BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15538 21. Wahlperiode 21.12.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 13.12.18 und Antwort des Senats Betr.: Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) auf Hamburg (II) Aus der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 21/12677 der Abgeordneten Cansu Özdemir vom 20.04.2018 zu den Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes auf Hamburg ergeben sich Nachfragen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Kernpunkte des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) sind die Neufassung des Rechts der Rehabilitation und Teilhabe sowie die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen zu einem modernen, personenzentrierten Leistungsrecht. Mit der Errichtung des Fachamtes Eingliederungshilfe im Bezirksamt Wandsbek wurde in Hamburg bereits 2009 eine zentrale bezirkliche Einheit errichtet, der eine entscheidende Rolle im Hinblick auf Personenzentrierung und Einzelfallsteuerung der Eingliederungshilfe in Hamburg zukommt. Im Fallmanagement des Fachamtes Eingliederungshilfe werden seither durch sozialpädagogisch qualifizierte Fallmanagerinnen und -manager im Rahmen eines Gesamtplanverfahrens , im partizipativen Dialog mit dem behinderten Menschen (und seiner /seinem Betreuerin/Betreuer beziehungsweise einer Vertrauensperson) dessen Bedürfnisse, Wünsche, Ziele, Entwicklungsmöglichkeiten und Selbsthilfepotenziale erfasst, der notwendige Hilfebedarf ermittelt und gemeinsam mit dem behinderten Menschen Art und Umfang der Leistung festgelegt und der Leistungserbringer gewählt. Für die verstärkte Personenzentrierung des BTHG bedarf es eines derartig funktionierenden und personell verstärkten Fallmanagements sowie einheitlicher Verfahren und Abläufe. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche haushalterischen Mittel oder Angaben im Hamburger Haushalt sind durch die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Hamburg verändernd betroffen? Bitte mit Angabe des Produkts, der Produktgruppe, der Kennzahl, der Benennung des betroffenen Einzelplans. Der Senat hat im Haushaltsplan für den Doppelhaushalt 2019/2020 im Vorwort zur Produktgruppe 253.04 „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ des Einzelplan 4 darauf hingewiesen, dass strukturelle Anpassungen bei den Kennzahlen, den Produkten und den wesentlichen gesetzlichen Leistungen dieser Produktgruppe zu erwarten sind und die notwendigen Anpassungen der Bürgerschaft bis spätestens zum 3. Quartal 2019 zur Zustimmung vorgelegt werden. 2. Welche Veränderungen ergeben sich bei der Beantragung, finanziellen Höhe und Bewilligung sowie der personellen Situation beziehungsweise Drucksache 21/15538 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 den Mehrbedarfen bei der Eingliederungshilfe in Hamburg durch die Umsetzung des BTHG? Die Umsetzung des BTHG ist ein umfangreicher Prozess und eine behörden- und dienststellenübergreifende Aufgabe. Die konkreten Veränderungen bezüglich Organisationsstrukturen , Zuständigkeiten und Abläufen in den verschiedenen Dienststellen und Ämtern werden derzeit im behördenübergreifenden Projekt „Bestimmung und Organisationsstruktur des Trägers der Eingliederungshilfe in Hamburg“ ermittelt und Umsetzungsvorschläge erarbeitet. Eine Information an die Bürgerschaft über den zwischenzeitlich erreichten Stand der Umsetzungsaktivitäten befindet sich in Form einer Berichtsdrucksache derzeit in Vorbereitung. Die Planungen hierzu sind noch nicht abgeschlossen. 