BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13957 21. Wahlperiode 14.08.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 06.08.18 und Antwort des Senats Betr.: Haftentlassene sollen künftig bestmögliche Resozialisierungschancen erhalten – Patienten aus dem Maßregelvollzug nicht? Im Maßregelvollzug werden Personen gemäß §§ 63 und 64 StGB untergebracht , die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer Suchterkrankung straffällig geworden, jedoch nur eingeschränkt oder nicht schuldfähig sind. Im zusammenfassenden Bericht der Aufsichtskommission gemäß § 48 Absatz 4 HmbMVollzG über ihre Tätigkeit in den Jahren 2014 und 2015 (Drs. 21/7243) heißt es auszugsweise: „Der Maßregelvollzugseinrichtung in Hamburg stehen 292 Plätze auf 18 Stationen zur Verfügung. Die Unterbringungen nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus sind in Hamburg seit 2010 um ca. 10 % von 189 Patientinnen und Patienten im Jahresdurchschnitt 2010 auf 207 im Jahresdurchschnitt 2015 gestiegen. Die Unterbringungen nach § 126a Absatz 1 StPO lagen im Mittel seit 2010 im Jahresdurchschnitt bei ca. 15 Patientinnen und Patienten. Die Unterbringungen nach § 64 StGB sind für Hamburg seit 2010 ungewöhnlich stark gestiegen. Im Jahr 2010 waren es im Jahresdurchschnitt 38 Patientinnen und Patienten, in 2015 53 Patientinnen und Patienten, was einer Steigerung von 40 % entspricht. (…) Mit der zum 1. August 2016 in Kraft getretenen Novellierung des „Rechts zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB und zur Änderung anderer Vorschriften“ wurde die rechtsstaatliche Anforderung an eine Unterbringung klarer und strenger definiert. Das Gesetz beinhaltet eine Konkretisierung der Anordnungsvoraussetzung im Sinne einer stärkeren Fokussierung auf gravierende Fälle und eine zeitliche Begrenzung der Unterbringung bei weniger schwerwiegender Gefahr durch eine Konkretisierung der Anforderung an die Fortdauer der Unterbringung über 6 und 10 Jahre hinaus. In der Strafprozessordnung (StPO) wurde die prozessuale Sicherung verbessert, um verhältnismäßig lange Unterbringungen besser vermeiden zu können. Die Auswirkungen dieser Gesetzesänderung bleiben abzuwarten . Für die Maßregelvollzugseinrichtung ist es nicht immer einfach, geeignete Einrichtungen für Patientinnen und Patienten bei anstehender Entlassung zu finden. Hier ist eine erhebliche Netzwerkarbeit im gesamten norddeutschen Raum notwendig.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Im Gesetz über den Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (Hamburgisches Maßregelvollzugsgesetz – HmbMVollzG) wird der Vollzug der angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nach § 61 Drucksache 21/13957 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Nummern 1 und 2 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. § 2 nennt die Ziele und Grundsätze des Maßregelvollzugs. Soweit wie möglich soll der Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen werden und die untergebrachte Person auf eine selbständige Lebensführung vorbereiten. Dazu gehört auch ihre familiäre, soziale und berufliche Eingliederung. Hierzu stellt die Einrichtung gemäß § 9 unverzüglich nach der Aufnahmeuntersuchung einen vorläufigen und innerhalb von sechs Wochen nach der Aufnahme einen endgültigen Behandlungs- und Eingliederungsplan auf, welcher dann im Abstand von längstens sechs Monaten zu überprüfen und der Entwicklung der untergebrachten Person anzupassen ist. Dieser Behandlungs- und Eingliederungsplan muss unter anderem Angaben machen zu: der Heilbehandlung einschließlich der psychotherapeutischen, soziotherapeutischen und heilpädagogischen Behandlung, der Form der Unterbringung, der Teilnahme an Unterrichtsveranstaltungen und an Maßnahmen der beruflichen Ausbildung, Fortbildung und Umschulung, Maßnahmen zur Freizeitgestaltung, der Einbeziehung von der untergebrachten Person nahe stehenden Personen in die Behandlungsmaßnahmen, sofern die untergebrachte Person einwilligt, zu Vollzugslockerungen, Beurlaubungen und Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung. In § 28 sind die