BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13922 21. Wahlperiode 07.08.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 31.07.18 und Antwort des Senats Betr.: Überlastung der Justiz – Massiver Personalabbau in den Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaften und Gerichte geplant? Im Personalbericht 2018 (Drs. 21/13830) werden auf Seite 87 die Personalplanungen für den Bereich der Geschäftsstellen an Gerichten und Staatsanwaltschaften dargestellt. Demzufolge soll der Personalbestand des Geschäftsstellenpersonals bis zum Jahr 2025 um 339 Vollkräfte sinken. In Anbetracht der aktuellen Situation an Hamburgs Gerichten und Staatsanwaltschaften ist das nicht nur verwunderlich, sondern absolut nicht nachvollziehbar . Schließlich verkündete der Justizsenator noch am 13. März 2018: „(…) Die Herausforderungen für die Justiz wachsen. Wir müssen daher sicherstellen, dass der Rechtsstaat in alle Winkel der Gesellschaft reicht: oben, unten, rechts und links. Heute haben wir dafür mit einem beispiellosen Personalpaket einen wichtigen Grundstein gelegt. Mit insgesamt rund 170 Stellen seit 2015 erleben wir den größten Personalzuwachs seit 20 Jahren. Hamburg ist damit auf einem sehr guten Weg. (…)“ Bereits jetzt sind die Mitarbeiter auf den Geschäftsstellen vollkommen überlastet . Erst am 31. Mai 2018 ordnete die Behördenleitung der Staatsanwaltschaft an, „dass (...) die Aufgaben derart zu priorisieren sind, dass die Bearbeitung von Kosten- sowie BZR-Sachen zurückzustellen ist.“ In der Antwort auf meine Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/13467 erklärte der Senat dazu: „Rückstände in der Aktenbearbeitung sind durch Vakanzen auf verschiedenen Dienstposten, durch einen Anstieg der Eingangszahlen sowie durch Aufgabenmehrzuweisungen aufgelaufen. Die genannten Vakanzen wurden zum einen durch krankheitsbedingte Ausfälle, aber auch durch Wechsel von Bediensteten in andere Dienststellen verursacht.“ Weiter teilt der Senat dort auf die Frage nach der Beurteilung der Personalsituation auf den Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaft Hamburg hin mit: „Durch die Zuweisung neuer Stellen und die Einstellung entsprechender Mitarbeiter konnte eine weitere Verschärfung der Situation vermieden werden, da der Stellenabbau vergangener Jahre kompensiert worden ist. Vakante Stellen werden schnellstmöglich durch Neueinstellungen ausgeglichen, allerdings erweist sich die Einarbeitung von neu eingestellten Mitarbeitern weiterhin als arbeits- und zeitintensiv . Gleichzeitig sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Serviceeinheiten der StA in andere Dienststellen gewechselt.“ Auch in den Geschäftsstellen der Gerichte herrscht teilweise ein akuter Personalmangel , der dazu führt, dass sich Aktenberge auf den Fensterbänken stapeln. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Drucksache 21/13922 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Auf den demografischen Wandel und den Mangel an ausgebildeten Nachwuchskräften im mittleren Justizdienst hat der Senat seit Beginn dieser Legislaturperiode mit einer anwachsenden Ausbildungsinitiative reagiert. Die Anzahl der auszubildenden Justizfachangestellten und Justizsekretäre ist im Jahr 2016 auf 20 und im Jahr 2017 auf 40 gesteigert worden. Sie wird im Jahr 2018 eine Anzahl von 60 Jahrgangsanfängern – und jeweils versetzt ausgebildeten Nachwuchskräften – erreichen. Die zuständige Behörde geht vorläufig davon aus, dass mit diesem Volumen die Ausbildungskapazitäten der Hamburger Gerichte und Staatsanwaltschaften ausgeschöpft sind. Die Ausbildung in den Gerichtsdienststellen bindet erhebliche personelle Kapazitäten . Wie bereits in der Vergangenheit wird daher auch weiterhin ein Teil der frei werdenden Stellen nicht durch eigen ausgebildete Nachwuchskräfte, sondern durch externe Einstellungen besetzt werden müssen. Die Planung der zuständigen Behörde beinhaltet, dass die prognostisch im Personalbericht als negative Veränderungen des Vollkräftebestandes bezeichnete Zahl dem Umfang an Vollkräften (VK) entspricht, der durch externe Einstellungen bewältigt werden muss. Der Personalbericht 2018 enthält in einem jährlich aktualisierten Schema Prognosen für die Entwicklung des Personalkörpers. Dabei werden neben regulären