BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14675 21. Wahlperiode 26.10.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Jörn Kruse (AfD) vom 18.10.18 und Antwort des Senats Betr.: Immer noch keine Verrechnungsmöglichkeit bei der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) für Importeure über den Hamburger Hafen – Der Hafen verliert gegenüber der Nordrange-Konkurrenz weiter an Boden – Warum hat sich noch nichts getan? Der Hamburger Hafen steckt seit Jahren aufgrund massiver Infrastruktur- Probleme – wie die immer noch nicht realisierte Elbvertiefung oder massiver Hafenschlick – in der Krise. So ist Hamburg beim Containerumschlag von der Nordrange-Konkurrenz in Holland und Belgien längst abgehängt worden, und der Abstand wird immer größer. Allein im ersten Halbjahr 2018 fiel der Containerumschlag in Hamburg um 2,7 Prozent gegenüber Vorjahr zurück, während Rotterdam und Antwerpen ein Plus von 6 beziehungsweise 8 Prozent realisieren konnten. Bei den Massengütern lag das Minus in Hamburg sogar bei 10,4 Prozent; der Seegüterumschlag, der schon im letzten Jahr gegenüber 2016 eingebrochen war, verringerte sich um weitere 4,9 Prozent. Hamburg verliert also offenkundig massiv an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber seinen Hauptkonkurrenten. Neben den oben genannten Gründen bei der Infrastruktur ist ein weiterer wichtiger Grund für die Erosion an Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens hausgemacht: Wegen absurder föderaler Zwistigkeiten ist es in Deutschland bislang noch immer nicht gelungen, den Importeuren bei der Einfuhrumsatzsteuer dieselben Erleichterungen einzuräumen, wie sie niederländische oder belgische Finanzbehörden bei Einfuhren über die dortigen Seehäfen schon lange gewähren. Und dies, obgleich EU-Recht eine Anpassung an die vereinfachten Regelungen der Nachbarländer problemlos ermöglicht! Das heißt: Faktisch brauchen Importeure bei Anlieferung über belgische oder niederländische Seehäfen keine Einfuhrumsatzsteuer auf eingeführte Waren zu zahlen; denn diese gezahlte Steuer dürften die Importeure ohnehin später in ihren Umsatzsteuererklärungen als „Vorsteuer“ voll mit der beim Verkauf der Waren eingenommenen Mehrwertsteuer verrechnen (sogenanntes Verrechnungsmodell ). Die Weiterleitung von Gütern ins EU-Ausland – also etwa nach Deutschland – bleibt wegen des Binnenmarktprinzips der EU ohnehin steuerfrei. Nicht nur die Importeure profitieren; auch der Staat erspart sich eine Menge Verwaltungsaufwand für dieses Nullsummenspiel! Ganz anders hingegen in bei Warenimporten über deutsche Seehäfen: Hier sind die Importeure verpflichtet, die 19-prozentige EUSt sofort abzuführen – und zwar an den Zoll. Der untersteht dem Bundesfinanzminister. Später kann die gezahlte EUSt zwar wieder bei der Abgabe von Umsatzsteuererklärungen bei den Finanzämtern, die den einzelnen Bundesländern zugeordnet Drucksache 21/14675 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 sind, verrechnet werden. Aber bei einem Volumen von weit mehr als 50 Milliarden Euro p.a. an EUSt kommt dabei auf die Importeure in Deutschland ein ganz massiver Vorfinanzierungsaufwand zu – auch, wenn die Zinsen niedrig sind. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Regel Reeder oder Spediteure für den eigentlichen Importeur direkt im Hafen mit der EUSt-Zahlung in Vorleistung treten müssen. Damit kommen zusätzlich Bonitätsfragen und Risikogesichtspunkte erschwerend ins Spiel. Kein Wunder also, dass Importeure vermehrt auf Seehäfen in den EU-Nachbarländern ausweichen, die alle diese Probleme abgeschafft haben. Diese Problematik nahm die AfD-Fraktion vor rund einem Jahr (Drs. 21/10230 vom 30.08.2017) zum Anlass, den Senat – damals noch unter Olaf Scholz – aufzufordern, sich über den Bundesrat und bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass endlich auch das in den EU-Nachbarländern gültige „Verrechnungsmodell“ in Deutschland eingeführt wird und dagegen offenkundig immer noch vorhandene Widerstände im Bundesfinanzministerium und wohl auch in einigen Bundesländern zu überwinden. In der sich daraus entwickelnden Diskussion (Plenarprotokoll 21/63 vom 13.09.2017) behauptete der Redner der regierenden SPD-Fraktion wider