BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14290 21. Wahlperiode 18.09.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 10.09.18 und Antwort des Senats Betr.: Bildung gegen Menschenfeindlichkeit – Wie bestärkt der Senat Hamburger Schüler/-innen und Lehrer/-innen? Jüngst kam heraus, dass der GH Verlag aus Wittenberg in Sachsen-Anhalt, der kostenfreie, durch Werbung querfinanzierte Lernmittel für Schüler/-innen bereitstellt, Werbung der extrem rechten Identitären Bewegung (IB) akzeptiert hat.1 Diese subtile Beeinflussung und Platzierung extrem rechter Inhalte und Symboliken unter der Schüler-/-innenschaft ist fehl am Platz. Sowohl aufgrund des Bildungsauftrags (§2 HmbSG) als auch hinsichtlich der gebotenen Stärkung des demokratischen, humanen Gemeinwesens muss der Indoktrination der Schüler/-innen durch rechte Brandstifter Einhalt geboten werden. Ich frage den Senat: 1. Wurden seit 2003 Schulbücher des GH Verlags in Hamburger Schulen verwendet? Die für Bildung zuständige Behörde hat aufgrund der Selbstverantwortung der Schulen grundsätzlich keine Erkenntnisse, ob Schulbücher des GH Verlags in Hamburger Schulen verwendet werden. a. Wenn ja, befindet sich unter den Büchern auch der Titel „Die Fahrradfibel “?2 Anhand einer Schulabfrage kann ein aussagekräftiges Ergebnis, ob die Broschüre „Die Fahrradfibel“ verteilt wurde, nicht ermittelt werden, denn kostenlose Materialen müssen nicht inventarisiert werden. In Hamburg werden für die Verkehrs- und Mobilitätserziehung der Schülerinnen und Schüler zumeist von der zuständigen Behörde in Kooperation mit anderen Behörden oder sonstigen Dritten erarbeitete Broschüren herausgegeben. Für die Fahrradausbildung wird von den Hamburger Polizeiverkehrslehrerinnen und -lehrern die 2017 in 9. Auflage erschienene Broschüre „Mein Fahrrad-Tagebuch“ (https://bildungsserver.hamburg.de/fahrradtagebuch/) eingesetzt, die zurzeit überarbeitet wird. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich auf der Webseite des GH Verlags unter „Aktuelle Projekte“ der Hinweis findet, dass „die Arbeitsbücher (…) kostenfrei an die Grundschulen der Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thü- 1 Oliver Cruzcampo: IB-nahes Unternehmen wirbt in Schulbüchern, 31.8.2018, https://www.endstation-rechts.de/news/ib-nahes-unternehmen-wirbt-in-schulbuechern.html (06.09.2018). 2 https://www.ghverlag.de/?cat=books&page=book4 (06.09.2018). Drucksache 21/14290 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 ringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen versendet“ werden (https://www.ghverlag.de/ ?cat=projects&page=overview). b. Wenn ja, welche Maßnahmen wird der Senat ergreifen, um die Verbreitung dieses Buches zu stoppen? Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg hat in der 36. Kalenderwoche Kenntnis von der Publikation „Die Fahrradfibel“ erlangt. Die für Bildung zuständige Behörde wird nach Prüfung gegebenenfalls Maßnahmen einleiten. 2. Welche Erkenntnisse hat die Schulbehörde hinsichtlich der Aktivitäten der IB an Hamburger Schulen? Der Schulaufsicht liegen diesbezüglich weder Erkenntnisse noch Beschwerden aus Schulen oder von Sorgeberechtigten vor. a. Welche Erkenntnisse über Aktivitäten anderer extrem rechter Gruppierungen an Hamburger Schulen gibt es seitens des Senats? b. Liegen dem Senat Erkenntnisse vor, ob und inwiefern extrem rechte Gruppen und/oder Organisationen Bestrebungen gezeigt haben, auf Hamburger Schulen Einfluss zu nehmen? c. Sind dem Senat und/oder der zuständigen Behörde extrem rechte Aktivitäten unter der Schüler-/-innenschaft und/oder extrem rechte Störungen des Schulbetriebs bekannt? d. Inwieweit sind dem Senat/der zuständigen Behörde Beschwerden seitens des Lehrkörpers oder anderer schulischer Bediensteter mit extrem rechten Schülern/-innen bekannt? Dem