BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15535 21. Wahlperiode 21.12.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 13.12.18 und Antwort des Senats Betr.: Empfehlungen der Expertenkommission zum Fach Mathematik Anfang Dezember hat eine von der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) beauftragte Expertenkommission nach einjähriger wissenschaftlicher Begleitung des Mathematikunterrichts in Hamburg ihren Bericht öffentlich vorgestellt. Ausgehend von einer systematischen Analyse der Ist-Situation in Hamburg beschreibt die Autorengruppe darin Vorschläge zu sechs Handlungsfeldern , die von vorschulischen Angeboten bis zur Fort- und Weiterbildung der in Hamburg arbeitenden Mathematiklehrkräfte reichen. Die Expertenkommission schlägt unter anderem vor: • Klarere Lehrpläne: Die Bildungspläne für das Fach Mathematik sollten weiterentwickelt werden. Für alle Schulklassen soll zudem ein klar formulierter und verbindlicher Kern-Lehrplan entwickelt werden, der bestimmte Fachinhalte verbindlich stellt. Denkbar wäre auch, in Anlehnung an Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen, die gleichen Schulbücher zu verwenden. • Mehr Unterrichtszeit: Die Experten begrüßen die bereits eingeleitete Erhöhung der Mathematik-Unterrichtsstunden in den Klassen 5 – 8 der Stadtteilschulen . Sie regen zudem an, auch in der elften Jahrgangsstufe der Stadtteilschulen mehr Mathematikunterricht zu erteilen, um den großen Leistungsunterschied zu den Gymnasien auszugleichen. An den Grundschulen müsse verlässlich sichergestellt werden, dass die durchschnittlich 5,25 Unterrichtswochenstunden Mathematik in den Klassenstufen 1 bis 4 auch verlässlich unterrichtet werden. • Mehr Klassenarbeiten: Die Experten fordern, dass ab Klasse 3 bis zum Abitur in jedem Schuljahr verbindlich vier Klassenarbeiten geschrieben werden. Diese Klassenarbeiten dürfen nicht durch andere Leistungen wie zum Beispiel längere Hausarbeiten oder Referate ersetzt werden. Solche Leistungen sollen künftig dennoch zusätzlich ermöglicht werden. • Veränderte Leistungsbewertung: Mündliche und schriftliche Leistungen in Mittel- und Oberstufe sollten künftig in der Benotung gleich gewichtet werden . • Die Zeit vor der Schule besser nutzen: Die Experten fordern, bereits vor der Schule in Vorschule oder Kita die Kinder gezielt mathematisch zu fördern . Für die Vorschule sollte ein Kernlehrplan entwickelt werden. Erstmals sollten auch Mathematik-Grundschullehrkräfte in die mathematische Förderung in den Vorschulklassen eingebunden werden. Drucksache 21/15535 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 • Regelmäßige Lernstandsuntersuchungen: Die regelmäßigen KERMIT- Testungen sollen noch stärker für eine gezielte Unterrichtsentwicklung und Förderung genutzt werden. Darüber hinaus soll ein neuer computerbasierter , online-gestützter „Diagnose-Test“ entwickelt werden, mit dem Lehrkräfte genau erkennen können, welche mathematischen Stärken und Schwächen ein Schüler hat. Der Diagnose-Test soll helfen, individuelle Fördermaßnahmen besser abzustimmen. • Begabtenförderung: Zur Förderung von leistungsstarken Schülerinnen und Schülern sollen die bestehenden außerunterrichtlichen Förderangebote insbesondere in Mittel- und Oberstufe ausgeweitet und besser mit dem Unterricht verzahnt werden. Zudem sollen mehr Angebote für bislang unterrepräsentierte Gruppen (Mädchen sowie sozial und kulturell benachteiligte Schülerinnen und Schüler) entwickelt werden. Spätestens ab Klasse 8 sollten Schülerinnen und Schüler an Stadtteilschulen, die in die gymnasiale Oberstufe wechseln werden, speziell gefördert werden. • Förderung von schwächeren Schülern: Für Schülerinnen und Schüler mit mathematischen Schwierigkeiten sollten die bestehenden außerunterrichtlichen Förderangebote ausgebaut, stärker durch qualifiziertes Personal organisiert und besser mit dem Regelunterricht verknüpft werden. • Fortbildungen für Lehrkräfte: Die Fortbildungen sollen insbesondere für Lehrkräfte an weiterführenden Schulen intensiviert werden. Auch bei der Aus- und Fortbildung frühpädagogischer Fachkräfte (Kita, Vorschule) sollten mathematikdidaktische Inhalte gestärkt werden. Es soll ein umfassendes , zusammenhängendes und langfristig angelegtes Fortbildungskonzept zum Mathematikunterricht entwickelt werden, bei dem wissenschaftliche Erkenntnisse zur Gestaltung und Evaluation von Fortbildungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Angesichts des zunehmenden Lehrermangels in Deutschland sollte zudem ein Programm zur Qualifizierung von Quer- und Seiteneinsteigern entwickelt werden. Im Fazit beurteilt der frühere Bildungs-Staatsekretär Burkhard Jungkamp, Moderator der Expertenkommission, die Empfehlungen als „gut begründet und auch realisierbar“. