Die erfragten Daten werden statistisch nicht erfasst. Auf die Drs. 20/12799 wird verwiesen . Über die dort benannten Fälle hinaus sind zwei Verfahren aus dem Jahr 2015 bekannt, in denen Haftbefehle aufgehoben wurden, weil es zu vermeidbaren Verfahrensverzögerungen gekommen sein soll, und die insoweit Gegenstand der Medienberichterstattung waren. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1343 3 6. Wie viele unterjährige Veränderungen wurden im Geschäftsverteilungsplan bezüglich der Großen Strafkammern (ohne Änderungen der personellen Besetzung) vorgenommen (zum Beispiel zur Beseitigung von festgestellten Überlastungen)? Aus unterschiedlichen Gründen hat das Präsidium des Landgerichts den Geschäftsverteilungsplan im Jahr 2015 34 Mal geändert. 7. Wie viele Verfahrensrügen wegen Verstoßes gegen die ordnungsgemäße Besetzung wurden in den letzten zwei Jahren erhoben und wie viele von diesen waren erfolgreich? Die erfragten Daten werden statistisch nicht erfasst. Zur Beantwortung der Frage müssten daher sämtliche Verfahren, in denen Anklage erhoben oder Strafbefehl beantragt wurde, händisch ausgewertet werden, dabei handelt es sich um circa 25.000 Verfahren pro Jahr. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 8. Hat der Bundesgerichtshof schon Entscheidungen des Landgerichts Hamburg aufgehoben, weil Besetzungsrügen erfolgreich waren? Falls ja, wie häufig und mit welcher Begründung? Die erfragten Daten werden statistisch nicht erfasst. Es ist ein Verfahren aus dem Jahr 2015 bekannt. Zu den Gründen führt der Bundesgerichtshof (BGH) aus, dass die im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Hamburg vorgesehene (ordentliche) Vertreterkette (drei Strafkammern, insgesamt neun Richter) nicht ausreichend war. Um das Recht auf den gesetzlichen Richter zu gewährleisten, hätte das Präsidium des Landgerichts die Vertreterkette nach Auffassung des BGH dauerhaft erweitern können und müssen, etwa in Form einer Ringverfügung. Der Einsatz eines außerordentlichen Vertreters nach Ausschöpfung dieser Vertreterkette führte zur Aufhebung des Urteils. Das Präsidium des Landgerichts hat den Geschäftsverteilungsplan mittelweile geändert , um den Vorgaben des Bundesgerichtshofes gerecht zu werden. 9. Seit wann sind der Justizbehörde Beschwerden über die übermäßige Arbeitsbelastung der Strafrichter am Landgericht bekannt und wodurch erlangte die Behörde Kenntnis? Richter und Richterinnen der kleinen und großen Strafkammern haben sich mit einem Schreiben vom 17. April 2015 an den Präses der Justizbehörde gewandt, in dem dargestellt wurde, dass es eine Überlastung gäbe. Dieses Schreiben war Anlass für ein Gespräch mit der Präsidentin und im Weiteren mit Vertreterinnen und Vertretern der Strafrichterinnen und Strafrichter des Landgerichts, um die geschilderte Belastung mit Blick auf mögliche Maßnahmen zu konkretisieren. 10. Seit wann liegt der Justizbehörde der im Vorspann näher beschriebene Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vor und wann hat der Präses davon Kenntnis genommen? Die Staatsanwaltschaft hat der Justizbehörde den Beschluss am 11. Juni 2015 übersandt . Der Präses hat von dem Inhalt am selben Tag Kenntnis genommen.