BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13453 21. Wahlperiode 22.06.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dennis Gladiator (CDU) vom 14.06.18 und Antwort des Senats Betr.: Welche Informationen haben Polizei und Staatsanwaltschaft über zugewanderte Mehrfach- und Intensivtäter in Hamburg? Seit 2015 sind mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen . Der Großteil von ihnen lebt hier friedlich und versucht sich zu integrieren , aber einige der Asylbewerber werden auch in hohem Maße straffällig. Wir haben schon mehrfach betont, dass derjenige, der diesen Status missbraucht , Deutschland umgehend wieder verlassen muss, auch um diejenigen , die wirklich Schutz suchen, nicht zu gefährden oder in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. Nach einem Bericht des ARD-Politikmagazins Report Mainz vom 12. Juni 2018 (https://www.ardmediathek.de/tv/REPORT-MAINZ/Wie-erfasst-die- Polizei-Intensiv-und-Me/Das-Erste/Video?bcastId=310120&documentId= 53120672) sollen sich unter den Zuwanderern in Deutschland Tausende Mehrfach- und Intensivtäter befinden, wie eine bundesweite Abfrage bei allen Landeskriminalämtern ergeben habe. Insofern stellt sich die Frage, was die jeweiligen Landesbehörden über die zugewanderten Menschen tatsächlich wissen, insbesondere welche Informationen darüber vorliegen, wie viele von ihnen hier in Deutschland schon mehrere erhebliche Straftaten begangen zu haben. Dieser Thematik ist dem Bericht von Report Mainz zufolge das Landeskriminalamt in Rheinland-Pfalz seit mehreren Monaten auf den Grund gegangen. Die zuständigen Ermittler haben dafür die Daten männlicher Migranten in ihrem Bundesland ausgewertet. Dafür wurden Erkenntnisse aus verschiedenen Behörden zusammengeführt. So konnten von den Ermittlern die Zuwanderer mit mehreren Identitäten herausgefiltert und Personen aufgedeckt werden , denen eine schwere Gewaltstraftat oder mindestens sechs Straftaten zugeordnet werden; es wurden 334 Personen identifiziert. Diese Erkenntnisse sollen vor allem der präventiven Bekämpfung von Straftaten und dem Schutz der Bürger dienen, aber auch dazu, den Aufenthalt von straffälligen Zuwanderern zu beenden. Auch Bayern und Nordrhein-Westfalen verfügen über entsprechende Erfassungen . In Nordrhein-Westfalen wurden beispielsweise 2.054 mehrfachtatverdächtige Zuwanderer gezählt. Bedauerlicherweise konnte Hamburg indes keine Antwort auf die Abfrage geben, da die Daten statistisch nicht erfasst würden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Drucksache 21/13453 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Wann gilt in Hamburg jemand als Intensivtäter, wann als Mehrfachtäter? Die Polizei erklärt grundsätzlich jede Person zum Intensivtäter, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und im Verdacht steht, innerhalb der letzten zwölf Monate in mindestens zwei Fällen an folgenden rechtswidrigen Taten beteiligt gewesen zu sein: Raub/räuberische Erpressung, schwerer Diebstahl, sonstige Gewaltdelikte gegen Personen, die sich durch besondere Brutalität auszeichnen , insbesondere wenn sie unter Waffengewalt begangen wurden oder im unmittelbaren Zusammenhang mit Gruppen- oder Szenegewalt stehen, Taten, die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung besonders beeinträchtigen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie weiter Taten aus dem genannten Deliktsbereich begehen wird (Negativprognose, Bewertung des Einzelfalles ) und die Erklärung zum Intensivtäter aus kriminalistischen Aspekten geboten ist. Bei Vorliegen der vorstehenden Kriterien können in besonders begründeten Fällen auch Personen als Intensivtäter ausgeschrieben