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Im Oktober 2017 hatte der Präses der für Bildung zuständigen Behörde eine mit namhaften Bildungsexperten sowie Mathematik-Didaktikern aus verschiedenen Bundesländern besetzte Kommission unter Leitung von Professor Dr. Olaf Köller (IPN – Leibniz -Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik an der Universität Kiel) und Staatssekretär a.D. Burkhard Jungkamp beauftragt, Empfehlungen für die Weiterentwicklung des Mathematikunterrichts in Hamburg zu erarbeiten. Damit sollte das bereits seit 2015 laufende Programm zur Verbesserung des Mathematikunterrichts (die sogenannte Mathematikoffensive), mit dem bereits gute Erfolge in Hamburg erzielt wurden, um eine wissenschaftliche Begleitung des Mathematikunterrichts ergänzt werden. Die Mathematikoffensive sah unter anderem die Erhöhung der Mindeststundenzahl in Mathematik vor, den verbindlichen Einsatz von Fachlehrkräften anstelle fachfremder Lehrkräfte, umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrkräfte, die Einführung von regelmäßigen Landesfachkonferenzen sowie die Veröffentlichung von Fachbriefen Mathematik und Beispielklassenarbeiten. Studien hatten gezeigt, dass 21 Prozent der Viertklässler und 28 Prozent der Neuntklässler in Hamburg die Mathematik-Mindeststandards nicht erreichten. Obwohl Hamburgs Viertklässler den Abstand zum Bundesdurchschnitt von 2011 bis 2016 dank großer Lernfortschritte halbieren konnten, lagen sie 2016 noch auf Platz 14 der 16 aller Länder. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15535 3 Die Kommission hatte die Aufgabe, Vorschläge zur Verbesserung des Mathematikunterrichts zu entwickeln, die zu größeren Lern- und Bildungserfolgen der Schülerinnen und Schüler führen. Die Vorschläge sollten zudem jene mathematischen Grundkompetenzen verbessern, die für den erfolgreichen Übergang in berufliche Bildungsgänge erforderlich sind. Außerdem sollten eventuelle Benachteiligungen aufgrund geschlechtsbezogener, sozialer und migrationsbedingter Hintergründe reduziert werden . Unter anderem ging es darum, Didaktik und Methodik des Unterrichts, aber auch die Bildungspläne und das Fortbildungsangebot zu überprüfen. In gut einjähriger Arbeit entstanden ausgehend von einer systematischen Analyse der Ist-Situation in Hamburg Empfehlungen zu sechs Handlungsfeldern. Die Empfehlungen betreffen vorschulische Angebote, die Gestaltung von Bildungsplänen und Curricula , didaktische und methodische Hinweise zur Gestaltung des Mathematikunterrichts , den weiten Bereich der Leistungsüberprüfung und -bewertung, die Förderung bei besonderen mathematischen Potenzialen und bei mathematischen Schwierigkeiten sowie die Fort- und Weiterbildung der in Hamburg arbeitenden Lehrkräfte. Die für Bildung zuständige Behörde wird die Empfehlungen der Expertenkommission sorgfältig auswerten und prüfen, welche Vorschläge umgesetzt werden sollen und welche konkreten Schritte dafür erforderlich sind. Die Beteiligung der Schulen an diesem Prozess wird unter anderem auf einer Fachtagung Mathematik sichergestellt, zu der alle Fachleitungen, Seminarleitungen sowie Fortbilderinnen und Fortbilder eingeladen werden. Sie ist für das Frühjahr 2019 geplant. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Seit wann liegt der Bericht der Expertenkommission der BSB vor? Bitte das genaue Datum angeben. Der Bericht der Expertenkommission liegt der zuständigen Behörde seit dem 19. November 2018 vor und ist im Internet unter https://www.hamburg.de/contentblob/ 11904704/a80cee49fc0febd76d810b6514f1c108/data/mathegutachten.pdf abrufbar. 2. Welche der Empfehlungen sind für den Senat neue Erkenntnisse, welche waren zu erwarten? Der Projektauftrag war bewusst erwartungsoffen formuliert, um der Expertenkommission angesichts der Breite der in ihr versammelten wissenschaftlichen und praktischen Expertise eine Rückmeldung zu ermöglichen, die über die derzeitigen Rahmenbedingungen des Mathematikunterrichts Hamburg hinausreichen können sollte. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. Sind seit der Vorlage des Berichtes bei der BSB bereits erste Maßnahmen zwecks Umsetzung der Expertenempfehlungen ergriffen worden? Wenn ja, welche? Siehe Vorbemerkung. 4. Durch welche Mittel wurde die Evaluation der namhaften Expertenkommission finanziert und in welcher Höhe? Die Finanzierung der Expertenkommission erfolgte aus der Produktgruppe 238.01 „Steuerung und Service (BSB)“. Die Kosten belaufen sich auf circa 45 000 Euro. Die Kommission wurde personell durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der für Bildung zuständigen Behörde betreut, die durch die vorhandenen Ressourcen in den Fachbereichen finanziert wurden. 5. Der Moderator der Expertenkommission spricht von gut begründeten und realisierbaren Vorschlägen. Wie gedenkt die BSB, die Experten- Empfehlungen umzusetzen? Wie ist das weitere Verfahren hierzu, und wann ist mit den ersten Schritten der Umsetzung zu rechnen? Siehe Vorbemerkung. 6. Wie geht der Senat mit der Erkenntnis um, dass Bildungspläne unter den Schulen vergleichbarer sein sollen? Drucksache 21/15535 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 7. Wie geht der Senat mit der Erkenntnis um, dass Bildungspläne klarer in ihren Aussagen und einen verbindlicheren Kern-Inhalt enthalten sollen? Bildungspläne werden für die im Hamburgischen Schulgesetz festgelegten Schulformen und Bildungsgänge und nicht für einzelne Schulen erlassen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 8. Wie bewertet der Senat, dass nicht nur in den Klassen 5 – 8, sondern ebenso in der Grundschule und in der elften Klasse mehr Mathematikunterricht notwendig ist? Wie soll die Umsetzung erfolgen? Eine Empfehlung, in den Jahrgangsstufen 5 bis 8 sowie in der Grundschule mehr Mathematikunterricht zu erteilen, wurde nicht ausgesprochen. Die Expertenkommission hat die bereits im Zuge der sogenannten Mathematikoffensive erfolgte Erhöhung der Mathematikstunden in der Stadtteilschule von 22 auf 26 Mindeststunden positiv bewertet. In der Grundschule empfiehlt sie die Beibehaltung der 21 Mindeststunden Mathematik. Die Überlegungen der für Bildung zuständigen Behörde zur Erhöhung der Mathematikstunden in Jahrgangsstufe 11 sind noch nicht abgeschlossen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 9. Wie wird der Senat für die Verbindlichkeit von durchschnittlich 5,25 Wochenstunden in den Klassen 1 – 4 sorgen? Die Verbindlichkeit ergibt sich bereits aus den Stundentafeln für das Fach Mathematik, siehe §§ 36, 40 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Grundschule und die Jahrgangsstufen 5 bis 10 der Stadtteilschule und des Gymnasiums. Diese Vorschriften sehen vor, dass im Fach Mathematik in jeder Jahrgangsstufe mindestens vier Wochenstunden und in den Jahrgangsstufen 1 bis 4 insgesamt mindestens 21 Wochenstunden verbindlich erteilt werden. 10. Wie bewertet der Senat die Vorgabe, dass ab Klasse 3 verbindlich vier Klassenarbeiten in Mathematik geschrieben werden sollen? Wie wird der Senat für die Verbindlichkeit sorgen? 11. Wie bewertet der Senat die Nicht-Zulässigkeit von Ersatzleistungen? 12. Wie bewertet der Senat die Verschiebung der Bewertung von mündlicher und schriftlicher Leistung auf gleiche Anteile? 13. Wie bewertet der Senat die Tatsache, dass die KERMIT-Testungen bisher nicht konsequent für eine gezielte Unterrichtsentwicklung und -förderung genutzt wurden. Wie bewertet der Senat die zusätzliche Diagnose-Testung? 14. Wie bewertet der Senat die zusätzlichen Forder- beziehungsweise Förderangebote für a) begabte und leistungsstarke Schülerinnen und Schüler, b) Mädchen, c) sozial und kulturell benachteiligte Schülerinnen und Schüler, d) leistungsschwache Schülerinnen und Schüler und wie sollen diese realisiert werden? 15. Wie bewertet der Senat die Forderung nach spezifischer Förderung und die Anregung von differenziertem Mathematik-Unterricht für STS- Schülerinnen und STS-Schüler, die auf die gymnasiale Oberstufe wechseln werden? Warum wurde dieses jahrelang unterbunden? 16. Wie bewertet der Senat die Kritik an der Lehrerfortbildung hinsichtlich der Mathematik? 17. Wie will der Senat der Empfehlung nach mathematik-didaktischen Inhalten in der Frühpädagogik und wie dem Mangel an naturwissenschaftlichem Lehrernachwuchs begegnen? Siehe Vorbemerkung.