BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14429 21. Wahlperiode 28.09.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 21.09.18 und Antwort des Senats Betr.: Anti-Mobbing-Programm des Bundes: Mit welchem Engagement macht sich der Senat an die Arbeit? Nachdem der CDU-Antrag zur Bekämpfung ethnisch-kulturell motivierter Aggressionen in Schulen (Drs. 21/13991) vor Kurzem in der Bürgerschaft von den Regierungsfraktionen und den LINKEN abgelehnt worden ist, erscheint das vom Bund aufgelegte Anti-Mobbing-Programm an Schulen als Schritt in die richtige Richtung. Mit rund 170 sogenannten Anti-Mobbing-Profis soll bundesweit religiösem Mobbing begegnet und Toleranz und Demokratieverständnis sollen an Schulen gefördert werden. Bundesweit stehen für dieses Programm im Jahr 2018 20 Millionen Euro zur Verfügung. Das Programm ist Teil des Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus. Die vom Bundesjugendministerium geförderten Jugendmigrationsdienste sollen das Vorhaben vor Ort umsetzen. Zusammen mit den Schulen soll der Unterstützungsbedarf festgelegt und ein Präventionskonzept erstellt werden. In diesem Zusammenhang beklagte die zuständige Bundesfamilienministerin in einem Zeitungsartikel zu Recht den Umstand, dass das Meldesystem für Mobbingfälle an Schulen besser ausgestaltet werden müsse. Diejenigen Schulen, die konsequent melden, würden Gefahr laufen, in der Gewaltstatistik ganz oben zu stehen und damit einen schlechten Ruf zu riskieren, obwohl gerade sie vorbildlich agieren. Die Melderichtlinien für Schulen bei Gewaltvorfällen wurden vom Hamburgischen Senat so verändert, dass nur noch Fälle schwerer Gewalt wie gefährliche Körperverletzung erfasst werden. Fälle leichter Körperverletzung werden demnach nicht mehr erfasst – das schönt die Statistik, informiert jedoch nicht ausreichend über die wahre Situation an Hamburgs Schulen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Bei dem von der Bundesregierung aufgelegten Programm „Respekt Coaches (Anti- Mobbing Profis)“ im Rahmen des „Nationalen Präventionsprogramms gegen Islamismus “ werden den Ländern Personal- und Sachkosten für den Ausbau der schulbezogenen Jugendsozialarbeit durch die Jugendmigrationsdienste (JMD) in Kooperation mit Trägern der Extremismusprävention und Verbänden der politischen Bildung zur Verfügung gestellt. Den Trägern der JMD in Hamburg wurden acht Stellen zugewiesen . Ziele des Programms sind die Vernetzung der Träger der Jugendsozialarbeit mit der politischen Bildungsarbeit und den Fachträgern der Radikalisierungsprävention, die Drucksache 21/14429 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Entwicklung gemeinsamer Konzepte, wie primärpräventive Expertise und Ansätze, die Eingang in die Jugendsozialarbeit und politische Bildungsarbeit finden und erprobt werden können. Umsetzungspartner des Programms sind die JMD, Schulen, Träger der Radikalisierungsprävention beziehungsweise der politischen Kinder- und Jugendbildung , öffentliche Träger der Jugendhilfe und die Landesdemokratiezentren. Mit dem Programm sollen sowohl sozialpädagogische Begleitungen im Rahmen des Regelangebots der JMD durchgeführt als auch Gruppenangebote an Schulen gemacht und Experten der Radikalisierungsprävention und politischen Bildung in Bereichen wie zum Beispiel interkulturelle Kompetenzentwicklung, Demokratiebildung, Übergang Schule/Beruf eingebunden werden. Dabei geht es um die Stärkung demokratischer und