BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13601 21. Wahlperiode 03.07.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Harald Feineis (AfD) vom 27.06.18 und Antwort des Senats Betr.: Gewaltprävention an Hamburger Schulen Gewalttätigkeit unter Kindern und Jugendlichen scheint in den letzten Jahren zugenommen zu haben. In diesem Zusammenhang sind Schulen, in denen Kinder aus verschiedenen Herkunftskontexten und sozial schwachen Milieus zusammenkommen, besonders betroffen. Obwohl sich gewalttätige Konflikte unter Schülern in der Regel vor Ort beilegen lassen, gibt es zunehmend auch Fälle, in denen dies nicht gelingt. Um den Betroffenen Hilfestellung zu gewähren, können Schulen die Angebote der Beratungsstelle „Gewaltprävention “ nutzen, deren Tätigkeit in der Verankerung gewaltpräventiver Maßnahmen besteht. Dabei wird mit den Ansprechpartnern geprüft, welche Maßnahmen bisher zum Einsatz gekommen sind, wie die Vernetzung dieser Projekte im System erfolgte und welche Schwachstellen durch die Beteiligten erkannt wurden. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt bei der Information über Projekte (zum Beispiel Streitschlichtung), der Gestaltung eines Projektablaufplans und der inhaltlichen Umsetzung der Idee (zum Beispiel Mobbing- AG des Gymnasiums Farmsen). Hierbei sind zum Teil auch längerfristige Prozessbegleitungen erforderlich. Dabei entstehen jeweils für den Schulstandort spezifische Modelle, die sich trotz der Namensgleichheit erheblich zwischen Schulen unterscheiden können. Um die Unterstützung der Beratungsstelle in Anspruch zu nehmen, besteht die Möglichkeit, ein Meldeformular für Gewaltvorfälle an Hamburger Schulen herunterzuladen. Die Abwicklung orientiert sich dabei an der „Richtlinie zum Umgang und zur Bearbeitung und Meldung von Gewaltvorfällen in Schulen“ und gilt ausschließlich mit den Straftaten Raub, Erpressung, gefährliche Körperverletzung und Straftaten gegen das Leben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Empirische Studien zur Entwicklung der Jugendgewalt in Deutschland (zum Beispiel Dunkelfeldstudien) und die Polizeilichen Kriminalstatistiken verweisen seit geraumer Zeit auf die deutlichen Rückgänge der Jugendgewalt im schulischen Kontext: • Baier, D., Pfeiffer, C. et al. (2010): Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen, Integration, Medienkonsum. Zweiter Bericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. (KFN). • Kammigan, I. & Enzmann D. (2017): Erklärung und Prävention von Jugendkriminalität . Ergebnisse der Befragung an Hamburger Schulen im Jahr 2015. Universität Hamburg. • Pfeiffer, C., Baier, D. & Kliem, S. (2018): Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland . Schwerpunkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer. KFN. Drucksache 21/13601 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Im Übrigen siehe Drs. 21/13131. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Schulen haben sich 2016, 2017 sowie im ersten Halbjahr 2018 an die Beratungsstelle „Gewaltprävention“ gewandt? Im Schuljahr 2016/2017 wurden in 120 von 130 Fällen (88 Prozent) Schulen von der Beratungsstelle Gewaltprävention unterstützt. In allen diesen Fällen nimmt eine Fachkraft der Beratungsstelle Gewaltprävention unverzüglich nach Eingang der Meldung Kontakt mit der Schule auf. Dabei werden die notwendigen Interventionsschritte erörtert . Unter diesen 120 Fällen sind auch solche Vorfälle, bei denen die meldende Schule angerufen wurde, obwohl sie eine schulinterne Bearbeitung beziehungsweise keinen Unterstützungsbedarf angegeben hatte (43 Prozent aller Meldungen). Dies erfolgte , wenn bei der Prüfung der Meldung innerhalb der Beratungsstelle Gewaltprävention der Eindruck entstanden ist, dass der Schweregrad der Tat erheblich oder die Dokumentation der eingeleiteten Maßnahmen unvollständig ist. Ebenfalls enthalten sind Kriseninterventionen vor