BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15113 21. Wahlperiode 30.11.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 22.11.18 und Antwort des Senats Betr.: Therapeutennotstand, lange Patientenwartelisten, öffentlicher Hilferuf der Betroffenen – Warum reagiert Rot-Grün auf die Krise in den Gesundheitsberufen nicht endlich mit der Schulgeldbefreiung? Die Heilmittelbranche ist in Not und mit ihr die Patienten. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und zum einen im Gehalt begründet. Aktuell verdienen Therapeuten, zum Beispiel Logopäden, Podologen oder Physiotherapeuten, durchschnittlich 2.200 Euro brutto im Monat und damit deutlich weniger als Kranken- oder Altenpfleger. Starke Kostensteigerungen bei Miete (gerade in Hamburg) sowie verpflichtende, teure Fortbildungen erschweren den wirtschaftlichen Betrieb einer therapeutischen Praxis, auch bei ausgefülltem Patientenstand. Die Folge ist, dass nach einer von der Hochschule Fresenius durchgeführten Befragung von 984 Therapeuten (306 Physiotherapeuten, 433 Logopäden, 245 Ergotherapeuten) mehr als zwei Drittel nicht im erlernten Beruf weiterarbeiten, sondern in Lehre und Forschung abwandern oder sich beruflich weiterentwickeln wollen. Umso dramatischer ist, dass es nun auch an Nachwuchs mangelt. 2017 haben mit 91 Absolventen 12,5 Prozent weniger ihren Abschluss zur Ergotherapie gemacht als noch 2013 (104 Absolventen); bei den Podologen waren es sogar knapp 40 Prozent weniger (20 Absolventen in 2017, 33 Absolventen in 2013).1 Diese Entwicklung verwundert nicht. Angehende Therapeuten an privat geführten Gesundheitsfachschulen müssen für ihre Ausbildung finanziell selbst aufkommen; teilweise mit bis zu 20.000 Euro, obwohl vergleichbare Berufsgruppen kostenlos studieren oder sich ausbilden lassen können. Die Folge: Die vorhandenen Therapeuten sind überlastet, viele Patienten warten monatelang auf notwendige Anwendungen; Hamburger Praxen haben oft mehr als 100 Personen auf ihrer Warteliste. Auf Bundesebene hat das CDU-geführte Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf diese Dramatik reagiert und angekündigt, ab dem Jahr 2020 das Schulgeld an privat geführten Gesundheitsfachschulen abzuschaffen, um die Patientenversorgung langfristig zu sichern und die Arbeitsbedingungen von Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten sowie Podologen zumindest bezüglich der Nachwuchssituation zu verbessern. In Hamburg spitzt sich die Lage auf Therapeuten- und Patientenseite aktuell jedoch dramatisch zu; es droht eine Versorgungslücke; die ansässigen Praxen können dem zunehmenden Patientenstrom kaum noch gerecht werden. Hintergrund ist, dass in den direkten Nachbarbundesländern Schleswig- 1 https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/Schulen/ BeruflicheSchulen2110200177004.pdf?__blob=publicationFile, letzter Zugriff: 23.11.18. Drucksache 21/15113 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Holstein und Niedersachsen, aber auch in Bremen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg das Schulgeld an privaten Gesundheitsfachschulen bereits abgeschafft worden ist. Interessierte junge Menschen warten deswegen entweder noch bis 2020 mit ihrem Ausbildungsbeginn oder absolvieren ihre Ausbildung in anderen Bundesländern, in denen bereits Schulgeldfreiheit herrscht. Ein entsprechender Antrag (Drs. 21/14323) der CDU-Fraktion, den Einstieg in die Schulgeldfreiheit aktiv zu planen, wurde am 26. September 2018 mehrheitlich mit den Stimmen der SPD und GRÜNEN von der Bürgerschaft abgelehnt. Auch die Möglichkeit, die Thematik in der Sitzung des Gesundheitsausschusses am 30. November 2018 zu diskutieren, wird vertan. Der Gesundheitsausschuss