individueller Kompetenzen Jugendlicher durch Ansprache, Vertrauensaufbau , Vermittlung von demokratischen Werten, Eröffnung von Chancen und Lebensperspektiven, Stärkung der Netzwerkarbeit und Sensibilisierung aller beteiligten Akteure (JMD, Lehrkräfte, Peers, Eltern et cetera) für den Themenkomplex religiös begründeter Extremismus (https://www.jmd-respekt-coaches.de/ueber-dasprogramm /). Insofern ist es irreführend, dass vom Bund aufgelegte Programm als Anti-Mobbing- Programm zu bezeichnen. Die zuletzt 2015 aktualisierte „Richtlinie zur Bearbeitung und Meldung von Gewaltvorfällen in Schulen“ (https://www.hamburg.de/contentblob/5064824/ 3c0b35d6b59e63d88f11990f221f6464/data/richtlinie-meldung-vongewaltvorfaellen .pdf) hat sich bewährt. Bei allen übrigen Straftaten, Vorfällen, Vorkommnissen und besonderen Ereignissen in Schulen gilt § 49 Absatz 8 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG) beziehungsweise die Verwaltungsvorschrift zur Meldung besonderer Vorkommnisse. Zum Umgang mit Mobbing haben viele Hamburger Schulen Handlungsketten und Maßnahmen implementiert, siehe unter anderem Drs. 21/13600. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Mit welchen finanziellen Mitteln wird das Anti-Mobbing-Programm in Hamburg im Jahr 2018 umgesetzt? 2. Mit welchen finanziellen Mitteln wird das Anti-Mobbing-Programm in Hamburg im Jahr 2019 umgesetzt? 3. Mit welchen finanziellen Mitteln unterstützt der Senat das Anti-Mobbing- Programm des Bundes? Der für Bildung zuständigen Behörde ist die Höhe der Zuwendung aus Bundesmitteln nicht bekannt, weil diese vom Bund direkt den Trägern zur Verfügung gestellt werden. 4. Welche Schulen werden aus welchen Gründen für das Anti-Mobbing- Programm ausgewählt? Der Senat sieht in ständiger Praxis von der öffentlichen Benennung von Schulnamen, Schulstandorten oder weiteren Informationen zu Beratungs- und Vermittlungsanfragen ab, um eine Stigmatisierung einzelner Schulen zu verhindern, die Vertraulichkeit der fallbezogenen Beratungsarbeit zu wahren und eine Identifizierung einzelner Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte zu verhindern. Die Schulen wurden aber in Zusammenarbeit mit den Trägern der JMD und den in der für Bildung zuständigen Behörde fachlichen Ansprechpartnern der Schulaufsicht, dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI), der Beratungsstelle Gewaltprävention sowie dem Beratungszentrum Berufliche Schulen (BZBS) des Hamburger Instituts für berufliche Bildung ausgewählt. Bei der Auswahl der Schulen spielten die fachliche Einschätzung der für Bildung zuständigen Behörde, die Bedarfe und soziale Lage sowie die regionale Verteilung der Schulen eine Rolle. 5. Werden vor allem diejenigen Schulen ausgewählt, die bezüglich der Gewaltstatistik und einer dementsprechenden sorgfältigen Meldung angeblich die häufigsten Gewaltdelikte aufweisen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14429 3 Nein, denn das Bundesprogramm steht in keinem direkten Zusammenhang mit schulischen Gewalttaten, die gemäß der „Richtlinie zur Bearbeitung und Meldung von Gewaltvorfällen in Schulen“ melde- und anzeigepflichtig sind, sondern mit dem Programm „Vorbeugung und Bekämpfung von religiös motiviertem Extremismus und antimuslimischer Diskriminierung“ (vergleiche Drs. 21/14037). Im Übrigen siehe Vorbemerkung . 