BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14471 21. Wahlperiode 02.10.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Jens Wolf (CDU) vom 26.09.18 und Antwort des Senats Betr.: Zentraler Zuführdienst des Bezirksamtes Altona Die Mitarbeiter des zentralen Zuführdienstes nehmen Aufgaben nach dem Hamburgischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (HmbPsychKG) wahr. Der zentrale Zuführdienst stand nach einem Vorfall am 24. September 2018, bei dem ein betreffender Mitarbeiter während des Dienstes durch äußere Gewalteinwirkungen tragischer Weise verstarb, im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit (vergleiche https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Brand-Attacke-Verletzte-ausser- Lebensgefahr,brand6632.html). Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Zuführdienst Altona ist eine beim Bezirksamt Altona angegliederte Einrichtung, die zentral für alle Bezirke Aufgaben der Zuführung und Unterbringung von Personen nach dem Hamburgischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (HmbPsychKG), der Zuführung bei zivilrechtlichen Unterbringungen (§§ 1631, 1846 und 1906 BGB) und nach dem Infektionsschutz (IfSG) wahrnimmt . Hiermit gehen Maßnahmen der Wohnungssicherung einher. Hinzu kommen Aufgaben der Rufbereitschaft, wie zum Beispiel die Entgegennahme und Weiterleitung von Meldungen im Katastrophenfall oder die Ersterreichbarkeit für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Der Zuführdienst ist durch die Anordnung des Senats zur Durchführung des Hamburgischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (0-2127-1) zuständig für die Durchführung von Maßnahmen zur Unterbringung von Personen nach dem HmbPsychKG und durch die Anordnung des Senats zur Durchführung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (0- 315-1) für zivilrechtliche Unterbringungen. Hierzu gehören die Entgegennahme, Bearbeitung und Entscheidung über Anträge auf sofortige Unterbringung psychisch Kranker sowie die Organisation der Zuführung (administrative Aufgaben); die Durchführung von Vollstreckungsaufträgen zur zwangsweisen Unterbringung von psychisch kranken, verwahrlosten oder hilflosen Personen in der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses oder einer anderen Anstalt geeigneten Einrichtung ; die Unterstützung von Betreuern bei der Zuführung zum Zwecke der Unterbringung (§ 1906 BGB) in die geschlossene Abteilung eines Krankenhauses oder einer anderen Einrichtung; Drucksache 21/14471 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 die Einleitung Durchführen von Fahndungsmaßnahmen nach entwichenen psychisch Kranken und Rückführung in die Unterbringungsanstalten; das Durchführen von Fahndungen nach psychisch Kranken ohne festen Wohnsitz beziehungsweise entwichenen Kranken unter Zuhilfenahme der Fahndungsmittel der Polizei und im Zusammenwirken mit der Polizei;. Inverwahrnahme und Vorführen der Personen; das Durchführen von Vollstreckungsaufträgen gegenüber Personen, die krank, krankheits- oder ansteckungsverdächtig im Sinne des Infektionsschutzgesetzes sind und daher einer Krankenanstalt oder entsprechenden Einrichtungen zugeführt werden müssen; das Sicherstellen von persönlichem Eigentum, Wohnungssicherung, Wertsachensicherung , Einleitung von Sofortmaßnahmen zur Unterbringung und Versorgung abhängiger Personen und lebenden Inventars; das Einleiten von Maßnahmen zur Beseitigung von Zuständen, die die öffentliche Hygiene, Sicherheit und Ordnung stören, eventuell Einsatz körperlicher Gewalt; Hinzuziehen von Hilfspersonen wie Polizei, Feuerwehr, Schlosser, Treffen von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht nur gegenüber den Betroffenen selbst, sondern auch gegenüber Dritten; die Bearbeitung und Steuerung der Vorgänge im Zusammenhang mit Unterbringungen durch den Zuführdienst, Dienstplanung und Koordination des psychiatrischen Notdienstes. Dies vorausgeschickt beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Mitarbeiter (in Vollzeitäquivalenten) beschäftigt(e) der zentrale Zuführdienst jeweils in den Jahren 2016, 2017 und bisher 2018? