BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13887 21. Wahlperiode 03.08.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 26.07.18 und Antwort des Senats Betr.: Fixierungen von Patienten in geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen Die 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung eines Patienten stellt einen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 i.V.m. Artikel 104 GG) dar. Bei der 5-Punkt- Fixierung werden sämtliche Gliedmaßen des Betroffenen mit Gurten, einschließlich eines Bauchgurts, am Bett festgebunden. Die 7-Punkt-Fixierung beschreibt, dass der Betroffene am Krankenbett mit Gurten an beiden Armen, beiden Beinen sowie um Bauch, Brust und Stirn an das Bett angebunden wird. Die 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung ist gerade darauf gerichtet, dem Betroffenen auf seinem Krankenbett jegliche Bewegungsmöglichkeit zu entziehen. Im Besonderen wird die Intensität dieser Fixierungen dadurch gesteigert, dass überwiegend Menschen davon betroffen sind, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung die Nichtbeachtung ihres Willens besonders intensiv empfinden. Des Weiteren ergibt sich angesichts längerdauernder Immobilisation – selbst bei sachgemäßer Durchführung einer Fixierung – das Risiko von Gesundheitsschäden wie einer Venenthrombose oder einer Lungenembolie . Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Entscheidung vom 24. Juli 2018 die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Fixierung von Patienten in der öffentlich -rechtlichen Unterbringung präzisiert. Nach § 18 HmbPsychKG (Fixierung) darf unter anderem eine Fixierung grundsätzlich nur nach eigener Untersuchung durch eine Ärztin/einen Arzt befristet und, sofern kein die Freiheit weniger einschränkendes Mittel eingesetzt werden kann, angeordnet werden. Die fixierte Person ist an Ort und Stelle ständig in geeigneter Weise persönlich zu betreuen. Art, Beginn und Ende einer Fixierung, die Gründe für die Anordnung und die Art der ständigen Betreuung sowie eine Nachbesprechung sind zu dokumentieren. Die zuständigen Behörden prüfen derzeit, ob und welcher gesetzlicher Nachbesserungsbedarf besteht, in Bezug auf die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Pflicht der behandelnden Ärztinnen und Ärzte, den Betroffenen nach Beendigung der Fixierung auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine gerichtliche Überprüfung herbeizuführen sowie in Bezug auf einen Richtervorbehalt bei einer 5- und 7-Punkt-Fixierung. Die zuständige Behörde hat die betreffenden Krankenhäuser am 25. Juli 2018 unverzüglich über das Urteil informiert und sie mit vorläufigen Handlungsempfehlungen versorgt . Als einziges Bundesland erfasst die Freie und Hansestadt Hamburg die Zahlen zu Fixierungen, Isolierungen, Zwangsmedikation und Videobeobachtung bei Unterbringungen gemäß dem Hamburgischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei Drucksache 21/13887 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 psychischen Krankheiten (HmbPsychKG) seit 2014 systematisch und veröffentlich diese in entsprechenden Drucksachen (vergleiche Drs. 21/1580 und 21/10976). Die Krankenhäuser nutzen die Erhebung als Qualitätsinstrument. Die Zahlen sind auch Gegenstand in den durch die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz durchgeführten jährlichen Aufsichtsgesprächen. Die zuständige Behörde ist der Auffassung, dass die Hamburger Krankenhäuser zurückhaltend und in hoher Verantwortlichkeit mit Zwangsmaßnahmen umgehen. Auf Zwangsmaßnahmen kann in diesem Bereich nicht gänzlich verzichtet werden, wie auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 26. Juli 2016 erneut festgestellt hat. Dieses ist sowohl zum Schutz der betroffenen Patientinnen beziehungsweise Patienten, der Mitpatientinnen und -patienten sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen in besonderen Fällen eine notwendige und unvermeidliche Maßnahme. