BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14356 21. Wahlperiode 21.09.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 13.09.18 und Antwort des Senats Betr.: G20 – Stand der Öffentlichkeitsfahndung Die Polizei Hamburg hat mittlerweile in drei Öffentlichkeitsfahndungen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel nach insgesamt 278 Personen gefahndet . Weitere Personen wurden im Rahmen einer polizeiinternen Fahndung in insgesamt 15 europäischen Ländern gesucht. Die Öffentlichkeitsfahndung ist ein umstrittenes Instrument, da sie erheblich in die Grundrechte der Betroffenen eingreift und insbesondere im digitalen Zeitalter zu einer lebenslangen Stigmatisierung führen kann. Die bisherigen Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsfahndung (zum Beispiel die öffentliche Diffamierung einer Minderjährigen als „Krawall-Barbie“ durch ein Boulevardblatt, oder dass sich Tatvorwürfe , die als Legitimation zur Fahndung herangezogen wurden, als nicht haltbar erwiesen haben) hat die Behörde jedoch nicht zu einem sensibleren Umgang mit diese Instrument bewogen. Entgegen aller Kritik, wird die Öffentlichkeitsfahndung bei vermeintlichen Straftaten mit G20-Bezug immer weiter vorangetrieben . Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Personen sind mittlerweile identifiziert? Bitte differenzieren nach der jeweiligen Öffentlichkeitsfahndung. Zur Beantwortung der Fragen wurden die durch die Polizei festgestellten Vorgänge im Vorgangsbearbeitungs- und Vorgangsverwaltungssystems der Staatsanwaltschaft MESTA – dem sich allerdings im Sinne der Fragestellung keine validen Daten entnehmen lassen, weil es nicht als Statistikprogramm konzipiert ist – einzeln abgeglichen und jeweils der in MESTA erfasste führende „Tatvorwurf“, die „Erledigung (StA)“ und die „Entscheidung (Gericht)“ festgestellt. Über die in MESTA verzeichneten Angaben hinaus kann angesichts der Vielzahl der Vorgänge eine weitergehende Beantwortung nicht erfolgen, weil hierfür eine im Rahmen der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leistende Beiziehung und händische Auswertung der – zudem teilweise versandten – Verfahrensakten erforderlich wäre. Die Angaben (Stand 17.09.2018) stehen unter dem Vorbehalt der vollständigen und richtigen Eintragung in MESTA. Unter „Entscheidungen“ wurden nur rechtskräftige Strafbefehle und Urteile erfasst. Ob es sich dabei im Einzelfall um einen Strafbefehl oder ein Urteil handelt, kann anhand von MESTA nicht zuverlässig nachvollzogen werden. Es wurden 71 Personen identifiziert, davon 37 in der ersten Öffentlichkeitsfahndung, 23 in der zweiten Öffentlichkeitsfahndung und elf in der dritten Öffentlichkeitsfahndung . 2. Gegen wie viele der identifizierten Personen werden oder wurden Ermittlungsverfahren wegen welcher Delikte geführt? Drucksache 21/14356 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Es wurden beziehungsweise werden Ermittlungsverfahren jeweils gegen eine oder mehrere Personen wegen folgender Tatvorwürfe geführt: § 86a StGB: 1, § 113 StGB: 3, § 123 StGB: 1, § 125 StGB: 7, § 125a StGB: 31, § 223 StGB: 2, § 224 StGB: 14, § 306 StGB: 3. 3. Gegen wie viele der identifizierten Personen wurde wegen welcher Delikte a. ein Strafbefehl erlassen und in wie vielen Fällen ist dieser bereits rechtskräftig? Rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen durch Urteil oder Strafbefehl ergingen wie folgt: § 113 StGB: 1, § 123 StGB: 1, § 125a StGB: 1. b. eine Anklage erhoben? § 113 StGB: 2, § 123 StGB: 1, § 125 StGB: 1, § 125a StGB: 7, § 224 StGB: 2. c. bereits eine Hauptverhandlung durchgeführt? Mit welchen Ergebnissen ? Siehe Antwort zu 3. a., im Übrigen siehe Antwort zu 1. 4. Bitte machen Sie für die Personen, die durch die Öffentlichkeitsfahndung identifiziert wurden und gegen die ein Strafbefehl erlassen wurde, folgende Angaben: a. Wegen welchen Delikts wurde nach der Person öffentlich gefahndet und wegen welchen Delikts ist der Strafbefehl ergangen? b. Welche Rechtsfolge in welcher Höhe wurde durch den Strafbefehl festgesetzt? Siehe Antwort zu 2. Verurteilungen erfolgten wegen - tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung zu sieben Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung, - Hausfriedensbruchs in zwei Fällen zu 60 Tagessätzen Geldstrafe zu je 30 Euro, - Hausfriedensbruchs zu 200 Euro Geldauflage. c. Wurde bei dem Beschluss über die öffentliche Fahndung der entsprechenden Person bereits die vorgeworfene Straftat nur als Vergehen gewertet oder hat sich die Bewertung im Laufe des Verfahrens aus welchen Gründen verändert? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14356 3 Diese Frage lässt sich in der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht beantworten, da dazu sämtliche Akten beigezogen und händisch ausgewertet werden müssten. 