BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15075 21. Wahlperiode 27.11.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 20.11.18 und Antwort des Senats Betr.: Nächtlicher Hausarrest für Geflüchtete – Verletzt der Senat die Freiheitsrechte ? In Hamburg existiert die Praxis, Geflüchteten, deren Asylantrag abgelehnt wurde, einen Bescheid zu erteilen, mit denen ihnen die Auflage erteilt wird, sich zur „Sicherung der Abschiebung“ zu bestimmten (Nacht-)Zeiten in ihrer Unterkunft aufzuhalten. Die Auflage schreibt meistens vor, dass die Geflüchteten sich zwischen 22 Uhr und 6 Uhr in der ihnen zugewiesenen Unterkunft aufhalten müssen. Ihnen ist lediglich gestattet, diese Räume für maximal 15 Minuten zu verlassen (zum Beispiel zum Aufsuchen der Sanitärräume). Sofern sie der Verpflichtung zum nächtlichen Aufenthalt einmal nicht nachkommen können, sind sie verpflichtet, dies mindestens zwölf Stunden vorher dem Einwohner- Zentralamt anzuzeigen. Bei Zuwiderhandlung gegen die Aufenthaltspflicht wird Abschiebehaft angedroht. Den Geflüchteten wird damit zur „Sicherung“ ihrer Abschiebung ein Hausarrest auferlegt, und ihnen wird ihre (Bewegungs-)Freiheit entzogen. In Niedersachsen hat das dortige Oberverwaltungsgericht diese Praxis für rechtswidrig erklärt. Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass der Hausarrest eine Freiheitsentziehung darstellt, für die es im Aufenthaltsgesetz keine Rechtsgrundlage gibt. Obwohl die Rechtslage in Hamburg identisch ist, hält die Stadt weiter an dieser rechtswidrigen Praxis fest. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die zuständige Behörde strebt bei der Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer eine weitere Steigerung der Effizienz an. Eine hohe Zahl von Rückführungen scheitert daran, dass die Betroffenen meist nicht angetroffen werden. Deshalb werden gemäß § 46 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auch Verfügungen erlassen , mit denen angeordnet wird, dass die Betroffenen, bei denen die Rückführung konkret bevorsteht, sich über einen bestimmten Zeitraum zu der in der Vorbemerkung der Fragestellerin genannten Nachtzeit in dem ihnen zugewiesenen Zimmer ihrer Unterkunft aufzuhalten haben. Damit soll erreicht werden, dass weniger Rückführungsmaßnahmen daran scheitern, dass die Betroffenen am Tag der Abschiebung beziehungsweise erforderlichenfalls in der Nacht davor nicht angetroffen werden. Im Übrigen siehe Drs. 21/15064. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Drucksache 21/15075 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Wie viele Abschiebungen wurden 2018 durchgeführt? Bis zum 31. Oktober 2018 wurden 324 Abschiebungen in Herkunftsländer und 120 Überstellungen in Drittstaaten durchgeführt. a. Wie viele davon erfolgten zur Nachtzeit (also zwischen 22 Uhr und 6 Uhr)? b. In wie vielen Fällen der Abschiebungen zur Nachtzeit war zuvor per Bescheid die Auflage ergangen, dass die Personen ihre Unterkunft zur Nachtzeit nicht verlassen dürfe? Die Anzahl von Rückführungsmaßnahmen, die aufgrund einer Ausnahmeentscheidung nach § 25 Hamburgisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz zur Nachtzeit durchgeführt wurden, wird statistisch nicht erfasst. Eine nachträgliche händische Auswertung aller 444 Ausländerakten der zurückgeführten Personen ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. c. Wie viele (erfolglose) Abschiebeversuche wurden 2018 durchgeführt ? Es konnten 538 Rückführungen nicht durchgeführt werden. d. Wie viele der unter 1. c. genannten Versuche scheiterten aufgrund der Abwesenheit der Person? In 342 Fällen konnten die Personen nicht angetroffen werden, in weiteren 78 Fällen waren Familien nicht vollständig anwesend. e. In wie vielen Fällen wurde – sofern es sich um Dublin-III- Abschiebungen handelt – die Frist zur Überstellung der Person verlängert , weil die Person bei dem Abschiebeversuch nicht anwesend war? Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mitgeteilten Fristverlängerungen werden statistisch nicht erfasst und sind auch im ausländerbehördlichen Fachverfahren nicht als auswertbares Merkmal hinterlegt. Eine händische Auswertung mehrerer Hundert Ausländerakten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 2. Wie viele Bescheide mit der Auflage, sich zur Nachtzeit in der Einrichtung oder anderweitigen Unterkunft aufzuhalten, sind bisher 2018 ergangen? Bitte nach Monaten differenzieren. Derartige Verfügungen werden statistisch nicht erfasst und lassen sich auch aus dem ausländerbehördlichen Fachverfahren nicht auswerten. Eine händische Auswertung mehrerer Hundert Ausländerakten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 3. Als Nachtzeit wird regelmäßig der Zeitraum zwischen 22 Uhr und 6 Uhr angegeben. Sind 2018 auch Auflagen für andere Zeiträume ergangen? Wenn ja, für welche Zeiträume, in wie vielen Fällen und warum? Nein. 4. Die Auflage, sich zur Nachtzeit in der Unterkunft aufzuhalten, wird mit dem Bescheid regelmäßig für einen längeren Zeitraum erteilt (zum Beispiel drei Monate). Wie viele der 2018 ergangenen Bescheide erteilten die Auflage für a. eine Woche? b. zwei Wochen? c. drei Wochen? d. einen Monat? e. zwei Monate? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15075 3 f. drei Monate? g. mehr als drei Monate? Sofern dazu keine statistischen Daten vorliegen, bitte angegeben, für welchen Zeitraum die Auflage üblicherweise erteilt wird. Statistische Daten hierzu liegen nicht vor. Die Auflage orientiert sich am voraussichtlichen Rückführungstermin und wird regelhaft für nicht länger als drei Monate erteilt; sie wird gegebenenfalls bei Wegfall des Erfordernisses aufgehoben. 5. Wird bei Personen, die einen entsprechenden Bescheid erhalten haben, die Auflage von der Unterkunft, in der die Person lebt, erfasst? Wenn ja, in welcher Form und für welche Mitarbeiter/-innen ist der Eintrag sichtbar? a. Werden Personen, die eine entsprechende Auflage erhalten haben, beim Verlassen der Unterkunft auf die Auflage hingewiesen? b. Werden Personen, die eine entsprechende Auflage erhalten haben, während der zeitlichen Geltungsdauer der Auflage am Verlassen der Unterkunft gehindert? Sofern sich die Verfahrensweisen in den einzelnen Unterkünften unterscheiden sollte, bitte nach Unterkünften differenzieren. Die Auflage ist in der elektronischen Ausländerakte erfasst und wird den Betreibern der Unterkünfte oder dem Wachdienst nicht mitgeteilt. Die Personen werden daher durch das Zustellen der Verfügung, aber nicht durch Vertreter der Unterkunft auf die bestehende Auflage hingewiesen oder am Verlassen gehindert. Die Einhaltung und Überwachung der Auflagen erfolgt nur durch die zuständige Behörde. 6. In den Bescheiden wird den Betroffenen angekündigt, dass eine Zuwiderhandlung gegen die Auflage dazu führt, dass davon ausgegangen werde, dass sie sich einer Abschiebung entziehen wollten, und daher unverzüglich Abschiebehaft beantragt werde. a. In wie vielen Fällen waren Personen, die zuvor die Auflage zur nächtlichen Anwesenheit in der Unterkunft erhalten haben, bei ihrer Abschiebung nicht anwesend? b. In wie vielen der unter 6. a. genannten Fälle wurde Abschiebehaft beantragt? c. In wie vielen der unter 6. b. genannten Fälle wurde die Abschiebehaft richterlich angeordnet? d. Wie viele der Personen, in denen aufgrund einer Zuwiderhandlung gegen die Auflage Abschiebehaft richterlich angeordnet wurde, wurden in Abschiebehaft genommen? e. Wie viele der unter 6. d. genannten Personen wurden aus der Abschiebehaft nicht abgeschoben, sondern wieder entlassen? Derartige Fallkonstellationen werden statistisch nicht erfasst. Der Verstoß gegen eine solche Anordnung kann jedoch einen Haftgrund nach § 62 Absatz 3 Nummer 3 Aufenth G begründen. 7. Wie viele Widersprüche wurden im Jahr 2018 bisher gegen die Auflage erhoben? a. In wie vielen Fällen führte der Widerspruch zur Aufhebung der Auflage ? 8. Wie viele Eilanträge und wie viele Klagen hat es in Hamburg 2018 gegen die Auflage gegeben? Drucksache 21/15075 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 a. In wie vielen der Fälle, in denen gerichtlicher Rechtsschutz gegen die Auflage ersucht wurde, wurde die Auflage für rechtswidrig erklärt? 9. Wieso hält der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde entgegen der Rechtsprechung, die die Praxis der Auflage eines nächtlichen Aufenthaltszwanges in den Unterkünften per Bescheid für rechtswidrig erklärt hat, weiter an den Auflagen fest? Widersprüche und Eilanträge gegen Anordnungen zum nächtlichen Aufenthalt in der Unterkunft werden statistisch nicht erfasst. Eine Sonderauszählung der zuständigen Rechtsabteilung des Einwohner-Zentralamts hat für den Zeitraum 23. August bis 21. November 2018 ergeben, dass vier Eilverfahren eingestellt wurden, nachdem die Behörde zuvor abgeholfen hatte und dass in 16 Fällen die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet wurde. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hamburg ist dabei nicht einheitlich. Eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg zu dieser Frage gibt es bisher nicht. Die zuständige Behörde strebt eine obergerichtliche Klärung an. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.