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen auf der Grundlage von Informationen der einzelnen Krankenhäuser mit Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychiatrie und Psychotherapie wie folgt: 1. Wie viele Fälle von 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung von Patienten wurden seit dem Jahr 2010 in Hamburger Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrien durchgeführt? Bitte nach Psychiatrien und Jahren differenzieren . § 18 HmbPsychKG sieht eine derartige Differenzierung nach Fixierungsmethoden nicht vor. Auch die Quartalsmeldungen der Krankenhäuser zur Erfassung von Zwangsmaßnahmen (siehe Vorbemerkung) beinhaltet diese Differenzierung nicht. Die Dokumentation der einzelnen Maßnahmen ist Teil der jeweiligen Krankenakte. Zur Beantwortung der Frage müssten die Krankenhäuser alle Krankenakten von behandelten Fällen in der Kinder‐und Jugendpsychiatrie und Psychiatrie und Psychotherapie händisch auswerten. Von 2010 bis 2017 wurden 192.908 psychiatrische Fälle in den Hamburger Plankrankenhäusern behandelt. Eine Auswertung ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich . Zur Gesamtzahl der Fixierungen von 2014 bis 2016 siehe im Übrigen die in der Vorbemerkung genannten Drucksachen. 2. Ist allen Fällen der Anordnung von 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung bei Patienten seit 2010 ein richterlicher Beschluss für die Fixierungen, also über die richterliche Unterbringungsanordnung hinaus, vorausgegangen oder im Nachhinein erteilt worden? Falls nein, aus welchem Grund und in wie vielen Fällen ist dies nicht geschehen? Nein. § 18 HmbPsychKG sieht dieses bisher nicht vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkung . 3. Was wird durch die Hamburger Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrien unternommen, um Fälle der 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung zu reduzieren? Wenn möglich, bitte nach Psychiatrien auflisten. Es werden regelmäßig Fortbildungen der multiprofessionellen Teams zum Beispiel in Deeskalationstrainings, Gesprächsführung und externe Supervisionen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchgeführt. Abgeschlossene und geplante bauliche Veränderungen in den geschützten Bereichen der Kliniken für Kinder‐ und Jugendpsychiatrie und Psychiatrie und Psychotherapie unterstützen die Bemühungen der Kliniken in diesem Bereich. Eine Abfrage bei den einzelnen Krankenhäusern ergab zusätzliche Angaben der folgenden Häuser: Asklepios Klinikum Harburg: Psychiatrie und Psychotherapie: Deeskalationstraining für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine Fixierung kann nur dann angeordnet werden, wenn im Sinne des Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13887 3 §12 HmbPsychKG eine Eigen- oder Fremdgefährdung des Patienten vorliegt oder eine betreuungsrechtliche Anordnung nach § 1906 BGB getroffen worden ist. Die Anordnung einer Fixierungsmaßnahme muss vom Arzt auf dem gesonderten Protokollbogen zeitlich befristet werden. Sollte eine Fixierung länger als zwölf Stunden dauern oder wird sie nach weniger als zwölf Stunden erneut angeordnet, so ist in jedem Fall die Zustimmung der ärztlichen Leitung oder dessen Vertretung einzuholen . Diese Zustimmung ist ebenfalls durch Namenskürzel und Namen in Druckschrift auf dem Bogen zu dokumentieren. Kinder- und Jugendpsychiatrie: Deeskalationstraining für alle Mitarbeiter. Regelmäßiges thematisieren von Deeskalations- und Zwangsmaßnahmen in den wöchentlichen Oberarztvisiten. Jährliche Fortbildungen der Chefärztin zum Thema. Asklepios Klinik Nord: Standort Ochsenzoll: Deeskalationstraining für alle Mitarbeiter. Einführung des Safe-Wards-Konzeptes seit 2017. Die Notwendigkeit einer Fixierung wird regelmäßig überprüft. Binnendifferenzierung der Aufnahmestation Psychiatrische Zentrale Notaufnahme (hochakut, subakut). Höhere Personalbesetzung der geschlossenen Stationen als der offenen Normalstationen. Standort Wandsbek: Deeskalationstraining für alle Mitarbeiter. Einführung des Safe-Wards-Konzeptes seit 2017. Die Notwendigkeit einer Fixierung wird regelmäßig überprüft. Umbau Time Out Raum. Erweiterung der geschlossenen Kapazitäten um eine weitere Station ab voraussichtlich September 2019. Asklepios Westklinikum Hamburg: Deeskalationstraining für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Einführung