BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14300 21. Wahlperiode 18.09.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christel Nicolaysen (FDP) vom 10.09.18 und Antwort des Senats Betr.: „Zum Nichtstun verdammt“ – Was kostet Hamburg die nachträgliche Versagung von Beschäftigungserlaubnissen? „Zum Nichtstun verdammt“, so Titelt heute „die tageszeitung“1 und berichtet über einen 29-jährigen Geflüchteten, der seit 2014 in Hamburg lebt, einen Hauptschulabschluss und die B1-Deutschprüfung erfolgreich abgeschlossen hat. Seit Mai 2017 arbeitet der Betroffene als Entsorger bei der Stadtreinigung , ein Jahr später wurde sein Arbeitsvertrag in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt. Nach § 60a Absatz 6 S. 1 Nummer 2 AufenthG darf einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können . Durch die Versagung der Beschäftigungserlaubnis werden die öffentlichen Kassen belastet. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat hat mit Drs. 20/8154 eine Strategie zur Sicherung des Fachkräftebedarfs beschlossen, welche unter anderem die Gewinnung ausländischer Fachkräfte umfasst. Speziell zu der Gruppe der Geflüchteten hat der Senat über seine Anstrengungen in der Drs. 21/5832 berichtet. Asylbewerberinnen und -bewerber, die keinen Zugang zum Integrationskurs haben, aber auch nicht aus einem sicheren Herkunftsland stammen, unterstützt der Senat auch durch das ergänzende landesfinanzierte Sprachkursangebot „Deutschkurse für Flüchtlinge“ sowie durch weitere Beratungs- und Unterstützungsangebote, zum Beispiel des Flüchtlingszentrums Hamburg, die von allen Geflüchteten, unabhängig vom Schutzstatus, in Anspruch genommen werden können. Den Rahmen dafür bildet das Hamburger Integrationskonzept 2017. Es enthält vielfältige Ansätze zur Teilhabe, zur Interkulturellen Öffnung und ausdrücklich zum Zusammenhalt unabhängig vom Aufenthaltsstatus (https://www.hamburg.de/contentblob/128792/ 4fa13860dcb7a9deb4afdfb989fc78e2/data/konzept.pdf). Das W.I.R-Programm ist auch für gestattete und geduldete Personen geöffnet. Es bietet eine offene Sprechstunde im Unternehmensservice. Zu ausländerrechtlichen Fragen und Fragen des Arbeitsmarktzuganges bietet der Senat in W.I.R außerdem die ausländerrechtliche Beratung auch im Sinne eines Clearings an (https://www.hamburg.de/wir-unternehmensservice/). Durch dieses Angebot konnten bereits viele Beschäftigungen erreicht werden. Ferner besteht für Personen ohne sichere Bleibeperspektive die Möglichkeit der Erteilung einer sogenannten Ausbildungsduldung, die nach Abschluss der Ausbildung und 1 https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5531288&s=zum%2Bnichtstun%2Bverdammt/. Drucksache 21/14300 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Aufnahme einer Beschäftigung im Ergebnis in die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis münden kann. Der Senat setzt sich außerdem auf Bundesebene dafür ein, dass insbesondere zur Entlastung der Leistungssysteme auch Asylantragstellende mit ungewisser Bleibeaussicht und Personen mit einem Duldungsstatus, die über einen Arbeitsmarktzugang verfügen und sich länger als sechs Monate in Deutschland aufhalten, bei der Arbeitsmarktintegration unterstützt werden. Darüber hinaus setzt sich der Senat dafür ein, dass Asylantragstellende für ihren Lebensunterhalt durch die Aufnahme einer Beschäftigung selbst aufkommen können und dafür seitens des Bundes auch für diese Zielgruppe entsprechende Förderinstrumente (unter anderem im sprachlichen Bereich) bereitgestellt werden. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Geduldete leben aktuell in Hamburg mit einer und ohne eine Beschäftigungserlaubnis (bitte differenzieren)? Wie hat sich die Anzahl seit 2015 entwickelt? a. Wie lange leben diese Personen bereits in Hamburg und in welchem Alter sind sie aktuell (bitte tabellarisch in geeigneten Jahresstufen darstellen, beispielsweise unter einem Jahr, ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre, vier – zehn Jahre, mehr als zehn Jahre, mehr als 20 Jahre…)? Eine Auswertung aus dem ausländerbehördlichen Fachverfahren bedarf bei der Fragestellung einer umfangreichen händischen Nachbearbeitung, um beispielsweise Aufenthaltsunterbrechungen erkennen und berücksichtigen zu können. Das Verfahren ist zudem nicht dafür ausgelegt, zeitliche Verläufe abzubilden. Eine händische Auswertung mehrerer Tausend Ausländerakten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Zur Zahl der Duldungsinhaber in Hamburg siehe Drs. 21/14071. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. b. Welche Möglichkeiten haben diese Personen um ihre Lebenslage (im Sinne von wirtschaftlichen Perspektiven) eigenständig zu verbessern ? Nach § 60a Absatz 6 S.1 Nummer 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) darf einem Ausländer , der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach § 60a Absatz 6 Satz 1 Nummer 2 AufenthG insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt (§ 60a Absatz 6 Satz 2 AufenthG). In der Regel kommt bei der Personengruppe eine Bleibeperspektive nicht in Betracht, da sie ausreisepflichtig sind und die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht gestattet werden kann. Zu den Angeboten des Senates, die Eigeninitiative der geduldeten Personen, denen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gestattet werden kann, für die Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen, siehe Vorbemerkung. Im Übrigen werden Zahlen der Integration Geduldeter in Beschäftigung nicht gesondert erfasst. Die aktuellen Zahlen zur Entwicklung des Abganges Geflüchteter allgemein in Beschäftigung, bei denen auch Personen mit Duldungsstatus im Rechtskreis des Sozialgesetzbuches III mit erfasst sind, zeigen eine gegenüber dem Vorjahr deutlich ansteigende Entwicklung auf. Zu den Zahlen im Einzelnen vergleiche auch Drs. 21/14071, 21/13796, 21/13348. 2. In Fällen, in denen das Abschiebehindernis nach § 60a Absatz 2 S. 1 AufenthG mangels Passdokumenten fortbesteht: Welche rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten hat der Senat, um die Mitwirkungspflichten der Betroffenen durchzusetzen? Welche Erfahrungen hat der Senat damit gemacht? Der zuständigen Behörde stehen folgende Möglichkeiten zur Verfügung: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14300 3 Aushändigung des schriftlichen Hinweises auf die Mitwirkungspflichten gemäß § 82 AufenthG in Verbindung mit §§ 48, 49 AufenthG (Herausgabepflicht des Passes , Passersatzes oder Ausweisersatz). Kurze Duldungszeiträume in Verbindung mit wiederholten, gleichförmigen Anhörungen gemäß § 26 Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HmbVwVfG) zur Identitätsfeststellung und Beweissicherung. Sammelinterviews sowie gegebenenfalls auch Zwangsvorführungen bei diversen Botschaften/Konsulaten der Länder, aus denen der Betroffene stammen könnte. Leistungskürzungen gemäß § 1a Absatz 3 Satz 1 Asylbewerberleistungsgesetz. Räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf Hamburg gemäß § 61 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 1c Satz 1 Nummer 3 AufenthG. Ordnungsverfügung in Verbindung mit § 82 AufenthG mit Zwangsgeldandrohung, Wirksamwerden des angedrohten Zwangsgeldes und erforderlichenfalls in der Folge Erzwingungshaft. Wohnungsdurchsuchung nach richterlicher Anordnung auf Grundlage einer vollstreckbaren Verfügung im Sinne des § 18 HmbVwVfG. Durchsuchung mitgeführter Sachen (Unterlagen und Datenträger) gemäß § 48 Absatz 3 Satz 2 AufenthG und Auswertung von Datenträgern. Der Erfolg hängt wesentlich vom jeweiligen Einzelfall ab, Maßnahmen werden kumulativ angewandt. 3. Wie vielen abgelehnten Asylsuchenden, die in Hamburg leben, wurde seit 2015 eine ursprünglich erteilte Beschäftigungserlaubnis im Nachhinein versagt (bitte jährlich, nach Rechtsgrundlage und Staatsangehörigkeit unterscheiden)? a. Wie lange leben diese Personen nunmehr in Hamburg? b. Wie viele von ihnen sind nunmehr freiwillig ausgereist beziehungsweise konnten zwischenzeitlich ausgewiesen werden? c. Wie viele Geflüchtete befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis? d. Wie viele dieser Personen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis? e. Wie viele dieser Personen waren bei der Einreise noch minderjährig ? 