BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13879 21. Wahlperiode 03.08.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 26.07.18 und Antwort des Senats Betr.: Immer wieder kommt es zu erschütternden Taten – Werden Opfer von Beziehungsgewalt in Hamburg ausreichend geschützt? Mitte April erschütterte der grausame Doppelmord am Jungfernstieg ganz Hamburg. Der Tat, die nach wie vor fassungslos macht, gingen Medienberichten zufolge Beleidigungen und Bedrohungen voraus. Das Opfer erstattete Anzeige, die Polizei führte bei dem mutmaßlichen Täter eine Gefährderansprache durch; er durfte sich dem Wohnhaus nicht mehr nähern. Anfang Juli soll ein 44-jähriger Vater in Hamburg-Billstedt auf seine Tochter eingeschlagen und sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben, weil sie einen Freund hat. Nach Auskunft von Nachbarn hatte es in dem Haus schon häufiger Ärger gegeben – sogar von einer Messerstecherei ist dabei die Rede. Dies sind nur zwei traurige Beispiele von Beziehungsgewalt, auch „häusliche Gewalt“ genannt. Beziehungsgewalt ist kein eigener Straftatbestand; sie kann sich jedoch in vielen verschiedenen Straftaten wie Körperverletzungen, Bedrohungen, Stalking oder sogar Tötungsdelikten äußern. Dabei stellen Tötungsdelikte oftmals den Endpunkt einer gewalttätigen Entwicklung dar. Insbesondere latent gewaltbereite frühere Partner des Opfers begründen eine besondere Gefahr. Mit der folgenden Definition werden bei der Polizei Hamburg Phänomene wie häusliche Gewalt, familiäre Gewalt, Gewalt in engen sozialen Bindungen, Stalking sowie Dynamik von Eskalationsprozessen im Kontext von Beziehungsgewalt , Gewalt in der professionellen/familiären Pflege unter einem Oberbegriff zusammengefasst: „Beziehungsgewalt ist immer dann gegeben, wenn der Auslöser einer Tat in der jeweiligen Beziehung selbst liegt. Beziehungsgewalttaten sind von jenen Taten abzugrenzen, bei denen die Beziehungsnähe lediglich Gelegenheit zur Tat war und das Opfer austauschbar ist“ (Dynamik von Eskalationsprozessen im Kontext von Beziehungsgewalt – Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung – Simone Rabitz-Suhr, Landeskriminalamt Hamburg, 2010.) Die beiden oben genannten traurigen Beispiele zeigen die Brisanz, die im Bereich der Beziehungsgewalt zutage tritt. Umso wichtiger ist es, dass Opfer bestmöglich geschützt werden, sowohl durch Hilfsangebote als auch durch die Strafverfolgungsbehörden. Die Bearbeitung derartiger Fälle stellt hohe Anforderungen an die Polizei, Staatsanwaltschaft und unsere Justiz insgesamt . Drucksache 21/13879 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die Polizei hat gemäß § 12b SOG die Möglichkeit, eine gewalttätige Person aus der Wohnung zu verweisen und ihr das Betreten der Wohnung für zunächst zehn Tage zu verbieten; eine Verlängerung des Verbots erfolgt, wenn das Opfer in dieser Zeit die Überlassung der gemeinsamen Wohnung nach dem Gewaltschutzgesetz beantragt. Opfer können außerdem gerichtlich anzuordnende Schutzmaßnahmen beantragen, zum Beispiel Näherungsund Belästigungsverbote. Bei der Staatsanwaltschaft Hamburg gibt es Sonderdezernate, die unter anderem für Verfahren im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt/Beziehungsgewalt zuständig sind. Schließlich stehen Opfern Frauenhäuser, der Kinder- und Jugendnotdienst und weitere Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Verfügung. Die Auslastungsquote aller Frauenhäuser lag im Jahre 2017 bei durchschnittlich 92,11 Prozent, Drs. 21/13481. Es stellt sich die Frage, ob die vorhandenen Angebote und Maßnahmen ausreichen . Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die vom Anfragenden zitierte Definition „Beziehungsgewalt“ ist nicht mehr aktuell. Sie wurde Mitte 2016 vom Landeskriminalamt Hamburg an geänderte Phänomenologie und Erfordernisse des Vollzugs angepasst und durch die nachstehende Definition ersetzt. Für die Polizei liegt Beziehungsgewalt vor, wenn eine Person in einer (bestehenden oder aufgelösten) familiären, partnerschaftlichen oder auch nur einseitigen Beziehung in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität verletzt oder gefährdet wird. Der Auslöser der Tat muss durch bestehende emotionale Bindungen in der jeweiligen Beziehung selbst liegen und darf nicht ausschließlich zur Erlangung eines materiellen oder rechtlichen Vorteils dienen. Polizeiliche Maßnahmen verfolgen das Ziel, zunächst die akute Gewaltsituation zu beenden, für das Opfer zum Beispiel durch Wegweisung des Täters einen geschützten Raum zu schaffen, an anschließende Hilfs- und Unterstützungsangebote zu vermitteln und die Beweissicherung für das Strafverfahren zu führen. Im Mittelpunkt von „intervento – proaktive Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt und Stalking“ (intervento) steht die Zusammenarbeit mit der Polizei Hamburg. Diese weist bei Einsätzen aufgrund von häuslicher Gewalt und bei Stalking durch nahestehende Personen die Betroffenen auf die Unterstützungsmöglichkeit von intervento hin. Sind die Betroffenen einverstanden, nimmt intervento aktiv Kontakt zu ihnen auf und bietet Krisenintervention beziehungsweise Unterstützung, um Schutz vor weiterer Gewalt gegenüber den Betroffenen und gegebenenfalls ihrer Kinder zu erreichen. Zu den Beratungskontexten gehört auch die Beratung beziehungsweise Information darüber , die Rechte nach dem Gewaltschutzgesetz wahrzunehmen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie hat sich die Anzahl der Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz seit dem Jahre 2015 in Hamburg entwickelt? Wie viele Anordnungen wurden jeweils erlassen? Bitte jahresweise sowie für das erste Halbjahr 2018 angeben. Eine statistische Erfassung der genannten Maßnahmen erfolgt innerhalb eines Jahres erst, wenn das familiengerichtliche Verfahren insgesamt erledigt ist. Mithin ist die Aufzählung zumindest für das Jahr 2018, gegebenenfalls auch für die übrigen Jahre, noch nicht abschließend. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13879 3 Anordnungen 2015 2016 2017 2018 (1. HJ) Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gem. § 1 GewSchG 1.367 1.427 1.325 692 Wohnungsüberlassung gem. § 2 GewSchG 379 383 349 168 2. Wie hat sich die Anzahl der Wegweisungen und Betretungsverbote seit dem Jahre 2015 jeweils jährlich bis 30. Juni 2018 entwickelt? 3. Wie hat sich die Anzahl der Aufenthaltsverbote anlässlich einer Straftat im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt/Beziehungsgewalt seit dem Jahre 2015 jährlich bis 30. Juni 2018 entwickelt? Statistiken im Sinne der Fragestellungen werden bei der Polizei nicht geführt. Zur Beantwortung der Fragen wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums bei der Polizei erforderlich. Die Auswertung von mehreren Zehntausend Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 4. Wie hat sich die Anzahl der Eingänge von Verfahren im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt/Beziehungsgewalt in den Sonderdezernaten bei der Staatsanwaltschaft Hamburg seit dem Jahre 2012 jährlich bis 30. Juni 2018 entwickelt? Bitte pro Jahr differenziert nach Dezernaten, die von Staatsanwälten und Dezernaten, die von Amtsanwälten bearbeitet werden, darstellen. 