des Safe-Wards-Konzeptes. Die Notwendigkeit einer Fixierung wird regelmäßig überprüft . Beim Neubau für die geschlossene Station wurde ein Time out Raum geschaffen (Farbgebung, leichte Polsterung, Schaumstoffelemente). Der Garten bei Neubau größer angelegt, Basketball, Tischtennismöglichkeiten, unterschiedliche Rückzugsmöglichkeiten (2 TV-Räume, 2 Speiseräume) zum Trennen von angespannten Patienten. Schön Klinik Hamburg Eilbek: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten regelmäßig Deeskalationstrainings, werden regelmäßig für eine verständnisvolle Kommunikation sensibilisiert, um Frustration, Demütigungen, Missachtungen oder Kränkungen zu vermeiden, die Hauptauslöser für verbale oder tätliche Angriffe auf das Personal sein können. Sie begegnen allen Patientinnen und Patienten mit Respekt und auf Augenhöhe, machen klare Aussagen zu den Themen Ausgang, Entlassung und Rauchen. Sie werden regelmäßig intern und extern supervidiert und alle Patienten erhalten gegebenenfalls eine frühzeitige medikamentöse Behandlung. Albertinen-Krankenhaus: Patientenorientiertes Behandlungskonzept mit dem Ziel partizipativer Entscheidungsfindungen , Aufbau vertrauensvoller therapeutischer Beziehungen, Einbeziehung Angehöriger Behandlung durch ein multiprofessionelles Team (ärztliche Einzelgespräche , regelmäßige Facharztvisiten, Bezugspflege, Begleitung durch psychosozialen Dienst). Therapie- und Beschäftigungsangebote auf den Stationen (Ergotherapie, musik- und kunsttherapeutische Angebote, Sportangebote, Psychoedukation , Kochgruppe, Alltagstraining, Akkupunktur, QiGong). 14-tägige externe Supervision des multiprofessionellen Teams. Bei Bedarf Konsile durch das klinische Ethikkomitee. Regelmäßige Fortbildung aller Mitarbeiter, Deeskalationstraining (KDM). Seit Ende 2017 Fortbildung der Mitarbeiter zum „Safe-Wards- Konzept“; geplante Implementierung von Safe-Wards Anfang 2019. Kooperation mit Sicherheitsdienst. Patienten, die nach §12 HmbPsychKG oder §1906BGB untergebracht sind, werden über Ihre Rechte informiert (Möglichkeit des Widerspruchs gegen Unterbringungsbeschluss; Möglichkeit der Beschwerde bei der Aufsichtskommission gemäß §23 HmbPsychKG). Drucksache 21/13887 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 4. Ist der Senat der Auffassung, dass die Anzahl der in Rede stehenden Fixierungen mit einem Personalmangel in Hamburger Psychiatrien im Zusammenhang steht? Wenn ja, welche Maßnahmen ergreift der Senat allgemein zur Reduzierung und Vermeidung der 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung und im Speziellen zur Verbesserung der Personallage? Nein. Die Anforderungen nach dem HmbPsychKG führen im Fall der Fixierung im Gegenteil zu einem erhöhten Personalaufwand. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 1. 5. Wurden die unter Frage 1. genannten Fälle der 5-Punkt- oder 7-Punkt- Fixierung stets durch einen Arzt oder auch durch Pflegekräfte angeordnet ? Wenn die Anordnungen auch durch Pflegekräfte erfolgen: In wie vielen Fällen ist dies in den jeweiligen Jahren jeweils geschehen? Gemäß § 18 HmbPsychKG ist die Anordnung einer Fixierung grundsätzlich nur durch einen Arzt nach eigener Untersuchung zulässig. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 1. 6. Werden Betroffene der 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung während dieser Fixierung überwacht? Durch wen und auf welche Weise erfolgt eine Überwachung, sofern sie stattfindet? Ja, siehe Vorbemerkung. 7. Werden die Fälle der 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung dokumentiert? Falls nein, aus welchem Grund wird dies nicht getan? Ja, siehe Vorbemerkung. 8. Werden die Betroffenen nach Beendigung einer Fixierung auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit hingewiesen ? Falls dies nicht der Fall sein sollte, warum geschieht dies nicht? Nein. § 18 HmbPsychKG sieht dieses bisher nicht vor (siehe Vorbemerkung). Allerdings steht jedem Untergebrachten im Unterbringungsverfahren regelmäßig ein Verfahrenspfleger zur Seite. Auch hat der Untergebrachte jederzeit die Möglichkeit, sich an das zuständige Betreuungsgericht zu wenden.