BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14076 21. Wahlperiode 24.08.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Norbert Hackbusch (DIE LINKE) vom 16.08.18 und Antwort des Senats Betr.: Aktenvernichtung im Staatsarchiv Hamburg Nach Informationen von Nutzerinnen und Nutzern des Staatsarchivs wurde der komplette Aktenbestand „352-5 Gesundheitsbehörde-Todesbescheinigungen “, mit einer vollständigen Überlieferung der ärztlichen Todesbescheinigungen von 1876 bis 1942, vernichtet. In der standesamtlichen Überlieferung sind Todesursachen lediglich für den Zeitraum von 1939 bis circa 1957 dokumentiert. Diese Angaben sind überdies nicht so ausführlich, wie in ärztlichen Bescheinigungen. Insbesondere für die Anfangszeit der NS-Verfolgung sind damit die Möglichkeiten genommen worden, Suizide „rassisch“, politisch und sexuell verfolgter Menschen nachzuweisen. Damit wird die Forschung über während der NS- Zeit verfolgte Jüdinnen und Juden, Homosexuelle und Lesben erheblich erschwert. Betroffen davon sind auch die Forschungen zu den Stolpersteinen in Hamburg. Eine solche Handlung würde den Grundsätzen des Staatsarchivs widersprechen : „Das Archivgut wird auf Dauer erhalten. Es wird erschlossen, um es den Bürgerinnen und Bürgern, der wissenschaftlichen Forschung, den Bildungseinrichtungen und den Unternehmen sowie Bürgerschaft und Senat, Verwaltung und Justiz bereitstellen zu können.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Das Staatsarchiv verfügt über eine vielfältige archivische Überlieferung zur Erforschung des NS-Unrechts. Im Jahre 2010 konnte das Staatsarchiv aufgrund der Reform des Personenstandsrechts die hamburgischen Sterberegister der Jahrgänge 1876 bis 1980 als Archivgut übernehmen. In diesen sind von Juli 1938 bis 1957 auch die Todesursachen eingetragen worden. Außerdem sind in den letzten beiden Jahrzehnten die bei der Strafverfolgung und der Wiedergutmachung des NS-Unrechts entstandenen Akten in das Staatsarchiv übernommen worden. Darüber hinaus verwahrt das Staatsarchiv umfangreiche in der NS-Zeit selbst entstandene Bestände wie die Erbgesundheitsakten der Gesundheitsämter und des Amtsgerichts Hamburg (57 Regalmeter), Patientenakten der Staatskrankenanstalt Langenhorn (160 Regalmeter) und Akten der Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten. Dennoch ist es möglich, dass Forschungsansätze bestehen, die auch der Todesbescheinigungen bedurft hätten . Vor diesem Hintergrund hat das Staatsarchiv bereits Gespräche mit Vertretern der Stolpersteininitiative und der medizinhistorischen Forschung aufgenommen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Drucksache 21/14076 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Inwiefern sind die Informationen über die Vernichtung des Aktenbestandes 352-5 zutreffend? 2. Wenn ja, mit welcher Begründung und zu welchem Zeitpunkt wurde die Vernichtung des Aktenbestandes 352-5 vorgenommen? 3. Wenn nein, welche sonstigen Erkenntnisse liegen dem Senat über eine Vernichtung von Akten bezüglich des Themas Todesursachen aus dem Zeitraum von 1876 bis 1942 vor? Der Bestand 352-5 Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen wurde erst im Jahre 2018 im Staatsarchiv archivisch bewertet. Bei der Übernahme der Todesbescheinigungen war keine Bewertung vorgenommen worden. Es handelte sich um circa 1 Million Einzelblätter aus dem Zeitraum zwischen 1876 und 1953. Grundlage für die Bewertungsentscheidung war, dass in anderen Beständen des Staatsarchivs eine weitgehende Parallelüberlieferung verwahrt wird. Diese war bei der Übernahme des Bestandes noch nicht im Staatsarchiv vorhanden. Deshalb wurde den Todesbescheinigungen kein bleibender Wert zuerkannt. Die Kassation ist am 11. Juli 2018 erfolgt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 4. Inwiefern und unter welchen Voraussetzungen werden Vernichtungen von Akten im Staatsarchiv vorgenommen? 5. Wie wird über die Vernichtung von Akten im Staatsarchiv entschieden? Die archivische Bewertung der von den öffentlichen Stellen der Stadt Hamburg dem Staatsarchiv anzubietenden Aufzeichnungen erfolgt in der Regel in den Registraturen. Als Archivgut werden die Aufzeichnungen übernommen, denen bleibender Wert für Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltung, Wissenschaft oder Forschung oder für die Sicherung berechtigter Belange von Einzelpersonen zukommt. Die Bewertung durch das Staatsarchiv erfolgt unter Anwendung archivwissenschaftlicher Methoden. Aufzeichnungen, die das Handeln von NS-Organen abbilden, kommt aufgrund der Überlieferungslücken regelmäßig bleibender Wert zu. Das Archivgut wird auf Dauer erhalten und zugänglich gemacht. Nur in Ausnahmefällen werden Aufzeichnungen ohne vorherige Bewertung übernommen. Deren Bewertung ist später im Staatsarchiv nachzuholen. Erst nach einer positiven Bewertungsentscheidung werden die Aufzeichnungen zu Archivgut umgewidmet. 6. Inwiefern und unter welchen Voraussetzungen sind derzeit Vernichtungen von Akten im Staatsarchiv vorgesehen? Derzeit sind keine Nachbewertungen im Staatsarchiv vorgesehen. 7. Inwiefern ist gewährleistet, dass Akten, gemäß den Grundsätzen des Staatsarchivs, generell erhalten und digitalisiert werden? Aufzeichnungen, die als archivwürdig bewertet worden sind, werden zu Archivgut umgewidmet und in den Magazinen des Staatsarchivs auf Dauer erhalten. Eine Digitalisierung ausgewählter Bestände erfolgt nach den Grundsätzen der Digitalisierungsstrategie des Staatsarchivs. Diese ist auf der Website des Staatsarchivs veröffentlicht (siehe http://www.hamburg.de/contentblob/6642028/ 19ba10cef1f7d17207110e95e5efdd61/data/digitalisierung-kurz.pdf).