LfV liegen derzeit ebenfalls keine Erkenntnisse vor. e. Inwiefern bietet der Senat/die zuständige Behörde den Lehrkräften Unterstützung, Schulungen und Weiterbildungen an, um einen individuell sicheren, pädagogisch fundierten Umgang in Konflikten um die demokratische Bildung zu gewährleisten? Es gehört zu den Regelaufgaben des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI), Lehrkräfte und Schulen bedarfs- und nachfrageorientiert bei allen in Schule auftretenden Erscheinungsformen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit Fortbildungsangebote zu machen. Hierzu gehören zum Beispiel Antisemitismus, Rassismus, Demokratiefeindlichkeit oder Formen des Rechts- und Linksextremismus. Für Maßnahmen, Fortbildungen und Programme zur Prävention vor und Bekämpfung von Menschen- und Demokratiefeindlichkeit, sowie Radikalisierungserscheinungen und Extremismus jeder Art siehe Drs. 21/9822, 21/9906, 21/10194, 21/10415, 21/11627, 21/11759, 21/12623 und 21/14042. Die Beratungsanfragen der einzelnen Schulen, die beim LI, der Beratungsstelle Gewaltprävention und dem Beratungszentrum Berufliche Schulen eingehen, sowie die fallbezogenen Beratungen werden vertraulich behandelt. Der Senat sieht in ständiger Praxis von der öffentlichen Benennung von Schulnamen, Schulstandorten oder weiteren Informationen zu Beratungs- und Vermittlungsanfragen ab, um eine Stigmatisierung einzelner Schulen zu verhindern, die Vertraulichkeit der fallbezogenen Beratungsarbeit zu wahren und eine Identifizierung einzelner Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte zu verhindern. Neben der Beratung durch das LI stehen auch die Sicherheitsbehörden bei entsprechendem Bedarf der zuständigen Behörde für Bildung und allen Lehrkräften beratend zur Verfügung. 3. Welche Maßnahmen zur politischen Bildung unter Schülern/-innen sieht der Senat/die zuständige Behörde vor, um den Bildungs- und Erziehungsauftrag (§2 HmbSG), der ausdrücklich die Erziehung und Bildung zur Solidarität, Toleranz, Humanität in einer demokratischen und gleichberechtigten Gesellschaft nennt, umzusetzen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14290 3 a. Inwiefern werden Schüler/-innen zu demokratischem und couragiertem Verhalten bestärkt? Gemäß dem in § 2 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG) formulierten allgemeinen Erziehungsauftrag für die Hamburgischen Schulen richten sich Unterricht und Erziehung an den Werten des Grundgesetzes und der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg aus. Es ist Aufgabe der Schule, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken, ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz, der Gerechtigkeit und Solidarität sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen sowie an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten (§ 2 Absatz 1 HmbSG). Dieser allgemeine Erziehungsauftrag gilt grundsätzlich für alle in Schule und Unterricht pädagogisch Tätigen. Inhaltlich konkretisiert wird politische Bildung im Unterricht insbesondere über Vorgaben in den Rahmenplänen der einschlägigen Fächer. So sind für die allgemeinbildenden Schulen Themen im Kontext politischer Bildung insbesondere im Rahmenplan Sachunterricht für die Grundschule, im Rahmenplan Politik/Gesellschaft/Wirtschaft (PGW) für das Gymnasium (Sekundarstufe I), im Rahmenplan PGW und im Rahmenplan Lernbereich Gesellschaftswissenschaften für die Stadtteilschule (Jahrgangsstufen 5 bis 11) sowie im Rahmenplan PGW für die gymnasiale Oberstufe als verbindlich zu behandelnde Unterrichtsinhalte verankert. Darüber hinaus eignen sich auch Themen und Inhalte der Fächer Geschichte, Religion und Deutsch sowie der Aufgabengebiete Sozial- und Rechtserziehung, Interkulturelle Erziehung und Globales Lernen zur Vermittlung demokratischen Bewusstseins und