3. Wie viele Menschen sind für die Bedarfsfeststellung für die personenzentrierte Teilhabeleistungen eingestellt oder werden geplant einzustellen ? Bitte aufgliedern nach VZÄ, Fachqualifikation, Institutionen, Anteil der Menschen mit Behinderungen der Eingestellten. 3.a. Wenn keine Eingestellten mit Behinderungen dabei sind, warum nicht? Die Bedarfsfeststellung findet im sozialpädagogischen Fachdienst des Fachamtes Eingliederungshilfe statt. Nach jetzigem Stand sind dort Fachkräfte im Umfang von 71,34 VZÄ tätig. 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im sozialpädagogischen Fachdienst haben eine Schwerbehinderung. Im sozialpädagogischen Fachdienst sind regelhaft Sozialpädagoginnen /Sozialpädagogen, aber auch Soziologinnen/Soziologen und Pädagoginnen/ Pädagogen tätig. Im laufenden Prozess der Umsetzung des BTHG werden weitere Fachkräfte für die Bedarfsfeststellung und die Durchführung von Gesamtplan- und Teilhabeplanverfahren für alle Leistungen der Eingliederungshilfe eingestellt. Weitere Personalauswahlverfahren laufen derzeit. Im Übrigen: entfällt. 4. Wie soll in Hamburg die Umsetzung der Norm § 97 SGB IX (ab 2020) erfolgen? Werden Mitarbeiter/-innen vor dem Hintergrund, dass nur noch ein wenig mehr als ein Jahr bis zur weiteren Umsetzungsstufe des BTHG verbleibt, bereits jetzt geschult und weitergebildet? Bitte aufgliedern nach Bezeichnung der Einrichtung, die schult, der Einrichtung, in der die Mitarbeitenden arbeiten, Bezeichnung der Weiterbildung oder Schulung. Im Rahmen des Projektes „Bestimmung und Organisationsstruktur des Trägers der Eingliederungshilfe in Hamburg“ wird der Schulungsbedarf ermittelt, wie er sich aus § 97 SGB IX ergibt. Schulungsbedarfe aus dem BTHG können sich für Mitarbeitende des Fachamtes Eingliederungshilfe, des Bereiches Eingliederungshilfe für Menschen mit Suchterkrankungen bei der BGV, der Sozialen Dienstleistungszentren und für Mitarbeitende von bezirklichen Gesundheitsämtern ergeben. Bezüglich der Umsetzung ist geplant, insbesondere mit dem Sozialpädagogischen Fortbildungszentrum und dem Zentrum für Ausbildung und Fortbildung zusammenzuarbeiten. Eine erste Schulung für den sozialpädagogischen Fachdienst hat in diesem Rahmen bereits stattgefunden. Sie wurde im Sozialpädagogischen Fortbildungszentrum zur Anwendung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) durchgeführt. Weitere dieser Schulungen sind für 2019 fest geplant. Darüber hinaus nehmen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der betroffenen Dienststellen regelmäßig an Schulungen und Fortbildungen teil, die zum Beispiel im Sozialpädagogischen Fortbildungszentrum und im Zentrum für Ausbildung und Fortbildung angeboten werden. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15538 3 5. Wird es für Menschen mit psychischen Erkrankungen beziehungsweise Behinderungen speziell ausgebildete Fachkräfte bei der Bedarfsplanung geben? Bitte mit Fachqualifikation und VZÄ angeben. Die im sozialpädagogischen Fachdienst tätigen Fachkräfte verfügen bereits über die entsprechende Qualifikation, zum Beispiel hinsichtlich der erforderlichen adressatengerechten Kommunikation, und bilden sich regelmäßig fort. Siehe dazu auch Antworten zu 3 und 4. 