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. Zum jeweils angegebenen Stichtag war folgende Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (in VZÄ) im Zentralen Zuführdienst des Bezirksamts Altona tätig: Stichtage Beschäftigte Zuführdienst (VZÄ) 31.12.2016 24,16 31.12.2017 23,43 30.06.2018 25,49 Quelle: Bezirksamt Altona 2. Wie viele Einweisungsverfügungen wurden in den Jahren 2016, 2017 und bisher 2018 jeweils erlassen? Bitte nach Jahren und Bezirken aufgliedern . Die Anzahl der Einweisungsverfügungen hat sich im Verlauf der Jahre 2016 – 2018 wie folgt entwickelt: Bezirk 2016 2017 2018* HH-Mitte 1.279 1.543 1.135 Altona 533 522 441 Eimsbüttel 414 460 358 HH-Nord 578 630 519 Wandsbek 705 805 671 Bergedorf 197 210 162 Harburg 193 198 111 Summe 3.899 4.368 3.397 Quelle: Bezirksamt Altona * Stand: 27.09.2018 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14471 3 3. Wie viele Aufforderungen nach § 7 Absatz 1 S. 1 HmbPsychKG gab es in den Jahren 2016, 2017 und bisher 2018 jeweils? Bitte nach Jahren und Bezirken aufgliedern. Die Zahl der Aufforderungen nach § 7 Absatz 1 S. 1 HmbPsychKG werden statistisch nicht erfasst. 4. Wie viele Angriffe gab es auf diese Mitarbeiter beziehungsweise Betreuer in den Jahren 2016, 2017 und bisher 2018? Bitte nach Jahren aufschlüsseln . Das bedauerliche Geschehen in Eißendorf, bei dem ein Mitarbeiter zu Tode gekommen ist und ein weiterer verletzt wurde, stellt einen absoluten Einzelfall von nicht vorhersehbarer Gewaltanwendung dar. Bei rund 95 Prozent der Vorfälle von Entgleisungen gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zuführdienstes handelt es sich um verbale Beleidigungen oder leichte Schubsereien. Bei den verbliebenen Fallkonstellationen handelt es sich um Handgreiflichkeiten mit nachgehender Zwangsmitteleinsetzung (Handfesseln, Spuckhauben ). Bezug nehmend auf die Gesamtzahl der vom Zentralen Zuführdienst vorgenommenen Einweisungen kann der Anteil der verbalen oder tätlichen Übergriffe auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zuführdienstes als gering bewertet werden. Zeitraum Anzahl der Vorfälle Anzahl Einweisungsver-fügungen 01.01. bis 31.12.2016 60 3.899 01.01. bis 31.12.2017 27 4.368 01.01. bis 26.09.2018 22 3.397 Quelle: Bezirksamt Altona Die Zahl der Angriffe auf Betreuerinnen und Betreuer wird statistisch nicht erfasst. 5. Welche besondere Ausbildung haben diese Mitarbeiter, um mit Gefahrensituationen umgehen zu können? Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralen Zuführdienstes im Bezirksamt Altona verfügen über Ausbildungsvoraussetzungen aus den Bereichen der Polizeivollzugsdienste und der gesundheitlichen Versorgung. Zusätzlich erfolgen halbjährliche Schulungen im polizeilichen Einsatztraining im Rahmen des Umgangs mit Gefahrensituationen . 