Entlassungsvorbereitungen und die Nachsorge geregelt. Unter anderem soll die Vollzugseinrichtung der untergebrachten Person dabei helfen, für die Zeit nach der Entlassung Arbeit und persönlichen Beistand zu finden. Sie soll ihr außerdem eine geeignete Unterkunft vermitteln. Zu diesem Zweck arbeitet die Vollzugseinrichtung insbesondere mit Sozialleistungsträgern, Trägern der freien Wohlfahrtspflege, der für die Gewährung nachgehender Hilfen für psychisch Kranke zuständigen Behörde , der Führungsaufsichtsstelle und der Bewährungshilfe zusammen. Nachsorgende Hilfen sollen in enger Zusammenarbeit zwischen der Vollzugseinrichtung und insbesondere dem Träger der Sozialhilfe, dem sozialpsychiatrischen Dienst, der Führungsaufsichtsstelle und der Bewährungshilfe so umfassend und rechtzeitig eingeleitet und vorbereitet werden, dass eine weiterhin erforderliche ambulante Betreuung und Behandlung des aus der Unterbringung Entlassenen gesichert ist. Bei den nachsorgenden Hilfen ist ein besonderes Gewicht auf die Beratung des Entlassenen über die erforderliche gesundheitliche Lebensführung und die Einhaltung etwaiger Auflagen zu legen. Alle nachsorgenden Hilfen sind auf das Ziel der Wiedereingliederung des Entlassenen in die Gesellschaft auszurichten. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf Grundlage von Informationen der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll – Klinik für Forensische Psychiatrie wie folgt: 1. Wie viele Patienten waren seit dem Jahr 2014 jeweils gemäß § 63 StGB, § 64 StGB und § 126a StPO im Maßregelvollzug untergebracht? Wie hat sich der Ausländeranteil entwickelt? Bitte jahresweise sowie für das erste Halbjahr 2018 nach Männern und Frauen getrennt angeben. Untergebrachte 2014 2015 2016 2017 Bis 30.6.18 § 63 StGB 234 225 232 225 224 davon Männer 207 200 205 199 195 davon Frauen 27 25 27 26 29 davon deutsch 174 174 176 165 161 davon Ausländer 60 51 56 60 63 § 64 StGB 57 59 59 62 59 davon Männer 57 55 54 57 53 davon Frauen 0 4 5 5 6 davon deutsch 40 33 32 37 39 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13957 3 Untergebrachte 2014 2015 2016 2017 Bis 30.6.18 davon Ausländer 17 26 27 25 20 § 126 a StPO 15 17 17 23 27 davon Männer 13 14 14 20 25 davon Frauen 2 3 3 3 2 davon deutsch 10 12 11 17 13 davon Ausländer 5 5 6 6 14 2. Wie viele Patienten befanden sich seit 2014 länger als zehn Jahre in der Unterbringung gemäß § 63 StGB? Bitte jeweils zum Stichtag 1. Januar nach Männern und Frauen getrennt angeben. Welche Taten waren jeweils Anlass für die Anordnungen des Gerichts zur Unterbringung dieser Patienten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB? § 63 StGB länger als 10 Jahre 2014 2015 2016 2017 Bis 30.6.2018 Männer 38 46 45 41 40 Frauen 2 2 2 2 2 Die Unterbringung gemäß § 63 StGB erfolgt nur, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Gemäß § 67 d StGB Absatz 3 Satz 1 heißt es weiter, dass „wenn zehn Jahre der Unterbringung vollzogen worden sind, das Gericht die Maßregel für erledigt erklärt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“. Die Fortdauer der Unterbringung wird jährlich von den zuständigen Strafvollstreckungskammern überprüft. Zusätzlich wird alle zwei Jahre ein externes Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob die Voraussetzungen einer Unterbringung weiter vorliegen 3. Wie viele Patienten wurden zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 30. Juni 2018 aus dem Maßregelvollzug in Hamburg entlassen? (Bitte für nach § 63, § 64 StGB und § 126a StPO Untergebrachte und nach Männern und Frauen getrennt angeben.) Wie hat sich die durchschnittliche Aufenthalts- beziehungsweise Verweildauer bis zum Zeitpunkt der Entlassung entwickelt? Entlassene Pat. 2014 2015 2016 2017 Bis 30.6.2018 § 63 StGB 26 31 26 37 19 davon Männer 23 29 24 33 19 davon Frauen 3 2 2 4 0 Durchschnitt Dauer in Monaten 90,5 82,5 84,5 91,2 72,2 § 64 StGB 23 23 30 30 22 davon Männer 21 23 29 27 21 davon Frauen 2 0 1 3 1 Durchschnitt Dauer in Monaten 30,6 24,3 18,0 25,4 17,7 § 126 a StPO 15 11 11 17 11 davon Männer 10 8 10 15 11 davon Frauen 5 3 1 2 0 Durchschnitt Dauer in