wurde „mangels Themen“ abgesagt. Der am 22. November 2018 im Namen der „Therapeuten von Morgen – Hamburg“ veröffentlichte und von über 200 Betroffenen unterschriebene, offene Brief zur „Schuldgeldfreiheit zum 01.01.2019 für Hamburg“ zeigt hingegen eindringlich , wie akut die Probleme sind und dass SPD und GRÜNE dieses wichtige Thema nicht länger zulasten der Menschen unter den Teppich kehren dürfen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die zuständige Behörde tritt für die Schulgeldfreiheit für alle Gesundheitsfachberufe ein. Der Senat vertritt die Ansicht, dass eine bundeseinheitliche Regelung zur Finanzierung der oben genannten Ausbildungen der geeignetste Weg ist, einen einheitlichen , unkomplizierten und vor allem vollständig schulgeldfreien Zugang für alle Gesundheitsfachberufe sicherzustellen. Dies wird durch einzelne Länderinitiativen nicht gewährleistet. So werden in verschiedenen Landesinitiativen – wie in Schleswig- Holstein und Niedersachsen – zum Beispiel die Zahl der geförderten Ausbildungsplätze , die Fördersummen oder die geförderten Berufsbilder begrenzt. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) dagegen strebt ein Gesamtkonzept für alle Gesundheitsfachberufe – also Diätassistenz, Ergotherapie, Logopädie, Masseure und medizinische Bademeister, Medizinisch-technische Laborassistenz, Medizinisch-technische Radiologieassistenz, OrthoptistIn, Pharmazeutisch-technische Assistenz, Physiotherapie , Podologie – an. Das BMG führte dazu aktuell in den Ländern Umfragen zu Schulkosten, Personalkosten, Ausbildungsvergütung, Schulgeld, Förderungen et cetera durch. Ziel ist es, eine valide Kosteneinschätzung für die Schulgeldfreiheit auf Bundesebene vorzunehmen. Daneben setzt sich die zuständige Behörde auf Landesebene bereits mit Erfolg dafür ein, Zusammenschlüsse zwischen Hamburger Plankrankenhäusern und privaten Berufsfachschulen zu erreichen, um diese in die Refinanzierung nach Krankenhausgesetz zu überführen und somit Schulgeldfreiheit zu erreichen . Mit diesen Zusammenschlüssen wird auch die Qualität der Ausbildung gestärkt. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie begründet es der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde, dass in den direkten Nachbarbundesländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie in Bremen das Schuldgeld für private Gesundheitsfachschulen bereits abgeschafft wurde, in Hamburg hingegen nicht? 2. Aus welchen Gründen lehnt es der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde ab, das Schuldgeld für private Gesundheitsfachschulen auch in Hamburg abzuschaffen? Siehe Vorbemerkung. 3. Liegt der auf den 22. November 2018 datierte offene Brief der „Therapeuten von Morgen – Hamburg“ zur „Schuldgeldfreiheit zum 01.01.2019 für Hamburg“ der zuständigen Behörde vor? Wenn ja: a) Inwiefern trifft die von den Verfassern erstellte Problembeschreibung aus Sicht der zuständigen Behörde zu? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15113 3 b) Welche Maßnahmen hat die zuständige Behörde aus diesem offenen Brief bisher abgeleitet? c) Welche weiteren Maßnahmen plant die zuständige Behörde in Reaktion auf diesen offenen Brief? Der Brief der Schülerinnen und Schüler der Döpfer Schule liegt der zuständigen Behörde vor. In bereits vor Monaten begonnenen Verhandlungen der zuständigen Behörde mit der Döpfer Schule, den Hamburger freigemeinnützigen Plankrankenhäusern und den gesetzlichen Krankenkassen wurde erreicht, die über 300 Schulplätze der Döpfer Schule für Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie in die Finanzierung nach Krankenhausgesetz (KHG) zu überführen. Die dafür notwendigen Maßnahmen befinden sich in der Umsetzung. 