BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14550 21. Wahlperiode 16.10.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 08.10.18 und Antwort des Senats Betr.: Hamburg. Deine Perlen: was tut der Senat gegen die soziale Spaltung in Hamburg? Der jährliche Sozialmonitoring-Bericht erhebt sozialräumliche Daten und liefert somit wichtige Informationen bezüglich sozialer Problemlagen und Förderbedarfe in den einzelnen Stadtteilen. Somit dient der Bericht als Frühwarnsystem , aus dem politische Handlungsbedarfe abgeleitet werden können . So kommt der Bericht von 2017 zu dem Ergebnis, dass vierzehn Statistische Gebiete einen niedrigeren Status haben als im Vorjahr. Davon ist bei zehn Statistischen Gebieten der Status von mittel zu niedrig und bei vier Gebieten sogar von niedrig zu sehr niedrig gewechselt (siehe Sozialmonitoring 2017: 14). Weiter heißt es dort, dass zwei Drittel aller Gebiete dauerhaft in einem niedrigen oder sehr niedrigen Status verbleiben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Das Sozialmonitoring der Integrierten Stadtteilentwicklung bildet sozialräumliche Unterschiede innerhalb der Stadt mithilfe von ausgewählten Sozialindikatoren ab und lenkt die Aufmerksamkeit auf Quartiere, in denen die betrachteten Sozialindikatoren im gesamtstädtischen Vergleich auffällig sind. Mit dem Sozialmonitoring ist die Verwaltung in der Lage, unterstützungsbedürftige Quartiere frühzeitig zu identifizieren und die Festlegung neuer RISE-Fördergebiete der Integrierten Stadtteilentwicklung auf eine objektive Datenbasis zu stützen. In den Bezirksämtern dienen die Sozialmonitoring -Berichte außerdem als eine Grundlage für sozialräumliche Analysen und Planungen . Aufgabe des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) ist es, dazu beizutragen, Hamburg als gerechte und lebenswerte Stadt weiterzuentwickeln und den sozialen Zusammenhalt in der Stadt zu fördern. Vor diesem Hintergrund fokussiert die nachstehende Antwort auf das Stichwort „sozialräumliche Polarisierung“. Im Übrigen erfordern die Zitate in der Vorbemerkung die folgenden Klarstellungen beziehungsweise Ergänzungen: Auf der zitierten Seite 14 des Sozialmonitoring- Berichts heißt es weiter: „Demgegenüber wurden insgesamt 29 Statistische Gebiete in einen höheren Status eingestuft. 13 Statistische Gebiete konnten ihren Status von niedrig zu mittel und 16 Statistische Gebiete ihren Status von sehr niedrig zu niedrig verbessern.“ Das Zitat „Zwei Drittel aller Statistischen Gebiete verbleiben dauerhaft im niedrigen oder sehr niedrigen Status“ steht in einem anderen Zusammenhang auf Seite 17 des Berichts. Dieser Berichtsteil betrachtet nur die statusniedrigen Statistischen Gebiete und deren langfristige Entwicklung. Die dabei betrachtete Grundgesamtheit sind 178 Statistische Gebiete, für die innerhalb der letzten sechs Jahre mindestens einmal ein niedriger oder sehr niedriger Status ermittelt wurde. Von diesen besonders betrachteten Statistischen Gebieten wurde bei circa zwei Dritteln (122 Statistische Gebiete Drucksache 21/14550 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 beziehungsweise 68,5 Prozent) ein tendenziell konstanter Status nachgewiesen. Ausgehend von den 846 untersuchten Statistischen Gebieten handelt es sich dabei um 14,4 Prozent. