BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13602 21. Wahlperiode 03.07.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Harald Feineis (AfD) vom 27.06.18 und Antwort des Senats Betr.: Sexuelle Übergriffe an Hamburger Schulen Die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern unterliegt in Deutschland einem besonderen rechtlichen Schutz. Dieser Grundsatz gilt auch für Schulen, wo es nicht selten zu sexuellen Grenzverletzungen, manchmal aber auch zu Sexualdelikten oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern kommt. In solchen Fällen gilt die „Richtlinie zum Umgang und zur Bearbeitung und Meldung von Gewaltvorfällen in Schulen“ nur, wenn diese gegenwärtig sind und daher durch sofortiges Handeln unterbunden werden müssen. In allen anderen Fällen findet für diese Taten die „Richtlinie für den Umgang mit dem Verdacht auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung “ Anwendung. Der zur bisherigen Richtlinie gehörende „Meldebogen bei schulischen Gewaltvorfällen“ wird durch das neue „Meldeformular für Gewaltvorfälle an Hamburger Schulen“ ersetzt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. In wie vielen Schulen ist es 2016, 2017 sowie im ersten Halbjahr 2018 zu Sexualdelikten oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gekommen? 2. In wie vielen solcher Fälle sind die Opfer dabei schwerverletzt worden? 3. Wie viele solcher Fälle wurden zur polizeilichen Anzeige gebracht? 4. Wie viele solcher Fälle beziehungsweise welche mündeten in einem Strafprozess? 5. Wie viele solcher Fälle beziehungsweise welche führten zu einer Verurteilung ? Die Auswertung der schulischen Gewaltmeldungen erfolgt jeweils nach Abschluss eines Schuljahres. Unterjährige Auswertungen werden von der für Bildung zuständigen Behörde nicht vorgenommen. Zur Auswertung der schulischen Gewaltmeldungen der Vorjahre siehe Drs. 20/9125, Drs. 20/12882, Drs. 21/1599, Drs. 21/5677 und Drs. 21/10344. Die Gesamtzahl der Vorfälle, getrennt nach Tatverdächtigen und Betroffenen (Schüler, Schülerin, Bedienstete), nach Schulformen, nach Deliktarten, nach Geschlecht und Alter sind darin enthalten. Im Schuljahr 2016/2017 wurden 35 Sexualdelikte gemeldet. Dabei kam es in einem Fall zum Einsatz eines Rettungswagens mit nachfolgender Behandlung im Krankenhaus . In vier weiteren Fällen lagen behandlungsbedürftige Verletzungen vor, in 14 Fällen waren Verletzungen leicht und bedurften keiner Behandlung. In 16 Fällen wurde die geschädigte Person nicht körperlich verletzt. Die statistische Erfassung der schulischen Gewaltmeldungen innerhalb der BSB bildet einen Anfangsverdacht einer Straftat direkt nach dem Tatzeitpunkt ab. Die Richtlinie Drucksache 21/13602 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 fordert die Schulen auf, diese Straftaten im Bereich der Gewaltkriminalität als meldeund anzeigepflichtig zu betrachten. Der jährliche Abgleich mit den polizeilichen Ermittlungsdaten bestätigt die polizeiliche Anzeige, was dazu führt, dass nur polizeilich angezeigte Straftaten in der Statistik der schulischen Gewaltmeldungen erfasst werden . Erkenntnisse zu den Entscheidungen der Staatsanwaltschaft (Anklageerhebung) und den Urteilen der Gerichte sind darin nicht enthalten. Der zur Beantwortung der Frage erforderliche Umstand, ob der Tatort eines Sexualdeliktes eine Schule ist, wird im Vorgangsverwaltungs- und -bearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg nicht erfasst. Gleiches gilt für das Datenerfassungsprogramm formSTAR der Gerichte. Es müssten daher zur Beantwortung dieser Frage jedenfalls sämtliche wegen des Vorwurfs einer Straftat nach §§ 174, 176, 176a StGB geführte Verfahren aus den Aktenzeichenjahrgängen 2016 bis 2018 händisch ausgewertet werden, in Betracht kommen ferner Verfahren mit Vorwürfen gemäß §§ 177, 184i StGB. Allein im Bereich der Staatsanwaltschaft handelt es ich insoweit um mehrere Hundert Verfahren pro Jahr (vergleiche Drs. 21/4289). Angesichts der vorgenannten Aktenanzahl ist weder die Beiziehung der Akten noch deren Auswertung im Rahmen der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit möglich. Statistiken im Sinne der Fragestellung werden bei der Polizei nicht geführt. Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die räumliche Erfassung des Tatortes erfolgt in der PKS in der kleinsten Einheit nach Ortsteilen. Seit dem Jahr 2017 wird die Tatörtlichkeit „Schule“ bei der Taterfassung erhoben; die Tatörtlichkeit „Schule“ lässt jedoch nicht erkennen, ob eine Tat im schulischen Zusammenhang stattgefunden hat. Es werden unter Tatörtlichkeit „Schule“ auch Taten erfasst, die außerhalb der Schulzeiten und ohne schulischen Kontext auf dem Gelände der Schule geschehen sind. In der PKS sind für das Jahr 2017 insgesamt 49 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung mit Tatörtlichkeit „Schule“ erfasst. PKS-Daten für das erste Halbjahr 2018 liegen noch nicht vor. 6. Welche Schulen sind nach Einschätzung des Senats besonders von Gewaltvorfällen betroffen? Die Anzahl der insgesamt gemeldeten Gewaltvorfälle pro meldender Schule (siehe Antwort zu 1. bis 5.) liegt in den letzten zwei Jahren im Bereich von einer bis fünf Meldungen pro Schule im Laufe eines Schuljahres. Über die letzten Jahre variierten diese Melderaten zwischen den Schulen, sodass keine Schule in den letzten Jahren fortlaufend hohe Melderaten zu verzeichnen hatte. Zudem sieht der Senat in ständiger Praxis davon ab, Namen von Schulen zu veröffentlichen, um eine Stigmatisierung zu vermeiden. 7. Wie hoch fällt der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in der Schülerschaft besagter Schulen aus? Der Migrationshintergrund wird bei den Gewaltmeldungen nicht erfasst. 8. In wie vielen Fällen waren Mädchen die Opfer, in wie vielen Jungen? Im Schuljahr 2016/2017 wurden 27 weibliche Geschädigte und acht männliche Geschädigte bezüglich sexualisierter Gewalt erfasst. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. bis 5. 9. Wie verhalten sich Schulleitungen gegenüber tatverdächtigen Schülern, die nachweislich Sexualdelikte oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen haben? 10. Leisten die Schulleitungen betroffenen Schülern und deren Familien Hilfestellungen ? Falls ja, inwiefern? Falls nein, warum nicht? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13602 3 Bei strafrechtlich relevanten Situationen im Kontext Gewaltkriminalität ist die Schulleitung angehalten, den Gewaltmeldebogen auszufüllen. Damit ist die Einbindung der Polizei sichergestellt, das heißt die Polizei ermittelt und je nach Ermittlungsergebnis, wird ein Strafverfahren gegen den Beschuldigten beziehungsweise die Beschuldigte eingeleitet. Je nach Einzelsituation wird entschieden, wie die konkrete Unterstützung für die Betroffenen aussieht. Dafür kann das gesamte Hilfesystem genutzt werden: Dazu gehören neben der Schulleitung Klassenlehrkräfte, Beratungslehrkräfte beziehungsweise der schulische Beratungsdienst, Fachkräfte der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) beziehungsweise des Beratungszentrums Berufliche Schulen (BZBS), die Beratungsstelle Gewaltprävention sowie die an vielen Grundschulen qualifizierten Kinderschutzfachkräfte und an vielen weiterführenden Schulen spezielle ausgebildeten Opferschutzfachkräfte. Hinzu kommen die Hamburger Beratungsstellen zur sexualisierten Gewalt (siehe http://www.nexus-hamburg.de/). 11. Wie wird sichergestellt, dass sich anbahnende Sexualdelikte oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung frühzeitig erkannt werden? Werden Lehrer diesbezüglich besonders sensibilisiert? Falls ja, inwiefern? Falls nein, warum nicht? Internationale und nationale Befunde sowie die Erfahrungen der Fachberatungsstellen zur sexualisierten Gewalt zeigen, dass diese „Früherkennung“ aufgrund der komplexen Täter- und Täterinnenstrategien bei sexuellem Missbrauch in der Regel nicht möglich ist. Daher wird in Bildungsinstitutionen auf die Verankerung von Präventionsund Interventionsmaßnahmen, die eng zusammenwirken, gesetzt. So werden Kinder und Jugendliche durch altersgerechte Präventionsmaßnahmen in ihrem Selbstbestimmungsrecht gestärkt, sodass Täter- und Täterinnenstrategien weniger greifen können. Sie werden sensibilisiert, ihre Gefühle ernst zu nehmen und ambivalente Situationen zu erkennen. Außerdem lernen sie, sich Hilfe zu holen. Gleichzeitig gibt es Vorgaben und Hinweise, wie mit Verdachtsfällen und konkreten Übergriffssituationen, beispielsweise unter Schülerinnen und Schülern, umzugehen ist. Zur Stärkung der Handlungssicherheit schulischer Fachkräfte bieten die Beratungsstelle Gewaltprävention sowie das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Beratungen und Fortbildungen oft in Kooperation mit einer Fachberatungsstelle an. Die entsprechenden Maßnahmen sind in der Drs. 21/11788 ausführlich dargestellt. Im Übrigen siehe Drs. 21/10499 und Drs. 21/13405.