Monaten 3,8 6,6 4,7 4,3 6,3 4. Wie viele Entweichungen von Patienten des Maßregelvollzugs hat es jährlich seit dem Jahr 2014 bis zum 30. Juni 2018 gegeben? Drucksache 21/13957 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Entweichungen 2014 2015 2016 2017 Bis 30.6.2018 § 63 StGB 3 1 6 4 2 § 64 StGB 0 1 4 2 1 5. Welche Erkenntnisse liegen den zuständigen Behörden über Rückfallgefahren /-quoten von ehemaligen Patienten des Maßregelvollzugs vor? Der zuständigen Behörde liegen hierzu keine konkreten Angaben vor. Es gibt jedoch mehrere, nicht speziell auf Hamburg bezogene Untersuchungen (zum Beispiel: Ritzel 1978; Jockusch 1996; Seifert 2007; Schmidt-Quernheim 2011 et cetera) über die Rückfälligkeit von entlassenen Patienten aus dem Maßregelvollzug. 6. Der Entwurf des Resozialisierungs- und Opferhilfegesetzes sieht für Gefangene vor, dass sechs Monate vor der voraussichtlichen Haftentlassung ein Übergangsmanagement mit Erstellung des Eingliederungsplans beginnt, das rund sechs Monate nach der Haftentlassung endet. Die Klienten sollen insbesondere in diesem Zeitraum vielfältige Unterstützungsleistungen erhalten, wie zum Beispiel Hilfe bei der Suche nach Arbeit und Wohnraum oder der Schuldenregulierung. Damit soll das Entlassungsloch überwunden werden. Wie gestaltet sich der Übergang beziehungsweise die Entlassungsvorbereitung für Patienten des Maßregelvollzugs ? Bitte detailliert erläutern. Siehe Vorbemerkung. 7. Welche Angebote der ambulanten Nachsorge gibt es für Patienten, die aus dem Maßregelvollzug entlassen werden? Gemäß § 67d StGB tritt bei der Entlassung aus dem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt Führungsaufsicht ein. Diese ist in der Regel fünf Jahre und mit der Auflage verbunden, sich in der forensischen Ambulanz der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll – Klinik für Forensische Psychiatrie behandeln zu lassen. Hier stehen über 150 Behandlungsplätze zur Verfügung. 8. Wie viele Wohneinrichtungen mit jeweils wie vielen Plätzen stehen für zu entlassende Patienten zur Verfügung? a. Um was für Einrichtungen handelt es sich? b. Wie stellte sich die Auslastung seit dem Jahre 2015 dar? Bitte jeweils zum Stichtag 1. Januar angeben. Allen Entlassenen stehen die in Hamburg bestehenden Regelangebote zur Verfügung , dies gilt auch für aus dem Maßregelvollzug entlassene Personen, siehe auch Drs. 21/13881. Eigens für aus dem Maßregelvollzug entlassene Frauen und Männer werden keine Wohneinrichtungen vorgehalten, auch um die Stigmatisierung dieser Personen zu verhindern. 9. Welche weiteren Hilfs- und Beratungsangebote erhalten sie nach der Entlassung und durch wen werden sie dorthin vermittelt? Entlassene Patienten erhalten alle individuell notwendigen Hilfs- und Beratungsangebote . Die forensische Ambulanz der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll – Klinik für Forensische Psychiatrie übernimmt die Unterstützung in der Vermittlung der Angebote . 10. In der Pressemitteilung der Justizbehörde vom 6. Februar 2018 heißt es: „Ziel des Resozialisierungs- und Opferhilfegesetzes ist es, ein sogenanntes „Entlassungsloch“ zu vermeiden, indem frühzeitig der Bedarf an Hilfe erkannt und bereits in den letzten Monaten des Vollzuges beispielsweise mit Schuldnerberatung, Wohnungssuche oder Qualifikationsmaßnahmen begonnen wird“ (https://www.hamburg.de/ justizbehoerde/pressemeldungen/10402382/2018-02-06-jb-resogesetzabstimmung -buergerschaft/). Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/13957 5 a. Inwiefern gibt es dieses „Entlassungsloch“ auch bei Patienten des Maßregelvollzugs? b. Aus welchen Gründen halten die zuständigen Behörden eine Anwendung des Resozialisierungs- und Opferhilfegesetzes, das konkrete Ansprüche normiert und das Übergangsmanagement regelt, für Patienten des Maßregelvollzugs nicht für erforderlich? Bitte detailliert erläutern. Zum umfassenden und seit vielen Jahren praktizierten Entlassungs- und Übergangsmanagement für Patienten des Maßregelvollzugs siehe Vorbemerkung. Insofern sind entsprechende Regelungen im Resozialisierungs- und Opferhilfegesetz nicht erforderlich .