besseres Wissen , dass eine seit 2015 tagende Bund/Länder-Arbeitsgruppe am 5. September 2016 „ein Ergebnis vorgelegt“ habe, es sei also „alles schon passiert “. Tatsache ist jedoch, dass dieses angebliche „Ergebnis“ nichts anderes war als ein Protokoll des Stillstands und der ungelösten Widersprüche. Der Redner der CDU ging noch einen Schritt weiter, als sein SPD-Kollege und versprach mit Blick auf die seinerzeit anstehende Bundestagswahl, dass sich „die CDU/CSU-geführte Bundesregierung … dann … sehr schnell um dieses Thema kümmern“ werde. Der Antrag der AfD-Fraktion wurde schließlich mit großer Mehrheit abgelehnt, weil angeblich eine Lösung des Problems unmittelbar bevorstünde. Aber nichts ist geschehen! Es hat Monate gedauert, bis eine neue Bundesregierung überhaupt zustande kam. Zudem ist diese Regierung seitdem überwiegend mit sich selbst beschäftigt. Die deutschen Seehäfen leiden auch noch ein Jahr nach der Bundestagswahl unter den beschriebenen wettbewerbsverzerrenden Rahmenbedingungen, obgleich der zuständige neue Bundesfinanzminister inzwischen Olaf Scholz heißt! Dies vorausgeschickt frage ich den Senat: 1. Hat die zuständige Bund/Länder-Arbeitsgruppe, in der auch die Freie und Hansestadt Hamburg vertreten ist, zwischenzeitlich ihre Arbeit wiederaufgenommen ? Falls ja: mit welchem Ergebnis? Falls nein: warum nicht? Die vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) eingesetzte Bund/Länder-Arbeitsgruppe hat ihren Auftrag mit Vorlage des Berichts vom 5. September 2016, in dem mögliche Lösungswege aufgezeigt und analysiert werden, vorläufig erfüllt. Für die von Hamburg angestrebte Umsetzung der Verrechnungslösung bedarf es eines entsprechenden Auftrags an eine anders formierte interdisziplinäre Arbeitsgruppe auf Grundlage einer zumindest mehrheitlichen Entscheidung des Bundes und der Länder. Dieser Entscheidungsprozess dauert derzeit noch an. 2. Welche sonstigen Anstrengungen hat der Senat zwischenzeitlich – also auch unabhängig von der oben genannten Arbeitsgruppe – unternommen , um in Sachen „Verrechnungslösung“ zu einem Ergebnis zu kommen ? Bitte genau erläutern. 3. Welche weiteren Initiativen plant der Senat in dieser Sache und mit welchen Schwerpunkten und bei welchen Ansprechpartnern? Bitte detailliert erläutern. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14675 3 Der Senat führt auf politischer Ebene wie auch auf Arbeitsebene Gespräche mit der Bundesregierung und den Ländern. Es ist vorgesehen, das Thema im Rahmen der Amtschefkonferenz der Wirtschaftsministerkonferenz im November des Jahres 2018 zu behandeln. Der entsprechende Beschlussvorschlag befindet sich noch in der Abstimmung. Außerdem beabsichtigt Hamburg, in Rücksprache mit dem BMF eine zeitnahe Befassung der Finanzministerinnen und -minister herbeizuführen. Das Thema soll zudem auch auf der Konferenz der Chefs der Staats- und Senatskanzleien mit dem Chef des Bundeskanzleramts Mitte November beraten werden. 4. Wo/bei wem sieht der Senat aktuell noch Widerstände gegen eine mit den EU-Nachbarländern vergleichbare „Verrechnungslösung“ und mit welchen Argumenten werden derartige Bedenken vorgetragen? Bitte die Positionen des Bundes und der Länder einzeln erläutern. Bestehende Widerstände beim Bund oder in den übrigen Ländern sind dem Senat nicht bekannt. Tatsächlich scheint der notwendige Entscheidungsprozess in den meisten Ländern noch nicht abgeschlossen zu sein. 5. Bis wann spätestens erwartet der Senat eine Lösung des EUSt- Problems und wie wird diese Lösung voraussichtlich aussehen? Werden durch eine solche Lösung die Wettbewerbsnachteile, die Importeuren bei Einfuhren über deutsche Seehäfen im Vergleich zu Importen etwa über Rotterdam oder Antwerpen entstehen, vollständig ausgeräumt sein? Bitte die voraussichtlich noch verbleibenden Unterschiede und ihre Konsequenzen für die Importeure detailliert erläutern. Die von der Arbeitsgruppe erarbeitete Verrechnungslösung beruht auf einem neuen, zwischen Zoll- und Steuerverwaltung abgestimmten Verfahren, mit dem eine „Verrechnungslage “ hergestellt wird. So sollen der auf Seiten der betroffenen Unternehmen bisher nötige administrative Mehraufwand und weitere Nebenkosten (zum Beispiel Kreditausfallversicherungskosten, Bankgebühren) sowie