Altersabgängen auch außerplanmäßige Abgänge einkalkuliert. Dafür wird jeweils die tatsächliche Quote des Vorjahres genutzt. Die für die zuständige Behörde zugrunde gelegte Quote von 5,1 Prozent aus 2017 stellt aber einen Ausreißer nach oben dar und entspricht nicht dem zu erwartenden Niveau der letzten Jahre (Dreijahresmittel: 3,04 Prozent). Mit einem Vierjahresmittelwert (3,55 Prozent) als realistischerem Planungswert ergibt sich ein Delta von 215 VK bis 2025. Das bedeutet nach den Prognosen der zuständigen Behörde einen Bedarf von im Schnitt 27 externen Einstellungen pro Jahr. Die zuständige Behörde ist zuversichtlich, ausreichend qualifizierte externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rekrutieren zu können. Die zur Deckung der künftig nicht durch die Ausbildungsinitiative befriedigten Personalbedarfe notwendigen externen Einstellungen liegen deutlich unter dem aktuellen Niveau. In den letzten drei Jahren wurden 194 externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, von denen gut zwei Drittel eine Justiz- oder verwandte Ausbildung (Rechtsanwalts-/Notarfach-Angestellte) mitbrachten . Um die Qualifikation des extern eingestellten Personals an das Hamburg-eigene Ausbildungsniveau anzugleichen, wird ab dem Jahr 2019 ein einjähriger Qualifizierungslehrgang an der Berufsschule angeboten, der überwiegend berufsbegleitend weiterqualifiziert . Daneben wurde das modulare Fortbildungsangebot bereits 2015 ausgeweitet und stetig an die Bedarfe der Dienststellen angepasst. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Auf welcher Grundlage wurde wann und von wem die Prognose des Personalbestands bis zum Jahre 2025 erstellt? 2. Wie rechtfertigt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde einen Rückgang der Vollkräfte des Geschäftsstellenpersonals bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften um 339 bis zum Jahr 2025? Siehe Vorbemerkung. 3. Allein bis zum Jahr 2020 wird es dem Personalbericht zufolge insgesamt 134 Vollkräfte beim Geschäftsstellenpersonal weniger geben. a. Wie beurteilt die zuständige Behörde die aktuelle Personalsituation in den Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften? Bitte detailliert erläutern. Siehe Vorbemerkung sowie Drs. 21/12135, 21/11835 und 21/10466. b. Geht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde von sinkenden Eingangszahlen a) bei den Staatsanwaltschaften und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13922 3 b) bei den Gerichten aus? Falls ja, auf welchen Annahmen basiert diese Einschätzung? Falls nein, wie soll der Geschäftsanfall mit 134 Vollkräften weniger bewältigt werden? Nein. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. c. Wie steht die Reduzierung von 134 Vollkräften im Einklang mit „dem größten Personalzuwachs der Hamburgischen Justiz“ von rund 170 Stellen seit 20 Jahren? d. Wie soll die Reduzierung um 134 Vollkräfte auf die einzelnen Gerichte/Staatsanwaltschaften verteilt werden? Siehe Vorbemerkung. 4. In der Drs. 21/10492 gibt der Senat an, dass im Jahre 2018 20 Auszubildende zu Justizsekretären, 20 Auszubildende zu Justizfachangestellten und 20 Auszubildende zu Rechtspflegern eingestellt werden. a. Wurde beziehungsweise wird dieses Ziel für das Jahr 2018 erreicht? Falls nein, in welchem Bereich aus welchen Gründen jeweils nicht? Aufgrund der inzwischen angehobenen Ausbildungskapazitäten wird das genannte Ziel überschritten. Für das Jahr 2018 werden folgende Auszubildende eingestellt: Rechtspfleger/Rechtspflegerinnen  20  Justizfachangestellte  20  Justizsekretäre/Justizsekretärinnen  40  b. Wie viele Auszubildende sollen jährlich 2019 und 2020 eingestellt werden? Bitte pro Ausbildungsberuf angeben. Einstellungen  Rechtspfleger/ Rechtspflegerinnen  Justizfachangestellte  Justizsekretäre/ Justizsekretärinnen 2019  20  20  40  2020  20  20  40  5. Die Zurückstellungsmaßnahme der Behördenleitung der Staatsanwaltschaft vom 31. Mai 2018 ist zunächst auf den Zeitraum bis zum 31. August 2018 begrenzt. a. Der Grund für die Zurückstellungsmaßnahme liegt darin, dass auf mehreren Dienstposten der Hauptabteilung 2, besonders in den Abteilungen 21, 23 und 24, Rückstände von bis zu zwei Monaten aufgelaufen sind. Wie ist der aktuelle Sachstand zur Abarbeitung der Rückstände in der