5. Wie hat sich die Anzahl der Dezernenten, die in den Sonderdezernaten für Verfahren im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt/Beziehungsgewalt eingesetzt sind, seit dem Jahre 2012 entwickelt? Bitte Stellen-Soll und Besetzungsumfang jeweils zum 1. Januar eines Jahres angeben. Beziehungsgewaltdelikte werden bei der Staatsanwaltschaft Hamburg entsprechend der Jahresgeschäftsverteilung in Sonderdezernaten der Hauptabteilung II bearbeitet. Hierbei handelt sich um folgende Straftaten: a) Vergehen wegen Zwangsheirat (§ 237 StGB), Nachstellung (§ 238 StGB) und Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz (§ 4 GewSchG) sowie Strafsachen im Zusammenhang mit Beziehungsgewalt und Verbrechen in diesem Zusammenhang, b) weitere in den Zuständigkeitsbereich der Amtsanwaltschaft fallende Strafsachen sowie besonders zugeschriebene Verfahren, die jeweils im Zusammenhang mit Beziehungsgewalt stehen. Strafsachen im Zusammenhang mit Beziehungsgewalt liegen immer dann vor, wenn der Auslöser einer Tat in der jeweiligen Beziehung selbst liegt und die sachbearbeitende Polizeidienststelle die Bearbeitung des Verfahrens im staatsanwaltschaftlichen Sonderdezernat für erforderlich erachtet. Verfahren im Kontext mit Beziehungsgewalt werden aber auch in anderen Abteilungen der Staatsanwaltschaft bearbeitet, so im Bereich der für Tötungsdelikte zuständigen Abteilung 66 (Hauptabteilung VI), den Jugendschutzabteilungen im Dezernat der Jugendschutzsachen der Hauptabteilung IV sowie in der Abteilung 72 (Hauptabteilung VII), in der die Verfahren wegen Sexualstraftaten bearbeitet werden. Die Zahl der Eingänge von Verfahren im Zusammenhang mit Beziehungsgewalt aus dem Bereich der Hauptabteilung II wurde den jeweiligen Controllingberichten der Aktenzeichenjahrgänge entnommen und stellt sich wie folgt dar: Kalenderjahr Anzahl der Verfahren in den Dezernaten „Beziehungsgewalt“ der Hauptabteilung II 2012 4.077 2013 3.978 2014 4.298 2015 4.386 2016 4.899 Drucksache 21/13879 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Kalenderjahr Anzahl der Verfahren in den Dezernaten „Beziehungsgewalt“ der Hauptabteilung II 2017 5.680 2018 (bis 31.05.2018) 2.535 Dabei wurden und werden die unter a) genannten Verfahren seit 2012 unverändert von den Abteilungsleitern der fünf Amtsanwaltsabteilungen je mit einem Anteil von 25 Prozent ihres Dezernates bearbeitet. Die unter b) genannten Verfahren wurden von 2012 bis 2017 von je einem Dezernenten jeder Abteilung mit einem Dezernatsanteil von jeweils 50 Prozent im Sonderdezernat bearbeitet; die Dezernenten sind Amtsanwälte . Im Hinblick auf die erheblich gestiegenen Eingangszahlen in den amtsanwaltlichen Dezernaten wurde seit Jahresbeginn 2018 dieser Anteil auf 60 Prozent erhöht. Die Dezernate sind bei Wechsel oder Ausscheiden eines Sonderdezernenten sofort wieder besetzt worden. 6. Gibt es bei der Polizei Hamburg spezielle Zuständigkeiten für Anzeigen/ Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt/Beziehungsgewalt ? Falls ja, welche, wo sind diese angesiedelt und wie ist die personelle Ausstattung? Die Sachbearbeitung erfolgt bei den Sachgebieten Beziehungsgewalt der acht regionalen Kriminalkommissariate im Landeskriminalamt (LKA 1 – Regionale Kriminalitätsbekämpfung ). Die Zuständigkeit richtet sich nach dem Wohnort des Opfers. Die Sachbearbeiter des LKA 1 sind einem Personalpool zugeordnet, aus dem sich keine Zugehörigkeit zu einem speziellem Sachgebiet oder einer Tätigkeit/Funktion ableiten lässt. Zur Benennung der einzelnen Sachgebieten zur Verfügung stehende Personalkapazität , die sich aus den Stellen, freien Stellenanteilen sowie dem Fremdnutzungssaldo ergibt, wäre die händische Auswertung mehrerer Hundert Personalakten erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 7. Welche Erkenntnisse über das Ausmaß von Gewalttätigkeiten in Nähebeziehungen liegen den zuständigen Behörden vor? Wie hat sich die Anzahl der erfassten Straftaten, bei denen das Opfer mit dem Täter verwandt oder bekannt