werden, die älter als 25 Jahre sind. Ein besonders begründeter Fall liegt zum Beispiel vor, wenn die Person bereits Intensivtäter gewesen ist und Feststellungen ergeben, dass die Person wieder im Zuständigkeitsbereich der Polizei Hamburg aufhältlich ist und erneut Straftaten begeht oder sich die Person in einem Umfeld von ausgeschriebenen Intensivtätern bewegt und mit diesen an rechtswidrigen Taten beteiligt ist. Die Bezeichnung Mehrfachtäter wird bei der Polizei lediglich als nicht näher definierter Arbeitsbegriff genutzt; statistische Erfassungen hierzu werden bei der Polizei nicht geführt. 2. Gibt es Bestrebungen auf Bundesebene, diese Definitionen zu vereinheitlichen ? Falls ja, welche? Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung liegen der zuständigen Behörde nicht vor. 3. Welche Informationen liegen Polizei und Staatsanwaltschaft über zugewanderte Intensiv- und Mehrfachtäter vor? Auswertbare Daten im Sinne der Fragestellung zu „zugewanderten“ Intensivtätern werden bei der Polizei nicht erfasst. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. Gleiches gilt für bei der Staatsanwaltschaft registrierte Ermittlungsverfahren. Im Vorgangsverwaltungsund Vorgangsbearbeitungssystem MESTA wird weder zuverlässig erfasst, ob ein Beschuldigter „zugewandert“ ist, noch ob er ein „Intensiv-“ oder „Mehrfachtäter“ ist. 4. Wie viele Mehrfach- und Intensivtäter sind aktuell in Hamburg erfasst? Bitte Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit angeben. Die Polizei hat derzeit (Stichtag 19. Juni 2018) 548 Personen als Intensivtäter ausgeschrieben , davon 22 weiblichen und 526 männlichen Geschlechts. Die Verteilung auf die statistisch erfassten Altersgruppen ist in der nachfolgenden Tabelle dargestellt: Kinder Jugendliche Heranwachsende Erwachsene 2 125 241 180 Die Verteilung auf die statistisch erfassten Staatsangehörigkeiten von in Hamburg als Intensivtäter geführten Personen ist in der folgenden Tabelle dargestellt: Staatsangehörigkeit Anzahl AFGHANISCH 14 ÄGYPTISCH 19 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13453 3 Staatsangehörigkeit Anzahl ALGERISCH 8 ASERBEIDSCHANISCH 2 BOSNISCH-HERZEGOWINISCH 4 BRASILIANISCH 2 BULGARISCH 5 BURKINISCH 1 DEUTSCH 335 DOMINIKANISCH (REPUBLIK) 2 ERITREISCH 1 GHANAISCH 3 GRIECHISCH 2 GUINEISCH (GUNIEA-BISSAU) 1 IRAKISCH 2 IRANISCH 1 ITALIENISCH 2 IVORISCH 1 KROATAISCH 2 LIBYSCH 1 MAROKKANISCH 20 MAZEDONISCH 12 MONTENEGRINISCH 3 NIGRISCH 3 PAKISTANISCH 1 POLNISCH 14 PORTUGIESISCH 5 RUMÄNISCH 1 RUSSISCH 3 SERBISCH 28 SOMALISCH 7 SPANISCH 1 SYRISCH 8 TOGOISCH 1 TUNESISCH 3 TÜRKISCH 25 UNGEKLÄRT 5 Die Staatsanwaltschaft Hamburg verfügt über Erkenntnisse zu Intensiv- und Mehrfachtätern im Rahmen des Projekts täterorientierter Kriminalitätsbekämpfung (PROTÄKT), dessen Zielgruppe Jugendliche und Heranwachsende sind, die mit Gewalttaten in Erscheinung getreten sind und prognostisch weiter in Erscheinung treten werden, es muss sich also nicht zwingend um Mehrfachtäter handeln. Derzeit umfasst die PROTÄKT-Liste 188 Personen. Eine Auswertung zur Staatsangehörigkeit und zur Frage der Mehrfachtätereigenschaft ist innerhalb der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 5. Gibt es in Hamburg ein vergleichbares „Auswerteprojekt zum Erkennen von Risikopersonen aus der Zuwanderungsbewegung“ wie in Rheinland Pfalz? a. Wenn ja, seit wann und welche Erkenntnisse wurden daraus gewonnen? b. Wenn nein, warum nicht und ist die Einrichtung eines entsprechenden Projekts geplant? Derzeit wird die Einsetzung eines entsprechenden Projekts für Hamburg geprüft. 