BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15180 21. Wahlperiode 07.12.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Nockemann (AfD) vom 29.11.18 und Antwort des Senats Betr.: Kriminalitätsphänomene von Tschetschenen in Hamburg Seit geraumer Zeit geraten russische Staatsangehörige tschetschenischer Herkunft im gesamten Bundesgebiet verstärkt in den Fokus der Sicherheitsbehörden . Dabei fällt auf, dass sie sowohl im Bereich der organisierten Kriminalität als auch im salafistisch/jihadistischen Milieu besonders häufig in Erscheinung treten. Auch Hamburg ist davon betroffen: Erst im August 2018 wurde ein Tschetschene wegen Mitgliedschaft im Islamischen Staat vor dem Hamburger Staatsschutzsenat zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt .1 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele russische Staatsbürger, bei denen es sich nach Kenntnis der Behörden um Tschetschenen handelt, sind zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 1. Dezember 2018 in Hamburg strafrechtlich in Erscheinung getreten? 2. Um was für Kriminalitätsphänomene handelt es sich dabei (bitte die zugrunde liegenden Delikte nennen)? Statistische Daten im Sinne der Fragestellungen werden bei der Polizei nicht erhoben. Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Tatverdächtige werden in der PKS nach Nationalitäten erfasst; eine gesonderte Erfassung der zur Russischen Föderation gehörenden Volksgruppe der Tschetschenen erfolgt in der PKS nicht. Zur Beantwortung der Fragen wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums bei der Kriminalpolizei erforderlich. Die Auswertung von mehreren Hunderttausend Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Eine Beantwortung dieser Fragen ist auch der Staatsanwaltschaft nicht möglich. Im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA wird bereits die Staatsangehörigkeit des Beschuldigten nicht zuverlässig erfasst. Eine Erfassung von Abstammung oder Volkszugehörigkeit findet gar nicht statt. Zur Beantwortung müssten sämtliche Verfahren der Staatsanwaltschaften Hamburg händisch ausgewertet werden. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 1 „Urteil in Hamburg wegen IS-Mitgliedschaft: Tschetschene (29) muss in Haft“. „Hamburger Morgenpost“ online. 20.08.2018. Drucksache 21/15180 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 3. Wie viele russische Staatsbürger tschetschenischer sowie anderer Volkszugehörigkeit waren in Erst- beziehungsweise Folgeunterkünften für Asylbewerber untergebracht? Im Ankunftszentrum wird eine Unterteilung nach ethnischen Volkszugehörigkeiten statistisch nicht erfasst und kann auch im ausländerrechtlichen Fachverfahren nicht ausgewertet werden. Bei allen 1.618 Personen mit russischer Staatsangehörigkeit, die im Zeitraum 1. Januar 2013 bis 30. November 2018 nach Hamburg verteilt wurden, erfolgte zunächst die Unterbringung im Ankunftszentrum. Siehe im Übrigen auch Antwort zu 13. In den dezentralen Erstaufnahmeeinrichtungen (EA) erfasst das System Quartiersmanagement (QMM) den Herkunftsstaat der Bewohnerinnen und Bewohner. Das Merkmal Volkszugehörigkeit wird nicht systematisch erfasst und beruht auf freiwilligen Angaben. Darüber hinaus ist die Datenerfassung erst 2016 flächendeckend in allen EA eingeführt worden. Die nachfolgende Angabe (Stand 30.11.2018) berücksichtigt daher Personen mit Erstankunft seit Mai 2015, sofern sie seit Erfassung im Mai 2016 noch in einer EA untergebracht waren. Danach sind 1 098 Personen aus dem Herkunftsstaat Russische Föderation in QMM erfasst, davon 476 Tschetschenen. In der öffentlich-rechtlichen Unterbringung von Zuwanderern und Wohnungslosen werden lediglich die Daten zu den Herkunftsstaaten erfasst, da nur diese zur Erfüllung des Auftrages zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung erforderlich sind. Mit Stand 31.10.2018 waren in den Einrichtungen der Erstaufnahme und der öffentlich rechtlichen Unterbringung von Zuwanderern und Wohnungslosen insgesamt 1 250 russische Staatsbürger untergebracht. 