BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15645 21. Wahlperiode 11.01.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 04.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Häufung extrem rechter Einzelfälle in der Polizei – Wie ist die Situation in Hamburg? Mitte Dezember wurde bekannt, dass das LKA Hessen gegen zunächst fünf Polizeibedienstete ermittelt, die in einer WhatsApp-Gruppe rund 50 womöglich strafrechtlich relevante Nachrichten ausgetauscht haben, darunter Hakenkreuze, extrem rechte Karikaturen, Hitlerbilder und menschenverachtende Darstellungen von Geflüchteten und Menschen mit Behinderung. Aus diesem Kreis wurde ein Drohschreiben an eine NSU-Opferanwältin verschickt , auf deren Privatadresse und Kontaktdaten die daran beteiligten Polizisten /-innen Zugriff hatten. Unterzeichnet war das Fax, das in der Drohung gipfelte, die zweijährige Tochter der Anwältin zu „schlachten“, mit „NSU 2.0“, womit sich die Absender/-innen eindeutig in die rechtsterroristische Tradition stellten. Inzwischen ermittelt das LKA auch in weiteren Verdachtsfällen gegen ein „rechtsextremes Netzwerk“ innerhalb der hessischen Polizei. Bekannt wurde zuletzt, dass ein Kölner Anwalt eine dem genannten Drohbrief ähnliche Hass-Mail bekommen hat. Auch das LKA und die Justiz Berlin befassten sich jüngst mit Drohbriefen, die unter Verwendung von polizeiinternem Material anonym an Angehörige der linken Szene, an Bundestagsabgeordnete, Journalisten und ein SPD-Mitglied geschickt worden waren und in denen die Weitergabe ihrer persönlichen Daten an rechtsterroristische Strukturen angedroht wurde. Dazu hat sich inzwischen ein Berliner Polizist bekannt, der wegen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz einen Strafbefehl über 3 500 Euro erhielt und nun weiter im Polizeidienst ist. Weitere Nachrichten aus jüngerer Zeit beunruhigen die Öffentlichkeit ebenfalls : - Der vom Verfassungsschutz geäußerte Verdacht, dass eine im hohen zweistelligen Bereich liegende Zahl von Beamten/-innen im Verdacht steht, den „Reichsbürgern“ anzugehören, darunter angeblich viele Polizeibedienstete („SPIEGEL ONLINE“, 20.4.2018). - Die Prepper-Gruppe, die sich in einem Chat namens „Nordkreuz“ organisierte , um sich auf den „Tag X“ vorzubereiten, und die dazu eine Liste mit circa 25 000 Namen angelegt hat – auch Polizisten gehören dieser extrem rechten Prepper-Gruppe mutmaßlich an. - Der sich ausweitende, von „der tageszeitung“ und „Focus“ aufgedeckte Skandal um ein mutmaßliches Netzwerk von extrem Rechten in Spezialeinheiten der Bundeswehr und Polizeikräften. Drucksache 21/15645 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Nachfolgend werden mehrjährig zurückliegende Sachverhalte und Verfahren erfragt. Im Bereich der Disziplinarverfahren wird die Lösch- und Tilgungsfrist durch die verhängte Maßnahme definiert; bei Feststellung eines Dienstvergehens führt die Zurückstufung mit sieben Jahren zur längsten, die Einstellung unter Feststellung eines Dienstvergehens sowie der Ausspruch eines Verweises gemäß § § 79 Hamburgisches Disziplinargesetz (HmbDG) mit zwei Jahren zur kürzesten Aufbewahrungsdauer . Im Arbeitsrecht können Abmahnungen nach drei Jahren auf Antrag des Betroffenen aus der Personalakte entfernt werden, dürfen aber generell nicht mehr verwertet werden, während die Unterlagen nach einer rechtmäßigen Kündigung in der Akte verbleiben. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Nach 2011, dem Jahr der Selbstenttarnung des NSU, sind mehrere Einzelfälle von Beamten/-innen oder Angestellten der Hamburger Polizei mit Aktivitäten öffentlich bekannt geworden, die auf einen rechten/extrem rechten Hintergrund schließen lassen. Bitte stellen Sie dar, welches Ergebnis die seinerzeitigen Ermittlungen hatten, ob und mit welchem Ergebnis Disziplinarverfahren durchgeführt wurden und ob die Betroffenen heute noch im Polizeidienst sind. a. 2013 hatte ein Polizeiangestellter ein Bild mit Totenkopf mit einer Polizeimütze, fotografiert vor einer jüdischen Schule, auf Facebook gestellt. Nach Angaben der Behörde war er zuvor schon mit rassistischen Sprüchen „aufgefallen“. Auch hat er Kollegen die Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ empfohlen. Beschwerden wurden von Vorgesetzten gedeckelt, wie sich laut „der tageszeitung“ vom 18.12.2015 im Arbeitsgerichtsverfahren herausstellte. Siehe Drs. 21/7467 sowie Vorbemerkung. b. 2015 wurde gegen einen Angestellten im Polizeidienst und gegen einen Polizeibeamten wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt. Sie hatten unabhängig voneinander in ihrer WhatsApp-Gruppe das Bild eines mit Hakenkreuz- Kugeln geschmückten Tannenbaums veröffentlicht. Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens wurde der betroffene Angestellte mit Schreiben vom 7. Januar 2015 wegen schwerer Missachtung der Prinzipien der freiheitlich -demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und einer damit verbundenen Gefährdung des Ansehens der öffentlichen Verwaltung außerordentlich fristlos gekündigt. Im Rahmen einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht wurde auf Empfehlung des Gerichts ein Vergleich geschlossen, mit dem die fristlose Kündigung in eine ordentliche Kündigung umgewandelt wurde. Das Arbeitsverhältnis endete zum 31. März 2015. Zum Polizeibeamten (im Übrigen) siehe Vorbemerkung. Das Amtsgericht Hamburg erließ im erfragten Sachverhalt zwei Strafbefehle. c. 2016 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen einen Polizeibeamten der Hamburger Polizei, bei dem Zollbeamte fast 1 000 Waffen und Waffenteile, Munition sowie etliche Nazi-Devotionalien sichergestellt hatten. Vorliegend ermittelte die Staatsanwaltschaft Lübeck wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz (WaffG) gemäß § 52 WaffG sowie wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86 a Strafgesetzbuch (StGB). Die Verfahren wurden zusammengeführt. Der Beschuldigte wurde zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, sowie einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt. Wegen des sich aus § 16 Absatz 1 HmbDG ergebenden sogenannten Doppelbestrafungsverbots musste das sachgleiche Disziplinarverfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens eingestellt werden. Der Beamte ist im Dienst verblieben . Im Übrigen siehe Drs. 21/3005. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15645 3 d. 2016 veröffentlichte der Hamburger Polizist und damalige stellvertretende Kreisvorsitzender der AfD Stade Lars S. ein (manipuliertes) Foto, mit dem er den Eindruck erwecken wollte, dass seine Berufskollegen Angriffen der „Antifa“ schutzlos ausgeliefert seien. Das zugrunde liegende Originalfoto unterlag dem Copyright. Der Polizeibeamte wurde wegen Verstoßes gegen §§ 106, 109 Urhebergesetz durch das Landgericht Stade zu einer Geldstrafe verurteilt. Ein disziplinarer Überhang wurde nicht festgestellt. Wegen des sich aus § 16 Absatz 1HmbDG ergebenden sogenannten Doppelbestrafungsverbots wurde das sachgleiche Disziplinarverfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens eingestellt. Der Beamte ist im Dienst verblieben. e. 2018 entließ die Innenbehörde fristlos einen mutmaßlichen „Reichsbürger “, der bei der Polizei angestellt und auf einer der „Merkelmuss -weg“-Demonstrationen als Redner aufgetreten war. Schon vorher war er einschlägig aufgefallen. Nachdem die genannten Vorwürfe gegen den Angestellten im Polizeidienst bekannt und ausermittelt wurden, wurde der Betroffene am 27. März 2018 wegen Zweifeln an der Eignung zur ordnungsgemäßen Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben , des zerrütteten innerdienstlichen Vertrauensverhältnisses und einer Gefährdung des Ansehens der öffentlichen Verwaltung außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich gekündigt. Der Betroffene legte Kündigungsschutzklage ein, die nach wie vor beim Arbeitsgericht Hamburg anhängig ist. 2. Gab es seit 2011 weitere Ermittlungen des DIE oder der Staatsanwaltschaft oder Disziplinarverfahren gegen Polizeibedienstete bei der Hamburger Polizei wegen mutmaßlicher Straftaten beziehungsweise Dienstvergehen mit rechtem/extrem rechtem Hintergrund? Wenn ja, wegen welcher Vorwürfe, welches Ergebnis hatten die Ermittlungen beziehungsweise die Disziplinarverfahren? Sind die Betroffenen heute noch im Polizeidienst? Im Jahr 2016 wurde ein Verfahren wegen Körperverletzung im Amt und Volksverhetzung geführt. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Hamburg eingestellt nach § 170 II StPO. Seit 2018 läuft ein Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfs der Beleidigung. In ständiger Praxis wird von weiteren Angaben abgesehen. Außerdem läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In ständiger Praxis wird von weiteren Angaben abgesehen. Darüber hinaus siehe Vorbemerkung. 