Ort durch das Bereitschaftsteam der Beratungsstelle Gewaltprävention . Bei sieben Vorfällen (5 Prozent aller Meldungen) waren Kriseninterventionen vor Ort als Folge von Gewaltvorfällen notwendig und wurden durch das Bereitschaftsteam geleistet. Außerdem findet in vielen Fällen mit Unterstützungsbedarf eine Abstimmung zwischen den Fachkräften der ReBBZ und der Beratungsstelle Gewaltprävention statt. Die Anfragen aus Schulen, Einrichtungen und Behörden zu den einzelnen Präventionsprogrammen , zu Fortbildungs- und Qualifizierungsangeboten, zu Beratungen bei Einzelfällen (unabhängig von einer Gewaltmeldung) und zu schul- oder behördenübergreifenden Maßnahmen werden in der Beratungsstelle Gewaltprävention nicht gesondert dokumentiert. 2. Wie viele Einzelprojekte werden gegenwärtig von der Meldestelle im Rahmen ihrer Präventivarbeit unterhalten? Mit den verschiedenen Trainingsprogrammen im Rahmen des Handlungskonzepts „Handeln gegen Jugendgewalt“ werden seit 2008 viele Schulen, Fachkräfte und damit auch Schülerinnen und Schüler erreicht. Insbesondere sind hier die Programme „Cool in School“, „Soziales Kompetenztraining“, „Begleitung von Opfern in der Schule“ (Be- OS) und „Koole Kerle – Lässige Ladies“ zu nennen (siehe Drs. 18/7296, Drs. 19/8174, Drs. 20/5972). Hinzugekommen sind Qualifizierungsangebote zu weiteren Maßnahmen bzw. Konzepten im Rahmen des Handlungskonzeptes: „Tatausgleich“ und „Verhaltenstraining in der Schule“ (Ferdi). Des Weiteren wurden in den vergangenen Jahren primärpräventive Konzepte und Programme in den Grundschulen und weiterführenden Schulen verstärkt umgesetzt, zum Beispiel die Streitschlichtung, das Prefect-Programm, Projektwochen zum Thema Jugendgewalt sowie mehrere Angebote zur Mobbingprävention, inklusive Cybermobbing („Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein“, „Gegen den Strich“, „No Blame Approach“, siehe auch Drs. 21/13600). Alle diese Maßnahmen beziehungsweise Programme werden weiterhin angeboten. Zusätzlich erhalten die Hamburger Schulen über die Beratungsstelle Gewaltprävention sehr vielfältige Fortbildungs- beziehungsweise Qualifizierungsangebote in den Themenfeldern „Regeln verankern“, „Deeskalationstechniken“, „Krisenintervention“, „Kinderschutz“, „Klassenrat“, „Umgang mit sexualisierter Gewalt“, „Umgang mit Tod und Trauer“, „Bedrohungsmanagement“ und „Gewaltfreie Kommunikation“. Insgesamt handelt es sich um zwölf komplexe Präventionsprogramme für die unterschiedlichen Altersstufen und Schulformen. 3. Wie viele der folgenden Delikte an Hamburger Schulen liegen diesen Hilfegesuchen im Einzelnen zugrunde? Bitte jeweils anhand der oben genannten Jahre beantworten. a) Raub b) Erpressung Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13601 3 c) Gefährliche Körperverletzung d) Straftaten gegen das Leben 4. Wie viele von ihnen beziehungsweise welche haben sich im Nachhinein als Missverständnis herausgestellt? 5. Wie viele von ihnen wurden zur polizeilichen Anzeige gebracht? 6. Wie viele von ihnen beziehungsweise welche mündeten in einem Strafprozess ? 7. Wie viele von ihnen beziehungsweise welche führten zu einer Verurteilung ? 8. In wie vielen Fällen ist es zu Straftaten gegen das Leben gekommen und wie stellen sich diese im Einzelnen dar? Die Auswertung der schulischen Gewaltmeldungen erfolgt jeweils nach Abschluss eines Schuljahres. Unterjährige Auswertungen werden von der für Bildung zuständigen Behörde nicht vorgenommen. Zur Auswertung der schulischen Gewaltmeldungen der Vorjahre siehe Drs. 20/9125, Drs. 20/12882, Drs. 21/1599, Drs. 21/5677 und Drs. 21/10344. Die Gesamtzahl der Vorfälle, getrennt nach Tatverdächtigen und Betroffenen (Schüler, Schülerin, Bedienstete), nach Schulformen, nach Deliktarten, nach Geschlecht und Alter, sind darin enthalten. Die statistische Erfassung der schulischen Gewaltmeldungen innerhalb der BSB bildet einen Anfangsverdacht einer Straftat – gemeldet