BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14869 21. Wahlperiode 09.11.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 01.11.18 und Antwort des Senats Betr.: Vollstreckungsbehörde und Ermessensausübung – Wie stellt sich die Praxis von Überstellungsanträgen ins Ausland dar? (II) Auf die Schriftliche Kleine Anfrage vom 21.09.2018 (Drs. 21/14373) antwortet der Senat, dass für den Zeitraum 2015 bis 2018 insgesamt 32 Verfahren zur Überstellung verurteilter Personen in deren Heimatstaat erfasst wurden. Acht Personen wurden bisher überstellt. Die Justizbehörde hat mit Verfügung vom 27. Januar 1992 in einer (unveröffentlichten ) Richtlinie bestimmt, dass eine (endgültige) Maßnahme nach § 456a StPO für die Vollstreckungsbehörde nur dann in Betracht kommt, wenn die Ausweisung des Verurteilten bereits bestandskräftig angeordnet worden ist und demnächst auch durchgeführt werden soll. Zuletzt haben sich die Staatsrätin der Justizbehörde und der Staatsrat der Behörde für Inneres und Sport gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern ihrer Häuser, der Staatsanwaltschaft und des Einwohner-Zentralamtes Ende August dieses Jahres getroffen und die vor einer rechtskräftigen Entscheidung bei der Abwägung zwischen Strafverfolgungs- und Rückführungsinteresse zu beachtenden Gesichtspunkte einvernehmlich erörtert. Die maßgeblichen Kriterien und Wege wurden dabei gemeinsam geprüft und als angemessen und zielführend bewertet. Zugleich wurde zwischen Staatsanwaltschaft und Einwohner-Zentralamt verabredet, die Kommunikation in konkreten Einzelfällen noch weiter zu intensivieren, um das gegenseitige Verständnis zu verbessern und die effektive Bearbeitung weiterhin zu sichern. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die in der Antwort auf die Drs. 21/14373 umfassend dargestellte Verfügung der Justizbehörde vom 27. Januar 1992 ist im Transparenzportal Hamburg veröffentlicht (http://daten.transparenz.hamburg.de/Dataport.HmbTG.ZS.Webservice.GetRessource 100/GetRessource100.svc/2dd2f58a-df7e-48a9-80fb-8019154f27f0/Akte_4311_6.pdf). Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wegen welcher Delikte wurden die Personen, für die die Staatsanwaltschaft seit 2015 insgesamt 32 Überstellungsverfahren in das Heimatland erfasst hat, verurteilt? Wie hoch war jeweils das Strafmaß? In welchem Umfang hatten die Verurteilten, zum Zeitpunkt der Überstellung, die Strafe bereits verbüßt? Bitte unterteilen wie die Antwort zu 1. in der Drs. 21/14373. Der aktuelle Sachstand der seit 2015 im hierfür vorgesehenen Register erfassten Verfahren ergibt sich aus nachfolgender Aufstellung. Alle Angaben stehen unter dem Vorbehalt der vollständigen und richtigen Erfassung im Vorgangsbearbeitungs- und Drucksache 21/14869 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Vorgangsverwaltungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft, das nicht als Statistikprogramm konzipiert ist. Nr. Land Sanktionen Delikt Sachstand 1/15 PT 9 J, 1 J. u. 2 M. §§ 211, 22, 224; §§ 29, 29a BtMG Antrag zurückgenommen 2/15 SK 1 J u. 2 J § 181a StGB Antrag abgelehnt 3/15 SK 2 J u. 2 J. 8 M § 181a StGB (u.a.) Antrag abgelehnt 4/15 NL 2 J 10 M §§ 52, 27 StGB, 31 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Ersuchen abgelehnt 5/15 NL 3 J §§ 52, 27 StGB, 30a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Ersuchen zurückgenommen 6/15 NL 2 J 6 M §§ 73 Abs. 1, 49 Abs. 1, 27 StGB 