ist, seit dem Jahre 2012 jährlich bis 30. Juni 2018 entwickelt? Die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ist auf Jahresauswertungen ausgelegt. Innerhalb eines Berichtsjahres unterliegt der PKS-Datenbestand einer ständigen Pflege, zum Beispiel durch Hinzufügen von nachträglich ermittelten Tatverdächtigen oder der Herausnahme von Taten, die sich im Nachhinein nicht als Straftat erwiesen haben. Zur begrenzten Aussagekraft unterjähriger Daten in diesem Zusammenhang siehe Drs. 16/4616. Daten zu Opfern werden in der PKS nur bei Delikten erfasst, für die im Straftatenkatalog eine Opfererfassung vorgesehen ist. Nach den aktuellen bundeseinheitlich geltenden PKS-Richtlinien betrifft dies grundsätzlich Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre, sexuelle Selbstbestimmung ). Im Gegensatz zur „Echttäterzählung“ der Tatverdächtigen in der PKS handelt es sich bei der Opfererfassung um sogenannte Opferwerdungen, das heißt, wenn eine Person im Laufe eines Jahres mehrfach Opfer von Straftaten geworden ist, wird sie auch mehrfach in der PKS erfasst. Daten zum Opfer werden nicht auf Basis der Fälle, sondern auf Basis der Erfassungen der Opferwerdungen ausgewertet. Eine Verknüpfung mit Fallzahlen ist nicht möglich. Bei den Opferdaten wird auch das Merkmal Opfer-Tatverdächtigenbeziehung („verwandt/bekannt“) erfasst. Siehe hierzu Anlage 1. Die Daten der in Anlage 1 aufgeführten Delikte erfassen dabei nicht nur Delikte, die in Paarbeziehungen entstehen, sondern alle Delikte, in denen zwischen Täter und Opfer vor der Tat ein Bekanntschaftsverhältnis bestand. Das kann auch im Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer, in Nachbarschaftsbekanntschaften und Ähnlichen begründet sein. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13879 5 Im Übrigen siehe Drs. 20/10994. Im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft wird statistisch nicht erfasst, ob Täter und Opfer verwandt oder miteinander bekannt sind. Eine Erfassung des Ausmaßes der Gewalt erfolgt nicht, da dieses in den einzelnen Verfahren unterschiedlich und individuell zu betrachten ist. Generelle Erkenntnisse über eine Veränderung/Anstieg der Gewalt oder Abnehmen der Gewalt liegen nicht vor. Hinsichtlich der Anzahl der in der Hauptabteilung II erfassten Verfahren wird auf die Antwort zu 4. und 5. verwiesen. 8. Wie viele Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach § 4 GewSchG wurden seit dem Jahre 2012 jährlich bis 30. Juni 2018 registriert? Die statistische Erfassung eines Falles erfolgt nach den Richtlinien für die Führung der PKS mit Abschluss aller polizeilichen Ermittlungen durch die für die Endbearbeitung zuständige Dienststelle bei endgültiger Abgabe der entstandenen Ermittlungsvorgänge beziehungsweise des Schlussberichts an die Staatsanwaltschaft oder das Gericht. Straftaten im Sinne der Fragestellung werden unter dem PKS-Schlüssel 720011 erfasst. Im Übrigen siehe Anlage 2. Vom 1. Januar 2012 bis zum 30. Juni 2018 wurden in der Hauptabteilung II wegen des Verdachts einer Straftat gemäß § 4 GewaltSchG im Vorgangsverwaltungs- und -bearbeitungssystem MESTA folgende Anzahl von Verfahren erfasst: Aktenzeichenjahr Anzahl Js-Verfahren Anzahl Beschuldigte 2012 192 198 2013 407 416 2014 482 499 2015 396 405 2016 501 507 2017 541 551 2018 (1. HJ) 267 268 Alle Angaben stehen unter dem Vorbehalt der vollständigen und richtigen Erfassung in MESTA. Es ist zu berücksichtigen, dass Verfahren aus dem Jahr 2012 angesichts der Aufbewahrungsbestimmungen teilweise schon vernichtet und die Daten gelöscht sind. 9. Wie beurteilen Senat beziehungsweise zuständige Behörden die Entwicklung der im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt/Beziehungsgewalt stehenden Straftaten