6. Weshalb übernimmt in Hamburg der zentrale Zuführdienst und nicht Polizei oder Feuerwehr die Durchsetzung von Einweisungsverfügungen? § 14 Absatz 4 HmbPsychKG bestimmt, dass die Beförderung der unterzubringenden Person in ein Krankenhaus oder eine sonstige Einrichtung – sofern notwendig – durch die zuständige Behörde mit einem dafür geeigneten Fahrzeug unter Betreuung von zwei im Umgang mit psychisch Kranken erfahrenen Begleitern zu erfolgen hat. Diese Festlegung des Gesetzgebers berücksichtigt, dass die Aufgaben des Zuführdienstes überwiegend außerhalb des Kernbereichs polizeilicher Aufgaben liegen. Im Falle zivilrechtlicher Unterbringungen hat die zuständige Behörde gemäß § 326 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) den Betreuer oder den Bevollmächtigten im Sinne des § 1896 Absatz 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf deren Wunsch bei der Zuführung zur Unterbringung nach § 312 Nummer 1 FamFG oder bei der Verbringung nach § 312 Nummer 3 FamFG zu unterstützen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Ein Tätigwerden der Polizei ist grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 326 Absatz 2 FamFG vorgesehen. Hiernach darf die Behörde nur Gewalt anwenden , wenn das Gericht dies ausdrücklich angeordnet hat. Die zuständige Behörde ist befugt, erforderlichenfalls die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane nachzusuchen . Drucksache 21/14471 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Im Übrigen wird die Polizei im der Rahmen der Gefahrenabwehr in originärer Zuständigkeit bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen bei akuten Gefährdungen der Mitarbeiter des Zuführdienstes auf Grundlage des Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Strafprozessordnung tätig. Bei der Zuführung ist im Umgang mit der betroffenen Zielgruppe eine zielgruppen- und krankheitsbildadäquate Vorgehensweise zu gewährleisten. Dies ist nicht nur für die unmittelbare Zuführung, sondern auch für die anschließende Therapieaufgeschlossenheit in der Erstphase der Unterbringung bedeutsam. Eine solche Vorgehensweise erfordert spezielle Kenntnisse, die über die im Rahmen der Ausbildung von Polizeivollzugsbeamten vermittelten allgemeinen Kenntnisse über den Umgang mit Personen in konfliktbelasteten Situationen hinausgehen. Auch müssen zeitliche Kapazitäten eingeräumt werden, um sich anderer persönlicher Angelegenheiten des Betroffenen annehmen zu können. Dies betrifft das Sicherstellen von persönlichem Eigentum, die Wohnungssicherung, die Wertsachensicherung, die Einleitung von Sofortmaßnahmen zur Unterbringung und Versorgung abhängiger Personen und eventuell vorhandener Haustiere. All dies dient der Realisierung einer möglichst konfliktfreien Zuführung. Da die Einsatzkräfte der Polizei grundsätzlich für multifunktionale Verwendungen unter Lage- und Prioritätengesichtspunkten zur Verfügung stehen müssen, könnten die dafür erforderlichen zeitlichen Standards durch die Polizei nicht immer garantiert werden. Ein Tätigwerden gemäß § 312 Nummer 1 FamFG, die naturgemäß auch eine Grundrechtseinschränkung für sich selbst gefährdende Personen beinhaltet, fällt schon begrifflich nicht in die Aufgabenstellung der Feuerwehr. Diese ist definiert als nicht polizeiliche Gefahrenabwehr und Hilfeleistung bei allen Notlagen durch Feuer, Naturereignisse , Explosionen, Unfälle und ähnliche Vorkommnisse sowie der Notfallrettung (in diesem Kontext relevante Kernaufgaben der Feuerwehr). Eine Zuführung kann daher nicht in den originären Aufgabenbereich der Feuerwehr fallen. 