BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1454 21. Wahlperiode 08.09.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dennis Gladiator (CDU) vom 02.09.15 und Antwort des Senats Betr.: Störfaktoren für Anlieger von Windenergieanlagen (WEA) Anlieger und Bürgerinitiativen sind nicht grundsätzlich gegen das Ersetzen alter WEA durch neue Anlagen (Repowering). Sie forderten lediglich die Höhenbegrenzung von maximal 100 m beizubehalten. Dieser Wille wurde von der Bevölkerung durch den Bürgerentscheid vom 11.07.2013 mit 16.866 Stimmen entsprechend einer Zustimmung von 66,7 Prozent bestätigt. Diesen Mehrheitswunsch hat der SPD-Senat ignoriert. Ohne weitere Bürgerbeteiligung sollen zusätzliche Windriesen in Curslack mit bis zu 180 m Höhe in die Kulturlandschaft genehmigt und geklotzt werden, die kein Repowering darstellen , sondern eine zusätzliche „Verspargelung“. Die Abstandsflächen der WEA zur Wohnbebauung in Hamburg sind deutlich geringer als in anderen Bundesländern. Als Begründung wird die geringe Fläche und höhere Verdichtung in der Freien und Hansestadt Hamburg vorgeschoben, obgleich in den betroffenen Gebieten der Vier- und Marschlanden eine vergleichbare Bevölkerungsdichte vorherrscht wie in den betroffenen Landgebieten anderer Flächenländer. Dies führt zu einer erhöhten Belastung der Anwohner. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche wissenschaftlichen Messungen und Parameter wurden herangezogen , um in Hamburg die Abstandsflächen von WEA zur Wohnbebauung festzulegen? Ein Verweis auf andere Bundesländer genügt nicht. Ein gesetzlicher Mindestabstand zu Windenergieanlagen in Bezug auf mögliche Beeinträchtigungen durch Immissionen wie Schall und Schatten ist in Hamburg nicht festgelegt. Damit unterscheidet sich das Verfahren in Hamburg von solchen in Flächenländern , in denen zum Teil per Verordnung beziehungsweise per Erlass die einzuhaltenden Abstände festgelegt werden. Die Abstände, die in Hamburg den vorgesehenen Eignungsgebieten zugrunde liegen, wurden im Rahmen umfangreicher Untersuchungen ermittelt. In diesem Zusammenhang wurden die Abstandsregelungen anderer Länder ausgewertet. Verglichen wurden neben Abstandsregelungen zu Siedlungsflächen und Einzelhäusern auch die angewandten Abstände zu Infrastruktureinrichtungen (Hauptverkehrsstraßen, Hochspannungsfreileitungen und so weiter) und die natur- und artenschutzrechtlichen Ausschlusskriterien. Die Abstandswerte zu Siedlungsgebieten weichen in Hamburg aufgrund der stadtstaatlichen Besonderheiten von Abständen in anderen Ländern ab und liegen im Ländervergleich im unteren Bereich. Einige Länder wie Nordrhein-Westfalen, Bremen und das Saarland verzichten allerdings ganz auf die Festlegung von Abständen zu Siedlungsgebieten und verweisen auf Einzelfallprüfungen. Als Orientierungswerte bei der Standortsuche für Eignungsgebiete im Außenbereich dienten Abstände von 500 m zu Siedlungsgebieten und 300 m zu Einzelgebäuden beziehungsweise Siedlungssplittern. Diese Abstände lagen bereits der Änderung des Drucksache 21/1454 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Flächennutzungsplans zugrunde, die 1998 zur erstmaligen Darstellung von Eignungsgebieten für Windenergieanlagen geführt hat, sie wurden in diesem Verfahren unverändert beibehalten. Durch die gewählten Abstände soll ausgeschlossen werden, dass von Windenergieanlagen schädliche Umwelteinwirkungen, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft im Sinne des BImSchG ausgehen . Es wird davon ausgegangen, dass die gewählten Abstände grundsätzlich geeignet sind, das genannte Ziel zu gewährleisten. Die konkreten Einzelfallprüfungen in Bezug auf die durch Windenergieanlagen hervorgerufenen relevanten Lärm- und Schattenwurfemissionen beziehungsweise -immissionen erfolgen im Genehmigungsverfahren der jeweiligen Windenergieanlage nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz . Dieses gilt auch in Bezug auf die Frage nach einer optisch bedrängenden Wirkung der Windenergieanlage. Bei den gewählten Abständen zwischen den Eignungsgebieten und Siedlungsgebieten sowie einer Gesamthöhe der Windenergieanlagen einschließlich Rotor von 150 m ist von den geplanten Eignungsgebieten eine erhebliche optisch bedrängende Wirkung zulasten der Wohnnutzung insbesondere in den Kulturlandschaften der Vier- und Marschlande und im Alten Land nicht zu erwarten. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen führt hierzu aus: „Beträgt der Abstand zwischen einem Wohnhaus und einer Windenergieanlage mindestens das Dreifache der Gesamthöhe (Nabenhöhe + ½ Rotordurchmesser) der geplanten Anlage, dürfte die Einzelfallprüfung überwiegend zu dem Ergebnis kommen, dass von dieser Anlage keine optisch bedrängende Wirkung zulasten der Wohnnutzung ausgeht. Bei einem solchen Abstand treten die Baukörperwirkung und die Rotorbewegung der Anlage so weit in den Hintergrund, dass ihr in der Regel keine beherrschende Dominanz und keine optisch bedrängende Wirkung gegenüber der Wohnbebauung zukommt. Ist der Abstand geringer als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage, dürfte die Einzelfallprüfung überwiegend zu einer dominanten und optisch bedrängenden Wirkung der Anlage gelangen. Ein Wohnhaus wird bei einem solchen Abstand in der Regel optisch von der Anlage überlagert und vereinnahmt. Auch tritt die Anlage in einem solchen Fall durch den verkürzten Abstand und den damit vergrößerten Betrachtungswinkel derart unausweichlich in das Sichtfeld, dass die Wohnnutzung überwiegend in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird. Beträgt der Abstand zwischen dem Wohnhaus und der Windenergieanlage das Zwei- bis Dreifache der Gesamthöhe der Anlage, bedarf es regelmäßig einer besonders intensiven Prüfung des Einzelfalls.“ Diese Einzelfallprüfung erfolgt jeweils im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für die jeweilige Windenergieanlage. 2. Wurden Lärmmessungen bei Anwohnern der Altanlagen vorgenommen? Wenn ja, wo – außerhalb der Gebäude beziehungsweise innerhalb der Gebäude, gegebenenfalls bei geöffneten/geschlossenen Fenstern und mit welchen Ergebnissen und aufgrund welcher DIN? Bitte ausführen. Wenn nein, wieso nicht? Nein. Nach Auskunft der bis 2005 für Altanlagen zuständigen Bezirksämter gab es keine Beschwerden der Anwohner über Lärmbelästigungen. Daher wurden keine Lärmpegelmessungen durchgeführt oder in Auftrag gegeben. Aufgrund gesetzlicher Änderungen zur Genehmigungsbedürftigkeit nach Bundes-Immissionsschutzgesetz ist seit 2005 die zuständige Fachbehörde Genehmigungs- und Überwachungsbehörde für Windkraftanlagen größer als 50 m Gesamthöhe. Auch nach 2005 gab es keine Lärmbeschwerden bezüglich der Altanlagen und damit auch keine Notwendigkeit für Überwachungsmessungen . 3. Werden nach dem Ersatz alter beziehungsweise Neubau von WEA Lärmmessungen durchgeführt? Wenn ja, wo – außerhalb der Gebäude beziehungsweise innerhalb der Gebäude, gegebenenfalls bei geöffneten/geschlossenen Fenstern und mit welchen Ergebnissen und aufgrund welcher DIN? Bitte ausführen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1454 3 Wenn nein, wieso nicht? Ja. Nach Errichtung neuer Windkraftanlagen werden Lärmemissionsmessungen von zugelassenen Messstellen nach § 29b Bundes-Immissionsschutzgesetz durchgeführt. Die Überwachungsbehörde behält sich hierbei stets vor, bei den Messungen anwesend zu sein, und die Messplanung muss im Vorwege mit der Lärmmessstelle der zuständigen Behörde abgestimmt werden. Der Messbericht wird von der Lärmmessstelle hinsichtlich Plausibilität und Konformität mit den Regelwerken für Lärmmessungen geprüft. Die Durchführung und Auswertung der Messung muss gemäß den „Technischen Richtlinien für Windenergieanlagen Teil 1: Bestimmung der Schallemissionswerte , Rev. 18“ auf der Grundlage der „IEC 61400-11 Ed. 2.1 Wind Turbine Generator Systems, Part 11: Acoustic Noise Measurement Techniques 2006-11-28“ durchgeführt werden. Die räumliche Anordnung der Messpunkte vor Ort wird entsprechend der Vorgabe der technischen Richtlinie vorgenommen. Der Referenzmesspunkt (Mikrofon) liegt in der Regel am Boden in der Nähe der Windkraftanlage. Die Schallemissionen werden bei mehreren Windgeschwindigkeiten gemessen und es wird der lauteste mögliche Schallleistungspegel der