bisherige Zahlungsflüsse vermieden werden. Eine Umsetzung der Lösung setzt komplexe Änderungen in vielen Bereichen der Bundes- und Landesfinanzverwaltungen voraus, da neben einer Änderung der gesetzlichen und untergesetzlichen Anpassungen neue Verfahren in den Verwaltungen, einschließlich Haushalt und Kassenwesen, eingeführt werden müssen. Die Dauer der Umsetzung kann aufgrund deren Komplexität heute nicht abschließend prognostiziert werden. Die angestrebte Verrechnungslösung ist in einer Veranstaltung des Bundes mit den Ländern und der Wirtschaft am 25. Juni 2018 in Berlin von allen anwesenden Wirtschaftsvertretern begrüßt und deren Umsetzung gefordert worden. Diese konkrete Forderung wurde von den Wirtschaftsvertretern nach eigener Aussage in dem Bewusstsein formuliert, dass eine Umsetzung des Verfahrens aufgrund der Komplexität vonseiten des Gesetzgebers beziehungsweise der Verwaltung nicht kurzfristig erwartet werden kann. Das BMF hatte unter Mitwirkung Hamburgs den anwesenden Spitzenverbänden der Wirtschaft und betroffenen Unternehmen auf dieser Veranstaltung die Gelegenheit gegeben, insbesondere den nicht an der Arbeitsgruppe beteiligten Ländern die Notwendigkeit einer Umsetzung der Verrechnungslösung darzulegen. Die Verrechnungslösung ist nach Auffassung des Senats auf Grundlage der Aussagen der Wirtschaftsvertreter am besten geeignet, die bestehenden Wettbewerbsnachteile auszuräumen. Aus diesem Grund hält der Senat an der Umsetzung dieser Lösung fest. Soweit nach der Umsetzung überhaupt noch Unterschiede verbleiben, haben sie nach Auffassung des Senats keine nachteiligen Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen. Die Unternehmen haben bislang auch keine entsprechenden , fortbestehenden Nachteile geltend gemacht. 6. Im Haushaltsplan-Entwurf 2019/2020 der Freien und Hansestadt Hamburg (Einzelplan 9.1, Finanzbehörde) sind unter Punkt 4.1.2.1.5 („Steuern und Finanzausgleich“) Planzahlen für die Einnahmen aus der „Einfuhrumsatzsteuer (Landesanteil)“ aufgeführt. Während die Ist-Einnahmen 2017 gegenüber dem Vorjahr um rund 7,7 Prozent auf 569 Millionen Euro zurückgegangen sind, plant der Senat für die Folgejahre mit sprudelnden Zusatzeinnahmen aus der EUSt. Bis 2022 sollen diese laut Drucksache 21/14675 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Plan auf rund 1,14 Milliarden Euro ansteigen, was gegenüber 2017 fast einer Verdopplung gleichkommt. Fragen dazu: a) Wie kommen die Plan-Zuwächse bei der EUSt genau zustande? Bitte für jedes Planjahr ab 2018 sowie für 2017 die genaue Berechnungsweise und die zugrunde liegenden Annahmen erläutern. Der im Haushaltsplan angegebene methodische Verweis auf Drs. 21/13128 führt leider nicht weiter, da darin die EUSt gar nicht behandelt wird. Im Haushaltsplan-Entwurf werden grundsätzlich die Ergebnisse der aktuellen Steuerschätzung für die im Einzelplan 9.2 veranschlagten Steuererträge zugrunde gelegt. Da die Steuerschätzung nicht zwischen der Umsatzsteuer und der Einfuhrumsatzsteuer differenziert, wird aufgrund historischer Werte im Haushaltsplan-Entwurf eine manuelle Verteilung durchgeführt. Die so vorgenommene Verteilung beruht somit nicht auf einer mit konkreten Wirtschaftsdaten hinterlegte Steuereinnahmeerwartung. b) In welcher Weise beeinflussen die erwarteten Zuwächse bei den Einnahmen aus der EUSt die Position des Senats bei den Verhandlungen um eine mögliche „Verrechnungslösung“? Veränderungen im Aufkommen bei der Einfuhrumsatzsteuer spielen in dem Entscheidungsprozess und den dazu stattfindenden Erörterungen in den verschiedenen Gremien keine Rolle. c) Welche Auswirkungen würde eine „Verrechnungslösung“ voraussichtlich auf die Umsatzsteuerplanungen der Freien und Hansestadt Hamburg haben, da eine Position „EUSt“ dann nicht mehr oder mit nur noch marginalen Beträgen vorhanden sein würde? Bitte detailliert erläutern. Die Verrechnungslösung wird keinen Einfluss auf die Höhe der Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer durch den Bund haben, da sich nur die Zahlungsflüsse zwischen den Beteiligten (Unternehmen, Bund und Länder) verändern werden und dementsprechend keine Auswirkungen auf die Umsatzsteuerplanungen der Freien und Hansestadt Hamburg haben.