der letzten Jahre? Die Anzahl der von in der PKS erfassten Fälle von Beziehungsgewalttaten sowie von Straftaten nach § 4 Gewaltschutzgesetz ist seit 2012 unbeständig, in den Jahren 2016 und 2017 zeigt sich in einigen Deliktsbereichen ein Anstieg, für den Ursachen derzeit nicht benannt werden können. Die Anzahl der erfassten Nachstellungen ist rückläufig. Die Entwicklung der im Zusammenhang mit Häuslicher Gewalt/Beziehungsgewalt stehenden Straftaten ist dabei stets auch abhängig von der Anzeigebereitschaft des Opfers. Bei Beziehungsgewalt handelt es sich häufig um einen Komplex körperlicher, sexualisierter und psychischer Gewalt. Die verschiedenen Gewaltformen stehen nicht separat nebeneinander, sondern greifen ineinander. Meist liegen mehrere Gewaltformen vor. Beziehungsgewalt bedeutet eine komplexe bedrohliche und demütigende Gesamtsituation für die Betroffenen. a. Inwiefern sind neuartige Erscheinungsformen dazugekommen? Neuere Entwicklungen zeigen sich insbesondere im Deliktsbereich Nachstellung (Stalking). Cyberstalking ist inzwischen ein weit verbreitetes Phänomen. Dazu gehören das anonyme Versenden von E-Mails, das Ausspähen oder Unterbrechen von E-Mail-Kommunikation, das Einschleusen von Viren, die Nutzung der Online-Identität in sozialen Netzwerken oder die Bestellung von unerwünschten Waren. Neue Erscheinungsformen liegen insbesondere in der gestiegenen Nutzung digitaler Medien im Bereich der Nachstellung (§ 238 StGB) sowie bei dem Verstoß gegen das Kun- Drucksache 21/13879 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 sturhebergesetz. So werden etwa unter dem angeblichen Account von Geschädigten oder unter Fake-Accounts nicht autorisierte Mitteilungen/Aufrufe/Fotos/Videos verteilt und an Mailadressen oder Accounts von Bekannten/Freunden/Verwandten/Arbeitskollegen des Opfers versandt. Im Bereich der für die Bearbeitung von Jugendschutzsachen zuständigen Abteilungen wurde beobachtet, dass Tatausführungen wie eingetretene Verletzungen sich nicht wesentlich verändert haben. In der (breiten) Phänomenologie der Tötungsdelikte in Nähebeziehungen sind in den letzten Jahren keine Erscheinungsformen hinzugetreten, die es vorher noch nicht gegeben hätte. Es war allerdings zu beobachten, dass sich die (tödliche) Gewalt in einzelnen Fällen (auch) gegen ein gemeinsames Kind gerichtet hat. b. Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen die Strafverfolgungsbehörden ? Maßnahmen der Polizei alleine sind nicht ausreichend; zur Beendigung von häuslicher Gewalt/Beziehungsgewalt sind überbehördliche und einzelfallbezogene Zusammenarbeit sowie gleichzeitige psychosoziale Unterstützung aller von häuslicher Gewalt Betroffenen unabdingbar. Besondere Herausforderungen ergeben sich für die Polizei in der Beurteilung des konkreten Einzelfalls. Dieses kann sich zum Beispiel in einer nicht vorhersehbaren Gewaltreaktion des Täters als auch in einem Rückzugsverhalten der Anzeigenden und Geschädigten gegenüber der Polizei widerspiegeln. Im Einzelfall erschwert dies die Beurteilung, inwieweit Sofortmaßnahmen zu treffen sind. Die Polizei verfolgt dabei das Ziel, Gewalttaten möglichst frühzeitig zu erkennen und notwendige Sofortmaßnahmen zu treffen, um potenziellen Opfern so ein Höchstmaß an Schutz bieten zu können. Anzeigen erfolgen häufig so spät, dass Nachweise insbesondere wegen Nachstellung mittels digitaler Medien nicht mehr zu führen sind. Die Absender sind zwar zu erahnen , ein Nachweis ist aber nicht mehr möglich. Eine besondere Herausforderung stellt der Umstand dar, dass die Opfer häufig nach anfänglicher Anzeige und Aussage von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO Gebrauch machen. Soweit keine anderen Beweismittel vorliegen, ist unter diesen