Anlage ermittelt. Auf Basis dieser gemessenen Schallleistungspegel und Berücksichtigung der Vorbelastung zum Beispiel durch benachbarte Anlagen wird dann mittel eines akkreditierten Ausbreitungsmodells die Immissionsbelastung für die schützenswerten Immissionsorte in der Nachbarschaft errechnet. Die maßgeblichen Immissionsorte liegen im Sinne einer Worst-Case-Betrachtung an den vordersten, den Windkraftanlagen nächstgelegenen Gebäuden. Wird der Lärmrichtwert an den maßgeblichen Immissionsorten eingehalten, so ist davon auszugehen , dass der Wert auch an den weiter entfernt gelegenen Orten nicht überschritten wird. Grundsätzlich müssen neue Windkraftanlagenprototypen ein lärmtechnisches Zulassungsverfahren durchlaufen, bei dem die Schallemissionen der ersten neu errichteten baugleichen Windkraftanlagenprototypen mehrfach nach den technischen Richtlinien der Fördergesellschaft Windenergie (FGW) vermessen werden müssen. Diese Ergebnisse bilden dann die Basis der weiteren schalltechnischen Gutachtengrundlage für die Lärmprognosen zu einem Anlagentyp. Eine Messung direkt an beziehungsweise in den Wohngebäuden ist generell aufgrund der dort vorherrschenden ungünstigen örtlichen messtechnischen Randbedingungen, zum Beispiel einer Beeinträchtigung durch die Bebauung sowie zahlreiche Störgeräusche , nicht zielführend und daher auch nicht anerkannt. 4. Gibt es Beschwerden wegen erhöhter Lärmbelastungen durch die Anwohner von WEA? Wenn ja, welchen Inhalts und wie hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde darauf reagiert? Wenn bisher nicht, wann und was hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde vor, die Lärmbeschwerden /-belastungen zu minimieren? Sowohl im Bezirk Harburg als auch im Bezirk Bergedorf gab es nach der Errichtung der 150 m hohen Windkraftanlagen Lärmbeschwerden. Die zuständige Behörde ist den Beschwerden nachgegangen und hat geklärt, ob die Lärmbelästigungen zum Beispiel durch Betriebsstörungen oder auffällige Betriebszustände verursacht wurden, und hat sich vor Ort einen Eindruck verschafft. Von einem Beschwerdeführer hat die Behörde erfahren, dass mit der technischen Nachrüstung zur besseren Windnachführung bei den neuen Bergedorfer Anlagen eine leichte Verbesserung hinsichtlich der Lärmbelästigung erreicht wurde. Die in der Genehmigung geforderten Schallemissionsmessungen wurden an den neu errichteten Anlagen in Francop und Neuengamme inzwischen durchgeführt. Bisher liegt der zuständigen Behörde jedoch erst ein endgültiger Messbericht für eine Anlage in Neuengamme vor. Dieser wurde von der Lärmmessstelle der Behörde für Umwelt und Energie mit dem Ergebnis geprüft, dass die Schallemissionen der errichteten Anlage die Vorgaben der dieser Genehmigung zugrunde liegenden Schallimmissionsprognose einhalten und weder ton- noch impulshaltig sind. Drucksache 21/1454 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Bei den Nachforschungen zu Lärmbeschwerden konnte die Behörde jedoch auch feststellen, dass für einige Lärmbeschwerden in Bergedorf nicht ursächlich diese neuen Windkraftanlagen verantwortlich sein können, weil die Anlagen nachweislich aufgrund von Betriebsbeschränkungen gerade in den Sommermonaten häufig nachts nicht im Betrieb waren. Im Gegensatz zu den Altanlagen gibt es für die neuen Anlagen in Bergedorf aufgrund des Fledermausvorkommens entsprechende Beschränkungen. Die Windkraftanlagen müssen zum Schutz der Fledermäuse in den Monaten Mitte Juli bis Mitte Oktober im Zeitraum von 0,5 Stunden vor Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang bei einem Unterschreiten der Windgeschwindigkeit von 6 m/s in Verbindung mit Temperaturen von über 8 °C sowie Niederschlägen von weniger als 0,1 mm/Min abgeschaltet werden. Damit sind gerade in den Sommermonaten, in denen nachts zum Lüften häufig die Fenster geöffnet werden, wenig bis keine Lärmemissionen durch die neuen Windkraftanlagen für die Nachbarschaft zu erwarten. Bei Beschwerden wegen Baulärm im Zusammenhang mit dem Abbruch von Altanlagen beziehungsweise Neuerrichtung steht die Überwachungsbehörde im regelmäßigen Kontakt mit der zuständigen Polizeiwache vor Ort.