BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/14930 21. Wahlperiode 13.11.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Detlef Ehlebracht, Harald Feineis und Peter Lorkowski (AfD) vom 07.11.18 und Antwort des Senats Betr.: Deicherhöhung in Cranz und Neuenfelde In Cranz und Neuenfelde werden einige Grundeigentümer Teile ihrer Grundstücke für den Deichbau abgeben müssen, damit ein Tiedeauenwald erhalten bleibt, der durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU geschützt ist. So sieht es die Realisierungsgesellschaft (Rege), die mit der Planung der Deicherhöhung beauftragt ist. In der Sitzung des Regionalausschusses Süderelbe der Bezirksversammlung Harburg vom 24.10.2018 stellte die Realisierungsgesellschaft den Stand der Planungen für die Deicherhöhung in Cranz und Neuenfelde vor. Bedingt durch die notwendige Erhöhung des Deiches um bis zu 0,70 Meter wird sich auch der Deichfuß um circa 6 Meter verbreitern. Die Rege sieht nur die Möglichkeit , den Deich zur Landseite hin zu verbreitern. Davon sind neben der südlich des Deiches verlaufenden Straße auch circa 40 Grundstücke privater Eigentümer betroffen. Wie weit der Deich nach Süden verlegt werden muss, wird sich erst im Laufe der Planung ergeben. Eine Deicherweiterung nach Norden wird von der Realisierungsgesellschaft ausgeschlossen, da auf der dann benötigten Fläche zum Teil ein Tiedeauenwald wächst, der durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH- Richtlinie) der EU geschützt ist. Um für die Deicherweiterung auch die Fläche des Auwaldes heranziehen zu können, müsse nachgewiesen werden, dass es keine andere Alternative gäbe. Durch die Verlegung der Straße und die Inanspruchnahme privater Grundstücke sei aber eine Alternative vorhanden. Dies vorausgeschickt fragen wir den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften der Hamburg Port Authority AöR (HPA) wie folgt: 1. Aus welchen Artikeln der FFH-Richtlinie ergibt sich in diesem konkreten Fall zwingend, dass der Deich nur zur Landseite hin verlegt werden kann? Bitte neben den Artikeln der FFH-Richtlinie auch die entsprechenden Auslegungen anführen. 1.1 Welche Artikel regeln den Nachweis von Alternativen? Die Vorschrift setzt Artikel 6 Absatz 4 der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH- Richtlinie) um. Das folgt aus § 34 Bundesnaturschutzgesetz. 1.2 Wie wird die Verhältnismäßigkeit theoretisch möglicher Alternativen in der FFH-Richtlinie berücksichtigt? Drucksache 21/14930 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Das Erfordernis der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses an dem durchzuführenden Projekt und die Erheblichkeitsschwelle des Eingriffs in das FFH-Gebiet begründen die Rechtmäßigkeit des Vorhabens. 1.3 Wie beurteilt der Senat die Verhältnismäßigkeit der von der Rege gewählten Alternative der Deichverlegung zur Landseite hin gegenüber der Verlegung zur Wasserseite hin? Hiermit hat sich der Senat nicht befasst. 2. Wie groß ist die Fläche des FFH insgesamt und wie groß ist die Fläche, die für eine Verlegung des Deiches zur Wasserseite hin vom FFH herangezogen werden müsste? 2.1 Wie groß sind diese Flächen westlich der Estemündung? 2.2 Wie groß sind diese Flächen östlich der Estemündung? Der maßgebende Lebensraumtyp nimmt 27 ha ein. Bei einer Verschiebung des Deichs einschließlich der zu ertüchtigenden Straße nach Norden würde ein Streifen von bis zu circa 12 m Breite (inklusive Schutzstreifen) und 1,52 km Länge westlich der Estemündung und 1,7 km Länge östlich der Estemündung in Anspruch genommen werden. Zur Gesamtfläche des FFH-Gebiets Mühlenberger Loch/Neßsand siehe Antwort zu 3. 3. Welche schützenswerten Arten kommen in dem FFH vor (bitte differenziert nach Vorkommen westlich oder östlich der Estemündung)? 3.1 Flora, bitte differenziert nach Art, Menge und Gefährdung. 3.2 Fauna, bitte differenziert nach Art, Menge und Gefährdung. Zu den gemäß FFH-Richtlinie geschützten Lebensraumtypen und Arten in diesem Bereich siehe hier: https://www.bfn.de/themen/natura-2000/natura-2000- gebiete/steckbriefe/natura/gebiete/show/ffh/DE2424302.html Das Vorkommen des Schierlingswasserfenchels liegt westlich der Estemündung bei circa 88 und östlich der Estemündung bei circa drei Individuen. Bei der Fauna sind die genauen Populationen nicht bekannt. Zudem sind die Bestände über die gesamte Wasserfläche verteilt, sodass nicht nach Bereichen östlich und westlich der Estemündung differenziert werden kann. 4. Welche Bedeutung hat der Tiedeauenwald für den Hochwasserschutz? Der Tideauenwald dient mit seiner wellendämpfenden Funktion dem Hochwasserschutz . 4.1 Wird die Sicherheit des Deiches durch lose Baumstämme gefährdet, die bei Hochwassern oder Sturmfluten aus dem Auenwald heraus gelöst und gegen den Deich gespült werden? 4.1.1 Wenn ja, wie kann dem wirkungsvoll begegnet werden? 4.1.2 In welchem Zeitraum ist dieses aus dem Tiedeauenwald stammende Treibgut im Hinblick auf die Deichsicherheit zu entfernen und in welchem Zeitraum wird es tatsächlich entfernt ? Das Erfordernis für die Entfernung von Totholz wird rechtzeitig aufgrund von Gefährdungsbeurteilungen durch die HPA im Rahmen der regelmäßigen Routinekontrollen und im Sturmflutfall durch gesonderte Begehungen des Deichs festgestellt. Sofern eine Gefährdung der Hochwassersicherheit gegeben ist, nimmt die HPA in Abstimmung mit der zuständigen Behörde die Entfernung von Totholz vor. Bei akuter Gefährdung der Hochwassersicherheit erfolgt die Entfernung umgehend. Nach der Sturmflutsaison wird die Entfernung von Totholz im erforderlichen Umfang weiter vorangetrieben. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/14930 3 4.2 Ist der Aufwuchs von Tiedeauenwald auf zurzeit noch unbewachsenen Flächen des Mühlenberger Lochs möglich, wenn diese weiter verschlicken? 4.2.1 Falls ja, wie groß ist die Fläche, auf der dieser Aufwuchs möglich ist? 4.2.2 Wäre dieser Aufwuchs erwünscht? 4.2.3 Inwieweit könnte dieser Aufwuchs einen an anderer Stelle abgängigen Bestand an Tiedeauenwald kompensieren oder überkompensieren? Hierzu liegen der zuständigen Behörde keine Erkenntnisse vor. Im Übrigen hat sich der Senat damit nicht befasst. 5. Wie beurteilt der Senat die Möglichkeit, den Deich mindestens in einigen Abschnitten auf die Wasserseite zu verlegen, und zwar 5.1 für den Abschnitt vom Sperrwerk bis zur Landesgrenze nach Niedersachsen , 5.2 für den Teilabschnitt von der Este-Mündung bis zur Landesgrenze nach Niedersachsen, unter Einschluss der Fläche der Pella Sietas Werft? Eine solche Möglichkeit ist aus Sicht der zuständigen Behörde nicht gegeben, da bei diesem Lebensraumtyp bereits ein vergleichsweise geringer Flächenverlust die maßgebliche Erheblichkeitsschwelle überschreiten würde.