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG überstellt 7/15 DK 4 J 6 M §§ 52, 25 Abs. 2 StGB, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Erledigung nach § 456a StPO 8/15 TR 5 J 3 M §§ 55 Abs. 1, 49 Abs. 1 27 Abs. 1 u. 2 StGB, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG BtMG Antrag abgelehnt 9/15 RO 8 J § 177 StGB Antrag zurückgenommen 10/15 NL 5 J 6 M §§ 73a, 73, 53 StGB, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG überstellt 1/16 BG 9 J § 226 StGB (u.a.) überstellt 2/16 NL 2 J 8 M §§ 54, 53, 52 StGB, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG überstellt 3/16 LT 1 J 3 M §§ 242, 243 StGB Antrag zurückgenommen 4/16 SP 4 J 4 M §§ 212, 22 StGB (u.a.) Antrag offen 5/16 CDN 6 J 3 M §§ 73a, 73, 51 Abs. 1, 49, 27 StGB, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Ersuchen offen 6/16 DK 2 J §§ 53, 52, 49, 23, 22 StGB, 30 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 29a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG Aussetzung nach § 57 StGB 7/16 NL 6 J 9 M §§ 55, 53, 25 Abs. 2 StGB, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG überstellt 1/17 NL 5 J §§ 53, 52, 25 Abs. 2 StGB, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG überstellt 2/17 NL 2 J 8 M §§ 53, 52, 27, 25 Abs. 2 StGB, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG überstellt 3/17 NL 3 J 2 M §§ 52, 27 StGB, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Ersuchen abgelehnt 4/17 PL 1 J 5 M u. 3 J. § 267 StGB unbekannten Aufenthalts Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14869 3 Nr. Land Sanktionen Delikt Sachstand 5/17 NL 5 J 7 M §§ 52, 27 StGB, 30a Abs. 2 Nr.2, Abs. 3, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Überstellung läuft 6/17 SRB 8 J § 250 StGB (u.a.) Überstellung läuft 7/17 PL 1 J §§ 242, 243 StGB Vollstreckung übernommen 8/17 NL 4 J §§ 74, 52, 27 StGB, 33, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Ersuchen offen 1/18 ALB 8 J § 224 StGB (u.a.) Ersuchen offen 2/18 NL 2 J 6 M §§ 74, 73c, 73, 52, 49, 27 StGB, 30 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 29a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG Ersuchen offen 3/18 NL 4 J 9 M §§ 53, 52, 25 Abs. 2 StGB, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Voranfrage der NL 4/18 PL 8 M §§ 242, 243 StGB Ersuchen offen 5/18 NL 3 J 5 M §§ 74, 73c, 73, 52, 27 StGB, 33, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Ersuchen offen 6/18 NL § 63 StGB § 306a StGB Ersuchen in Vorbereitung 7/18 NL 3 J 6 M §§ 74a, 52, 27 StGB, 33, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Ersuchen offen 8/18 Fehlerfassung 9/18 PL 12 J 6 M § 263 StGB Ersuchen offen Aus den kurzfristig ergänzend beigezogenen Vollstreckungsheften ergibt sich, dass in den Fällen, in welchen in der Tabelle eine erfolgte Überstellung verzeichnet ist, die Strafe zu diesem Zeitpunkt in folgendem Umfang verbüßt war: 6/15: Auslieferungshaft beziehungsweise Untersuchungshaft 06.12.2014 bis 12.06.2015/Strafhaft bis Überstellung: 13.06.2015 bis 08.12.2016, 10/15: 04.05.2015 bis 17.11.2015/18.11.2015 bis 02.02.2017, 1/16: 15.02.2015 bis 13.01.2016/14.01.2016 bis 19.01.2017, 2/16: 11.06.2014 bis 22.10.2014/Strafhaft später in den NL vollstreckt, 7/16: 03.05.2016 bis 13.07.2016/14.07.2016 bis 09.11.2017, 1/17: 22.08.2016 bis 23.08.2016 und 10.11.2016 bis 07.02.2017/08.02.2017 bis 02.11.2017, 2/17: 27.06.2016 bis 29.06.2016 und 06.09.2016 bis 31.01.2017/Strafhaft später in den NL vollstreckt, 7/17: keine Haft in Deutschland/keine Überstellung aus Haft. 2. Wie geht das Verfahren im Einzelnen vonstatten? Bitte ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung bis zur tatsächlichen Überstellung in das Heimatland schildern. Überstellungsersuchen setzen eine rechtskräftige Verurteilung voraus. Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung kommt ein Überstellungsersuchen daher nicht in Betracht. Die Einzelheiten des Verfahrens sind im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) geregelt. Die Vollstreckung deutscher gerichtlicher Entscheidungen Drucksache 21/14869 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union regeln §§ 85 fortfolgende IRG. 3. Wie viele vollziehbar ausreisepflichtige Personen befanden/befinden sich zwischen 2015 und 2018 insgesamt in Straf- oder Untersuchungshaft? a. Wie viele dieser Personen kommen aus EU-Staaten und wie viele aus anderen Herkunftsländern? Bitte für die zehn häufigsten Herkunftsländer die Anzahl der vollziehbar ausreisepflichtigen Personen in Straf- beziehungsweise Untersuchungshaft angeben. b. In wie vielen Fällen erfolgte der tatsächliche Vollzug der Aufenthaltsbeendigung aus der Strafhaft heraus? c. In wie vielen Fällen erfolgte die Aufenthaltsbeendigung im Anschluss an die Strafhaft? d. In wie vielen Fällen standen Vollzugshindernisse der Aufenthaltsbeendigung entgegen? Welche? e. Welche Kosten entstehen durchschnittlich (beziehungsweise sind prognostiziert) für die Überstellung eines Gefangenen? f. Durch wen und wie werden die Überstellungen eines Gefangenen in ein anderes Land durchgeführt? Ob ein Gefangener oder eine Gefangene vollziehbar ausreisepflichtig ist, wird statistisch im Einwohner-Zentralamt nicht erfasst. Die maßgeblichen Daten werden auch nicht im Vorgangsbearbeitungs- und Vorgangsverwaltungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft , das nicht als Statistikprogramm konzipiert ist, und auch nicht in Basis- Web erfasst. Zur Beantwortung müssten die Daten von über 1.100 Gefangenen in Zusammenarbeit mit dem Einwohner-Zentralamt ausgewertet werden. Dies ist in der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Bei insgesamt 289 Personen wurde zwischen Anfang 2015 und dem 2. November 2018 gemäß § 456a StPO von der weiteren Vollstreckung abgesehen. Bis zum 31. Oktober 2018 erfolgte in insgesamt 88 Fällen eine Rückführung im unmittelbaren Anschluss an eine Strafhaft aus der Strafhaft heraus. Die Kosten der Abschiebung von Ausländern aus der Strafhaft variieren je nach Einzelfall und Zielstaat der Rückführung und belaufen sich auf circa 3.000 Euro bis 10.000 Euro. Es entstehen im Regelfall Aufwendungen für den Flug der abzuschiebenden Person ins Heimatland, Kosten für die Überstellung zum Flughafen sowie Ausgaben für die Sicherheitsbegleitung. Die Zuführung der abzuschiebenden Personen aus oder in direktem Anschluss an die Strafhaft sowie die Übergabe an die Bundespolizei zum Vollzug der Abschiebung erfolgt durch Mitarbeiter des Einwohner-Zentralamtes und des Landeskriminalamtes. Die Sicherheitsbegleitung der Abschiebungen sowie die Übergabe an die ausländischen Grenzbehörden erfolgt im Regelfall durch die Bundespolizei. In einigen wenigen Fällen kann eine Sicherheitsbegleitung auch durch Sicherheitskräfte der Herkunftsstaaten erfolgen. 