BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13787 21. Wahlperiode 20.07.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 13.07.18 und Antwort des Senats Betr.: Suizid eines nach Afghanistan abgeschobenen Geflüchteten Obwohl die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin katastrophal ist, wurden am 03.07.2018 im Rahmen einer Sammelabschiebung 69 Menschen vom Flughafen München nach Afghanistan abgeschoben. Einer der dabei abgeschobenen Personen, der 23-jährige Afghane Jamal M., hat sich wenige Tage nach der Ankunft in Kabul in einer vorläufigen Notunterkunft der Internationalen Organisation für Migration das Leben genommen. Jamal M. lebte seit acht Jahren in Deutschland, zuletzt in Hamburg. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie war der Verlauf der asyl- und aufenthaltsrechtlichen Situation (Status des Asylverfahrens, Aufenthaltsstatus, Abschiebeverbote, mögliche Klagen et cetera) von Jamal M.? Der Betreffende ist am 12. August 2011 nach Deutschland eingereist und stellte am 30. August 2011 einen Asylantrag in Hamburg. Der Antrag wurde am 15. Juni 2012 abgelehnt, wogegen der Betreffende am 25. Juni 2012 Klage erhob. Mit Beschluss vom 9. März 2017 hat das Verwaltungsgericht Hamburg entschieden, dass die Klage als zurückgenommen gilt, da das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als einen Monat nicht betrieben worden ist. Während des Asylverfahrens war er im Besitz einer Aufenthaltsgestattung. Seit dem 24. März 2017 war er nahezu durchgängig im Besitz einer Duldung. 2. Gehörte Jamal M. einer ethnischen oder religiösen Minderheit an, die in Afghanistan bedroht, geächtet, diskriminiert beziehungsweise verfolgt wird? Nein. 3. Wie (zum Beispiel Sammelunterkunft) und wo hat Jamal M. während seiner Zeit in Deutschland gelebt? Der Betreffende war zunächst als unbegleiteter minderjähriger Ausländer beim Landesbetrieb Erziehung und Beratung, später in einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung in einem Doppelzimmer untergebracht. Der Standard dieses Standortes entspricht dem einer Gemeinschaftsunterkunft mit Gemeinschaftseinrichtungen (Küche, Bad). 4. Welche Erkenntnisse hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde über die Lebenssituation und das (soziale) Umfeld des Verstorbenen ? Drucksache 21/13787 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Der Betreffende bezog bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres Leistungen der Jugendhilfe. Bis zum Ablauf seiner Duldung am 05.07.2018 bezog er Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz. Am 1. September 2017 begann er eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker, die jedoch aufgrund unentschuldigter Fehlzeiten zum 4. Oktober 2017 gekündigt wurde. 5. Befand sich Jamal M. vor der Abschiebung in Strafhaft, in Abschiebehaft oder im Ausreisegewahrsam? Wenn ja, wo und für wie lange? Der Betreffende verbüßte vom 20. bis 30. April 2018 eine Ersatzfreiheitsstrafe. Der Vollzug erfolgte aus Kapazitätsgründen in einer Sozialtherapeutischen Anstalt. 6. Lagen dem Senat oder der zuständigen Behörde vor der Abschiebung von Jamal M. Hinweise auf beziehungsweise Erkenntnisse über psychische Beeinträchtigungen beziehungsweise psychische Erkrankungen von Jamal M. vor? 7. Welche Erkenntnisse hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde darüber, ob und in welchem Umfang sich Jamal M. in Deutschland in psychiatrischer (gegebenenfalls auch medikamentöser) oder psychotherapeutischer Behandlung befand? Der Betreffende hat ein auf den 19. März 2018 datiertes Attest eingereicht, das eine psychische Erkrankung erwähnt, jedoch keine spezifische Diagnose enthält. Dem Attest nach befand er sich seit Juni 2017 in ambulanter krankenhausnaher psychiatrischer Behandlung und erhielt nicht näher genannte Medikamente. Dem Inhalt nach war der Betreffende nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Hinweise auf eine mögliche Suizidgefahr enthielt das Attest nicht. Die Krankenbehandlung des Betroffenen wurde gemäß § 264 Absatz 2 SGB V von einer Krankenkasse übernommen. Die zuständige Behörde erhält aus datenschutzrechtlichen Gründen regelhaft nur die für die Abrechnung relevanten Daten, die jedoch keinen Rückschluss auf Art und Umfang der Behandlung und die genaue Erkrankung zulassen. 