6. Wann wird das Bedarfserfassungsinstrument gemäß § 142 SGB XII in Hamburg erscheinen und welche internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit , Behinderung und Gesundheit liegen dem zugrunde? Das seit 2009 im Fachamt Eingliederungshilfe in Wandsbek angewandte Bedarfsermittlungsinstrument erfüllt bereits im Wesentlichen die Anforderungen an ein einheitliches Instrument im Sinne des BTHG und wird derzeit an die neuen gesetzlichen Bestimmungen unter Einbeziehung der ICF und deren bio-psychosozialem Modell angepasst. 6.a. Wird es dazu Veranstaltungen geben? Wenn ja wann, welche und durch wen oder was? Konkrete Veranstaltungen sind derzeit nicht geplant; im Übrigen siehe Antwort zu 4. 6.b. Wird es ein Handbuch zur Erläuterung wie in anderen Bundesländern geben? Bitte auch angeben ob es das auch in Leichter Sprache geben wird. Nein. Die Bedarfsermittlung im Rahmen des partizipativen Gesamtplangesprächs mit den sozialpädagogisch geschulten Fallmanagern findet statt. Daher ist dies nicht erforderlich. Die Fallmanager/-innen sind bereits speziell geschult darin, die auftretenden Fragen zu beantworten. 7. Zur Umsetzung von § 8 Absatz 3 SGB IX in Verbindung mit § 78 SGB IX: Wie wird gewährleistet, dass Menschen mit Behinderungen, die Assistenz benötigen, jeweils eine/n Assistenten/in zur Verfügung gestellt bekommen und so eigene Teilhabemöglichkeiten selbstbestimmt und eigenständig haben? 7.a. Wie wird gewährleistet, dass eine ausreichende Anzahl an Assistenten /-innen für selbständiges und eigenständiges Leben in Hamburg vorhanden ist? Mit dem § 78 SGB IX hat der Gesetzgeber keine neue Leistung vorgesehen. Die Vorschrift dient nur der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Notwendige Assistenzleistungen im Rahmen der sozialen Teilhabe sind bereits Bestandteil der Leistungen der Eingliederungshilfe in Hamburg und werden es auch bleiben. Im Übrigen: entfällt. 7.b. Wie wird gewährleistet, dass diese nicht als Poolleistung mit anderen Menschen zusammen in Anspruch genommen werden muss? Bestimmte Assistenzleistungen (zum Beispiel Schulbegleitung, Wohngemeinschaftsbetreuung ) finden seit Langem gemeinschaftlich statt und finden umfassende Akzeptanz bei den Leistungsberechtigten. Das SGB IX hat dem mit der Formulierung des § 116 Rechnung getragen, dem selbstverständlich gefolgt wird. 8. Bezüglich § 104 SGB IX: Was wird in Hamburg dafür getan damit der Wunsch, im eigenen Wohnraum zu leben, in Hamburg auch umsetzbar ist? Der Wunsch des Menschen mit Behinderung, wo und wie er leben möchte, ist ein wichtiger Bestandteil des partizipativen Gesamtplangesprächs im Fachamt Eingliederungshilfe . Entsprechend des individuellen Assistenzbedarfs und der vorhandenen Angebote wird gemeinsam geschaut, wo und wie der Wunsch realisiert werden kann. Mit dem Ambulantisierungsprozess 2005 hat der Senat begonnen, die Möglichkeiten des selbstbestimmten Wohnens im eigenen Wohnraum für Menschen mit Behinde- Drucksache 21/15538 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 rung konsequent weiter auszubauen, in dem unter anderem Leistungsvereinbarungen mit Trägern geschlossen wurden, die eine ambulante Betreuung entsprechend des individuellen Bedarfs und im eigenen Wohnraum (Wohngemeinschaft oder eigene Wohnraum) ermöglichen. Inzwischen leben rund 1 000 Menschen mit Behinderung in diesen Ambulanten Wohngemeinschaften – häufig in eigenen kleinen Wohnungen. Auch „stationäre“ Betreuung findet inzwischen nahezu immer in kleinen Wohngruppen statt; stationäre Komplexeinrichtungen sind bis auf ganz wenige Ausnahmen aufgelöst worden. Durch den weiteren Ausbau dieser Wohnmöglichkeiten und die Maßnahmen zur Schaffung von Wohnraum, beispielsweise durch Konzeptausschreibungen und Fördermittel der Investitions- und Förderbank – insbesondere auch für Menschen mit Behinderung –, erhöht der Senat die Möglichkeiten für Menschen mit Behinderung, im eigenen Wohnraum zu wohnen. 