6. Gibt es in Hamburg eine besondere Ermittlungsgruppe, die speziell für auffällige Mehrfach- und Intensivtäter zuständig ist? Drucksache 21/13453 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Zuständig für die Sachbearbeitung im Sinne der Fragestellung sind die Sachgebiete „Intensivtäter, Jugendkriminalität und Raub“ beziehungsweise „Intensivtäter und Raub“ der acht regionalen Kriminalkommissariate im Landeskriminalamt 1 (Regionale Kriminalitätsbekämpfung). Verfahren gegen einen in das PROTÄKT-Programm aufgenommenen Beschuldigten werden bei der Staatsanwaltschaft in der Hauptabteilung IV von derselben Dezernentin oder demselben Dezernenten und bei der Polizei von derselben Sachbearbeiterin oder demselben Sachbearbeiter bearbeitet. 7. Welche Maßnahmen ergreift der Senat gegen den Missbrauch von Mehrfachidentitäten? Die Polizei trifft im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und zur Verfolgung von Straftaten. Bei Bekanntwerden entsprechender Straftaten werden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen (§ 152 Absatz 2 StPO). Unter welchen Voraussetzungen falsche Identitätsangaben strafrechtlich relevant sind, lässt sich allgemein nicht beantworten, sondern hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. In Betracht kommt unter anderem eine Strafbarkeit gemäß § 95 AufenthaltsG, §§ 263, 267 StGB. Die Polizei und das Einwohner-Zentralamt (Ausländerabteilung) haben zum 1. November 2016 eine gemeinsame Ermittlungs- und Rückführungsgruppe ausländischer Straftäter (GERAS) zur Rückführung erheblich in Erscheinung getretener ausländischer Straftäter eingerichtet. Darunter befinden sich auch Personen, die mit mehreren unterschiedlichen Identitäten registriert sind. Bei GERAS werden Informationen beider Ämter gebündelt und verarbeitet, Ermittlungen sowie operative Maßnahmen koordiniert und durchgeführt. GERAS setzt sich aus Polizeibeamten und Mitarbeitern des Einwohner-Zentralamtes (Ausländerabteilung) zusammen. Ziel ist es, bei erheblich straffälligen Ausländern und ausländischen Gefährdern alle kriminalpolizeilichen und ausländerrechtlichen Maßnahmen auszuschöpfen, um aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu forcieren und so zukünftige Straftaten dieser Ausländer zu verhindern. Sofern bei ausländischen Straftätern Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchgeführt werden könnten, wird GERAS die für die Sachbearbeitung zuständige Organisationseinheit des LKA flankierend unterstützen . Zwischen den Intensivtätersachgebieten und GERAS findet ein regelmäßiger Austausch statt. Erfüllt ein Intensivtäter die Kriterien von GERAS, so wird unter Einbindung der Ausländerbehörde angestrebt, aufenthaltsbeendende Maßnahmen einzuleiten und zu forcieren. Siehe im Übrigen Drs. 21/7423. 8. Gibt es in Hamburg Präventionsprogramme für Flüchtlinge, in denen über Drogen, Gewalt und die Vermeidung von Straftaten informiert wird? Alle im Ankunftszentrum registrierten Personen erhalten den Flyer „Willkommen in Hamburg“, der auch Hinweise auf die geltende Rechtsordnung sowie die Vermeidung von Gewalt beinhaltet. Darüber hinaus enthält der Flyer auch die Telefonnummer der Hotline „Gewalt gegen Frauen“. In Hamburg finden seit Herbst 2016 Veranstaltungsformate zur Grundwerte- und Rechtsvermittlung in den Flüchtlingsunterkünften statt. Dabei werden die Gewaltenteilung , das Gewaltmonopol des Staates und die Rolle der Justiz gemäß Grundgesetz thematisiert. Darüber hinaus werden verschiedene Alltagsthemen – auch zu den angesprochenen Themenbereichen – anlassbezogen besprochen, siehe hierzu Drs. 21/13219. Die Polizei bezieht in ihre Präventionsarbeit grundsätzlich alle Bevölkerungsgruppen mit ein, sodass hierfür verwendete Medienangebote auch im Sinne der Fragestellung