durch pädagogische Fachkräfte – direkt nach dem Tatzeitpunkt ab. Erkenntnisse zu den Ermittlungen der Polizei Hamburg , den Entscheidungen der Staatsanwaltschaft (Anklageerhebung) und den Urteilen der Gerichte sind darin nicht enthalten. Der zur Beantwortung der Frage erforderliche Umstand, ob der Tatort eines Gewaltvorfalls (im Sinne der in Frage 3. genannten Deliktsgruppen) im Bereich einer Schule liegt, wird weder im Vorgangsverwaltungs- und -bearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft noch im Vorgangsverwaltungsprogramm forumSTAR der Gerichte erfasst. Gleiches gilt für die Meldung von Gewaltvorfällen in Schulen. Statistische Daten im Sinne der Fragestellung liegen der Polizei nicht vor. Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die räumliche Erfassung des Tatortes erfolgt in der PKS in der kleinsten Einheit nach Ortsteilen. Seit dem Jahr 2017 wird die Tatörtlichkeit „Schule“ bei der Taterfassung erhoben; die Tatörtlichkeit „Schule“ lässt jedoch nicht erkennen, ob eine Tat im schulischen Zusammenhang stattgefunden hat. Es werden unter Tatörtlichkeit „Schule“ auch Taten erfasst, die außerhalb der Schulzeiten und ohne schulischen Kontext auf dem Gelände der Schule geschehen sind. Für das Kalenderjahr 2017 wurden in der PKS unter der Tatörtlichkeit „Schule“ folgende Fälle der Gewaltkriminalität erfasst: Delikt Schule* Straftaten gegen das Leben - Raub/räuberische Erpressung/räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 8 Gefährliche und schwere Körperverletzung 192 Erpressung 6 *Öffentliche und private Schule bis Abiturstufe, Berufsschule und Gebäude/ Flächen, die schulisch genutzt werden PKS-Daten für das erste Halbjahr 2018 liegen noch nicht vor. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 9. Welche Schulen sind nach Einschätzung des Senats besonders von Gewaltvorfällen betroffen? Drucksache 21/13601 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Anzahl der insgesamt gemeldeten Gewaltvorfälle pro Schule (siehe Antwort zu 1.) liegt in den letzten zwei Jahren im Bereich von einer bis fünf Meldungen pro meldender Schule im Laufe eines Schuljahres. Über die letzten Jahre variierten diese Melderaten zwischen den Schulen, sodass keine Schule in den letzten Jahren fortlaufend hohe Melderaten zu verzeichnen hatte. Darüber hinaus sieht der Senat in ständiger Praxis davon ab, Schulnamen zu nennen, um eine Stigmatisierung zu vermeiden. 10. Wie hoch fällt der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in der Schülerschaft besagter Schulen aus? Der Migrationshintergrund wird bei den Gewaltmeldungen nicht erfasst. 11. Wie viele Fälle von Gewaltkriminalität, welche üblicherweise nicht unter die Richtlinie fallen, hat es 2016, 2017 sowie im ersten Halbjahr 2018 an Hamburger Schulen gegeben? 12. Wie viele von ihnen wurden zur polizeilichen Anzeige gebracht? 13. Wie viele von ihnen beziehungsweise welche haben sich im Nachhinein als Missverständnis herausgestellt? 14. Wie viele von ihnen beziehungsweise welche mündeten in einem Strafprozess ? 15. Wie viele von ihnen beziehungsweise welche führten zu einer Verurteilung ? Eine zentrale Erfassung in der für Bildung zuständigen Behörde bezüglich dieser Vorfälle erfolgt nicht. Erkenntnisse zu den Ermittlungen der Polizei Hamburg, den Entscheidungen der Staatsanwaltschaft (Anklageerhebung) und den Urteilen der Gerichte bezüglich dieser Vorfälle liegen der Behörde nicht vor. Statistische Daten im Sinne der Fragestellung liegen auch der Polizei nicht vor. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. bis 8. In allen Fällen können die Schulen weiterhin geeignete Beratungs- und Unterstützungsleistungen der Schulaufsicht, der ReBBZ, des Beratungs- und Unterstützungszentrums Berufliche Schulen (BZBS) sowie der Beratungsstelle Gewaltprävention in Anspruch nehmen, die regelhaft auf die polizeiliche Anzeige in der Beratung hinweisen .