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Rolle spielt das Thema „soziale Spaltung“ auf der Bezirksebene, auf der Landesebene und bei den Haushaltsberatungen? In den Bezirksämtern wird das Thema bei sozialräumlichen Planungen regelmäßig berücksichtigt, die Sozialmonitoring-Berichte dienen hierbei als eine Grundlage. Ein Beispiel im Bezirk Hamburg-Mitte ist die Überplanung der sozialen Infrastruktur im Stadtteil Horn. Die Anmeldung von Gebieten in RISE wird in allen Bezirken regelhaft unter anderem an den Daten des Sozialmonitorings ausgerichtet. Darüber hinaus wird das Sozialmonitoring im Rahmen der integrierten Sozialplanung ebenfalls beobachtet und auf mögliche Handlungsbedarfe in den Bezirken aufmerksam gemacht. Dazu bestehen grundsätzlich seit vielen Jahren in fast allen Planungsräumen Sozialraumteams oder andere Gremien, in denen die Entwicklung innerhalb des Planungsraums betrachtet und diskutiert wird. An den Gremien sind in der Regel bezirkliche Vertreterinnen und Vertreter beteiligt, die Themen aufgreifen und Handlungserfordernisse in den jeweiligen Gebieten weiter verfolgen. Die Bezirksämter investieren erhebliche Mittel aus der Jugend- und Familienhilfe, aus den Mitteln der Sozialräumlichen Hilfen und Angebote und nicht zuletzt aus dem Quartiersfonds in besonders belasteten Gebieten. Ziel ist es, weitere Segregation zu verhindern . Die Verteilung der Mittel und die Angebotsentwicklung orientieren sich an sozialräumlichen Bedarfen. Die Mittel, insbesondere aus dem Bereich der Jugendund Familienhilfe, werden vorrangig in Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf eingesetzt. Darüber hinaus wird im Rahmen von Bezirksentwicklungsplanungen (zum Beispiel in Eimsbüttel) auf die Herausforderungen einer stetig wachsenden Stadt und einer sich verändernden Zusammensetzung der Stadtgesellschaft eingegangen. Außerdem ist im Hamburger Integrationskonzept „Wir in Hamburg!“ (Drs. 21/10281) dargestellt, mit welchen Maßnahmen entsprechende Ansätze in Hamburg verfolgt werden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 4. Der Senat ist sich der sozialintegrativen Kraft bewusst, die von einer hohen Identifikation der Bewohnerinnen und Bewohner mit dem Quartier, in dem sie leben, ausgeht. Hierzu fördern Fachbehörden und Bezirke zahlreiche Angebote im Sozialraum etwa mit Nahversorgung, Kultur-, Bildungs- oder Sportstätten (vergleiche zum Beispiel Hamburger Integrationskonzept „Wir in Hamburg!“, Drs. 21/10281). 2. Wie erklärt sich der Senat den dauerhaften Verbleib zwei Drittel aller Statistischen Gebiete in einem niedrigen beziehungsweise sehr niedrigen Status gemäß des Sozialmonitorings 2017? Der in der Frage dargestellte Sachverhalt ist nicht zutreffend, siehe Vorbemerkung. Im Sozialmonitoring-Bericht 2014 wird dazu erläutert, dass Statistische Gebiete trotz erfolgreicher städtebaulicher Förderung auch nach mehreren Jahren unverändert als statusniedrig klassifiziert sein können. Ausschlaggebend dafür ist, dass die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung in diesen Statistischen Gebieten in den meisten Fällen auch von der Lagegunst abhängig ist. Das Sozialmonitoring macht oftmals auf Quartiere in der Stadt aufmerksam, in denen hohe Anteile von Sozialwohnungen beziehungsweise günstiger Wohnraum vorhanden sind. Da das Instrument immer eine vergleichende Perspektive einnimmt, kann es nicht zur Evaluation von Erfolg oder Misserfolg der Quartiersentwicklung herangezogen werden. Der Erfolg der Quartiersentwicklung durch städtebauliche Maßnahmen der Integrierten Stadtteilentwicklung misst sich in der Verbesserung der Lebensbedingungen und Lebensqualität im Quartier, jedoch nicht notwendigerweise in einer Veränderung der Sozialstruktur. In den Ergebnissen des Sozialmonitorings spiegelt sich eine erfolgreiche Quartiersentwicklung daher nicht unmittelbar wider. 3. Welche Maßnahmen ergreift der Senat gegen die sozialräumliche Polarisierung und für eine Erhöhung der Lebensqualität in den Stadtteilen, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14550 3 die gemäß Sozialmonitoring einen niedrigen beziehungsweise sehr niedrigen Status aufweisen? 