BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14085 21. Wahlperiode 24.08.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Jörn Kruse (AfD) vom 16.08.18 und Antwort des Senats Betr.: Kinder und Jugendliche aus salafistischen Familien – Hat der Senat einen Überblick? Der Bundesverfassungsschutz hat unlängst davor gewarnt, dass in Deutschland gegenwärtig Hunderte Kinder und Jugendliche in salafistischen Familien aufwüchsen. Besonders fanatisch sei die Erziehung, wenn gewaltorientierte Eltern den Heiligen Krieg propagierten. In einer kürzlich veröffentlichen Analyse sprechen die Staatsschützer von einer dreistelligen Zahl jihadistischer Familien mit mindestens einer mittleren dreistelligen Zahl an Minderjährigen und jungen Erwachsenen. Das Gros der Minderjährigen, bei denen das Alter bekannt ist, sei jünger als acht Jahre, das Dunkelfeld könne gegenwärtig nicht ausgeleuchtet werden. Ferner sei davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl von Minderjährigen in jihadistischen Familien höher liege, da diesbezügliche Informationen lediglich als Randerkenntnisse anfielen und nicht explizit erhoben würden. Höhere Zahlen seien logisch angesichts einer stetig wachsenden Salafistenszene, die das Bundesamt jetzt auf 11.200 Personen taxiert. Oft erfahre der Verfassungsschutz von Kindern und Jugendlichen in militant salafistischen Familien nur, wenn die Eltern auffällig würden. Ein Teil der Minderjährigen und jungen Erwachsenen gerate allerdings immer häufiger mit eigenen Aktionen in den Fokus der Behörden. Wie prekär die Gesamtlage ist, offenbaren folgende Zusammenhänge: Nach Erkenntnissen der Nachrichtendienste halten sich gegenwärtig wenigstens 315 Kinder und Jugendliche mit jihadistischen Eltern aus Deutschland in Enklaven der Terrormiliz IS in Syrien und Irak auf – entweder in staatlichen Gefängnissen, Internierungslagern kurdischer Milizen oder aber in der Türkei . Etwa die Hälfte der Minderjährigen wurde im Herrschaftsgebiet des IS geboren, wo die Terrormiliz bereits früh darauf hinwirkt, Kinder und Jugendliche zu indoktrinieren. Offiziellen Angaben zufolge gibt es bislang keine größere Rückkehrwelle von Jihadisten mit Kindern nach Deutschland. Nordrhein -Westfalen, das als Hochburg der Salafistenszene gilt, stellte in diesem Jahr acht Mütter mit 20 Kindern fest, die sich beim IS aufgehalten hatten. Fest steht, dass deutlich mehr fanatische Eltern oder zumindest Mütter mit ihrem Nachwuchs wieder nach Deutschland kommen werden. Hans-Georg Maaßen und seine Kollegen aus den Landesbehörden für Verfassungsschutz sehen in Kindern aus salafistischen Familien tickende Zeitbomben. Im Frühjahr warnte das Bundesamt bereits, eine jihadistische Sozialisation in sehr jungen Jahren könne als Grundstein und Risikofaktor für eine spätere Radikalisierung angesehen werden. Befürchtet werde beispielsweise ein „Wettbewerb “ jihadistisch geprägter Teenager mit Mutproben, die sich gegen die hiesige Gesellschaft richten könnten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Drucksache 21/14085 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Im Verfassungsschutzbericht des Bundes wird die Zahl der Anhänger der Salafistenszene mit 10.800 Personen angegeben (siehe https://www.verfassungsschutz.de/ embed/vsbericht-2017.pdf). Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Familien, bei denen mindestens ein Mitglied als Salafist beziehungsweise Jihadist bekannt ist, gibt es nach Kenntnis des Senats gegenwärtig in Hamburg? 2. Wie viele Familien sind dem Senat bekannt, in denen mindestens ein Elternteil zur salafistischen Szene gehört? In Hamburg werden derzeit 784 Personen der salafistischen Szene zugerechnet, darunter 420 Jihadisten. Von den 784 Salafisten sind 17 Personen unter 18 Jahren. Weitergehende Erkenntnisse liegen nicht vor. 3. Wie viele Fälle, in denen Kinder und Jugendliche in Kindergärten oder Schulen durch salafistische Gesinnungsäußerungen aufgefallen sind, hat es nach Kenntnis des Senats bis heute gegeben? Bitte auch die Einzelheiten wie Datum, Ort und Sachverhalt nennen. Siehe Drs. 21/13826. 