BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15598 21. Wahlperiode 08.01.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein und Carl-Edgar Jarchow (FDP) vom 02.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Was tut der Senat gegen die Radikalisierung in den JVAs? (III) Die Radikalisierung von Tätern in den Justizvollzugsanstalten (JVAs) und deren Einflussnahme auf andere Personen ist weiter eine Gefahr und aktuelle Fälle belegen dies. Der mutmaßliche Attentäter von Straßburg war auch in einer deutschen JVA inhaftiert. Dort fiel er nicht als radikaler Islamist auf. Er sei schon vor der Tat insgesamt 27-mal wegen verschiedener Delikte verurteilt worden. Der Täter des Messerangriffs im Stadtteil Barmbek von 2017 war ein Einzeltäter, der sich selbst radikalisierte. Anfang 2018 befanden sich elf mutmaßliche Islamisten/Salafisten in Untersuchungs- und Strafhaft.1 Zu hinterfragen ist, wie sich die Radikalisierung in den JVAs entwickelt hat und wie der Senat Radikalisierungstendenzen aktuell entgegenwirkt. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Welche Erkenntnisse haben der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden über die Radikalisierung von Personen während oder nach ihrem Aufenthalt in hamburgischen Justizvollzugsanstalten? a. Wie hat sich die Radikalisierung von Inhaftierten zum religiösen Extremismus aus Sicht des Senats im Jahr 2018 entwickelt? Wie waren dazu im Vergleich die Entwicklungen in den Jahren 2016 und 2017? Weiterhin liegen keine Erkenntnisse vor, dass sich Gefangene erst während der Haftzeit radikalisieren würden oder dass Hamburgs Gefängnisse Orte der Rekrutierung durch extremistische Gruppen wären. Die Anstalten und die zuständige Behörde beobachten dennoch weiterhin aufmerksam etwaige Radikalisierungen und entsprechend ideologisierte Gefangene. Des Weiteren sollen resozialisierende Maßnahmen in Haft dazu beitragen, den Gefangenen Perspektiven zu eröffnen, damit diese nicht in extremistischen Ideologien Halt und Orientierung suchen. Somit ist Resozialisierung aus Sicht des Senats ein wichtiger Bestandteil von Präventions- und Distanzierungsarbeit . b. Welche religiösen und politischen Radikalisierungen konnte der Senat im Jahr 2018 insgesamt feststellen? Bereits stattgefundene Radikalisierungen lassen sich bezogen auf die Justizvollzugsanstalten bei islamistischen Gefangenen, Anhängern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der türkischen kommunistischen Partei DHKP-C feststellen. c. In welcher Phase der Haft sind die Inhaftierten radikalisiert? Werden die Inhaftierten in der Regel in der Haft radikalisiert und/oder kom- 1 Vergleiche Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/12230 vom 09.03.2018. Drucksache 21/15598 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 men Inhaftierte bereits radikalisiert in die hamburgischen Justizvollzugsanstalten ? Bitte Erkenntnisse darüber für das Jahr 2018 und im Vergleich zu den Jahren 2016 und 2017 darstellen. Die Kontakte der extremistischen Gefangenen in die jeweilige Szene waren bereits vor Haftantritt vorhanden, sodass von einer Radikalisierung außerhalb der Gefängnisse gesprochen werden muss. Die Radikalisierung hat dann in einzelnen Fällen zur Begehung von Delikten im Zusammenhang mit extremistischen Bestrebungen geführt. Der grundlegende Befund, dass Radikalisierung in der Regel vor dem Haftantritt stattgefunden hat und dass Staatsschutzdelikte nach erfolgter Radikalisierung begangen wurden, Extremisten aber auch wegen allgemeiner Kriminalität verurteilt sein können, hat sich seit 2016 und 2017 