4. Welche Mittel aus dem Landeshaushalt und in welcher Höhe werden zur Bekämpfung der sozialräumlichen Polarisierung eingesetzt? Bitte Drucksache oder Einzelplan mit der entsprechenden Produktgruppe benennen . Mit dem Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) werden Quartiere mit besonderem Entwicklungsbedarf städtebaulich aufgewertet und sozial stabilisiert. RISE umfasst alle Programme der Bund-Länder-Städtebauförderung. Die Karte 4 im Sozialmonitoring-Bericht (Seite 21) verdeutlicht, dass ein großer Teil der Statistischen Gebiete mit niedrigem oder sehr niedrigem Status als RISE-Fördergebiet festgelegt ist. Die meisten übrigen Statistischen Gebiete mit niedrigem oder sehr niedrigem Status sind ehemalige RISE-Fördergebiete. Diese Ergebnisse unterstreichen, dass die Förderung des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung in erster Linie genau den Quartieren zugutekommt, in denen die kleinräumigen Daten einen besonderen Entwicklungsbedarf signalisieren. 2017 wurden 21 Millionen Euro RISE-Mittel sowie weitere 37 Millionen Euro Landesmittel von Behörden, Bezirken oder öffentlichen Unternehmen und 1,2 Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds in die RISE-Fördergebiete gelenkt. Damit wurden auf diese Weise hamburgweit insgesamt rund 60 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln in die RISE-Quartiere investiert. Hinzu kamen rund 6,6 Millionen Euro private Mittel als Kofinanzierung an Maßnahmen der Integrierten Stadtteilentwicklung. Ermächtigungen des Rahmenprogrammes Integrierte Stadtteilentwicklung sind im EP 6.1 der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen in der Produktgruppe 287.13 und im Aufgabenbereich 287 veranschlagt. Darüber hinaus erfolgt eine differenzierte Zuweisung von Personalressourcen an allgemeinbildenden staatlichen Schulen auf der Grundlage eines Sozialindexes. Dieser Sozialindex bildet die unterschiedliche soziale Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler ab (vergleiche hierzu unter anderem die Drs. 21/13316 sowie 21/9563). Als einziges Bundesland fördert Hamburg konsequent alle Schulen je nach sozialer Lage. Dazu verfügen die allgemeinbildenden staatlichen Schulen über einen Sozialindex , der die unterschiedliche soziale Zusammensetzung ihrer Schülerinnen und Schüler abbildet. Dieser Sozialindex ist Grundlage für eine differenzierte Zuweisung von Personalressourcen, die eine zusätzliche Förderung von Schülerinnen und Schülern mit geringeren Bildungschancen ermöglicht. Diese Förderung bezieht sich unter anderem auf kleinere Schulklassen, bessere Sprachförderung und zusätzliche Personalressourcen für die Inklusion. Darüber hinaus werden Stadtteilschulen grundsätzlich besser gefördert als Gymnasien (vergleiche hierzu unter anderem die Drs. 21/13316 sowie 21/9563). 5. Gibt es darüber hinaus weitere Planungsabsichten, die noch nicht umgesetzt werden konnten? Nein. 6. Welche Abteilungen und Arbeitsgruppen sind mit dem Thema sozialräumliche Polarisierung in den jeweiligen Behörden befasst? 7. Gibt es eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema sozialräumliche Spaltung befasst? Wenn ja, wie oft trifft sich diese Arbeitsgruppe, wer leitet diese und wer nimmt daran teil? Zu welchen Ergebnissen ist die Arbeitsgruppe bisher gekommen? Wenn nein, warum gibt es diese nicht? 8. Verfolgt der Senat eine ressortübergreifende Strategie zur Bekämpfung der sozialräumlichen Polarisierung? Wenn ja, bitte näher erläutern. Drucksache 21/14550 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Wenn nein, warum erfolgt dies nicht? Der in RISE verankerte integrierte quartiersorientierte Ansatz beinhaltet eine verbindliche fachressortübergreifende Kooperation und Konzeption in den festgelegten Fördergebieten . Dem wird unter anderem mit dem Leitungsausschuss Programmsteuerung , der die Integrierten Entwicklungskonzepte für jedes Fördergebiet beschließt, Rechnung getragen. Im Leitungsausschuss sind neben allen Bezirksämtern auf Dezernentenebene alle