BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15130 21. Wahlperiode 04.12.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 26.11.18 und Antwort des Senats Betr.: Kältetote in Hamburg Seit Ende Oktober sind drei obdachlose Personen auf Hamburgs Straßen verstorben, eine von diesen Personen bereits vor der Öffnung des diesjährigen Winternotprogramms auf einer Bank in Niendorf. Nur wenige Tage später verstarb ein Obdachloser in Harburg bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und vor einer Woche ist eine weitere auf der Straße lebende Frau vor dem Michel bei Minustemperaturen verstorben. Laut einer aktuellen Studie versterben fast ein Drittel aller obdachlosen Menschen zwischen Dezember und Februar. Folglich haben die kalten Temperaturen den Tod dieser Menschen zumindest begünstigt. Weiter heißt es, dass annähernd jede/r Zweite in einer Notunterkunft und immerhin jede/r Fünfte auf einer öffentlichen Toilette oder in einem Hauseingang verstorben ist (siehe hierzu: https://www.hinzundkunzt.de/lebenserwartung-obdachlose/). Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Hamburg verfügt ganzjährig über ein umfangreiches und differenziertes Hilfesystem für wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen. Die Hilfs- und Unterstützungsangebote reichen von der ärztlichen Versorgung über die Tagesaufenthaltsstätten bis zum Winternotprogramm, siehe hierzu im Einzelnen unter https://www.hamburg.de/contentblob/127994/aae5929c845d3afed0566d580e984b36/ data/hilfesystem-datei.pdf. Das Winternotprogramm, das in diesem Jahr regelhaft vom 1. November 2018 bis zum 31. März 2019 geöffnet ist, ist ein niedrigschwelliges Angebot der Stadt als Schutz vor nächtlicher Erfrierung für diejenigen, die keine eigene Bleibe haben oder sich anderweitig eine Unterkunft leisten können. Wer über ausreichende Eigenmittel verfügt, muss seine Unterkunft selbst finanzieren. Wer an einem anderen Ort eine Wohnung hat, wird dahin gehend beraten, diese auch zu nutzen. Siehe hierzu auch https://www.hamburg.de/winternotprogramm-obdachlose/. Im Übrigen werden als vorübergehende Unterbringung für Menschen, die „auf der Straße“ leben und keine andere Unterkunft haben, Übernachtungsplätze in Notunterkünften zur Verfügung gestellt. Siehe hierzu https://www.hamburg.de/unterbringung/ 3134812/uebernachtungsstaetten/. Dieses Angebot gilt ganzjährig. Vor dem Start des Winternotprogramms waren diese Übernachtungsstätten nicht voll ausgelastet, sodass Menschen hier hätten Zuflucht finden können. Gleiches gilt zurzeit für das Winternotprogramm; auch hier sind aktuell nicht alle Plätze belegt. Von besonderer Bedeutung sind auch die verschiedenen Projekte der Straßensozialarbeit auf der Straße vor Ort und die sozialen Beratungsstellen, die Beratung, persönliche Hilfe und Begleitung anbieten, siehe https://www.hamburg.de/beratung- Drucksache 21/15130 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 hilfen/4128232/strassensozialarbeit-obdachlose/ sowie https://www.hamburg.de/ obdachlosigkeit/127990/soziale-beratungsstellen/. Jedes Unterstützungs- und Hilfesystem ist und bleibt letztlich jedoch ein Angebot. Ob Menschen in Not dieses Angebot auch annehmen, ist ihre persönliche Entscheidung. Damit müssen alle Akteure umgehen, auch wenn es nicht einfach ist, zumal die Folgen tragisch sein können. Dies betrifft sowohl die Menschen, die im Hilfesystem arbeiten , Bürgerinnen und Bürger, die an dem Schicksal von wohnungs- und obdachlosen Menschen Anteil nehmen als auch den Senat. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Menschen ohne festen Wohnsitz sind in den letzten fünf Jahren in Hamburg insgesamt verstorben? Bitte nach Monaten, Geschlecht, Alter und Staatsangehörigkeit auflisten. a. Davon in einer öffentlich rechtlichen Unterkunft? b. Davon in einem Krankenhaus? c. Davon in einem öffentlich zugänglichen Raum (zum Beispiel öffentliche Toilette, Hauseingang)? 2. Wie viele der unter Frage 1. genannten Menschen sind vermutlich an den Folgen einer Unterkühlung verstorben? a. Davon in einem Krankenhaus? b. Davon in einem öffentlich zugänglichen Raum (zum Beispiel öffentliche Toilette, Hauseingang)? Bewohnerinnen und Bewohner einer öffentlich-rechtlichen Unterkunft verfügen dort über einen festen Wohnsitz und sind daher in der Beantwortung der Fragestellung nicht berücksichtigt. Bei der Polizei werden Statistiken im Sinne der Fragestellungen nicht geführt. Zur Beantwortung wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums bei der zuständigen Dienststelle des Landeskriminalamts (LKA 41 – Fachkommissariat Tötungsdelikte und Todesermittlungen) erforderlich. Die Auswertung von mehreren Zehntausend Akten ist in der für die Beantwortung Parlamentarischer Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die Feuerwehr hat zu der Fragestellung keine Erkenntnisse. Derartige Daten werden seitens der Feuerwehr nicht erhoben. Hinsichtlich der in Krankenhäusern verstorbenen Menschen ohne festen Wohnsitz siehe Anlage. 