BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15048 21. Wahlperiode 23.11.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider und Deniz Celik (DIE LINKE) vom 15.11.18 und Antwort des Senats Betr.: Polizeiliches Vorgehen wegen medizinischen Cannabis Nach einem Bericht in dem Magazin „Vice“ vom 28.09.2018 soll ein Cannabis -Konsument, der aufgrund ärztlicher Verordnung zum Kauf und Konsum von medizinischem Cannabis auf Rezept berechtigt ist, von Polizeikräften in St. Georg zunächst kontrolliert, später verletzt, schikaniert und auf die Wache verbracht worden sein.1 Laut dem Bericht habe er auf dem Weg zwischen dem Busbahnhof und dem Hauptbahnhof medizinisches Cannabis geraucht und wurde daraufhin von Polizeibediensteten angesprochen. Er habe die Polizeikräfte darauf hingewiesen, dass es sich um medizinisches Cannabis handele. Als er sich habe ausweisen und sein Rezept vorzeigen wollen, sei er von den Polizeikräften körperlich angegangen worden und verletzt worden . Anschließend sei er von der Polizei auf das Polizeikommissariat 11 in Hamburg-St. Georg gebracht worden. Obwohl der Betroffene mehrfach auf seinen Patientenstatus und sein ärztliches Rezept hingewiesen habe, sei er von der Polizei weiter schikaniert worden. Selbst als seine Apothekerin sowie seine gesetzliche Betreuerin seine Angaben telefonisch bestätigt hatten, sei er weiter festgehalten und beschuldigt worden. Der Beschuldigte sei umfassend durchsucht worden, beleidigt und verdächtigt worden, ein Drogendealer zu sein. Erst nach fünf Stunden habe er die Wache verlassen dürfen. Nach der Darstellung des Betroffenen liegt ein schweres polizeiliches Fehlverhalten vor, bei dem eine erkrankte Person von der Polizei schikaniert, verletzt und kriminalisiert wurde. Gegenüber der Zeitschrift „Vice“ äußerte sich die involvierte Apothekerin zudem dahin gehend, dass ihrem Eindruck nach die Polizei mit dem Thema medizinisches Cannabis nicht vertraut war. Medizinisches Cannabis ist seit 2011 als Fertigarzneimittel und seit März 2017 auch unverarbeitet zugelassen . Es handelt sich damit um ein reguläres verkehrs- und verschreibungsfähiges Medikament, dass völlig legal auf Rezept von Ärzten/-innen verordnet werden kann. Der Bericht deutet aber darauf hin, dass die Polizei Hamburg im Hinblick auf die medizinische Nutzung von Cannabis nicht sensibilisiert ist und es zur Diskriminierung und Kriminalisierung von Patienten/-innen kommt, die Cannabis als Medikament nutzen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1 Vergleiche https://www.vice.com/de/article/zm53jw/cannabis-polizei-hamburg-soll-patientenmisshandelt -haben. Drucksache 21/15048 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Wie stellten sich die eingangs beschriebenen Vorgänge am Abend des 28.09.2018 aus Sicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde nach jetzigem Kenntnisstand dar? Bei dem Sachverhalt handelt es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren, das von der Polizei nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen am 28.09.2018 an die sachleitende Staatsanwaltschaft Hamburg abgegeben wurde. 2. Trifft es zu, dass gegen den Betroffenen ein Strafverfahren eingeleitet wurde? Wenn ja, aus welchen Gründen, wegen welcher Delikte und wie ist der Stand? Ja, wegen des Verdachts des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und Verdachts des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte; darüber hinaus siehe Antwort zu 1. 3. Ist gegen die beteiligten Polizeikräfte ein Strafverfahren eingeleitet worden ? Wenn ja, wegen welcher Delikte und wie ist der Stand? Wenn nein, warum nicht? Nach Kenntnis der Polizei: nein. Der Betroffene hat bei der Polizei bisher keine Anzeige erstattet. Das Dezernat Interne Ermittlungen führt kein Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Polizeikräfte. Eine Strafanzeige liegt dem DIE nicht vor. Auf der Grundlage des Medienberichts sind gegenwärtig keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat gegeben. Ausweislich des Vorgangs- und Verwaltungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg ist vorbehaltlich der vollständigen und richtigen Erfassung gegen den Beschuldigten ein Verfahren wegen des Vorwurfs des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (§ 29 Absatz 1 Nummer 3 BtMG) anhängig. Da die Sachakte derzeit zur Akteneinsicht des Verteidigers nach Berlin versandt ist, können zu den Einzelheiten des Vorwurfs und des Verfahrensstands keine weiteren Angaben gemacht werden. Der Beschuldigte ist betreffend den genannten Vorgang nicht als Geschädigter erfasst. 4. In wie vielen Fällen ist es im Jahr 2017 im Zusammenhang mit dem Konsum, Besitz oder Erwerbs von medizinischen Cannabis zu polizeilichen Maßnahmen gekommen? Bitte Datum, Ort, Situation, Grund und Art der polizeilichen Maßnahme angeben. 5. In wie vielen Fällen ist es im Jahr 2018 im Zusammenhang mit dem Konsum, Besitz oder Erwerb von medizinischen Cannabis zu polizeilichen Maßnahmen gekommen? Bitte Datum, Ort, Situation, Grund und Art der polizeilichen Maßnahme angeben. Statistiken im Sinne der Fragestellungen werden von der Polizei nicht geführt. Für die Beantwortung wäre eine manuelle Durchsicht sämtlicher Hand- und Ermittlungsakten an den für Betäubungsmitteldelikte zuständigen Dienststellen erforderlich. Die Auswertung mehrerer Tausend Vorgänge pro Jahr ist in der für eine Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 6. Gibt es eine Dienstanweisung oder Ähnliches, die den polizeilichen Umgang mit Cannabis-Patienten/-innen regelt? Wenn ja, welchen Inhalt hat die Dienstabweisung? Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften „Cannabis als Medizin“ hat die Verkehrsdirektion im März 2017 in einer Vollzugsinformation das Verfahren bei Überprüfungen von Kraftfahrzeug- und Fahrzeugführern im Sinne der Fragestellung geregelt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15048 3 Darüber hinaus sind bei der Polizei Dienstanweisungen im Sinne der Fragestellung derzeit nicht vorhanden. 7. Der Betroffene berichtet in dem Artikel davon, dass ihm auf dem PK 11 gesagt worden sei, dass in einem „Gefahrengebiet“ auch der Konsum von medizinischem Cannabis verboten sei. Hält der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde den Konsum von medizinischem Cannabis in der Öffentlichkeit oder an spezifischen Orten (zum Beispiel an sogenannten gefährlichen Orten) für illegal? Wenn ja, auf welche Rechtsgrundlage stützt sich diese Einschätzung? Cannabis-Patienten können ihre Medizin grundsätzlich überall dort einnehmen, wo die allgemein gültigen Regelungen des Nichtraucherschutzes gewährleistet sind. Darüber hinaus gehende Einschränkungen im Sinne der Fragestellung gibt es in Hamburg nicht. Sie müssen allerdings ihren Status als Cannabis-Patient bei entsprechender polizeilicher Überprüfung nachweisen. 8. Wie viele Anträge von wie vielen Personen auf Cannabis auf Rezept und Kostenübernahme gab es (bundesweit und in Hamburg) seit März 2015? Bitte jährlich, nach Krankheitsbildern und in genehmigt und abgewiesen, nach Anträgen und Personen sowie Sachgründen aufschlüsseln. Bis zum Inkrafttreten der Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften am 10. März 2017, mit dem der Gesetzgeber die Möglichkeiten zur Verschreibung von Cannabisarzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erweitert hat, war eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Absatz 2 Bundesbetäubungsmittelgesetz (BtMG) zum Erwerb von Cannabis zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie notwendig. Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung bestand nicht. Zur Anzahl der Personen , die im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung mit cannabishaltigen Medikamenten bis zum März 2016 behandelt wurden siehe Drs. 21/3570. Für die Zeit März 2016 bis März 2017 liegen der Bundesopiumstelle im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Informationen nicht vor und können aufgrund der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht erhoben werden. Mit Inkrafttreten der Gesetzesänderungen können Cannabismedikamente über ein Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Die Daten zur Verschreibung werden zentral nicht erfasst. Sie liegen nur den Krankenkassen vor. Eine Erhebung der Daten wäre nur mit großem Aufwand möglich. Nach Auskunft der Bundesopiumstelle im BfArM verfügt auch diese nicht über die entsprechenden Daten, führt allerdings eine Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln durch, um weitere Erkenntnisse über die Wirkung von Cannabis als Medizin zu gewinnen. Ergebnisse der Studie werden für das Frühjahr 2022 angekündigt. 9. Werden Patienten/-innen, die Cannabis verordnet bekommen, von den behandelnden Ärzten/-innen oder der Krankenkasse regelmäßig beziehungsweise generell darüber informiert, wie sie sich bei einer Polizeikontrolle am besten zu verhalten haben? Zum Standard ärztlicher Behandlung zählt es, Patientinnen und Patienten über die Medikation aufzuklären. Der deutsche Verkehrssicherheitsrat empfiehlt, dass Patientinnen und Patienten eine ärztliche Bescheinigung über ihre Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten beziehungsweise eine Kopie des aktuellen Rezeptes über medizinisches Cannabis mit sich führen sollten. Informationen, inwieweit diese Empfehlung regelhaft durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte umgesetzt werden, liegen nicht vor. Empfehlungen im Sinne der Fragestellung gibt die Polizei an Ärzte/Krankenhäuser nicht ab. 10. Welche Maßnahmen wird der Senat, beziehungsweise die zuständige Behörde ergreifen, um zukünftig polizeiliche Maßnahmen gegenüber Cannabis-Patienten/-innen zu vermeiden? Drucksache 21/15048 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Informationen zum Thema werden bei der Polizei im Rahmen von Dienst- beziehungsweise Einsatzbesprechungen an die Einsatzkräfte weitergegeben und diese diesbezüglich sensibilisiert; darüber hinaus gehende Maßnahmen sind derzeit nicht geplant. Im Übrigen lassen sich polizeiliche Maßnahmen gegenüber Cannabis-Patienten auch in Zukunft nicht vermeiden, da ohne eine Kontrolle nicht geklärt werden kann, ob die betreffende Person im legalen Besitz von Cannabis ist. Erst die Vorlage eines Nachweises in Form einer Ausfertigung des entsprechenden Cannabis-Rezeptes sowie einer Bescheinigung des verschreibenden Arztes kann eine entsprechende Verdachtslage ausräumen.