nicht geändert. d. In welchem durchschnittlichen Alter kommen die Inhaftierten, die bereits radikalisiert sind oder in der Justizvollzugsanstalt radikalisiert worden sind, in die Justizvollzugsanstalten? Justizvollzugsanstalt (JVA) Durchschnittsalter Billwerder (Männer) 27,4 Jahre Billwerder (Frauen) 40 Jahre* Fuhlsbüttel 26 Jahre* Hahnöfersand 19 Jahre Glasmoor 31 Jahre* Untersuchungshaftanstalt 37 Jahre Sozialtherapeutische Anstalt 31 Jahre* * Die Angabe bezieht sich lediglich auf einen Gefangenen beziehungsweise eine Gefangene bei Zuführung in die JVA. e. Wegen welcher Straftaten wurden die Inhaftierten verurteilt, die bereits radikalisiert sind oder in der Haft radikalisiert wurden? Bitte die Straftaten nach Jahren für das Jahr 2018 und nach der jeweiligen Justizvollzugsanstalt darstellen. Justizvollzugsanstalt (JVA) Straftaten gemäß StGB in 2018 Billwerder (Männer) §§ 113 Abs. 1, 129a Abs.1 Satz 1, 129b Abs. 1, 211 Abs. 1, 223 Abs. 1, 242 Abs. 1, 224 Abs. 1 und 2, 224 Abs. 1 und 5, 243 Abs. 1, 303 Abs. 1, 306 Abs. 1 Billwerder (Frauen) Entfällt, da Untersuchungshaft. Fuhlsbüttel §§ 211 Abs. 1, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 Hahnöfersand §§ 89a Abs. 1 und 2, 113 Abs. 1, 223 Abs. 1 Glasmoor §§ 267 Abs.1 und 3, 269 Abs.1 und 3, 29a Abs.1 Nr. 2 BtMG, 21 Abs. 1 Nr.1 StVG Untersuchungshaftanstalt Entfällt, da Untersuchungshaft. Sozialtherapeutische Anstalt §§ 125 Abs. 1, Satz 1, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 und 2, § 303 f. Was unternimmt der Senat, um der Radikalisierung von Inhaftierten entgegenzuwirken? Erkenntnisse zur Bestimmung extremistischer Haltungen von Gefangenen werden auf der Grundlage des Konzeptes „Maßnahmen gegen gewaltbereite Salafisten und andere extremistische Gefangene im Hamburger Justizvollzug“ ausgewertet. Das Konzept wird laufend an die aktuellen Gegebenheiten angepasst. Bei Gefangenen, die sich wegen Delikten mit Extremismusbezug in Untersuchungshaft befinden, greift das gerichtliche Haftstatut und gegebenenfalls zeitlich befristete Sicherheitsmaßnahmen bis zum Eintreten der Rechtskraft des Urteils und der Überführung der oder des Gefangenen in die Strafhaft. In den folgenden Fällen erfolgt durch die zuständige Behörde eine Einschätzung des Radikalisierungsgrades und des von der Gefangenen beziehungsweise dem Gefangenen ausgehenden Risikos: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15598 3 Es liegt eine rechtskräftige Verurteilung wegen Delikten mit Extremismusbezug vor. Eine aufgrund von in Haft gemachten Beobachtungen veranlasste Prüfung einer Gefangenen oder eines Gefangenen führt zu der begründeten Annahme, dass eine extremistische Haltung vorliegen könnte. Eine aufgrund von Hinweisen durch andere mit der Thematik befasste Stellen veranlasste Prüfung einer Gefangenen oder eines Gefangenen führt zu der begründeten Annahme, dass eine extremistische Haltung vorliegen könnte. Aus den gewonnenen Erkenntnissen werden gegebenenfalls Sicherheitsmaßnahmen und/oder Behandlungsansätze und -angebote abgeleitet. In den Anstalten sind die jeweiligen Beauftragten für Extremismus die Ansprechpartner für die zuständige Behörde und die Sicherheitsbehörden. Ein Austausch zwischen den Anstalten, der zuständigen Behörde und den Sicherheitsbehörden Landeskriminalamt und Landesamt für Verfassungsschutz findet zudem sowohl anlassbezogen als auch regelhaft institutionalisiert statt. Die Dienstposten der Bezugsbetreuerinnen und -betreuer in den Justizvollzugsanstalten Billwerder, Fuhlsbüttel und Hahnöfersand konnten durch die zuständige Behörde verstetigt werden, womit die