3. Wie viele der unter Frage 1. genannten Menschen sind aufgrund von Fremdeinwirkung verstorben? Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die Auswertung von PKS-Daten in Tabellenform als standardisierte Ergebnistabellen unterliegt einem bundesweit abgestimmten Prozess. Darin wird fachlich beschrieben, wie die PKS-Daten zu erheben sind und wie sie in den jeweiligen Ergebnistabellen ausgewertet werden. Eine Auswertung, ob es sich bei den Opfern um „Menschen ohne festen Wohnsitz“ handelt, erfolgt nicht. In der standardisierten PKS-Auswertung werden Daten zu Opfern mit den Daten zu Tatörtlichkeit nicht verknüpft; Daten im Sinne der Fragestellung werden daher in der standardisierten PKS-Auswertung nicht abgebildet. Darüber hinaus siehe Antwort zu 1. und 2. 4. Medienberichten zufolge sind in diesem Winter bereits drei obdachlose Menschen aufgrund von Unterkühlung auf der Straße verstorben. Ist bekannt, ob diese Menschen in den letzten Wintern das Angebot des Winternotprogramms genutzt haben oder ihnen andere Hilfen angeboten wurden? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15130 3 Die Nutzung des Winternotprogramms und anderer niedrigschwelliger Hilfen des Hilfesystems für Obdachlose folgt dem in diesem Bereich der Gefahrenabwehr bei Obdachlosigkeit ganz wesentlichen Grundprinzip der weitgehenden Anonymität beziehungsweise Pseudonymität der Betroffenen. Vor diesem Hintergrund liegen dem Senat keine belastbaren Daten im Sinne der Fragestellung vor. 5. Wie bewertet der Senat die Forderung nach dem Einsatz von beispielsweise Kältebussen, um weitere Kältetote zu verhindern? Hierzu sind die Überlegungen und die Meinungsbildung des Senats noch nicht abgeschlossen . Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Drucksache 21/15130 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Anlage Mitteilungen der Hamburger Plankrankenhäuser* Jahr/Monat Geschlecht Alter Staatsangehörigkeit Unterkühlung Nicht bekannt Männlich 50 Nicht bekannt Nein Nicht bekannt Männlich 60 Nicht bekannt Nein Nicht bekannt Weiblich 74 Nicht bekannt Nein Zwischen 2013 und 11.2018 Männlich k.A. Nicht bekannt Nein Zwischen 2013 und 11.2018 Männlich k.A. Nicht bekannt Nein Zwischen 2013 und 11.2018 Männlich k.A. Nicht bekannt Nein 10.2013 Männlich 40 Nicht bekannt Nein 12.2013 Männlich 47 Deutsch Unterkühlt eingeliefert , einige Tage später verstorben 02.2014 Männlich 63 Deutsch Nein 03.2014 Männlich 54 Polnisch Nein 06.2014 Männlich 30 Deutsch Nein 07.2014 Männlich 62 Deutsch Nein 07.2014 Männlich 40 Polnisch Nein 09.2014 Männlich 41 Deutsch Nein 11.2014 Weiblich 70 Deutsch Nein 11.2014 Männlich 54 Deutsch Nein 01.2015 Männlich 55 Deutsch Nein 02.2015 Männlich 38 Deutsch Nein 02.2015 Weiblich 40 Nicht bekannt Nein 03.2015 Männlich 30 Deutsch Nein 04.2015 Männlich 48 Polnisch Nein 05.2015 Männlich 32 Polnisch Nein 06.2015 Männlich 40 Deutsch Nein 07.2015 Männlich 31 Deutsch Nein 08.2015 Männlich 24 Deutsch Nein 10.2015 Männlich 57 Deutsch Nein 10.2015 Männlich 62 Nicht bekannt Nein 12.2015 Männlich 58 Deutsch Nein 2016 Männlich 62 Nicht bekannt Nein 01.2016 Männlich 56 Polnisch Unterkühlt eingeliefert , einige Tage später verstorben 01.2016 Männlich 42 Polnisch Nein 02.2016 Männlich 69 Nicht bekannt Nein 02.2016 Männlich 42 Deutsch Nein 03.2016 Männlich 67 Deutsch Nein 03.2016 Weiblich 50 Deutsch Nein 03.2016 Männlich 43 Deutsch Nein 04.2016 Männlich 38 Deutsch Nein 07.2016 Männlich 46 Litauisch Nein 10.2016 Männlich 76 Deutsch Nein 10.2016 Männlich 49 Deutsch Nein 12.2016 Männlich 59 Deutsch Nein 12.2016 Männlich 41 Polnisch Unterkühlt eingeliefert , einige Tage spä- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15130 5 Jahr/Monat Geschlecht Alter Staatsangehörigkeit Unterkühlung ter verstorben 2017 Männlich 29 Nicht bekannt 01.2017 Männlich 77 Nicht bekannt Unterkühlt eingeliefert , 6 Tage später verstorben 02.2017 Männlich 69 Nicht bekannt Nein 02.2017 Männlich 69 Nicht bekannt Nein 02.2017 Männlich 42 Deutsch Nein 02.2017 Männlich 63 Deutsch Nein 03.2017 Männlich 65 Deutsch Nein 06.2017 Männlich 46 Deutsch Nein 10.2017 Männlich 47 Polnisch Nein 10.2017 Männlich 56 Polnisch Nein 11.2017 Männlich 47 Rumänisch Nein 2018 Männlich 48 Nicht bekannt Nein 03.2018 Männlich 59 Tschechisch Nein 03.2018 Männlich 57 Deutsch Nein 03.2018 Männlich 40 Tschechisch Nein 04.2018 Männlich 32 Polnisch Nein 05.2018 Männlich 31 Deutsch Nein 06.2018 Männlich 53 Deutsch Nein 07.2018 Weiblich 73 Venezolanisch Nein 08.2018 Männlich 52 Rumänisch Nein Quelle: Daten der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) * Diese Angaben basieren auf den Mitteilungen der Hamburger Plankrankenhäuser, soweit diese in der für die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit, Informationen übermittelt haben.