9. Schließt sich Hamburg der Rechtsauffassung an, dass bei dem Wunsch, im eigenen Wohnraum zu leben, die Unzumutbarkeit einer Unterbringung in einer besonderen Wohnform gegeben ist und insbesondere der Mehrkostenvorbehalt keine Anwendung findet. Die Rechtsauffassung entspricht nicht dem SGB IX; erforderlich ist immer eine Einzelfallprüfung . 10. Handelt es sich beim Wohnen im eigenen Wohnraum und bei der besonderen Wohnform um vergleichbare Leistungen? Gesetzlich wird ab 2020 im Vierten Kapitel SGB XII unterschieden, ob Leistungsberechtigte in einer Wohnung oder in einer besonderen Wohnform leben. Die besondere Wohnform unterscheidet sich dadurch, dass es sich nicht um abgeschlossene Wohnungen , sondern um Einheiten handelt, bei denen sowohl persönliche Räume als auch Gemeinschaftsräume zur Verfügung stehen. Beide Leistungen dienen der Deckung der Wohnbedarfe. 11. Welche Modellvorhaben gemäß §11 SGB IX gibt es mit welchem Ziel für Hamburg beziehungsweise sind geplant? Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat noch nicht über die Anträge der Modellvorhaben nach § 11 SGB IX entschieden. Die ersten Bewilligungen sind im 2. Quartal 2019 zu erwarten. Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) hat sich auch auf Basis des Koalitionsvertrages des Hamburger Senats zur Optimierung des Unterstützungssystems für eine Hamburger Bewerbung eingesetzt. Jobcenter team.arbeit.- hamburg hat dazu eine Projektskizze für ein „Haus der Gesundheit“ entwickelt und dies als Antrag für ein Modellprojekt eingereicht. Menschen mit gesundheitlichen Problemen, insbesondere psychisch Erkrankte, sollen – unabhängig von Art und Umfang ihres Hilfebedarfs und der Frage nach dem zuständigen Leistungsträger – an einem zentralen Ort niedrigschwellig Zugang zu individuellen, bedarfsorientierten Beratungen und Leistungen erhalten. Das Konzept sieht die Zusammenarbeit von Jobcenter team.arbeit.hamburg, der Agentur für Arbeit Hamburg, der BASFI, den Deutschen Rentenversicherungen Nord und Bund sowie ausgewählten Krankenkassen „wie aus einer Hand“ vor. 12. Welche Modellprojekte zur regionalen Erprobung des Bundesteilhabegesetzes mit welchem Untersuchungsziel wurden seit April 2018 bislang von Hamburg aus beantragt und bewilligt? Bitte aufgliedern nach Datum des Antrags, Antragsteller/in, Datum der Bewilligung, wenn Ablehnung Grund der Ablehnung, konkrete Bezeichnung des Modellprojekts, Ziel des Modellprojekts und Bereich. 12.a. Wenn keine, warum nicht? Seit April 2018 wurden keine weiteren Modellprojekte zur regionalen Erprobung des Bundesteilhabegesetzes beantragt. Gemäß der Richtlinie zur Förderung von regionalen Projekten in den Bundesländern zur „modellhaften Erprobung der zum 1. Januar Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15538 5 2020 in Kraft tretenden Verfahren und Leistungen nach Artikel 1 Teil 2 des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) einschließlich ihrer Bezüge zu anderen Leistungen der sozialen Sicherung nach Artikel 25 Absatz 3 vom 23.06.2017 ist die Frist für die Antragstellung am 30.09.2017 abgelaufen (vergleiche BAnz. AT 29.06.2017 B4, S. 3). Zu den in Umsetzung befindlichen Modellprojekten siehe Drs. 21/12677 und Drs. 21/13928.