Bedeutung der extremismusspezifischen sozialpädagogischen Arbeit anerkannt und institutionalisiert wurde. Weiterhin werden die Bediensteten der Anstalten systematisch in Kooperation mit dem freien Träger „Legato“ in Basis- sowie Vertiefungsmodulen fortgebildet. Die Fortbildungsinhalte wurden auch in die Ausbildung der Anwärterinnen und Anwärtern des Allgemeinen Vollzugsdienstes integriert. Die Präsenzberatung von Legato wurde zudem auf die Justizvollzugsanstalten Fuhlsbüttel und Glasmoor ausgeweitet. In der JVA Hahnöfersand werden die von Legato geleiteten Gruppengesprächsangebote gut angenommen. Eine Ausweitung auf die Erwachsenenhaft ist in Planung. Die Kooperation mit Legato erfolgt im Rahmen des Bundesprogrammes „Demokratie leben!“. Im Übrigen siehe Drs. 21/5504 und 21/10987. 2. Wie viele mutmaßliche Islamisten/Salafisten befinden sich zurzeit in hamburgischen Justizvollzugsanstalten? Bitte aufschlüsseln nach Justizvollzugsanstalten . Justizvollzugsanstalt (JVA) Anzahl (Stand 04.01.2019) Billwerder (Männer) 1 Billwerder (Frauen) 1 Fuhlsbüttel 1 Hahnöfersand 2 Glasmoor 1 Untersuchungshaftanstalt 1 Sozialtherapeutische Anstalt 0 3. Wie viele andere Extremisten befinden sich zurzeit in hamburgischen Justizvollzugsanstalten? Bitte aufschlüsseln nach JVA, Anzahl und Gruppe. Justizvollzugsanstalt (JVA) Anzahl und Zugehörigkeit Gruppe Billwerder (Männer) 1 (PKK) Billwerder (Frauen) 0 Fuhlsbüttel 0 Hahnöfersand 0 Glasmoor 0 Untersuchungshaftanstalt 3 (PKK bzw. CDK/KCD-E) 4. Wie schätzt der Senat die Gefährdungslage bezüglich einer Radikalisierung in den hamburgischen Justizvollzugsanstalten ein? Inwieweit gibt es konkrete Anhaltspunkte, dass diesbezüglich von salafistischen/islamistischen Gruppierungen konzertierte Aktionen in Gefängnissen geplant sind oder bereits durchgeführt werden? Drucksache 21/15598 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Dem Senat liegen keine entsprechenden Erkenntnisse vor. 5. Wie wird die Gefahr, die von bereits verurteilten Tätern ausgeht, beurteilt und welche Maßnahmen werden in seinem Fall von welcher zuständigen Stelle ergriffen? a. Wird der Verurteilte vom Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde als besondere Gefahr bezogen auf Radikalisierungen von Personen in den JVAs gesehen? Wenn ja, inwiefern? Wenn nein, warum nicht? b. Gibt es daher gegebenenfalls besondere Sicherheitsvorkehrungen beziehungsweise besondere Maßnahmen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? c. Inwieweit wird eine Trennung zu anderen Inhaftierten erfolgen, da sich der Verurteilte als abgelehnter Asylbewerber bereits früh selbst radikalisiert hat? In welcher JVA soll eine solche Person räumlich untergebracht werden? Verurteilte extremistische Täter werden unter den tatspezifischen Aspekten sowie nach Fragen der Eigen- und Fremdgefährdung beobachtet und gegebenenfalls werden entsprechende Vollzugsmaßnahmen, wozu auch die räumliche Trennung zu anderen Gefangenen gehören kann, eingeleitet. Wie für andere Gefangene auch werden zudem individuell angepasste behandlerische und resozialisierende Maßnahmen angeboten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalten werden im Umgang mit extremistischen Gefangenen entsprechend geschult. Im Übrigen siehe Antwort zu Frage 1.f. 6. Wie viele muslimische Seelsorger beziehungsweise Imame sind aktuell in hamburgischen Justizvollzugsanstalten tätig? Bitte nach fest angestellten und ehrenamtlich tätigen Seelsorgern differenzieren. a. Wie sieht aktuell der Umfang der Betreuung durch muslimische Seelsorger beziehungsweise Imame in den hamburgischen Justizvollzugsanstalten aus? In den Justizvollzugsanstalten Fuhlsbüttel und Billwerder ist jeweils ein Imam ehrenamtlich tätig. Drei muslimische Seelsorger werden von der „SCHURA – Rat der islamischen Gemeinden in Hamburg e.V.