6. Welche Stellen sind in Hamburg in das Anti-Mobbing-Programm des Bundes eingebunden und welche Aufgabe haben sie bei der Umsetzung des Programms? Das LI übernimmt für Hamburg in dem Programm „Respekt Coaches (Anti-Mobbing- Profis)“ in Abstimmung mit der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration sowie weiteren Akteuren der für Bildung zuständigen Behörde koordinierende Aufgaben wie zum Beispiel die Abstimmung mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren , Frauen und Jugend (BMFSFJ), den Schulen, den JMD-Trägern und der Schulaufsicht . Die Beratungsstelle Gewaltprävention und das BZBS stehen unterstützend zur Seite, sollten sich in der schulischen Bearbeitung Einzelfälle entwickeln, die einer Fallübernahme bedürfen. 7. Welche Hamburgischen Präventionsprojekte ergänzen das neue Anti- Mobbing-Programm des Bundes und welche Synergieeffekte werden seitens der zuständigen Behörde erwartet? Die für Bildung zuständige Behörde sieht in dem Programm eine Ergänzung der bereits in Hamburg bestehenden Maßnahmen, siehe Drs. 21/14037 und Drs. 21/13544. Durch die verbesserten Umsetzungsmöglichkeiten an den ausgewählten Schulen wird eine noch höhere Sensibilisierung für das Thema erreicht werden. 8. Gibt es Überlegungen, aufgrund des Anti-Mobbing-Programms des Bundes Hamburger Programme einzustellen beziehungsweise zurückzufahren ? a) Wenn ja, welche und aus welchen Gründen? Nein. 9. Welche Konzepte und Maßnahmen werden den teilnehmenden Schulen voraussichtlich angeboten? Siehe Vorbemerkung. 10. Gibt es Bestrebungen seitens der zuständigen Behörde, bestehende Unterstützungsangebote zu evaluieren und zu prüfen und in das Qualitätsmanagement der Schulbehörde zu integrieren? a) Wenn ja, wann liegen die Ergebnisse voraussichtlich vor? b) Wenn nein, warum nicht? Eine wissenschaftliche Begleitung des Programms „Respekt Coaches (Anti-Mobbing- Profis)“ ist durch das BMFSFJ vorgesehen und befindet sich zurzeit in Planung. 11. Gibt es Planungen, a) die Problematik von ethnisch-kulturell motivierter Aggression in die Curricula der Lehrerausbildung und verstärkt in die Fortbildungen der Schulleiter zu integrieren und „Ethnisch-kulturell motivierte Aggression“ ist keine wissenschaftlich begründete Kategorie , daher findet dieser Terminus keine Verwendung in der Lehrerbildung. In den Curricula sind derartige Angebote deshalb nicht verankert. Es gibt auch keine entsprechenden Pläne. Kulturelle Diversität ist hingegen seit Jahrzehnten in allen Phasen der Hamburger Lehrerbildung an der Universität Hamburg und dem LI thematisch verankert. In der Ausbildung von Lehrkräften im Vorbereitungsdienst und der Schulleitungsfortbildung werden zum Beispiel Veranstaltungen zum Umgang mit Konflikten jeder Art angeboten , siehe auch Drs. 21/13544. In den Schulleitungsfortbildungen wird den schulischen Drucksache 21/14429 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Führungskräften in der Reihe „Neu im Amt“ das Grundlagenwissen hierzu vermittelt. Die begriffliche Abgrenzung Konflikt versus Mobbing erfolgt in dem Modul „Konfliktmanagement “. Systematisch verankert ist das Thema in dem Modul „Erziehungsmanagement als Führungsaufgabe“, das in Kooperation mit der Beratungsstelle für Gewaltprävention stattfindet. Dort wird das Thema Mobbing intensiv unter regelhafter Einbeziehung kultureller beziehungsweise interkultureller Aspekte behandelt. b) den dafür erforderlichen Zeitaufwand im Lehrerarbeitszeitmodell zu berücksichtigen? Der Zeitaufwand für Anti-Mobbing-Handeln ergibt sich aus dem jeweiligen Unterricht, in den dieses Handeln integriert ist. Der Unterricht ist wie in der Lehrkräftearbeitszeitverordnung berücksichtigt und entsprechend faktorisiert. 