8. Wurde Jamal M. vor seiner Abschiebung ärztlich untersucht (insbesondere auf seine Reisefähigkeit)? Wenn ja, a. welche Gründe waren der Anlass für eine medizinische Untersuchung ? b. in welchem zeitlichen Abstand zur Abschiebung erfolgte die Untersuchung ? c. erfolgte eine etwaige Untersuchung des psychischen Gesundheitszustandes durch eine Fachärztin/einen Facharzt für Psychiatrie? d. wurden auf das Ergebnis der Untersuchung hin konkrete medizinische Maßnahmen in Bezug auf Jamal M. für den Abschiebeflug veranlasst? Aufgrund des eingereichten Attests (siehe Antwort zu 7.) wurde für den Betreffenden ein Termin beim ärztlichen Dienst der zuständigen Behörde vereinbart. Diesen Termin nahm er nicht wahr, sodass anhand des Attests die Flugreisetauglichkeit am 12. Juni 2018 von einer Fachärztin für unter anderem Allgemeinmedizin und Flugmedizin überprüft wurde. Im Ergebnis wurde der Betreffende als flugreisetauglich eingestuft, in Begleitung eines Arztes. Aus diesem Grund erfolgte auch die gesamte Abschiebungsmaßnahme in ärztlicher Begleitung. Anhand der vorliegenden Erkenntnisse hat der begleitende Arzt am 3. Juli 2018 die Flugreisetauglichkeit nochmals bestätigt. Zudem wurde die federführende Bundespolizei im Vorfeld über die vorliegenden medizinischen Informationen in Kenntnis gesetzt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13787 3 Im Übrigen wird auf die gesetzlichen Vorschriften des § 62 Absatz 2c und 2d Aufenth G verwiesen. 9. Wann, auf welchem Weg, mit welchen Verkehrsmitteln über welchen Zeitraum wurde Jamal M. nach München zum Charterflugzeug transportiert ? Am 3. Juli 2018 wurde der Betreffende gegen 1.55 Uhr in seiner Unterkunft aufgesucht . Nach Erläuterung der anstehenden Maßnahme und Einpacken des Gepäcks verließen alle Beteiligten die Unterkunft gegen 2.15 Uhr. Der Transport zum Flughafen München erfolgte per Reisebus. Ankunft dort war gegen 14 Uhr. 10. Haben sich während des Transportes von Hamburg nach München oder im Rahmen des weiteren Abschiebevorganges Anzeichen dafür ergeben , dass Jamal M. psychisch instabil war? Nein. 11. Fand die Sammelabschiebung in ärztlicher Begleitung statt? Ja, die Abholung aus der Unterkunft und die Zuführung nach München erfolgten in Begleitung eines durch die zuständige Behörde beauftragten Arztes. Der Flug nach Afghanistan wurde ebenfalls ärztlich begleitet. Wenn ja, a. wurde Jamal M. während des Fluges medizinisch betreut? b. hat er während des Fluges Medikamente erhalten? Wenn ja, waren darunter Psychopharmaka oder Beruhigungsmittel? Für die (ärztliche) Begleitung des Fluges ist die Bundespolizei zuständig. Der zuständigen Ausländerbehörde sind diesbezüglich keine besonderen Vorkommnisse während des Fluges bekannt. 12. Wurde gegen Jamal M. im Zuge des Abschiebungsvorgangs (beginnend mit der Abholung in der Unterkunft) durch Hamburger Behörden unmittelbarer Zwang angewandt? Wenn ja, wie häufig? Über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei Abschiebungsmaßnahmen entscheidet das die Beschäftigten der Ausländerbehörde begleitende Landeskriminalamt (LKA) nach Erstellung einer Gefährdungsanalyse. Zur Sicherung war der Betreffende bis zur Übergabe am Flughafen mit Handfesseln vor dem Körper gesichert. 13. Liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde Erkenntnisse über auffälliges Verhalten von Jamal M. im Zuge des Transports zum Flughafen beziehungsweise im Zuge des weiteren Abschiebeverlaufs vor? Der Betreffende zeigte bis zur Übergabe an die Bundespolizei am Flughafen München kein auffälliges Verhalten. Darüber hinaus siehe Antwort zu 11.a. und 11.b. 14. Welches Verfahren ist generell vorgesehen, wenn sich während des Vorbereitungen und der Abschiebung als solches zeigt, dass die betroffene Person psychisch instabil oder auffällig ist? Sofern im Vorfeld einer Maßnahme Erkenntnisse zu gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen, die gegen eine Abschiebung sprechen könnten, werden diese vom ärztlichen Dienst der zuständigen Behörde bewertet. Ergeben sich während einer Maßnahme Auffälligkeiten, wird im Einzelfall und gegebenenfalls nach Beiziehung des begleitenden Arztes über das weitere Verfahren entschieden. 15. Welche Schlüsse zieht der Senat aus dem tragischen Tod von Jamal M. und welche Maßnahmen wird er ergreifen, um zukünftig einen solchen Todesfall zu vermeiden? Drucksache 21/13787 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Der zuständigen Behörde liegen keine Erkenntnisse zu den Hintergründen des Suizids vor. Gleichwohl hat sie diesen Einzelfall gründlich untersucht und festgestellt, dass alle rechtlichen Vorgaben (vergleiche auch § 60a Absatz 2c und 2d Aufenthaltsgesetz (AufenthG)) eingehalten wurden. Es wurden auch alle vorliegenden medizinischen Erkenntnisse vollumfänglich berücksichtigt und mit einer durchgängigen ärztlichen Begleitung von der Unterbringung bis zur Ankunft in Afghanistan sowie der nachgehenden Betreuung durch die International Organization for Migration (IOM) alle leistbaren Maßnahmen auch im Sinne des Betroffenen getroffen. Die zuständige Behörde ist sich ihrer besonderen Verantwortung, insbesondere im Hinblick auf zwangsweise durchgeführte Rückführungsmaßnahmen, bewusst. Die zuständige Behörde hat alle ihr möglichen Maßnahmen ergriffen, um im Sinne des Betreffenden eine sichere Rückführung nach Afghanistan zu ermöglichen.