BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1474 21. Wahlperiode 11.09.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 03.09.15 und Antwort des Senats Betr.: Der Justizsenator beugt sich dem öffentlichen Druck: Mehr Richterstellen sollen weitere Justizpannen verhindern – Was ist konkret geplant? Brandbriefe von Strafrichtern und Staatsanwaltschaft, aus der Untersuchungshaft zu entlassende verurteilte Straftäter, der Rücktritt des Generalstaatsanwalts von Selle, entwichene Insassen aus der JVA Billwerder – Hamburgs Justiz kommt derzeit aus den Schlagzeilen nicht mehr raus. Nachdem der Justizsenator wochenlang die Augen vor den immensen Problemen verschloss und sich lieber für die Legalisierung des Schwarzfahrens und Cannabiskonsums aussprach oder seine kritische Meinung zur geplanten Verkehrsdatenspeicherung kundtat, hat er dem öffentlichen Druck nunmehr endlich nachgegeben und ist zumindest einen kleinen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Allerdings bewegt er sich bei seinen Versprechungen auf dünnem Eis, da bislang noch nicht im Geringsten feststeht, wie die Finanzierung der zusätzlichen Richterstellen erfolgen soll. Ebenso wirft sein Plan, einen Pool mit fünf Verstärkungsrichtern für die Staatsanwaltschaft , das Amtsgericht und das Landgericht einzurichten, die dann jeweils zeitlich befristet dort eingesetzt werden wo die Not gerade am Größten ist, die Frage auf, wie das in der Realität umgesetzt werden soll. Bei den fünf Richtern soll es sich nach Ansicht des Senators um Proberichter handeln, die mindestens zwei Monate an einer Stelle arbeiten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie ist das Verfahren der Richter auf Probe bis zu ihrer Ernennung auf Lebenszeit konkret ausgestaltet? a. Wie lange verweilen die Proberichter in den einzelnen Stationen? b. Welche Stationen müssen sie durchlaufen, um als Richter auf Lebenszeit ernannt werden zu können? In Hamburg dauert die Probezeit grundsätzlich drei Jahre. Bei anrechnungsfähigen Zeiten im Sinne von § 10 Deutsches Richtergesetz (DRiG) kann die Probezeit in Hamburg auf die Mindestzeit von zwei Jahren verkürzt werden. Die Probezeit dient der Überprüfung der realen Eignung für das Richteramt und ist damit eine entscheidende Qualitätskontrolle des Auswahl- und Einstellungsverfahrens. Während der Probezeit üben Richterinnen und Richter ein volles Richteramt aus. Sie genießen die gleiche sachliche Unabhängigkeit wie Richterinnen und Richter auf Lebenszeit. Die persönliche Unabhängigkeit ist aber gemäß § 13 DRiG noch eingeschränkt, das heißt ein Einsatz in unterschiedliche Aufgabenfelder und Gerichtsbarkeiten ist zulässig. Zur Einarbeitung und zur Erprobung der Richterinnen und Richter sollen diese in Hamburg üblicherweise jeweils einjährige Stationen durchlaufen. Hierbei ist ein Drucksache 21/1474 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Wechsel zwischen ordentlichen Gerichten und Fachgerichten sowie der Staatsanwaltschaft möglich und erwünscht. In den jeweiligen Einzelfällen werden die konkreten Stationen mit den Gerichten und der Staatsanwaltschaft unter Berücksichtigung der dortigen Personalveränderungen und unter Beachtung der Notwendigkeit der Erprobung abgesprochen. Die Dauer der einzelnen Station kann deshalb im Ergebnis auch kürzer oder länger als die Richtgröße von einem Jahr ausfallen. Alle neun Monate werden die Proberichter beurteilt. Am Ende der Probezeit sollen mindestens zwei Beurteilungen aus unterschiedlichen Bereichen und von unterschiedlichen Beurteilerinnen und Beurteilern vorliegen. Bei erheblichen Erfahrungszeiten aufgrund von vorheriger juristischer Berufstätigkeit kann auch hiervon im Einzelfall eine Ausnahme gemacht werden. 