BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13467 21. Wahlperiode 22.06.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 15.06.18 und Antwort des Senats Betr.: Überlastung der Justiz – Gute Fälle, schlechte Fälle bei der Staatsanwaltschaft ? Hintergründe und Auswirkungen der ominösen Zurückstellungsanweisung Am 1. Juni 2018 zitierte „Die Bild“-Zeitung aus einer internen Mail der Behördenleitung der Staatsanwaltschaft: „Da auf mehreren Dienstposten der Hauptabteilung 2, besonders in den Abteilungen 21, 23, 24, Rückstände von bis zu zwei Monaten aufgelaufen sind, hat die Behördenleitung (...) entschieden , dass (...) die Aufgaben derart zu priorisieren sind, dass die Bearbeitung von Kosten- sowie BZR-Sachen zurückzustellen ist.“ Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte dies gegenüber der Zeitung mit folgenden Worten : „Das ist eine Sofortmaßnahme, um weitergehende Verzögerungen, z.B. bei Posteingängen, zu vermeiden.“ In der Hauptabteilung 2 werden vorwiegend die Amtsanwaltssachen, also zum Beispiel Körperverletzungs- und Straßenverkehrsdelikte sowie Diebstahls - und Sachbeschädigungsdelikte mit einer Schadenshöhe von bis zu 2.000 Euro, bearbeitet. Die von der Behördenleitung offenbar notgedrungen angeordnete Zurückstellung von Kosten- und BZR-Sachen hat weitreichende Folgen. Im Bundeszentralregister (BZR) werden nicht nur unter anderem strafgerichtliche Verurteilungen, bestimmte Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, Vermerke über Schuldunfähigkeit und besondere gerichtliche Feststellungen eingetragen, sondern gemäß §§ 27 fortfolgende BZRG auch Suchvermerke. Die Speicherung von Suchvermerken erfolgt danach auf Ersuchen einer Behörde, wenn aufgrund einer Ausschreibung zur Festnahme oder zur Feststellung des Aufenthalts einer Person der Suchvermerk der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dient und der Aufenthaltsort der betroffenen Person zum Zeitpunkt des Ersuchens unbekannt ist. Dies ist gerade bei vielen Personen, die über keinen festen Wohnort verfügen oder sich in wechselnden Unterkünften aufhalten, häufig erforderlich. Es stellt sich die Frage, zu welchen Auswirkungen die Verfristungen konkret führen und auf welche Weise der sich anhäufende Berg an Vorgängen anschließend abgearbeitet werden soll. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Aus welchem Grund sind auf mehreren Dienstposten der Hauptabteilung 2, besonders in den Abteilungen 21, 23 und 24, Rückstände von bis zu Drucksache 21/13467 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 zwei Monaten aufgelaufen? Um was für Rückstände handelt es sich konkret? Rückstände in der Aktenbearbeitung sind durch Vakanzen auf verschiedenen Dienstposten , durch einen Anstieg der Eingangszahlen sowie durch Aufgabenmehrzuweisungen aufgelaufen. Die genannten Vakanzen wurden zum einen durch krankheitsbedingte Ausfälle, aber auch durch Wechsel von Bediensteten in andere Dienststellen verursacht. Wechselbedingte Vakanzen werden nach Möglichkeit durch umgehende Wiederbesetzungen ausgeglichen. Bei den Rückständen handelt es sich im Wesentlichen um Dezernentenrücklauf sowie um einzutragende Neueingänge, auf einigen wenigen Posten auch um Rückstände bei der Zuordnung von Poststücken. Grundsätzlich sind aber die Fristen- und Postverwaltung auf annähernd aktuellem Stand. 2. Wie hat sich die durchschnittliche Fehlzeitenquote a. auf den Geschäftsstellen, b. bei den Dezernenten in der Hauptabteilung 2 der Staatsanwaltschaft seit Beginn des Jahres 2018 monatlich entwickelt? Die Fehlzeiten werden für die Hamburger Bediensteten über ein einheitliches Auswertungsprogramm erhobenen. Eine Auswertung für einzelne Hauptabteilungen der Staatsanwaltschaft ist nicht möglich. Die Fehlzeiten liegen in valider Form bis zum Monat März 2018 vor. Soweit verfügbar, ist die Fehlzeitenquote der gesamten Staatsanwaltschaft der folgenden Tabelle zu entnehmen:   2018 Januar Februar März Gesamt 2018 Geschäftsstellen Staatsanwaltschaft 12,1% 13,6% 17,0% 14,3% Dezernenten