zur Bestärkung der Schülerinnen und Schüler zu demokratischem Verhalten. Auch im Bereich der berufsbildenden Schulen ist die Demokratieerziehung in den Bildungsplänen der einzelnen Bildungsgänge verbindlich geregelt. Über politische Bildung im Unterricht hinaus sind im fünften Teil des HmbSG (Schulverfassung ) auf die Schülerinnen und Schüler bezogene Mitwirkungsrechte in Gremien definiert, über deren Wahrnehmung sie demokratische Verfahren und Gestaltungsprinzipien einüben und praktizieren können. Dies gilt insbesondere für die Mitwirkung in der Schulkonferenz (§§ 52 – 55 HmbSG) beziehungsweise dem Schulvorstand der berufsbildenden Schulen (§ 77 HmbSG), der Klassenkonferenz (§ 61 HmbSG) und der Zeugniskonferenz (§ 62 HmbSG), des Weiteren für Klassensprecherinnen beziehungsweise Klassensprecher, Schulstufensprecherinnen beziehungsweise Schulstufensprecher (§ 63 HmbSG), Schülerräte (§ 64 HmbSG), Schulsprecherinnen beziehungsweise Schulsprecher (§ 65 HmbSG) und Vertreterinnen und Vertreter in Kreisschülerräten (§ 67 HmbSG) sowie in der Schülerkammer (§ 80 HmbSG). Im Übrigen siehe Drs. 21/8807. Vonseiten der Schulaufsicht wird in Abstimmung mit den Dachverbänden der freien Träger der Jugendhilfe das Thema „Partizipation von Schülerinnen und Schülern“ in den diesjährigen Standortbesuchen zur Umsetzung des Hamburger Ganztags aufgenommen . Grundschulen führen zum Beispiel Kinderkonferenzen durch, die die Anliegen der Schülerinnen und Schüler aufnehmen und bearbeiten. Gleichzeitig sollen die Schülerinnen und Schüler damit auf die Arbeit in schulischen Gremien an weiterführenden Schulen vorbereitet werden. b. Inwiefern werden Lehrer/-innen, die Vorbilder der Schüler/-innen sind, zu einem demokratischen und couragierten Verhalten ermutigt ? Lehrkräfte haben in vielfältiger Weise die Gelegenheit, sich demokratisch in den Arbeitszusammenhängen, die die Schule bietet, zu engagieren, sei es im Unterricht, in den verschiedenen Konferenzen oder in der Personalvertretung. Das HmbSG zum Beispiel räumt der Schulkonferenz und der Lehrerkonferenz weitreichende Beschlussoder Anhörungsrechte bezogen auf die Einzelschule ein. 4. Wie ist politische Bildung in den Lehrplänen des Lehramtsstudiums in Hamburg verankert? Drucksache 21/14290 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 a. Wenn politische Bildung (im Sinne des § 2 HmbSG) bisher nicht als separates Element im Lehramtsstudium besteht, prüft der Senat, dieses zu ändern, um Lehrer/-innen in der Umsetzung ihres Bildungsauftrags zu unterstützen?3 Das Thema „Politische Bildung“ ist ein integraler Bestandteil der Curricula des Lehramtsstudiums und findet seine Berücksichtigung insbesondere in den prioritären Themen wie zum Beispiel Heterogenität. In diesem Zusammenhang setzen sich alle Lehramtsstudierenden systematisch und obligatorisch mit dem Thema auseinander. Daneben ist „Politische Bildung“ im engeren Sinne Gegenstand des Fach- und Fachdidaktik -Studiums im Bereich der Sozialwissenschaften. Im weiteren Sinne werden Themen, die der politischen Bildung zugerechnet werden, in den Fächern Geschichte, Geografie, Religion und im Sachunterricht beziehungsweise den zugehörigen Fachdidaktiken berührt. b. Prüft der Senat, die Unterstützung und Stärkung auch anderen schulischen Bediensteten zukommen zu lassen? c. Wenn nicht, worin liegt die sachliche und fachliche Begründung, die politische Bildung nicht explizit zu machen und sie gegebenenfalls personell zu beschränken? Siehe Antwort zu 2. e. Von dem Angebot des LI profitieren auch andere schulische Bedienstete in Form von Fortbildungen. 3 Vergleiche Heike Klovert: „Ich bin ja kein Nazi, aber…“, „SPIEGEL+“ vom 04.09.2018, http://www.spiegel.de/plus/rechtsradikale-schueler-wie-lehrer-reagieren-sollten-a-9c5f0c0f- 485d-406f-a4ad-3b012f800d33 (06.09.2018).