4. Wie wirkt sich die Schulgeldfreiheit in den direkten Nachbarbundesländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie in Bremen nach Einschätzung der zuständigen Behörde auf die Situation in Hamburg aus? Wie hoch sind die aktuellen Anmeldezahlen an den privaten Schulen in Hamburg, gibt es dort bereits Lücken? Bitte nach Berufsgruppe unterscheiden . Die aktuell vorliegenden Anmeldezahlen für die Ausbildung zu einem therapeutischen Gesundheitsfachberuf an den privaten Gesundheitsfachschulen in Hamburg verhalten sich wie folgt (zwei Jahre im Vergleich): Anmeldungen an den privaten Gesundheitsfachschulen in Hamburg (therapeutische Gesundheitsfachberufe) Ausbildung Schulen Anmeldungen 2016 Anmeldungen 2017 Ergotherapeut/in 51 142 127 Logopäde/in 3 64 61 Masseur/in und med. Bademeister/in 2 67 55 Physiotherapeut/in 5 284 248 Podologe/in 22 24 19 1 Ausbildung an einer Schule zum Sommer 2018 ausgelaufen 2 Beendigung der Ausbildung an einer Schule im April 2019, eine Schule neu seit 2016 (noch keine statistische Erfassung) Quelle: Statistik der Schulen des Gesundheitswesens (Erhebung Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz) Die Anmeldezahlen für das Jahr 2018 liegen noch nicht vor. 5. Wie viele Gesundheitsfachschulen sind in Hamburg mit wie vielen Ausbildungsstellen ausgestattet (bitte nach Berufsgruppen unterteilen)? Welche der Schulen sind privat, welche staatlich geführt? 6. Wie hat sich die Zahl der Ausbildungsplätze seit 2010 entwickelt? Bitte jahresweise für jede Schule aufschlüsseln. Die Zahl der Ausbildungsplätze ist nur für die Schulen an den Hamburger Plankrankenhäusern festgelegt, da diese über das KHG finanziert werden. Schulgeld wird dort nicht erhoben Gesundheitsfachschulen für die Ausbildung therapeutischer Gesundheitsfachberufe in Hamburg sowie Ausbildungsplätze der Schulen an den Hamburger Krankenhäusern Drucksache 21/15113 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Ausbildung Anzahl Schulen davon davon in Schulen an den Hamburger Krankenhäusern Ausbildungsplätze der Schulen an den Hamburger Krankenhäusern seit 2010 freier Trägerschaft (privat/ kirchlich) staatlicher Trägerschaft Diätassistent/in 1 1 1 48 Ergotherapeut/in 5 51 1 bis 9/2015: 72 seit 10/2015: 78 Logopäde/in 3 3 2 bis 9/2015: 60 seit 10/2015: 135 Masseur/in und med. Bademeister/in 2 22 0 0 Orthoptist/in 1 1 1 12 Physiotherapeut/in 6 5 1 2 bis 9/2015: 127 seit 10/2015: 145 Podologe/in 2 22 0 0 Schulen gesamt3 123 93 3 53 1 Ausbildung an einer Schule zum Sommer 2018 ausgelaufen 2 Beendigung der Ausbildung an einer Schule im April 2019, eine Schule neu seit 2016 (noch keine statistische Erfassung) 3 Die Gesamtzahl bezieht sich auf Schulen, die diese Ausbildungen anbieten. Da eine Reihe der Schulen mehrere Ausbildungen anbieten, ist die Zahl der Schulen insgesamt kleiner als die Summe der hier genannten Schulen. Quelle: Statistik der Schulen des Gesundheitswesens (Erhebung Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz) Krankenhausplan der Freien und Hansestadt Hamburg 7. Wie hoch waren die jährlichen Schüler- sowie Absolventenzahlen der einzelnen Schulen seit 2010? Bitte jahresweise für jede Schule aufschlüsseln . Schülerinnen und Schüler an den Gesundheitsfachschulen in Hamburg (therapeutische Ausbildungen) Ausbildung Schuljahr 2010/ 2011 2011/ 2012 2012/ 2013 2013/ 2014 2014/ 2015 2015/ 2016 2016/ 2017 2017/ 2018 Diätassistent/in 39 43 42 45 49 46 49 50 Ergotherapeut/in 356 362 350 352 350 347 340 359 Logopäde/Logopädin 78 112 122 131 145 148 169 177 Masseur/in und med. Bademeister/in 101 110 92 98 105 109 110 116 Orthoptist/in 13 13 12 12 12 11 12 13 Physiotherapeut/in 532 612 624 612 606 654 756 739 Podologe/Podologin 