Staatsanwaltschaft 4,7% 5,3% 7,8% 5,9% 3. Wie viele Langzeiterkrankte (länger als 75 Tage) gab es seit Beginn des Jahres 2018 a. auf den Geschäftsstellen, b. bei den Dezernenten der Hauptabteilung 2? Im Servicebereich der Hauptabteilung II sind oder waren im Jahr 2018 insgesamt neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter länger als 75 Kalendertage erkrankt, wobei bei acht Personen der Beginn der Erkrankung vor dem 1. Januar 2018 lag; in einem weiteren Fall handelt es sich um eine Wiedereingliederungsmaßnahme bei einer Angestellten , die ebenfalls bereits im Jahr 2017 begonnen hatte. Von den vorgenannten neun Bediensteten des Servicebereichs befinden sich derzeit (Stand 18. Juni 2018) zwei Mitarbeiterinnen wieder im Dienst, eine Bedienstete hat das Arbeitsverhältnis aufgelöst und eine weitere Mitarbeiterin ist verstorben, sodass aktuell noch fünf Personen dauerhaft erkrankt sind oder sich in einer Wiedereingliederungsmaßnahme befinden. Im Dezernentenbereich der Hauptabteilung II sind aktuell insgesamt zwei Bedienstete länger als 75 Kalendertage erkrankt, wobei auch hier der Beginn der Erkrankung jeweils vor dem 1. Januar 2018 lag. Zwei weitere Beamtinnen befanden sich im Jahr 2018 in Wiedereingliederungsmaßnahmen, die ebenfalls länger als 75 Kalendertage angedauert haben, allerdings nunmehr bereits beendet sind. Damit sind aktuell noch zwei Dezernenten dauererkrankt abwesend. 4. Für welche Dauer gilt die Anweisung der Behördenleitung zur Zurückstellung der Bearbeitung von Kosten- und BZR-Sachen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13467 3 Die Zurückstellungsmaßnahme ist nach gegenwärtiger Verfügungslage auf den Zeitraum vom 1. Juni bis zum 31. August 2018 beschränkt. 5. Wer ist für die Bearbeitung von Kosten- und BZR-Sachen zuständig? a. Um wie viele VZÄ handelt es sich? b. Inwiefern sind diese Mitarbeiter auch für die Bearbeitung der Aufgaben , bei denen die Rückstände aufgelaufen sind, originär zuständig ? Die Bearbeitung der BZR-Vorgänge erfolgt durch Qualifizierte Einheitssachbearbeiter BZR (QESB BZR), die Bearbeitung von Kostensache durch Qualifizierte Einheitssachbearbeiter Kosten (QESB Kosten). In der Hauptabteilung II beträgt das Soll für Qualifizierte Einheitssachbearbeiter BZR 19 VZÄ und für Qualifizierte Einheitssachbearbeiter Kosten fünf VZÄ; die der Hauptabteilung II zugewiesenen fünf Moderatoren bearbeiten Kostensachen im Umfang von circa 50 Prozent ihrer Arbeitszeit. Tatsächlich waren der Hauptabteilung II zum 1. Juni 2018 17,22 VZÄ im Bereich QESB BZR, 6,35 VZÄ im Bereich QESB Kosten sowie 4,7 VZÄ im Moderatorenbereich besetzt. Die QESB Kosten der Hauptabteilung II bearbeiten – bis auf eine Ausnahme – nur Kostensachen, sodass sie für die Aufgaben, in denen Rückstände aufgelaufen sind, originär nicht zuständig sind. Die QESB BZR erledigen zu einem Drittel BZR- Vorgänge und zu zwei Dritteln Einheitssachbearbeitung, sodass diese Kräfte jedenfalls zum Teil auch Dienstposten bearbeiten, in denen Rückstände aufgelaufen sind. 6. Welche Aufgaben fallen im Einzelnen unter die Bearbeitung von Kostenund BZR-Sachen? QESB BZR bearbeiten alle Mitteilungen, die gemäß § 3 BZRG in das Bundeszentralregister aufzunehmen sind. QESB Kosten erstellen Kostenrechnungen, soweit ein Verurteilter oder in Ausnahmefällen ein Drittbetroffener in die Kosten und Auslagen des Verfahrens verurteilt worden ist. 7. Welche Auswirkungen haben verspätete Mitteilungen in BZR-Sachen a. im Hinblick auf laufende Strafverfahren? b. im Hinblick auf Ausschreibungen zur Festnahme oder zur Feststellung des Aufenthaltsorts einer Person? c. im Hinblick auf erforderliche Löschungen von Eintragungen? Die Auswirkungen der Anordnung vom 31. Mai 2018 sind aufgrund des begrenzten Zeitraums gering. Auch im regulären Betrieb erfolgen Eintragungen in das Bundeszentralregister nicht unmittelbar nach Rechtskraft des Urteils, sondern erst nach Eingang der Akte bei der Staatsanwaltschaft, wenn sämtliche in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden Arbeitsschritte