7. Welchen Ablauf hat die Durchsetzung von Einweisungsverfügungen in der Regel? Der Ablauf von Unterbringungen psychisch kranker Menschen gemäß § 12 HmbPsychKG (öffentlich-rechtliche Unterbringung) stellt sich in der Regel wie folgt dar: Niedergelassene Fachärztinnen und Fachärzte der Psychiatrie und Psychotherapie oder der Neurologie beziehungsweise Krankenhausärztinnen und -ärzte in der Psychiatrie und Psychotherapie oder Neurologie sowie die Ärztinnen und Ärzte der sozialpsychiatrischen Dienste und jugendpsychiatrischen Dienste der Fachämter Gesundheit der Bezirksämter stellen nach Untersuchung der betroffenen Person einen Antrag auf Unterbringung gemäß § 12 HmbPsychKG beim Zentralen Zuführdienst im Bezirksamt Altona. Nachgehend erfolgt die Übermittlung des Untersuchungsattests an den Zentralen Zuführdienst. Der Zuführdienst nimmt die Daten über die unterzubringende Person auf dem Antragsaufnahmeformular auf, klärt Besonderheiten, wie zum Beispiel den zusätzlichen Einsatz eines Krankenwagens, etwaige Gefahrenmomente (Hinzuziehung von Polizeieinsatzkräften) und den Sozialversicherungsträger. Nachfolgend ergeht die schriftliche Entscheidung (akute Eigen- und/oder Fremdgefährdung ) über die Unterbringung gemäß § 12 HmbPsychKG. Maßgeblich dafür ist das Attest einer oder eines in der Psychiatrie erfahrenen Ärztin beziehungsweise Arztes, welches auf einer frühestens am Vortag bei der unterzubringenden Person durchgeführten eigenen Untersuchung beruht. Anhand der Meldeadresse der unterzubringenden Person wird mittels des sogenannten Sektorverzeichnisses das für die Unterbringung zuständige Krankenhaus ermittelt. Amtsgerichtsantrag, Unterbringungsverfügung und Gebührenformular werden schriftlich erstellt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14471 5 Die Unterbringungsverfügung wird an das zuständige Krankenhaus gefaxt, welches zusätzlich telefonisch über die Unterbringung informiert wird. Die Zuführerinnen beziehungsweise Zuführer werden mit der Verfügung und dem Gebührenformular zum jeweiligen Einsatzort (Wohnung der zuzuführenden Person , Polizeirevier oder anderer Aufenthaltsort) entsandt. Von dort erfolgt die Zuführung der betroffenen Person in das zuständige Krankenhaus . Versendung des Amtsgerichtsantrags an das zuständige Amtsgericht zwecks richterlicher Anhörung des zugeführten Patienten am Folgetag. Der Ablauf von Unterbringungen psychisch kranker Menschen gemäß BGB (zivilrechtliche Unterbringung) stellt sich in der Regel wie folgt dar: Hat eine Betreuerin oder ein Betreuer einen Unterbringungsbeschluss nach § 1906 BGB erwirkt, nimmt diese oder dieser zum Zwecke der Amtshilfe Kontakt mit dem Zentralen Zuführdienst im Bezirksamt Altona auf. Die Betreuerin oder der Betreuer sendet den Antragsaufnahmebogen für BGB- Unterbringungen einschließlich eventueller Hinweise zu einer möglichen Gefährdung zusammen mit dem Unterbringungsbeschluss und dem Betreuerausweis (in der Regel per Fax) an den Zentralen Zuführdienst im Bezirksamt Altona. Dessen Innendienst stimmt daraufhin einen Termin mit der Betreuerin oder dem Betreuer ab. Nach Eingang der Unterlagen prüft der Zentrale Zuführdienst den Unterbringungsbeschluss auf sofortige Wirksamkeit, Genehmigung einer gegebenenfalls erforderlichen Gewaltanwendung und Zutritt zur Wohnung. Besonderheiten des Einzelfalles (Gefährdungsmomente, aufnehmendes Krankenhaus et cetera) werden gegebenenfalls telefonisch geklärt. Der Innendienst stellt die je nach Zweck der Zuführung (Unterbringung, Vorführung zur Untersuchung oder Unterbringung zur Begutachtung) erforderlichen Dokumente zusammen. Die Dokumente werden zur Terminabsprache an die Abschnittsleitung des Außendienstes weitergegeben. Die Betreuerin beziehungsweise der Betreuer wird aufgefordert , eine Stunde vor dem Termin der Zuführung diesen telefonisch beim Zentralen Zuführdienst zu bestätigen und den Patienten im zuständigen Krankenhaus anzumelden. Nach Bestätigung des Termins erfolgt zu diesem der Einsatz der Zuführerinnen beziehungsweise Zuführer im Rahmen der Amtshilfe für die Betreuerin beziehungsweise den Betreuer.