relevanten Fachressorts auf Amtsleitungsebene Mitglied. Die weiteren Zuständigkeiten können der „Globalrichtlinie zum Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung“ entnommen werden (vergleiche https://www.hamburg.de/ richtlinien/). Angestrebt wird, den Ressourceneinsatz aufgabenbezogen zu bündeln und Projekte neben den Mitteln der Integrierten Stadtteilentwicklung aus Mitteln anderer Fachressorts , der Bezirksämter, öffentlicher Unternehmen und privater Akteure zu fördern. Mit der Ressourcenbündelung und einem zwischen den Behörden, Bezirksämtern (einschließlich Bezirksversammlungen) und privaten Akteuren abgestimmten Handeln wird die Wirksamkeit der Gebietsförderung erhöht. 9. Aus zahlreichen Studien zur Wahlbeteiligung ist bekannt, dass es einen großen Zusammenhang zwischen sozialer Lage und der Wahlbeteiligung gibt (siehe hierzu beispielsweise Bertelsmann Stiftung 2013 „Die gespaltene Demokratie“). Von zentraler Bedeutung für eine stärkere Inklusion und politische Teilhabe sind die bildungspolitischen Strategien des Senats, die sich an gezielten und früh einsetzenden Bildungsmaßnahmen orientieren. Aufbauend auf der frühkindlichen Förderung über die Allgemeinbildenden Schulen bis hin zur Berufsausbildung oder einem Universitätsstudium sind gut ausgebaute und ineinandergreifende Regelsysteme des Bildungssystems eine wesentliche Voraussetzung für qualitativ hochwertige Beschäftigungsverhältnisse und politische und gesellschaftliche Teilhabe (vergleiche auch hier beispielsweise Hamburger Integrationskonzept „Wir in Hamburg!“, Drs. 21/10281). a) Welche Maßnahmen gibt es seitens des Senats, um eine stärkere Inklusion und politische Teilhabe insbesondere einkommensschwacher Hamburger/-innen zu fördern? Für das Jahr 2019 plant die Landeszentrale für politische Bildung (LZ) niedrigschwellige Dialogformate in allen Bezirken, die im Sinne des Konzepts eines strukturierten Dialogs das Ziel verfolgen, Inklusion und politische Teilhabe für alle Bürgerinnen und Bürger zu fördern. Die Volkshochschule Hamburg (VHS) bietet regelmäßig spezifische, auf sozial Benachteiligte ausgerichtete Bildungsangebote an, welche sie aufgrund ihrer dezentralen Ausrichtung im Sinne einer aufsuchenden Bildungsarbeit teilweise direkt in den Stadtteilen vorhält (zum Beispiel Borner Lernen im Zentrum). Außerdem können Einkommensschwache und weitere Personengruppen eine Entgeltermäßigung erhalten. Darüber hinaus bietet die VHS regelmäßige Schwerpunktthemen mit teilweise kostenfreien Veranstaltungen zur politischen Bildung an, wie im aktuellen Schwerpunktthema „Komplizen für die Zukunft“. Im Übrigen siehe Drs. 21/7722. Die Einbeziehung von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie von sonstigen Akteurinnen und Akteuren ist eine grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Quartiersentwicklung in den RISE-Fördergebieten. Alle im Gebiet lebenden Bevölkerungs- und Sozialgruppen sollen einbezogen werden. Akteurinnen und Akteure vor Ort wie zum Beispiel Initiativen, Vereine, Institutionen und Träger sowie Gewerbetreibende und Unternehmen sind ebenfalls zu beteiligen. Dazu hat die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen einen Leitfaden zur Beteiligung in der Integrierten Stadtteilentwicklung „Alles Inklusive!“ herausgegeben (siehe https://www.hamburg.de/publikationen-undveranstaltungen /publikationen). Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14550 5 b) Welche Beteiligungsformen fördert der Senat, um einkommensschwache Haushalte hinsichtlich kommender Wahlen zu aktivieren? Die LZ bereitet derzeit sowohl zu den Bezirks- als auch Europawahlen diverse Veranstaltungsangebote und Materialien vor, die das Ziel verfolgen, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt für eine demokratische Partizipation an den Wahlen zu motivieren.