12. Gibt es Planungen, das Hamburgische Schulgesetz so zu ändern, dass neben Prävention auch Verpflichtungen eingeführt werden wie zum Beispiel die Verpflichtung von Eltern, an Lernentwicklungsgesprächen und Elternabenden teilzunehmen? a) Wenn ja, welche Änderungen sind vorgesehen? b) Wenn nein, warum nicht? § 42 Absatz 8 Satz 2 HmbSG enthält eine Verpflichtung der Sorgeberechtigten, vor Übergangsentscheidungen die Schule aufzusuchen und sich beraten zu lassen. Mit der gesetzlichen Verankerung weitergehender schulrechtlicher Verpflichtungen hat sich der Senat nicht befasst. Im Übrigen siehe Drs. 21/13544 Antworten zu 4. und 5. 13. Gibt es seitens der zuständigen Behörde Bestrebungen, die Klassenräte zu stärken? a) Wenn ja, auf welche Weise? b) Wenn nein, warum nicht? Im Unterschied zu dem im § 64 HmbSG kodifizierten Schülerrat sind die Rechte und Zuständigkeiten eines Klassenrats nicht im HmbSG gesetzlich geregelt. Schulen beziehungsweise Lehrkräfte entscheiden im Rahmen ihrer Selbstverantwortung eigenständig und bedarfsgerecht über die Umsetzung des Konzepts des Klassenrats. Dabei stehen pädagogische Überlegungen im Vordergrund, zu denen neben der Einübung demokratischer Formen und der Mitbestimmung in der Schule die Klärung von klasseninternen Fragestellungen sowie die Bewältigung kleinerer Konflikte im Klassenverband und allgemein die Stärkung des sozialen Zusammenhalts zählen. Der Klassenrat ist eine insbesondere bei Grundschülerinnen und Grundschülern sowie jüngeren Schülerinnen und Schülern der weiterführenden Schulen als bewährt angesehene Arbeitsform, siehe auch Drs. 21/13544. Mobbingfälle sind nach Einschätzung der für Bildung zuständigen Behörde im Rahmen des Formats „Klassenrat“ nicht sinnhaft zu bearbeiten; vielmehr ist in solchen Fällen auf die dafür bereitstehenden geschulten pädagogischen Fachkräfte der Schule , die Handlungsroutinen oder externe Unterstützungsstrukturen zurückzugreifen. 14. Gibt es Bestrebungen, die Melderichtlinien bezüglich Mobbing und anderer Gewaltvorfälle an Schulen besser auszugestalten? a) Wenn ja, auf welche Weise? b) Wenn nein, warum nicht? Nein, denn eine überbehördliche Expertengruppe hatte bei der letzten Aktualisierung der Richtlinie 2015 der für Bildung zuständigen Behörde empfohlen, sich bei den Meldungen von Gewaltvorfällen stärker auf objektivierbare Kriterien zu stützen und sich deshalb auf überprüfbare, feststellbare Straftaten im Kontext der Gewaltkriminalität zu konzentrieren und diese jährlich mit der Statistik der Polizei Hamburg abzugleichen. Aufgrund dieser Empfehlungen erfolgte eine Überarbeitung der Richtlinie und des Meldebogens. Der Meldebogen erhielt mit der Aktualisierung eine inhaltliche Fokussierung auf anzeigepflichtige Straftaten, auf den anlassbezogenen, dringenden Unterstützungsbedarf der meldenden Schule, eine Konkretisierung der gewünschten Hilfe- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14429 5 stellung und eine stärkere Differenzierung in Maßnahmen für die geschädigten Personen und die Tatverdächtigen. Zudem wurde der Meldebogen im Hinblick auf eine transparentere Struktur, eine eindeutige Handlungs- und Zuständigkeitsfolge und der zusätzlichen Berücksichtigung von Maßnahmen beim Opferschutz überarbeitet. Im Übrigen siehe Vorbemerkung sowie Drs. 21/5677 und Drs. 21/10344.