BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15617 21. Wahlperiode 08.01.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 02.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Antisemitismus-Umfrage der EU-Agentur Die Ergebnisse der aktuellen Antisemitismus-Umfrage der EU-Agentur verdeutlichen , dass mehr als 40 Prozent der befragten Juden in Deutschland in 2017 antisemitisch belästigt oder angegriffen wurden. Das macht deutlich: Es handelt sich bei den Taten keinesfalls um Einzelfälle. Jeder zweite jüdische Bürger meidet bestimmte Gegenden. Zu hinterfragen ist, ob auch in Hamburg solche „Tabu-Zonen“ für Juden existieren, um gezielt mit Präventionsmaßnahmen ansetzen zu können. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Es ist dem Senat ein besonders wichtiges Anliegen, dass Menschen jüdischen Glaubens in Hamburg keine Angst vor Übergriffen, Beleidigungen oder Diskriminierungen haben müssen, wenn sie sich öffentlich sichtbar zu ihrem Glauben bekennen. Der Senat hat bereits mehrfach zu seinen vielfältigen Aktivitäten berichtet, siehe hierzu Drs. 21/15446, Drs. 21/14339, Drs. 21/14290, Drs. 21/14042, Drs. 21/11627, Drs. 21/11343, Drs. 21/11759 und Drs. 21/10441, Drs. 21/9096, Drs. 21/8708, Drs. 21/8611 sowie Drs. 21/5315. Auch die Bürgerschaft unterstützt dieses Anliegen mit einem Antrag zum Ausbau der Antisemitismusprävention, der mehrheitlich am 12.12.2018 beschlossen wurde (Drs. 21/15399). Derzeit wird das Landesprogram gegen Rechtsextremismus weiterentwickelt. Die Planungen sind noch nicht abgeschlossen. Der Senat wird die Erfolge sowie die weiteren Planungen zur Prävention von Antisemitismus im Rahmen des neuen Landesprogrammes voraussichtlich im 2. Quartal 2019 darstellen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie oft und an welchen Orten wurden jüdische Bürger in Hamburg in den Jahren 2011 bis Dezember 2018 belästigt oder angegriffen? 2. Aus welchen Quellen speist sich die Antwort des Senats auf Frage 1.? Die polizeistatistische Erfassung von Straftaten der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) erfolgt gemäß Vorgaben, Kriterien und Schlagworten (sogenannten Katalogwerten ) des bundeseinheitlichen Kriminalpolizeilichen Meldedienstes Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK), in dem die Bezeichnung „jüdische Bürger“ kein feststehender Katalogwert ist. Im Rahmen der Bearbeitung von Straftaten werden Angaben zur Religionszugehörigkeit des Opfers außerdem freiwillig und nicht regelhaft erfasst. Die erfragte Handlung „Angriff“ oder „Belästigung“ sind ebenfalls keine polizeilichen Erfassungskriterien. Die erfragten Daten sind daher aus polizeilichen Statistiken nicht zu ermitteln. Drucksache 21/15617 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Aufgrund der unterschiedlichen methodischen und inhaltlichen Ansätze sind Vergleiche zwischen den statistischen Auswertungen der Sicherheitsbehörden und den auf individuellen Wahrnehmungen der Befragten basierenden Befragungsergebnisse nicht herzustellen. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Anzahl in Hamburg im KPMD- PMK registrierter antisemitischer Straftaten. Aufgrund gesetzlicher Löschfristen liegen Daten im KPMD-PMK nur noch ab 2014 vor. Daten für 2013 konnten aus der Fortschreibung der Drs. 20/9849 entnommen werden, die Daten für 2018 sind vorläufig: Antisemitische Straftaten 2013 2014 2015 2016 2017 2018* gesamt 28 35 30 35 44 74 davon PMK-links- - - - - - 2 davon PMK-rechts- 26 29 24 33 41 51 davon PMK-sonstige/nicht zuzuordnen- 2 3 3 2 - 2 davon Politisch motivierte Ausländerkriminalität (PMAK) - 3 3 - entfällt** davon PMK-ausländische Ideologie- entfällt** - 2 davon PMK-religiöse Ideologie- entfällt** 3 17 * Stichtag: 03.01.2019 ** Die Kategorie PMAK wurde zum Jahresende 2016 eingestellt und durch die Kategorien PMK – ausländische Ideologie – sowie PMK – religiöse Ideologie – ersetzt. Für Angaben zu den erfragten Tatorten müssten mehr als 200 noch zu antisemitischen Straftaten vorliegende Ermittlungsakten beim Landeskriminalamt (LKA 7 – Abteilung Staatschutz) einzeln ausgewertet werden; dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Auf Initiative Hamburgs hat die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder (JuMiKo) im Juni 2016 beschlossen, die statistische Erfassung der Hasskriminalität künftig zu verbessern, um Ausmaß und Entwicklung des Phänomens der Hassstraftaten auch anhand justizieller Daten besser einschätzen zu können. Vorher wurden in der Justizstatistik lediglich rechtsextreme/fremdenfeindliche Taten gesondert erfasst. Auf Grundlage des JuMiKo-Beschlusses wurde unter Beteiligung Hamburgs eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, in der ein neuer Statistikbogen entwickelt wurde, der nunmehr bei den Staatsanwaltschaften in den Ländern zur Anwendung kommt. Die Kriterien „antisemitisch“, „antichristlich“, „antiislamisch“, „behindertenfeindlich“, „fremdenfeindlich“ und „wegen sexueller Orientierung“ werden in Hamburg seit dem 1. Juli 2018 erfasst. Generell nicht erfasst wird hingegen die Religionszugehörigkeit. Auch im Vorgangsverwaltungs - und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Hamburger Staatsanwaltschaften wird die Religionszugehörigkeit von Beteiligten nicht erfasst. Für die Beantwortung der Fragen 1. und 2. müssten daher sämtliche Verfahrensakten, die in dem Zeitraum 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2018 unter dem Tatvorwurf einer Straftat nach §§ 130, 185, 240, 241, 223, 224 StGB in MESTA erfasst wurden, beigezogen werden. Hierbei handelte es sich allein für das Jahr 2018 um Ermittlungsverfahren in Bekanntsachen im fünfstelligen Bereich und um Ermittlungsverfahren gegen unbekannt im vierstelligen Bereich, deren händische Auswertung in der für eine Parlamentarische Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. 3. Inwieweit hat der Senat Kenntnisse über Orte, Plätze oder Gegenden, die von Bürgern mit jüdischen Glauben in Hamburg gemieden werden? a. Wenn ja, an welchen Orten, Plätzen, Gegenden in Hamburg ist dies in der Regel der Fall? Bitte nach Stadtteilen, Bezirken darstellen. b. Wenn ja, aus welchen Untersuchungen ergeben sich diese Erkenntnisse? c. Wenn nein, was unternimmt der Senat, um zukünftig an entsprechende Erkenntnisse zu gelangen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15617 3 4. Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um antisemitische Übergriffen und Belästigungen gegenüber jüdischen Bürgern an bestimmten Orten, Plätzen, Gegenden entgegenzuwirken? 5. Welche konkreten Präventivprogramme gibt es und welche Erfolge hat der Senat seit Bestehen der Programme vorzuweisen? An welchen Stellen muss es Verbesserungsbedarfe geben und wie sehen dazu die Planungen bis 2020 aus? Die Polizei trifft im Sinne der Fragestellung im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und zur Verfolgung von Straftaten. Die aktuelle Gefährdungsbeurteilung für jüdische Objekte in Hamburg wurde zuletzt im Herbst 2018 aktualisiert. Sicherheitsbehörden und weitere zuständige Dienststellen pflegen den engen persönlichen Kontakt mit den dortigen Verantwortlichen. Für einige Objekte bestehen Sicherheitskonzepte und Objektschutzmaßnahmen, die fortgeschrieben werden. Schutzmaßnahmen für Einzelobjekte umfassen (beispielhaft): Gefährdungsanalyse durch den polizeilichen Staatsschutz; Objektbeschreibung mit Schwachstellenanalyse; Umfangreiche Sicherungsvorschläge; gegebenenfalls Abschluss einer Nutzungsvereinbarung. In diesem Zusammenhang finden immer wieder Gespräche zwischen den Sicherheitsbehörden sowie weiteren zuständigen Dienststellen mit den Verantwortlichen der jüdischen Gemeinden und weiteren Einrichtungen statt. Zusätzlich zu den Schutzmaßnahmen begleitet die Polizei Hamburg mehrmals wöchentlich außerhalb der Synagoge stattfindende Gottesdienste der jüdischen Gemeinden. Dies gilt auch für weitere Anlässe (wie zum Beispiel ein Sportfest der orthodoxen Jüdischen Gemeinde oder einen Festtag), die unter freiem Himmel begangen werden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.