2. Wie soll der geplante Richterpool konkret ausgestaltet werden? a. Wer soll den jeweiligen Einsatz der Verstärkungsrichter wie organisieren ? b. Wem obliegt die Entscheidungsbefugnis über den konkreten Einsatz der Verstärkungsrichter? Zurzeit prüft die zuständige Behörde die zur Umsetzung des bürgerschaftlichen Ersuchens aus der Drs. 21/1425 einzuleitenden Schritte. Rechtlich vorgegeben ist, dass der Richterpool sich allein aus Proberichtern rekrutieren kann, deren Verwendung nach § 13 DRiG auch ohne deren Zustimmung bei unterschiedlichen Gerichten oder der Staatsanwaltschaft möglich ist. Proberichter erhalten jeweils Dienstleistungsaufträge für bestimmte Zeitspannen in bestimmten Dienststellen. Nach Ziffer I Absatz 2 Ziffer 3 der AV der Justizbehörde Nummer 12/2005 zur Neuordnung der Personalverwaltung der Justizbehörde vom 7. Juni 2005 liegt die Zuständigkeit zur Erteilung von Dienstleistungsaufträgen allein bei der Justizbehörde. Die Justizbehörde beabsichtigt, das Instrument des Dienstleistungsauftrages zu nutzen, um auch die Proberichterinnen und Proberichter aus dem sogenannten Richterpool Dienststellen mit besonderen Bedarfen zuzuweisen. Die Entscheidung über den konkreten Einsatz der zugewiesenen Richter in den jeweiligen Gerichten unterliegt der gerichtlichen Selbstorganisation durch die Präsidien. 3. Wurde mit der Staatsanwaltschaft und den betroffenen Gerichten über das geplante Instrument des flexiblen Richterpools gesprochen? Falls ja, wann und welche Auffassung vertraten die Landgerichtspräsidentin , der Amtsgerichtspräsident sowie die Generalstaatsanwaltschaft dazu? Falls nein, weshalb nicht? Welche Dienststellen konkret betroffen sind, ist noch nicht entschieden. Im Übrigen vergleiche Antwort zu 2. 4. Wie wird bei dem vom Senat geplanten flexiblen Richterpool, bei dem Richter je nach akuter Arbeitsbelastung der Bereiche von der Staatsanwaltschaft über das Amtsgericht bis hin zum Landgericht eingesetzt werden sollen, das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Artikel 101 Absatz 1 GG gewährleistet? In Hamburg werden Proberichterinnen und Proberichter üblicherweise nach drei Jahren – bei Vorliegen von Anrechnungszeiten im Sinne des § 10 DRiG gegebenenfalls auch nach der in Hamburg üblichen Mindestprobezeit von zwei Jahren – auf Lebenszeit ernannt. Dies wird auch für die Proberichterinnen und Proberichter des sogenannten Richterpools gelten: werden sie auf Lebenszeit ernannt, so werden andere Proberichterinnen und Proberichter den Pool auffüllen. Der Einsatz der Proberichterinnen und Proberichter wird darüber hinaus zum einen von der Behörde über Dienstleistungsaufträge geregelt, die den Dienstleistungszeitraum klar bestimmen, und zum anderen von den Präsidien, die durch die Geschäftsverteilung eine abstrakte Zuordnung der Richterinnen und Richter zu den eingehenden Verfahren vornehmen. Auf diese Art und Weise wird Artikel 101 Absatz 1 GG Sorge getragen werden. Im Übrigen vergleiche Antwort zu 1. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1474 3 5. Nach Angaben des Justizsenators sollen die Kosten für die zusätzlichen Stellen beim Sozialgericht und die Verstärkungsrichter einschließlich Servicekräfte, die sich auf rund 1,2 Millionen Euro pro Jahr belaufen, aus dem laufenden Justizetat finanziert werden. Der Justizhaushalt sei nicht so stark auf Kante genäht; sein Budget habe diesen Spielraum, sagte Senator Steffen ausdrücklich. a. Die extreme Überlastung bei Staatsanwaltschaft und den Gerichten ist der Justizbehörde seit Monaten bekannt. Aus welchem Grund hat die Justizbehörde vor dem Hintergrund, dass „der Justizhaushalt nicht so stark auf Kante genäht ist und das Budget diesen Spielraum habe“, nicht schon eher eine Verstärkung der Richterstellen vorgenommen? b. In welchen Produktbereichen beziehungsweise Produktgruppen des Einzelplans der Justizbehörde bestehen konkret welche finanziellen Spielräume, mit denen die Kosten von 1,2 Millionen Euro pro Jahr finanziert werden sollen? Der Präses der zuständigen Behörde hat seit seinem Amtsantritt zahlreiche Gespräche mit den Beteiligten der Justiz zur jeweiligen Belastungssituation geführt. Im Verlauf dieser Gespräche ist deutlich geworden, dass an verschiedenen Stellen kurzfristiger Handlungsbedarf besteht, der nicht erst im Rahmen regulärer Haushaltsberatungen befriedigt werden kann. Der Spielraum hat sich im Haushaltsverlauf 2015 ergeben, da die tatsächlichen Erlöse in Rechtssachen die in der Produktgruppe 23302 geplanten Erlöse in Rechtssachen deutlich überschreiten und die Kosten in Rechtssachen nicht in gleichem Umfang angestiegen sind. Im Übrigen bedarf es zur Verstärkung der Richterstellen eines Beschlusses der Bürgerschaft. c. Werden für die Finanzierung der Stellen weitere Einsparungen im Justizvollzug vorgenommen? Falls ja, welche konkreten Einsparungen sind geplant? Nein. 6. In der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Drs. 21/1395, heißt es zur Verstärkung der Richterstellen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit: „Um den erheblichen Anstieg der Verfahrenseingänge in Asylverfahren personell und organisatorisch bewältigen zu können, ist es erforderlich, das Verwaltungsgericht personell zu verstärken. Dadurch entstehen Mehrbedarfe in der Produktgruppe 235.08 „Verwaltungsgericht“. Es ist davon auszugehen, dass auch in der zweiten Instanz personelle Verstärkungen erforderlich werden, die zu Mehrbedarfen in der Produktgruppe Oberverwaltungsgericht (235.07) führen.