abgeschlossen sind (siehe auch Antwort zu 8.b.). Zudem sind in der Anordnung vom 31. Mai 2018 Regelungen für unaufschiebbare Maßnahmen enthalten, die selbstverständlich auch innerhalb des Regelungszeitraums erledigt werden. Hierzu gehören Eilsachen sowie insbesondere die Bearbeitung von Fahrverboten und Sperrfristen. Was als Eilsache zu behandeln ist, entscheiden die jeweils zuständigen Bediensteten im Einzelfall. Ausschreibungen zur Festnahme und zur Aufenthaltsermittlung werden nicht im Bundeszentralregister eingetragen, sondern durch Einheitssachbearbeiter gegenüber der Polizei veranlasst. Suchvermerke im Sinne von § 27 BZRG spielen daneben eine untergeordnete Rolle, da diese in der Regel lediglich der Information dienen und nicht zu unmittelbaren Folgen führen können. Soweit in Einzelfällen gleichwohl ein Suchvermerk niedergelegt werden sollte, wäre gegebenenfalls dessen Eilbedürftigkeit zu prüfen. Soweit Eintragungen zu löschen sind, ist ebenfalls die Frage der Eilbedürftigkeit der Maßnahme zu überprüfen und bejahendenfalls die Löschung der Eintragung zu veranlassen . Drucksache 21/13467 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 8. Welche Auswirkung hat die zurückgestellte Bearbeitung von Kostensachen a. im Hinblick auf die Fälligkeit der vom Verurteilten zu tragenden Gerichtskosten? b. im Hinblick auf Kostenfestsetzungsanträge von Verteidigern? Die vorübergehend zurückgestellte Bearbeitung von Kostensachen hat keine Auswirkung auf die Fälligkeit der vom Verurteilten zu tragenden Gerichtskosten oder auf die Kostenfestsetzungsanträge von Verteidigern. Gemäß § 8 GKG werden Kosten in Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren mit Rechtskraft des Urteils fällig, welches die Kostenentscheidung enthält. Im Übrigen besteht auch für den Bereich der Kostensachbearbeitung eine Regelung für Eilfälle, die weiterhin von zwei QESB Kosten bearbeitet werden. Kostenfestsetzungsanträge werden grundsätzlich bei den Gerichten bearbeitet. Soweit in sehr wenigen Ausnahmefällen eine Kostenfestsetzung bei der Staatsanwaltschaft erfolgt, sind hierzu grundsätzlich die Rechtspfleger berufen. 9. Welche Maßnahmen plant die zuständige Behörde, um die während des Zeitraums der Zurückstellung aufgelaufenen Kosten- und BZR-Sachen anschließend abbauen zu lassen? Die angefallenen Rückstände in der BZR- und Kostenbearbeitung, die jeweils in der Aktenkontrolle des Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg mit einer speziellen Anlassart gekennzeichnet werden , sind nach Ende des Zurückstellungszeitraums schrittweise wieder abzubauen; hierbei ist vorgesehen, in diesen Prozess auch die übrigen Hauptabteilungen – soweit möglich – einzubinden. 10. In der Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/9917 gab der Senat auf meine Frage nach der Beurteilung der Personalsituation auf den Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaft Hamburg hin an: „Eine Verbesserung dieser Situation wird bei der Staatsanwaltschaft voraussichtlich zum Herbst beziehungsweise Ende des Jahres 2017 eintreten, wenn die Ende 2016 beziehungsweise in der ersten Jahreshälfte 2017 neu eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so eingearbeitet sein werden, dass sie den ihnen zugewiesenen Bereich eigenverantwortlich bearbeiten können.“ Ist die erwartete Entlastung eingetreten und wie umfangreich ist sie gegebenenfalls? Falls nein, weshalb nicht? Falls nein, wie beurteilt die zuständige Behörde die aktuelle Situation? Durch die Zuweisung neuer Stellen und die Einstellung entsprechender Mitarbeiter konnte eine weitere Verschärfung der Situation vermieden werden, da der Stellenabbau vergangener Jahre kompensiert worden ist. Vakante Stellen werden schnellstmöglich durch Neueinstellungen ausgeglichen, allerdings erweist sich die Einarbeitung von neu eingestellten Mitarbeitern weiterhin als arbeits- und zeitintensiv. Gleichzeitig sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Serviceeinheiten der StA in andere Dienststellen gewechselt. Im Übrigen siehe Drs. 21/12135.