4. In der Drs. 21/14373 erläutert der Senat (teilweise) den Inhalt der Richtlinie vom 21.09.1992. Welchen darüber hinausgehenden Inhalt hat die Richtlinie? Siehe Vorbemerkung. a. Wann und mit welchem Inhalt wurde die Richtlinie seit 1992 geändert ? Bitte begründen? b. Wann und welche Verfahrensanpassungen erfolgten seit 1992 zwischen Staatsanwaltschaft und Einwohner-Zentralamt? Bitte begründen . Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14869 5 Die Verfügung der Justizbehörde vom 27. Januar 1992 ist bislang unverändert geblieben . Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Drs. 21/14373. 5. Ist dem Senat bekannt, welche Bundesländer Richtlinien erlassen haben, die das Absehen von der Vollstreckung zu einem anderen Zeitpunkt zulassen als Hamburg? (Bitte Bundesland und abweichende Regelung angeben.) Nein. Etwaige Richtlinien anderer Länder zum Absehen von der Vollstreckung liegen außerhalb des Verantwortungsbereichs des Senates und der parlamentarischen Kontrolle der Bürgerschaft und werden daher auch vom parlamentarischen Fragerecht nicht erfasst, weshalb der Senat von einer Beantwortung der Frage absieht. 6. Wie viele in einem EU-Mitgliedsstaat inhaftierte deutsche Staatsbürger (mit letztem Wohnsitz in Hamburg) wurden seit 2015 zur Vollstreckung einer Haftstrafe im Heimatland in welche hamburgische Justizvollzugsanstalt tatsächlich überstellt; wie viele Überstellungsersuchen gab es insgesamt seit 2015? (Bitte auch angeben, aus welchem Land die Personen überstellt wurden beziehungsweise die Ersuchen erfolgten sowie das Strafmaß, zu dem die Personen verurteilt wurden.) In dem hierfür vorgesehenen Register wurden ausweislich des Vorgangsbearbeitungs - und Vorgangsverwaltungssystems der Staatsanwaltschaft MESTA – dem sich allerdings keine gültigen und zuverlässigen Daten entnehmen lassen, weil es nicht als Statistikprogramm konzipiert ist – seit 2015 insgesamt 49 Verfahren erfasst. Eine Beiziehung und händische Auswertung von insgesamt 35 kurzfristig verfügbaren Verfahrensakten hat ergeben, dass drei deutsche Staatsbürger aus EU-Mitgliedsstaaten überstellt wurden. In zwei Fällen erfolgte anschließend eine Inhaftierung in der JVA Billwerder, in einem Fall in der JVA Fuhlsbüttel. Insgesamt ließen sich fünf Verfahren feststellen, in denen tatsächlich eine Überstellung erfolgte: Staatsangehörigkeit des Verurteilten Land Strafmaß JVA deutsch ECU 5 J Billwerder deutsch/polnisch PL 3 J 2 M Billwerder deutsch DK 2 J 9 M Billwerder deutsch DK 8 J Fuhlsbüttel deutsch NOR 21 J Fuhlsbüttel In drei Fällen wurde ein Vollstreckungsübernahmeersuchen zurückgenommen. In zwei Fällen wurde die Übernahme einer Vollstreckung abgelehnt. Weitere Verfahren betrafen insbesondere Fälle, in denen eine örtliche Zuständigkeit Hamburgs nicht bestand oder ein Vollstreckungsübernahmeersuchen lediglich avisiert, später aber tatsächlich nicht gestellt wurde. 7. Welche konkreten Maßnahmen wurden zwischen Staatsanwaltschaft und Einwohner-Zentralamt verabredet, um eine bessere und effektivere Bearbeitung der Überstellungsverfahren zukünftig sicherzustellen? a. Welche Handlungserfordernisse sind in dem Gespräch Ende August 2018 konkret erkannt worden? b. Wie wurde dieses Thema seit 1992 auf der Innenministerkonferenz beziehungsweise Justizministerkonferenz bearbeitet? Welche Initiativen hat Hamburg diesbezüglich unterstützt? Weder die Justizministerkonferenz noch die Innenministerkonferenz haben sich bislang mit der Verbesserung von Überstellungsverfahren befasst.