“ a. Welche personelle Verstärkung des Verwaltungsgerichts ist zu welchem Zeitpunkt konkret geplant? Zurzeit ist geplant, das Verwaltungsgericht um eine weitere Kammer (eine Stelle Richterin oder Richter in der Wertigkeit R 2, zwei Stellen Richterin oder Richter in der Wertigkeit R 1) sowie vier Servicemitarbeiterinnen oder Servicemitarbeiter zu verstärken. Die zuständige Behörde strebt an, die personelle Verstärkung unter Berücksichtigung des besonderen Stellenbesetzungsverfahrens für Richterinnen und Richter innerhalb der nächsten drei Monate abzuschließen. b. Wie soll die Finanzierung der zusätzlichen Richterstellen am Verwaltungsgericht ausgestaltet werden? Die Finanzierung erfolgt entsprechend dem in Nummer 3. der Mitteilung des Senats in der Drs. 21/1395 beschriebenen Verfahren. c. Wann soll die Überprüfung erfolgen, ob personelle Verstärkungen auch beim Oberverwaltungsgericht erforderlich sind? Drucksache 21/1474 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Eingangsentwicklung in Asylsachen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichtes unterliegt der laufenden Beobachtung der zuständigen Behörde, um im Bedarfsfall in enger Abstimmung mit der Gerichtsleitung die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten . 7. In der Drs. 21/1395 heißt es weiter, dass vor dem Hintergrund von § 3 Absatz 3 HmbJStVollzG, nach dem auf ein gewaltfreies Klima im Vollzug zu achten ist, das durch die Gruppe der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge erheblich gefährdet wird, Mehrbedarfe für Personal- und Sachmittel für notwendige Sprachförderungsmaßnahmen, Sprachmittlerund Dolmetscherdienste, für Betreuungs- und Beschäftigungsangebote sowie der Fortbildung von Bediensteten entstehen. Dies ist durchaus erfreulich, da die Beschäftigten des ASD seit geraumer Zeit vor immense Probleme mit dieser Gruppe stark gewaltbereiter und nicht anpassungsfähiger Gefangener gestellt sind. Bedienstete des ASD sind im Justizvollzug nicht tätig. a. Welche konkreten Personalaufstockungen sind für die Jugendhaftanstalt Hahnöfersand ab welchem Zeitpunkt geplant? Im Jugendvollzug sollen zwei Lehrkräfte im zeitlichen Umfang von 1,5 Stellen, eine Sozialpädagogin oder ein Sozialpädagoge in Vollzeit, drei Wohngruppenbetreuerinnen oder Wohngruppenbetreuer in Vollzeit sowie eine Ausländerberaterin oder ein Ausländerberater im zeitlichen Umfang einer halben Stelle zusätzlich eingesetzt werden. Die zuständige Behörde plant, nach Beschluss der Bürgerschaft über die Mitteilung des Senats in der Drs. 21/1395 diese Stellen auszuschreiben und sodann innerhalb von drei Monaten zu besetzen. b. Welche Fortbildungen wurden den Bediensteten des ASD für die Arbeit mit den minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen bereits angeboten und welche weiteren sind geplant? In den Jahren 2014 und 2015 wurden unter anderem für alle Bediensteten des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) Fortbildungen zur Überwindung von Sprachbarrieren, zum Missbrauch von Suchtmitteln und zur Verbesserung der sozialen Kompetenz der Gefangenen angeboten, die auch, aber nicht nur für die Arbeit mit unbegleiteten Flüchtlingen von Bedeutung sind. Darüber hinaus sind Fortbildungen zum Missbrauch von Medikamenten, zum Umgang mit posttraumatischen Belastungsstörungen, zu psychologische Hilfen sowie zur Alltagsgestaltung bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen geplant. c. Wie viele Bedienstete des ASD haben bereits an entsprechenden Fortbildungen teilgenommen? An Fortbildungen zur Überwindung von Sprachbarrieren haben zwei Bedienstete des AVD des Jugendvollzuges teilgenommen. Vier AVD-Bedienstete des Jugendvollzuges haben an einer Fortbildung über Drogenmissbrauch teilgenommen.