4. Wie viele Familien, die im Sinne der obigen Fragen einen Bezug zum Salafismus aufweisen, werden deswegen gegenwärtig vom Jugendamt betreut? 5. In wie vielen Fällen sind Kinder aus der Obhut ihrer Eltern genommen worden, weil diese Salafisten waren? In den Jugendämtern (ASD) werden zurzeit vier Familien betreut, die einen Bezug zum Salafismus aufweisen. Dabei sind in keinem Fall Kinder aus der Obhut ihrer Eltern genommen worden. 6. Inwieweit gilt der oben stehende Befund zur Gefahr von Kindern und Jugendlichen aus salafistischen Familien des Bundesverfassungsschutzes für Hamburg? Die Behörden erkennen Risiken für Kinder und Jugendliche aus salafistischen Familien hinsichtlich einer möglichen Kindeswohlgefährdung oder eines möglichen Sicherheitsrisikos , wenn sie im Einzelfall einer unmittelbaren Gefährdung für geistiges, körperliches oder seelisches Wohl ausgesetzt sind. Zu Minderjährigen aus salafistischen Familien fehlt bisher eine systematische empirische Erhebung; bisherige Erkenntnisse basieren auf Einzelfällen. Deshalb sind derzeit aussagekräftige Bewertungen weder im Hinblick auf die Größe der Personengruppe noch im Hinblick auf die Fragestellungen, die sich für das Kindeswohl und die öffentliche Sicherheit daraus ergeben können, möglich. Hierauf nimmt auch die Analyse der Verfassungsschutzbehörden vom 5. August 2018 Bezug, die einen ersten Versuch darstellt, die Gefährdungslage in Bezug auf Minderjährigen und junge Erwachsene darzustellen und zu bewerten: https://www.verfassungsschutz.de/de/aktuelles/schlaglicht/schlaglicht-2018-06- jihadistische-sozialisation. Im Übrigen siehe Drs. 21/12086 und Vorbemerkung. 7. Was tun die Jugendämter in Hamburg, damit Kinder nicht durch ihre Eltern mit der salafistischen Ideologie indoktriniert werden, sofern deren Affiliation zum radikalen Islam bekannt ist? 8. Was für Möglichkeiten haben die Jugendämter in Hamburg, um im Falle einer Indoktrinierung der Kinder durch die Eltern zu intervenieren? 9. Wann ist eine Intervention des Jugendamtes aus Sicht des Senats unvermeidbar? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14085 3 In den Angeboten der offenen Kinder- und Jugendarbeit wird mit den Kindern und Jugendlichen an Themen wie Kinderrechte, Partizipation und Demokratie gearbeitet. Wenn den Fachkräften vor Ort in diesem Rahmen religiös radikalisierte Tendenzen auffallen, setzen sie sich mit den Kindern und Jugendlichen auseinander und unterstützen diese durch Beratung eventuell unter Hinzuziehung der Beratungsstelle Legato . Grundsätzlich sind auch die Jugendämter Ansprechpartner für betroffene Eltern, Kinder und Familienangehörige und bieten diesen Beratung, Unterstützung und Hilfen zur Erziehung an. Sobald Fachkräfte der offenen Kinder- und Jugendarbeit Anhaltspunkte einer Kindeswohlgefährdung erkennen, werden die Fachkräfte gemäß ihrem rechtlichen Auftrag im Rahmen des § 8a SGB VIII tätig. In diesen Fällen wird im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte und unter Einbeziehung der Kinderschutzkoordinatoren eine Gefährdungseinschätzung vorgenommen, Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr beziehungsweise Notlage unter Einbeziehung der Beteiligten erörtert und eingeleitet. Sind die Eltern nicht gewillt oder in der Lage, die Kindeswohlgefährdung, die in einer religiös radikalisierten Erziehung begründet ist, abzuwenden, ist der ASD verpflichtet, den Schutz der Kinder sicherzustellen. Dies kann je nach Situation durch eine sofortige Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII erfolgen oder durch Anrufung des Familiengerichtes , um Maßnahmen gemäß § 1666 BGB zu ergreifen. Konkrete Maßnahmen könnten hierbei zum Beispiel Entzug der elterlichen Sorge, Grenzsperrungen oder andere Weisungen und Auflagen bedeuten. Darüber hinaus gibt es im Rahmen der Abwendung einer akuten Kindeswohlgefährdung die Möglichkeit, gemeinsam mit den Institutionen Verfassungsschutz, Polizei, Schulbehörde und Legato Informationen für eine Gefährdungseinschätzung auszutauschen und notwendige Maßnahmen zu veranlassen . 10. Wie viele Personen der Altersgruppen von 14 – 17 und 18 – 21 sind als Salafisten in Hamburg bekannt? Siehe Antwort zu 1. und 2. Im Übrigen siehe Drs. 21/13488.