4. Wie viele russische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft sind seit dem 1. Januar 2013 in Hamburg in Strafverfahren verurteilt worden? 5. Wie viele dieser Personen haben daraufhin eine Haftstrafe angetreten? Siehe Antwort zu 1 und 2. 6. Wie viele der zum 31.12.2017 in Hamburg gemeldeten russischen Staatsbürger sind tschetschenischer Herkunft? Im Melderegister werden die Herkunftsstaaten gespeichert (hier: Russische Föderation ). Über den Herkunftsstaat hinausgehende Informationen über das genaue Zuzugsgebiet des Meldepflichtigen sind im Melderegister nicht verzeichnet. 7. Gegen wie viele russische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft wird gegenwärtig in Strafverfahren ermittelt? Siehe Antwort zu 1. und 2. 8. Wie viele ausreisepflichtige russische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft werden gegenwärtig in Hamburg geduldet? Mit Stand 31. Oktober 2018 werden laut Ausländerzentralregister (AZR) 473 Personen mit der Staatsangehörigkeit „Russische Föderation“ geduldet. Die Auswertung des AZR für den Monat November 2018 liegt noch nicht vor. Eine Unterteilung nach ethnischen Volkszugehörigkeiten ist dem AZR nicht zu entnehmen 9. In wie vielen Fällen wurden russische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft seit 2013 aus Hamburg in die Russische Föderation ausgewiesen ? 10. In wie vielen Fällen wurde eine bereits angeordnete Abschiebung russischer Staatsbürger tschetschenischer Herkunft abgebrochen? Siehe Antworten zu 3. und 8. 11. Wie viele russische Staatsbürger (tschetschenischer Herkunft), die als Flüchtlinge in Hamburg leben, haben gegenüber der Ausländerbehörde angegeben, in ihrer Heimat politisch verfolgt zu werden? Diese Angaben werden von der Ausländerbehörde statistisch nicht erfasst. Das gemäß § 5 Asylgesetz für die Durchführung der Asylverfahren zuständige Bundesamt für Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15180 3 Migration und Flüchtlinge hat mitgeteilt, es sei grundsätzlich nicht verpflichtet und auf freiwilliger Grundlage aufgrund der anhaltenden Arbeitsbelastung aktuell nicht in der Lage, Parlamentarische Anfragen aus Hamburg zu beantworten. 12. Wie viele russische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft, die in Hamburg untergebracht sind, befinden sich gegenwärtig in einem laufenden Asylverfahren? Mit Stand 31. Oktober 2018 sind laut AZR 510 Personen mit der Staatsangehörigkeit „Russische Föderation“ im Besitz einer Aufenthaltsgestattung. Im Übrigen siehe Antwort zu 8. 13. Wie viele russische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft sind zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 1. Dezember 2018 nach Hamburg gekommen? Im Ankunftszentrum sind zwischen dem 1. Januar 2013 bis zum 30. November 2018 insgesamt 2859 russische Staatsangehörige registriert worden. Davon verblieben nach Verteilungsentscheidung 1618 russische Staatsangehörige in Hamburger Erstaufnahmeeinrichtungen . Im Übrigen siehe Antworten zu 3. und 8. 14. Am 11. September 2018 fand in Bremen die Fachtagung „Kriminalitätsphänomene von Tschetschenen und ihre wirksame Bekämpfung in Deutschland“ statt. Waren Angehörige der Hamburger Sicherheitsbehörden und der Justiz als Teilnehmer auf dieser Tagung zugegen? Falls ja, welche Dienststellen waren dort vertreten und warum hat das Land Hamburg an der Fachtagung teilgenommen? Ja, von der Polizei haben Mitarbeiter des Instituts für transkulturelle Kompetenz (ITK) der Akademie der Polizei sowie des Landeskriminalamtes aus den Abteilungen Staatsschutz (LKA 7) und Organisierte Kriminalität (LKA 6) teilgenommen. Russische Staatsangehörige tschetschenischer Herkunft unterliegen aufgrund von Hinweisen zum Auftreten in verschiedenen Deliktsbereichen bundesweit einer aufmerksamen Betrachtung durch die Sicherheitsbehörden. Die Polizei hat ein Interesse sowohl an präventiven als auch an repressiven Ansätzen zur zielgerichteten Bekämpfung von Straftaten. Die Teilnahme der Polizei diente darüber hinaus dem Informationsaustausch und dem Knüpfen von Kontakten. 