eingesetzt werden können. Diese Medien werden entweder direkt durch die Polizei Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13453 5 Hamburg oder innerhalb der länderübergreifenden Zusammenarbeit im Programm Polizeiliche Kriminalprävention (ProPK) entwickelt. Speziell für Flüchtlinge wurde 2016 der Flyer „Für ein gutes Zusammenleben“ konzipiert (www.polizei-beratung.de/ medienangebot/). Der Flyer wird in Flüchtlingsunterkünften verteilt und informiert in Deutsch, Englisch und Arabisch über in Deutschland geltende Regeln und Gesetze sowie über die Rolle der Polizei. Zudem verweist er auf die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entwickelte App „Ankommen“, die in fünf Sprachen umfassende Einblicke in die deutsche Gesellschaft und deren Regeln sowie die damit für jeden Einzelnen verbundenen Pflichten gibt. Einen expliziten Bezug zum Thema Drogen gibt es in diesen Medien nicht. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Polizei im Rahmen der täglichen Präventionsarbeit die Aspekte Drogen, Gewalt und die Vermeidung von Straftaten berücksichtigt und im Bedarfsfall zielgruppenspezifische Veranstaltungen anbietet. Darüber hinaus wurde von der Polizei die Broschüre „Handreichung für die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften und deren Mitarbeiter – Sicherheitsrelevante Hinweise und Empfehlungen aus polizeilicher Sicht“ entwickelt. Inhaltlich werden die Themenbereiche Gewalt (allgemein), Beziehungsgewalt, Sexualdelikte, Gewaltdelikte an Schutzbefohlenen und Kindern, Drogendelikte, Salafismus und vorurteilsmotivierte Kriminalität sowie gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit behandelt. Das bei der Akademie der Polizei angegliederte Institut für Transkulturelle Kompetenz (ITK) führt Veranstaltungen für Flüchtlinge durch, in denen Normen und Werte Deutschlands vermittelt werden. In diesem Zusammenhang werden auch die Themen Drogen, Gewalt und das Vermeiden von Straftaten aufgegriffen. Seit Anfang 2016 ist in der Suchtberatungsstelle für Kinder und Jugendliche (Kö *Schanze) der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz die Beratung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern als ein Schwerpunkt etabliert worden. Seitdem berät die Kö *Schanze suchtmittelabhängige und suchtmittelgefährdete unbegleitete minderjährige Ausländer zu den Gefahren des Drogenkonsums und seinen Konsequenzen und vermittelt bei Bedarf in weiterführende Hilfen und Therapien. Das Projekt PaSuMI (Diversityorientierte und partizipative Entwicklung der Suchtprävention und Suchthilfe für und mit Migrant_innen) ist ein bundesweit vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Deutschen Aidshilfe e.V. (DAH) gefördertes Projekt (Laufzeit: 1. Mai 2017 bis 31. Dezember 2019) und wird in Hamburg von Sucht.Hamburg und der Suchtberatungsstelle Ragazza durchgeführt. Ziel des Projektes ist unter anderem die Beteiligung und nachhaltige Einbindung von Migrantinnen und Migranten als Peers in der Umsetzung niedrigschwelliger Maßnahmen der Suchtprävention und Suchthilfe, die Förderung einer Diversity-orientierten Arbeitsweise in den beteiligten Einrichtungen sowie der Gewinn von Erkenntnissen über förderliche und hemmende Bedingungen. 9. Wie viele aufenthaltsbeendende Maßnahmen wurden bei ausländischen Mehrfach- und Intensivtätern seit dem Jahre 2015 jährlich durchgeführt? Aus welchen Ländern stammten sie jeweils? Eine gesonderte statistische Erfassung erfolgt nur bei den als unbegleitete Minderjährige eingereisten Intensivtätern. Von diesen wurden seit 2015 insgesamt zwölf Personen abgeschoben, davon acht Marokkaner, zwei Algerier, ein Ägypter und ein Afghane .