Umständen ein Tatnachweis nicht zu führen. Eine besondere Schwierigkeit besteht zudem darin, die möglicherweise auch tödliche Potenzialität von Gewalttätigkeiten in Nähebeziehungen rechtzeitig zu erkennen und ihr effektiv zu begegnen. Entsprechend wird die Bearbeitung durch Sonderdezernenten für sehr effektiv gehalten. Die Polizei begegnet den genannten komplexen Herausforderungen im Rahmen grundsätzlich möglicher Intervention insgesamt erfolgreich, proaktiv und opferorientiert – unter anderem mit Ermittlungen durch speziell fortgebildete Beziehungsgewaltsachbearbeiter in den Kriminalkommissariaten. Soweit geboten erfolgen durch einschreitende Polizeibeamte unter anderem Wegweisungen mutmaßlicher Täter aus der gemeinsamen Wohnung, Aufenthaltsverbote und die aufsuchende Einschaltung des Trägers intervento zum weiteren Schutz und zur weiteren Beratung der Opfer, wenn diese einverstanden sind. Im Übrigen siehe auch Antwort zu 9. a. 10. Wie beurteilt die zuständige Behörde Arbeit und Auslastung der Sonderdezernate häuslicher Gewalt/Beziehungsgewalt bei der Staatsanwaltschaft Hamburg? Inwiefern ist eine Aufstockung geplant? Die Entwicklung der Arbeitsauslastung der Sonderdezernenten der Hauptabteilung II wird im regelmäßigen Austausch mit der Staatsanwaltschaft beobachtet. So wurde seit Jahresbeginn 2018 im Hinblick auf die gestiegenen Eingangszahlen in den amtsanwaltlichen Dezernaten der auf diese Verfahren anzurechnende Arbeitsanteil von 50 Prozent auf 60 Prozent erhöht. 11. Wie beurteilt die zuständige Behörde die Auslastung der Frauenhäuser? Inwiefern ist eine Ausweitung der Plätze geplant? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13879 7 Siehe Drs. 20/10994, Drs. 21/5584 sowie Drs. 21/13850. 12. Welche ergänzenden Maßnahmen halten die zuständigen Behörden für die Bekämpfung der häuslichen Gewalt/Beziehungsgewalt für notwendig ? In Ergänzung zu den von der Polizei durchgeführten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung vermittelt die Polizei Opfer an das Hamburger Hilfenetzwerk. Die bestehenden Maßnahmen innerhalb der Staatsanwaltschaft werden betreffend der Strafverfolgung als zielführend und effektiv erachtet. Neben unterstützenden Hilfsangeboten für Opfer sollte zukünftig ein weiterer Fokus auf die Weiterentwicklung von Hilfsangeboten für Gewaltausübende (sogenannte Täterarbeit) gelegt werden. Auf Grundlage eines Übereinkommens des Europarats entwickelt die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration derzeit ein entsprechendes Konzept, welches vonseiten der Polizei ausdrücklich unterstützt wird. Der Senat hat auf Unterstützungsangebote und Perspektiven für von Gewalt betroffene oder bedrohte Frauen bereits mehrfach hingewiesen, zuletzt in Drs. 21/13850. Der Senat hat sich zudem in seinem Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege zur Förderung beziehungsweise der Organisation von Öffentlichkeitskampagnen verpflichtet. Siehe Drs. 20/10994 und Drs. 21/7706. Aus Anlass des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2017 hat der Hamburger Senat die erste Ermutigungskampagne Deutschlands gestartet , die aktuell zwei Auszeichnungen erhielt. Drei Frauen erzählen ihre Geschichte und machen Betroffenen Mut, den Ausweg aus einer gewalttätigen Partnerschaft zu gehen. Nähere Informationen siehe: https://www.hamburg.de/opferschutz/9908842/ opferschutzkampagne-aus-weg/. Diese Ansätze wird der Senat fortführen. Anzahl Opfer von Gewalttätigkeiten in Nähebeziehungen Opfer und Täter verwandt bzw. bekannt PKS- Schlüssel Delikt Anzahl 010000 Mord, § 211 StGB 10 020000 Totschlag/Tötung auf Verlangen, §§ 212, 213, 216 StGB 43 030000 Fahrlässige Tötung, § 222 StGB 8 111000 Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff in besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge, §§ 177, 178 StGB 121 220000 Körperverletzung insgesamt, §§ 223-227, 229, 231 StGB 12.042 232300 Bedrohung, § 241 StGB 2.393 232400 Nachstellung (Stalking), § 238 StGB 582 2013 PKS- Schlüssel Delikt Anzahl 010000 Mord, § 211 StGB 11 020000 Totschlag/Tötung auf Verlangen, §§ 212, 213, 216 StGB 31 030000 Fahrlässige Tötung, § 222 StGB 9 111000 Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff in besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge, §§ 177, 178 StGB 115 220000 Körperverletzung insgesamt, §§ 223-227, 229, 231 StGB 11.831 232300 Bedrohung, § 241 StGB 2.525 232400 Nachstellung (Stalking), § 238 StGB 561 2014 PKS- Schlüssel Delikt Anzahl 010000 Mord, § 211 StGB 6 020000 Totschlag/Tötung auf Verlangen, §§ 212, 213, 216 StGB 32 030000 Fahrlässige Tötung, § 222 StGB 5 111000 Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff in besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge, §§ 177, 178 StGB 94 220000 Körperverletzung insgesamt, §§ 223-227, 229, 231 StGB 11.803 232300 Bedrohung, § 241 StGB 2.585 232400 Nachstellung (Stalking), § 238 StGB 535 Drucksache 21/13879 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 8 Anlage 1 2015 PKS- Schlüssel Delikt Anzahl 010000 Mord, § 211 StGB 11 020000 Totschlag/Tötung auf Verlangen, §§ 212, 213, 216 StGB 31 030000 Fahrlässige Tötung, § 222 StGB 24 111000 Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff in besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge, §§ 177, 178 StGB 93 220000 Körperverletzung insgesamt, §§ 223-227, 229, 231 StGB 11.498 232300 Bedrohung, § 241 StGB 2.318 232400 Nachstellung (Stalking), § 238 StGB 460 2016 PKS- Schlüssel Delikt verwandt/ bekannt 010000 Mord, § 211 StGB 13 020000 Totschlag/Tötung auf Verlangen, §§ 212, 213, 216 StGB 38 030000 Fahrlässige Tötung, § 222 StGB 11 111000 Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff in besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge, §§ 177, 178 StGB 92 220000 Körperverletzung insgesamt, §§ 223-227, 229, 231 StGB 12.118 232300 Bedrohung, § 241 StGB 2.268 232400 Nachstellung (Stalking), § 238 StGB 365 2017 PKS- Schlüssel Delikt Anzahl 010000 Mord, § 211 StGB 20 020000 Totschlag/Tötung auf Verlangen, §§ 212, 213, 216 StGB 28 030000 Fahrlässige Tötung, § 222 StGB 21 111000 Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff in besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge, §§ 177, 178 StGB 197 220000 Körperverletzung insgesamt, §§ 223-227, 229, 231 StGB 11.344 232300 Bedrohung, § 241 StGB 2.295 232400 Nachstellung (Stalking), § 238 StGB 357 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13879 9 Januar bis Juni 2018 PKS- Schlüssel Delikt Anzahl 010000 Mord, § 211 StGB 9 020000 Totschlag/Tötung auf Verlangen, §§ 212, 213, 216 StGB 12 030000 Fahrlässige Tötung, § 222 StGB 2 111000 Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff in besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge, §§ 177, 178 StGB 74 220000 Körperverletzung insgesamt, §§ 223-227, 229, 231 StGB 5.312 232300 Bedrohung, § 241 StGB 1.160 232400 Nachstellung (Stalking), § 238 StGB 192 Drucksache 21/13879 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 10 Jahr erfasste Fälle absolut in % Fälle in % 2012 376 375 99,7% 2013 493 117 31,1% 493 100,0% 2014 537 44 8,9% 537 100,0% 2015 519 -18 -3,4% 517 99,6% 2016 497 -22 -4,2% 497 100,0% 2017 526 29 5,8% 522 99,2% 1. Hj. 2018 213 213 100,0% Straftaten gemäß § 4 Gewaltschutzgesetz (PKS 720011) Zu- Abnahme Aufklärung Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13879 11 Anlage 2 13879ska_Text 13879ska_Anlagen 13879ska_Antwort_Anlage1 Tabelle1 13879ska_Antwort_Anlage2 Tabelle1