Aktenbearbeitung? Durch die Unterstützung der eingesetzten Qualifizierten Einheitssachbearbeiter (QESB) BZR und Kosten sowie der Moderatoren konnten die Rückstände in den Abteilungen 23 und 24 zunächst bis zum 21. Juni 2018 weitgehend abgebaut werden. Seit dem 23. Juli 2018 hat sich die Belastungssituation in allen Abteilungen allerdings durch weitere Dienstabwesenheiten/Abgänge und die Urlaubszeit wieder etwas verschärft . Zum 1. August 2018 ergeben sich nunmehr folgende Rückstände im ESB-Bereich der Hauptabteilung II: Abteilung Rückstände ESB (Stand 01.08.2018) 20 Bis zu einer Woche 21 Bis zu 3 Wochen 22 keine 23 Eine Woche 24 Bis zu drei Wochen Drucksache 21/13922 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Insgesamt zeigt sich jedoch mit Blick auf die Erledigungszahlen der Hauptabteilung II im ersten Halbjahr 2018, dass mit 46.054 Verfahren mehr Verfahren erledigt wurden als eingegangen sind. Und das, obwohl mit 45.685 neuen Ermittlungsverfahren nochmals eine Eingangssteigerung zu verzeichnen war. b. Inwiefern ist bereits absehbar, ob eine Verlängerung der Zurückstellungsmaßnahme erforderlich ist? Die Maßnahme läuft bis zum 31. August 2018. c. Welche Erkenntnisse liegen der zuständigen Behörde darüber vor, wie die qualifizierten Einheitssachbearbeiter BZR und Kosten sowie die Moderatoren, die zur Abarbeitung der aufgelaufenen Rückstände herangezogen wurden, mit dieser qualitativ weniger anspruchsvollen Aufgabe umgehen? Wie ist dies mit dem Anspruch der Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung in Einklang zu bringen? Die Moderatoren und Qualifizierten Einheitssachbearbeiter Kosten und BZR führen die Unterstützungsmaßnahmen solidarisch und mit großem Engagement aus. Da die Qualifizierten Einheitssachbearbeiter (QESB) BZR auch bislang zu einem Teil Einheitssachbearbeitung übernommen haben, wird ihnen keine sachfremde oder unterqualifizierte Bearbeitung abverlangt. Die gilt auch für die QESB Kosten, zu deren üblichen Aufgabenspektrum auch die Erledigung von ESB-(Geschäftsstellen-) Tätigkeiten gehören. Anders als in den anderen Hauptabteilungen der Staatsanwaltschaft ist in der Hauptabteilung II aus organisatorischen Gründen der Großteil der QESB Kosten bisher allerdings nur in besonderen Ausnahmefällen mit diesen Aufgaben befasst gewesen. Auch für die Moderatoren (Teamleiter) ist die Übernahme von ESB-Aufgaben im Normalbetrieb bei entsprechenden Vertretungslagen ebenfalls selbstverständlich. Aufgrund dieser Sachlage können sämtliche betroffenen Mitarbeiter – insbesondere in Zeiten erheblicher personeller Engpässe – mit der Wahrnehmung der ESB-Aufgaben betraut werden. d. Wie hat sich die durchschnittliche Fehlzeitenquote in der Hauptabteilung II der Staatsanwaltschaft seit April 2018 monatlich entwickelt ? Bitte für Mitarbeiter auf den Geschäftsstellen und Dezernenten getrennt angeben. Durch Datenverarbeitungssysteme kann die Fehlzeitenquote nur bis zur Größe einer Kostenstelle heruntergebrochen ermittelt werden. Die Auswertung für einzelne Hauptabteilungen der Staatsanwaltschaft ist elektronisch nicht möglich. Daher ist eine Berechnung der monatlichen Fehlzeitenquote der Hauptabteilung II in der für die Beantwortung von Parlamentarischen Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, da die hierfür benötigten Daten für jede beziehungsweise jeden der derzeit Bediensteten der Hauptabteilung II erst händisch ausgewertet werden müssten. e. Mit welchen Maßnahmen will die Behördenleitung die weit überdurchschnittliche Fehlzeitenquote sowie die hohe Fluktuation in den Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaft reduzieren? Im Hinblick auf die besondere Belastungssituation und die damit einhergehenden Probleme in Hauptabteilung II hat der Generalstaatsanwalt nach vorangegangener Erörterung zum 9. März 2018 eine interne Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit allen strukturellen Fragen beschäftigt. Die zuständige Behörde ist der Arbeitsgruppe unterstützend beigetreten. Themen der Arbeitsgruppe sind unter anderem der Vergleich mit anderen Amtsanwaltschaften, die Optimierung des Fehlzeiten- und Gesundheitsmanagements sowie die potenzielle Änderung von Arbeitsabläufen. Beabsichtigt ist, konkrete Handlungsempfehlungen bis Ende des Jahres 2018 zu erstellen.