56 59 55 43 60 43 42 40 Gesamt 1.175 1.311 1.297 1.293 1.327 1.358 1.478 1.494 Quelle: Statistik der Schulen des Gesundheitswesens (Erhebung Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz). Veröffentlicht in: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 2, Bildung und Kultur, Berufliche Schulen Absolventinnen/Absolventen (mit bestandenem Examen)3 der Gesundheitsfachschulen in Hamburg (therapeutische Ausbildungen) Ausbildung Abgangsjahr 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Diätassistent/in1 173 163 213 203 19 19 Ergotherapeut/in 813 813 1103 1043 733 552 94 91 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15113 5 Ausbildung Abgangsjahr 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Logopäde/Logopädin 193 183 193 343 383 45 36 43 Masseur/in und med. Bademeister/in 323 303 403 323 303 92 39 36 Orthoptist/in1 63 73 73 53 5 5 Physiotherapeut/in 1083 1393 1723 1353 1553 138 141 174 Podologe/Podologin 173 133 223 333 153 22 19 20 Gesamt 2803 3043 3633 3663 3363 269 353 388 1 keine jährlichen Aufnahmetermine, daher keine jährlichen Absolventen/-innen 2 teilweise fehlende Angaben 3 Jahre 2010 bis 2014: Abgänger/-innen ohne Examen weitgehend mit enthalten Quelle: Statistik der Schulen des Gesundheitswesens (Erhebung Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz). Veröffentlicht in: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 2, Bildung und Kultur, Berufliche Schulen. 8. Wie hoch war die Abbrecherquote seit 2010? Bitte jahresweise für jede Schule aufschlüsseln. Die Zahl der tatsächlichen Abbrecher/innen über den gesamten Ausbildungszeitraum wird statistisch nicht erfasst. Hilfsweise herangezogen werden kann die Zahl der Abgänge im ersten Ausbildungsjahr sowie die Zahl der jährlichen Abgänger/innen ohne bestandenes Examen (hierin enthalten sind nicht nur Abbrecher/innen sondern auch Schüler/innen, die das Examen trotz Wiederholung nicht bestanden haben). Aufgrund von Veränderungen in der Datenerfassung liegen vergleichbare Zahlen erst für die Jahre 2016 und 2017 vor. Abgänger/innen im ersten Ausbildungsjahr der Gesundheitsfachschulen in Hamburg (therapeutische Ausbildungen) Ausbildung 2016 2017 Diätassistent/in 2 0 Ergotherapeut/in 9 5 Logopäde/Logopädin 0 0 Masseur/in und med. Bademeister/in 2 Orthoptist/in 0 0 Physiotherapeut/in 12 6 Podologe/Podologin 2 0 Gesamt 25 13 Quelle: Statistik der Schulen des Gesundheitswesens (Erhebung Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz) Abgänger/-innen ohne bestandenes Examen im jeweiligen Abgangsjahr der Gesundheitsfachschulen in Hamburg (therapeutische Ausbildungen) Ausbildung 2016 2017 Diätassistent/in 4 Ergotherapeut/in 53 31 Logopäde/Logopädin 10 14 Masseur/in und med. Bademeister/in 14 27 Orthoptist/in 1 Physiotherapeut/in 64 90 Podologe/Podologin 6 1 Gesamt 152 163 Quelle: Statistik der Schulen des Gesundheitswesens (Erhebung Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz) 9. Bei den privaten Gesundheitsfachschulen in Hamburg: Wie hoch ist das Schulgeld aktuell jeweils? Drucksache 21/15113 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 Bei den privaten Schulen, die nicht mit einem Krankenhaus verbunden sind, liegt das Schulgeld in Hamburg zwischen 320 und 420 Euro. 10. Aufgrund des demografischen Wandels und der schon jetzt hohen, nicht gestillten Nachfrage ist mittel- und langfristig von einem steigenden Bedarf an Heilmittelleistungen auszugehen. Wie will die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) dafür Sorge tragen, dass dieser steigende Bedarf auch in naher Zukunft angesichts der geschilderten Problematik gedeckt werden kann? Siehe Vorbemerkung und Antworten zu 1. und 2. sowie zu 3. bis 3. c).