15. Wie schätzt der Senat die Rolle russischer Staatsbürger tschetschenischer Herkunft für die organisierte Kriminalität sowie das salafistisch/ jihadistische Milieu in Hamburg und Norddeutschland ein? In der für die Bekämpfung von Organisierter Kriminalität zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft sind keine Verfahren gegen tschetschenische Tatverdächtige anhängig oder in den vergangenen Jahren geführt worden. Die in der Frage verwendete Begrifflichkeit der Einbindung von Beschuldigten ins „salafistisch/jihadistische Milieu“ wird in MESTA nicht erfasst. Für den Geschäftsbereich der Staatsanwaltschaft Hamburg müssten daher sämtliche Verfahren aus dem Register 7101 Js händisch ausgewertet werden. Dies ist in dem zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht möglich, da für den Aktenzeichenjahrgang 2018 hier über 900 Verfahren erfasst sind. Eine besondere Häufung von Verfahren gegen Beschuldigte in Staatsschutzverfahren der Generalstaatsanwaltschaft, die ausweislich des registrierten Geburtsorts aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien stammen, ist nicht festzustellen. Russische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft spielen in der salafistisch/ jihadistischen Szene in Hamburg nur eine untergeordnete Rolle. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg zählt lediglich zehn Personen dazu. Keine dieser Personen gehört zu den Protagonisten der Szene. Im Übrigen siehe Antwort zu 14. 16. Russische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft werden mittlerweile in den Berichten mehrerer Landesämter für Verfassungsschutz explizit als Akteure im Bereich Salafismus/Jihadismus erwähnt. Lässt sich eine verstärkte Aktivität im Rückblick auf die letzten Jahre auch für Hamburg diagnostizieren? Drucksache 21/15180 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Falls ja, wie ist diese Entwicklung beschaffen? Nein. Im Übrigen siehe auch Antwort zu 15. 17. Ist dem Senat bekannt, ob russische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft in der Vergangenheit in Hamburg aktiv für eine Teilnahme am Jihad in Syrien beziehungsweise den Islamischen Staat oder andere terroristische Organisationen im In- oder Ausland geworben haben? Falls ja, wo haben solche Anwerbeversuche stattgefunden? Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung liegen nicht vor. 18. Wie viele russische Staatsbürger tschetschenischer sowie anderer ethnischer Herkunft befinden sich unter der Gruppe jener Personen, die bis heute aus Hamburg in den Jihad nach Syrien ausgereist sind? Es liegen Erkenntnisse zu einer Person vor. 19. Welchen aufenthaltsrechtlichen Status hatten diese Personen zum Zeitpunkt ihrer Ausreise? Die Person, zu der entsprechende Erkenntnisse vorliegen, wurde von der Ausländerbehörde im Jahr 2008 als unbekannt verzogen gemeldet. Die Person war zuvor im Besitz einer Duldung. 20. Wie viele russische Staatsbürger tschetschenischer sowie anderer ethnischer Herkunft befinden sich unter der Gruppe jener Personen, die aus dem Jihad in Syrien beziehungsweise dem Irak nach Hamburg zurückgekehrt sind? Siehe Antwort zu 18. 21. In Drs. 21/14124 erklärt der Senat, dass gegenwärtig elf Staatsbürger der russischen Föderation in Hamburger Justizvollzugsanstalten einsitzen . Wie viele dieser Personen sind tschetschenischer Abstammung beziehungsweise gehören einer anderen nordkaukasischen Volksgruppe an? Auch seitens der Justizvollzugsanstalten erfolgt eine gesonderte Erfassung der Abstammung oder Volkszugehörigkeit der Inhaftierten über die Staatsangehörigkeit hinaus nicht. 22. Wie häufig sind russische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft seit dem 1. Januar 2010 in Hamburg im Rahmen polizeilicher Maßnahmen festgenommen worden? 23. Wie häufig ist es dabei zur Sicherstellung illegaler Schusswaffen gekommen? Statistische Daten im Sinne der Fragestellungen werden bei der Polizei nicht erhoben. Darüber hinaus siehe Antwort zu 1.und 2.; im Übrigen liegen der Polizei aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungsfristen Vorgänge grundsätzlich nur aus den zurückliegenden fünf Jahren vor.