5. In wie vielen Fällen wurde das Ermittlungsverfahren gegen eine durch die Öffentlichkeitsfahndung identifizierte Person a. nach § 170 Absatz 2 StPO, b. nach § 153 StPO, c. nach § 153a StPO, d. auf Grundlage einer anderen Rechtsgrundlage (bitte benennen) eingestellt? Es wurden je ein Verfahren nach § 170 Absatz 2 StPO und nach § 154f StPO eingestellt . 6. Wie viele der durch die Öffentlichkeit identifizierten Personen sind Jugendliche oder Heranwachsende? 26. 7. Nach wie vielen Personen wurde und wird insgesamt im Zusammenhang mit dem sogenannten Rondenbarg-Komplex gefahndet? 57. 8. Auf der Pressekonferenz zur zweiten Öffentlichkeitsfahndung am 16.05.2018 kündigte die Polizei an, dass neben der internen Fahndung in anderen europäischen Staaten eine europaweite Öffentlichkeitsfahndung geplant sei. Wie ist der Stand und welche (verfahrensrechtlichen) Schritte wurden diesbezüglich bereits unternommen und/oder geplant? Nach eingehender rechtlicher Prüfung durch die Staatsanwaltschaft Hamburg wurden in der 38. Kalenderwoche auf Grundlage deutscher Gerichtsbeschlüsse zu Öffentlichkeitsfahndungen Fotos von vier unbekannten Tatverdächtigen im Tatkomplex Elbchaussee auf der Internetseite der Polizei Hamburg mit Begleittext in verschiedenen europäischen Sprachen veröffentlicht, siehe https://www.polizei.hamburg/g20-publicsearch /. Grundlage für die Veröffentlichung der Bilder der unbekannten Täter sind Beschlüsse nach § 131b StPO des AG Hamburg. 9. Nach Auskunft des Senates (auf meine Anfrage Drs. 21/13179) wurde in der internen europäischen Fahndung nach 91 Personen in insgesamt 15 europäischen Ländern gefahndet. a. Wurde seitdem nach weiteren Personen in europäischen Ländern intern gefahndet? Wenn ja, wie viele und in welchen Ländern? Aktuell wird nach weiteren 22 unbekannten Tätern mittels Erkenntnisanfragen in 15 europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz, Spanien, Tschechien, Ungarn) intern gefahndet. b. Wie viele Personen wurden durch die interne Fahndung in anderen europäischen Staaten bisher identifiziert? Vier. c. Ist eine weitere polizeiinterne Fahndung in europäischen Staaten geplant? Wenn ja, wie ist der Stand? Es ist keine weitere polizeiinterne Fahndung in europäischen Staaten geplant. 10. Ist eine weitere (nationale) Öffentlichkeitsfahndung geplant? Drucksache 21/14356 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Wenn ja, wie ist der Stand? In jedem Verfahren, in dem einem unbekannten Täter eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorgeworfen wird, wird jeweils unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls geprüft, ob zur Identifizierung des unbekannten Täters beim Amtsgericht Hamburg ein Beschluss gemäß § 131b StPO zu beantragen ist. 11. Die dritte Öffentlichkeitsfahndung im Zusammenhang mit dem G20- Gipfel begann am 23.08.2018. Welche und wie viele unterschiedliche Richter/-innen haben über die Zulässigkeit der erneuten Öffentlichkeitsfahndung entschieden? a. Wann wurden die Anträge gestellt? b. Wurde für jede der 70 Personen ein einzelner Antrag gestellt, oder waren die Anträge in irgendeiner Form „gebündelt“? c. Wann wurden die Anträge beschieden? d. In wie vielen Fällen wurde der Beschluss durch eine/n Jugendrichter /-in getroffen? e. Wie viele gestellte Anträge sind aktuell von der Staatsanwaltschaft noch nicht beschieden? f. In wie vielen Fällen hat das Gericht den begehrten Antrag abgelehnt ? Die abgefragten Daten werden im Vorgangsbearbeitungs- und Vorgangsverwaltungssystems der Staatsanwaltschaft MESTA – dem sich keine gültigen und zuverlässigen Daten entnehmen lassen, weil es nicht als Statistikprogramm konzipiert ist – nicht zuverlässig erfasst. Zur Beantwortung der Fragen müssten alle bis zum 23.08.2018 hier eingegangenen Unbekannt-Verfahren aus dem Register 7120 UJs händisch ausgewertet werden. Bis zum 31.08.2018 waren im Register 7120 UJs insgesamt 1.465 Verfahren anhängig. Weder eine Beiziehung noch eine entsprechende Auswertung dieser Akten ist in der Kürze der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit möglich. g. Kam zum Auffinden von geeignetem Bildmaterial für den gerichtlichen Antrag oder die Öffentlichkeitsfahndung eine Gesichtserkennungssoftware zum Einsatz? Wenn ja, in wie vielen Fällen und wie sah die konkrete Nutzung aus? Das für die Öffentlichkeitsfahndung verwendete Bildmaterial wurde für die Ermittlungsverfahren dem im Zusammenhang mit G20 zur Verfügung stehenden Bild- und Videomaterial entnommen. In Einzelfällen diente der Einsatz darüber hinaus der Suche nach weiterem oder besserem Bildmaterial. Darüber hinaus werden Daten im Sinne der Fragestellung nicht erhoben. Im Übrigen siehe Drs. 21/13939.