BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13540 21. Wahlperiode 29.06.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 22.06.18 und Antwort des Senats Betr.: Justizvollzug – Aktueller Stand Ersatzfreiheitsstrafen in Hamburg (II) In Hamburg wird von der Möglichkeit, eine Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abzuwenden, kaum Gebrauch gemacht.1 Hierdurch entstehen für die Freie und Hansestadt Hamburg bei über 181 Euro pro Hafttag zusätzliche Kosten, die sich bei einer regelmäßigeren Vermittlung in gemeinnützige Arbeit vermeiden lassen könnten. Zudem lag die Abbruchquote im Jahr 2017 bei über 31 Prozent, und das, obwohl in Hamburg ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe bereits durch fünf Stunden gemeinnützige Arbeit abgewendet werden kann und zusätzlich eine Härtefallregelung besteht. Diese Erkenntnisse geben Anlass zu weiteren Nachfragen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: In Hamburg wird von der Möglichkeit zur Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch Leistung gemeinnütziger Arbeit (Tilgung durch gemeinnützige Arbeit) in relevantem Umfang Gebrauch gemacht (siehe Drs. 21/13308). Ohne die Nutzung der Möglichkeit zur Tilgung durch gemeinnützige Arbeit läge der Anteil der durch – vollständige oder teilweise – Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen erledigten Geldstrafenvollstreckungen um circa zwei Drittel höher (siehe Drs. 21/13308). Die Tilgung durch gemeinnützige Arbeit ist ein Angebot an Verurteilte, das diese – freiwillig – nutzen können. Eine Verpflichtung zur Leistung gemeinnütziger Arbeit besteht nicht und ist durch Artikel 293 EGStGB auch nicht vorgesehen. Vor dem Hintergrund, dass circa 90 Prozent der eingeleiteten Geldstrafenvollstreckungen in Hamburg durch Zahlung, nachträgliche Gesamtstrafenbildung oder auf sonstige Weise (zum Beispiel Tod, Verjährung, Gnadenerweis) erledigt werden, ist der Anwendungsbereich der Leistung gemeinnütziger Arbeit zur Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von vorneherein relativ begrenzt. Das Erfordernis hinreichender psychosozialer Handlungskompetenz der Verurteilten stellt einen weiteren begrenzenden Faktor für die Nutzung des Angebots dar. Die zuständige Behörde hat keine Möglichkeit, die Eingangszahlen zu steuern. Wird die Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe durch die Vollstreckungsbehörde festgestellt, so ordnet diese die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe an. Der Ladung zum Strafantritt der Ersatzfreiheitsstrafe ist ein Merkblatt beigefügt, in welchem auf die Möglichkeit hingewiesen wird, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abzuwenden. Es hängt dann von der Initiative des Verurteilten ab, ob er dieses Angebot nutzt. Jede/r Gefangene erhält zweimalig Terminvorschläge seitens der zuständigen Behörde. Sollte keine Reaktion erfolgen, bemüht sich ein Mitarbeiter der zuständigen Behörde um eine persönliche Kontaktaufnahme binnen einer Woche. Der Vorgang wird geschlossen, wenn kein Kontakt hergestellt werden konnte. Gefangene, die zum Erstgespräch in der Dienststelle waren, die Arbeit aber nicht antreten, werden ebenfalls von der zuständigen 1 Vergleiche Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/13308 vom 12.06.2018. Drucksache 21/13540 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Behörde telefonisch und schriftlich kontaktiert. Im Gespräch wird versucht, die Hintergründe der nicht erfolgten Arbeitsaufnahme zu erörtern. Gründe sind oftmals Krankheit , Drogenkonsum, psychische Belastung oder kulturelle Hemmnisse. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Warum wird aus Sicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde vergleichsweise selten von der Möglichkeit, die Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abzuwenden, in Hamburg Gebrauch gemacht? a. Welche Erkenntnisse gibt es über die genauen Gründe von welcher zuständigen Stelle? Siehe Vorbemerkung. b. Welche Konsequenzen zieht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde aus den Erkenntnissen? Über die jeweiligen individuellen Gründe, von der Möglichkeit der Tilgung durch gemeinnützige Arbeit keinen Gebrauch zu machen, liegen dem Senat keine Statistiken oder Erkenntnisse vor. Zur Verbesserung der Möglichkeiten zur Verkürzung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Strafvollzug sieht der Entwurf des Gesetzes über das Hamburgische Resozialisierungs- und Opferhilfegesetz und zur Änderung vollzugsrechtlicher Vorschriften (Drs. 21/11906) vor, das day-by-day-Programm (vergleiche Antwort zu 1. e.) bereits während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für eine nachnotierte Ersatzfreiheitsstrafe durchführen zu können und zudem, in geeigneten Fällen, Teile des Überbrückungsgeldes zur Tilgung einer Geldstrafe einsetzen zu können. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. c. Wird die Zusammenarbeit mit freien Trägern in dem Bereich in Erwägung gezogen? Falls nein, warum nicht? Bei der Vermittlung von Gemeinnütziger Arbeit, arbeitet die zuständige Behörde bereits mit einer Vielzahl (circa 400 Einsatzstellen/Kooperationspartnern) von freien Trägern zusammen. d. Welche Kooperationen bestehen bei der Vermittlung in gemeinnützige Arbeit? Zwischen der zuständigen Behörde und den Einsatzstellen funktioniert die Zusammenarbeit auf freiwilliger und unentgeltlicher Basis. Schriftliche Kooperationsvereinbarungen bestehen nicht. Es bestehen regelmäßige persönliche oder telefonische Kontakte und gegebenenfalls Krisenintervention durch die zuständige Behörde. Eine weitergehende Regelung würde die Bereitschaft zur Zusammenarbeit höherschwelliger machen und erschweren. e. Wie werden die Inhaftierten über die Möglichkeit, die Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abzuwenden, informiert? Die Ersatzfreiheitsstrafe kann nicht mehr abgewendet werden, wenn die Haft angetreten ist. Im Vollzug wird jedoch die Teilnahme am sogenannten day-by-day–Programm angeboten. Dies entspricht dem Ziel der Reduzierung der Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit im Vollzug. Die Information der Gefangenen erfolgt üblicherweise im Rahmen des Zugangsgesprächs. Zur Information Verurteilter vor Haftantritt über die Möglichkeit der Tilgung durch gemeinnützige Arbeit siehe Vorbemerkung. f. Wie viel Personal steht für die Vermittlung in gemeinnützige Arbeit und für die Betreuung der Personen zur Verfügung? Wie hat sich dies im Vergleich zu den Jahren 2013 bis 2017 verändert? Da die gemeinnützigen Arbeitsplätze, durch die die Ersatzfreiheitsstrafen reduziert werden können, in die Anstaltsstrukturen integriert sind, ist kein zusätzliches Personal erforderlich. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13540 3 Für die Vermittlung der zuständigen Behörde stehen acht Sozialarbeiter/-innen und zwei Verwaltungskräfte zur Verfügung. Außer Arbeitszeitreduzierungen bei zwei Sozialarbeiterinnen um jeweils 20 Prozent haben sich keine Änderungen ergeben. 2. Hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde Erkenntnisse darüber, in welchen Fällen das Ableisten gemeinnütziger Arbeit abgebrochen oder nicht begonnen wird? Bitte die Hauptgründe benennen. Die gemeinnützige Arbeit wird nicht angetreten, wenn die Geldstrafe bezahlt wird oder der Tagessatz der Geldstrafe so gering ist, dass die Gefangenen durch die Arbeit im Vollzug mehr verdienen als den Tagessatz der Geldstrafe. Sie können dann die Geldstrafe zügiger bezahlen als durch gemeinnützige Arbeit tilgen. Die gemeinnützige Arbeit wird weiterhin nicht angetreten, wenn die (auswärtige) Staatsanwaltschaft der Tilgung durch gemeinnützige Arbeit nicht zustimmt. Das Ableisten gemeinnütziger Arbeit wird abgebrochen, wenn die restliche Geldstrafe bezahlt wird oder die Gefangenen ein freies Beschäftigungsverhältnis im Freigang (Möglichkeit im offenen Vollzug) aufnehmen. Gelegentlich steigen Gefangene aus dem day-by-day-Programm aus. Eine statistische Erfassung dieser Fälle erfolgt jedoch nicht, sodass keine genaueren Angaben zur Häufigkeit gemacht werden können. Die Gefangenen legen darüber hinaus nur selten die Gründe für den Abbruch dar, die außerdem nicht statistisch erfasst werden. Hierfür wäre eine Einzelauswertung von mehreren Hundert Akten erforderlich, was in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. Im Übrigen siehe Drs. 21/13308. a. Wie reagieren die zuständigen Mitarbeiter/-innen welcher zuständigen Stelle, wenn die gemeinnützige Arbeit abgebrochen oder erst gar nicht angetreten wird? Wird versucht, einen endgültigen Abbruch zu verhindert? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? b. Wie sehen die unterstützenden Maßnahmen der zuständigen Stellen für die Betroffenen aus? Siehe Vorbemerkung. Im Übrigen werden in den Gesprächen die Motivation, eventuelle Hilfestellungen und/oder die gemeinsame Suche nach neuen/passenderen Einsatzmöglichkeiten thematisiert. 3. Aus der Antwort auf die Frage 6. der Drs. 21/13308 ergibt sich, dass die Abbruchquote im Zeitraum von 2013 bis 2017 jährlich bei 30 Prozent lag. a. Mit welchen zusätzlichen Maßnahmen hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde auf die gleichbleibend hohe Abbruchquote von 2013 bis 2017 konkret reagiert? b. Welche Maßnahmen sind darüber hinaus in welchem Zeitraum seit 2018 geplant? Die zuständige Behörde akquiriert regelmäßig neue Einsatzstellen und pflegt eine enge Kooperation mit allen Beteiligten, um einem weiteren Rückgang entgegenzuwirken . Die Veränderung der Gefangenen einerseits und die immer stärkere Zurückhaltung bei den Kooperationspartnern andererseits, lassen den Erhalt des Status quo bereits als Erfolg erscheinen.