4. Wie viele Betroffene sind ihren Mitwirkungspflichten (insbesondere Passbeschaffung) durch Versagung der Beschäftigungserlaubnis im Nachhinein, nachgekommen (bitte Erfolgsquote angeben)? a. Wie vielen Betroffenen konnte daraufhin eine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden? b. Wie viele Betroffene sind daraufhin freiwillig ausgereist beziehungsweise wurden daraufhin erfolgreich ausgewiesen? Diese Angaben werden nicht in auswertbarer Form erfasst. Im Übrigen siehe Antworten zu 1. 5. Werden bei der Entscheidung nach § 60a Absatz 6 S. 1 Nummer 2 Aufenth G die erbrachten Integrationsleistungen (Sprache, erworbene Schulbildung) berücksichtigt? Bitte begründen. Nein. Die Regelung in § 60a Absatz 6 S. 1 AufenthG untersagt eine Beschäftigungserlaubnis , wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen nur aus Gründen nicht vollzogen werden, die ausschließlich der Ausländer zu vertreten hat. Drucksache 21/14300 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 6. Welche Leistungen, nach welcher Rechtsgrundlage und in welcher Höhe erhalten die Betroffenen, deren Beschäftigungserlaubnis versagt wurde? Personen, die eine Duldung nach § 60a AufenthG besitzen, erhalten gemäß § 1 Absatz 1 Nummer 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) Leistungen nach dem AsylbLG. In den ersten 15 Monaten ihres Aufenthaltes erhält diese Personengruppe Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Personen im Besitz einer Duldung, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechungen und ohne die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich beeinflusst zu haben im Bundesgebiet aufhalten, erhalten gemäß § 2 Absatz 1 AsylbLG Leistungen entsprechend dem Sozialgesetzbuch XII. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1a Absatz 1 oder Absatz 3 AsylbLG (beispielsweise bei sozialleistungsmotivierter Einreise oder bei Vereitelung aufenthaltsbeendender Maßnahmen) erhalten die Leistungsberechtigten lediglich eingeschränkte Leistungen nach § 1a AsylbLG. Zu den Voraussetzungen und der Höhe der Leistungen nach §§ 1a, 2 und 3 AsylbLG wird auf die Ausführungen in der Fachanweisung zum AsylbLG verwiesen (siehe https://www.hamburg.de/contentblob/11564612/3cb5f70dea1899f351471c5c431a41d 5/data/fa-asylblg-00.pdf). 7. In welcher Gesamthöhe entstehen den öffentlichen Kassen in Hamburg Kosten durch die nachträgliche Versagung von Beschäftigungserlaubnissen obwohl ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis besteht (bitte, nach Jahren getrennt, seit 2015 angeben)? Die zur Beantwortung benötigten Daten werden nicht gesondert statistisch erfasst. Die nachträgliche Versagung von Beschäftigungserlaubnissen wird als Merkmal nicht geführt. Eine Einzelfallauswertung von über 5.000 Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 8. Wie viele Geduldete Personen sind bei den Schwarzarbeit-Kontrollen in den Jahren 2015 – 2018 aufgefallen? Von welcher Dunkelziffer geht der Senat in diesem Bereich aus? Hierzu liegen den zuständigen Behörden der Zollverwaltung keine Erkenntnisse vor. Die Arbeitsstatistik der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung sieht eine Erfassung im Sinne der Fragestellung nicht vor. 9. Welche Positionen vertritt der Senat hinsichtlich der Bekämpfung des Hamburg weit zunehmenden Fachkräftemangels auf der einen Seite und der Situation, dass Geflüchtete, die nach mehreren Jahren der erfolgreichen Integration in unsere Gesellschaft und einer unbefristeten Beschäftigung nachgehen, „zum Nichtstun verdammt“ werden? Setzt der Senat seinen Einfluss auf Bundesebene dafür ein, dass beide Situationen bereichsübergreifend und lösungsorientiert besprochen werden? Mit welchem Erfolg? Siehe Vorbemerkung.