“ im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit der zuständigen Behörde entsandt. Die muslimischen Seelsorger bieten in der JVA Billwerder, der Untersuchungshaftanstalt , der JVA Fuhlsbüttel, der Sozialtherapeutischen Anstalt und der JVA Hahnöfersand wöchentlich bis zu vier Stunden Gesprächskreise beziehungsweise bei Bedarf Einzelgespräche an. b. Welche Fluktuation herrscht bei den eingesetzten muslimische Seelsorgern? Wie werden die muslimischen Seelsorger in den Justizvollzugsanstalten bezahlt? Die SCHURA als Vertragspartner der zuständigen Behörde erhält pro Stunde geleisteter Arbeitszeit des Betreuers 37,50 Euro als Vergütung. Eine direkte Vergütung der Seelsorger durch die zuständige Behörde oder die Anstalten erfolgt nicht. Eine Fluktuation ist nicht feststellbar. c. Wie viele christliche Seelsorger sind aktuell in den hamburgischen Justizvollzugsanstalten tätig? Wie werden diese bezahlt? Wie bewertet der Senat die Fluktuation? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15598 5 Justizvollzugsanstalt Anzahl der Seelsorger Billwerder (Männer) 3 Billwerder (Frauen) 2 Fuhlsbüttel 2 Hahnöfersand 1 (Teilzeit) Glasmoor 0 Untersuchungshaftanstalt 2 Sozialtherapeutische Anstalt 2 Die Bezahlung der Seelsorger erfolgt über die entsendende Kirche. Eine Fluktuation ist auch hier nicht feststellbar. 7. Welche Maßnahmen zur Prävention von Salafismus im Justizvollzug hat der Senat seit Verabschiedung des Programms wie umgesetzt? Welche Maßnahmen sind darüber hinaus, wann und wie begonnen und umgesetzt worden, um Radikalisierungen in den JVAs entgegenzuwirken ? Bitte je nach JVA und Umsetzungsstand darstellen. Im Folgenden werden alle umgesetzten Maßnahmen zur Prävention von Salafismus und Radikalisierung im Justizvollzug nach Anstalten aufgeschlüsselt dargestellt. Justizvollzugsanstalt Umsetzung Billwerder (Männer) Installation eines Extremismusbeauftragten, fortlaufende Fortbildungsveranstaltungen für alle Bediensteten durch Legato, Präsenzberatung durch Legato, Verstetigung des Dienstpostens des Bezugsbetreuers Billwerder (Frauen) Installation eines Extremismusbeauftragten, fortlaufende Fortbildungsveranstaltungen für alle Bediensteten durch Legato Fuhlsbüttel Installation eines Extremismusbeauftragten, fortlaufende Fortbildungsveranstaltungen für alle Bediensteten durch Legato, Präsenzberatung durch Legato, Verstetigung des Dienstpostens des Bezugsbetreuers Hahnöfersand Installation eines Extremismusbeauftragten, seit Mai 2018 wöchentliches Gruppenangebot für Jugendstrafgefangene unter Leitung von Legato, fortlaufende Fortbildungsveranstaltungen für alle Bediensteten durch Legato, Präsenzberatung durch Legato, Verstetigung des Dienstpostens des Bezugsbetreuers, seit Februar 2018 ein wöchentlich stattfindender muslimischer Gesprächskreis für Gefangene angeleitet durch einen muslimischen Seelsorger der SCHURA Glasmoor Installation einer Extremismusbeauftragten, fortlaufende Fortbildungsveranstaltungen für alle Bediensteten durch Legato, Präsenzberatung durch Legato Untersuchungshaftanstalt Installation einer Extremismusbeauftragten, fortlaufende Fortbildungsveranstaltungen für alle Bediensteten durch Legato Sozialtherapeutische Anstalt Installation eines Extremismusbeauftragten, fortlaufende Fortbildungsveranstaltungen für alle Bediensteten durch Legato Im Übrigen siehe Antwort zu 1.f. und Drs. 21/12230.