3. In wie vielen Fällen wurde seit 2016 Anzeige gegen Polizeibedienstete wegen diskriminierender Äußerungen oder Handlungen als Ausdruck gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (zum Beispiel rassistische, antisemitische, antimuslimische, schwulenfeindliche, sozialdarwinistische Äußerungen) erstattet? In wie vielen Fällen wurde vor dem Verwaltungsgericht geklagt, in wie vielen Fällen wurden Straf- oder Disziplinarverfahren eingeleitet? Bitte das Ergebnis eventueller Verfahren darstellen . 4. In wie vielen Fällen haben Polizeibedienstete seit 2016 den Vorwurf erhoben, Opfer von Mobbing als Ausdruck gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geworden zu sein? In wie vielen Fällen wurden deshalb Straf- oder Disziplinarverfahren eingeleitet und mit welchem Ergebnis ? Seit dem 1. Juli 2018 werden Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit „Hasskriminalität “ bundesweit durch die Staatsanwaltschaften statistisch erfasst, um die Motivforschung unter anderem für die Frage der Strafzumessung in Strafverfahren zu verbessern , aber auch um auf gesellschaftspolitische Entwicklungen besser reagieren zu Drucksache 21/15645 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 können. Diese Erfassung geht auf eine Initiative Hamburgs im Rahmen der Justizministerkonferenz im Juni 2016 zurück. Erfasst werden folgende Motivationen: - Antisemitisch - Antichristlich - Antiislamisch - Behindertenfeindlich - Fremdenfeindlich - Wegen sexueller Orientierung/Identität Umstände, etwa zu einem rechten Hintergrund oder „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit “, werden im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Hamburger Staatsanwaltschaften nicht erfasst. Für die Beantwortung der Fragen müssten daher sämtliche Verfahrensakten, die seit dem Jahr 2016 im Register 7300 Js erfasst wurden, beigezogen und ausgewertet werden. Hierbei handelte es sich um mehrere Hundert Verfahren. Eine händische Auswertung ist in der für eine Parlamentarische Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Den zuständigen polizeilichen Dienststellen sind zu Fragen 3. und Frage 4. keine Fälle bekannt. 5. Welche Fortbildungen werden für Polizeibedienstete angeboten, um auch nach der Ausbildung das Demokratiebewusstsein, das Bewusstsein für die Bedeutung der Menschenrechte und die interkulturelle Kompetenz weiter zu stärken? Menschenrechte sind ein verschiedenste Fachgebiete durchziehendes Thema der Ausbildung, des Studiums und der Fortbildung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten . Die Menschenrechte sind zentraler Ausgangspunkt vieler Rechtsvorschriften, von gesellschaftlichen und politischen Themenstellungen, die in der Aus- und Fortbildung behandelt werden. Das Institut für Transkulturelle Kompetenz (ITK) an der Akademie der Polizei Hamburg thematisiert Fragen der Interkulturellen Kompetenz in zweitägigen Seminaren „Interkulturelle Kompetenz“ sowie in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen der Polizei. So fließt der Themenbereich Interkulturelle Kompetenz mit je zwei Unterrichtstagen in die Fortbildungslehrgänge „Grundlehrgang Angestellte im Polizeidienst (AiP)“ sowie die „Qualifizierungslehrgänge A 9 Laufbahnabschnitt (LA) I zu A 9 LA II“ ein, die vom ITK durchgeführt werden. In unterschiedlichen Fortbildungslehrgängen, die die Themen Opferschutz, Hasskriminalität sowie Gleichstellung/Diskriminierungsschutz beinhalten, werden auch Themenfelder im Sinne der Fragstellung aufgegriffen. Exemplarisch zu nennen sind die Lehrgänge für Beurteiler, für den Besonderen Fußstreifendienst (BFS) und zur Erweiterung der fachlichen Kompetenz bei der Schutz- und Kriminalpolizei. In den Vorbereitungslehrgängen für Aufstiegsbeamte zum LA II, die keine Studierfähigkeit besitzen, werden im Themenfeld Politik die Lehrveranstaltungen Sicherheit im demokratischen Rechtsstaat, Polizei und Gesellschaft, Migration und soziale Ungleichheit mit insgesamt 92 Unterrichtstunden durch Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der Polizei mit abgeschlossenem Politologiestudium erteilt. Daneben steht den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Polizei Hamburg auch das umfangreiche Seminarangebot des Zentrums für Aus-und Fortbildung (ZAF) offen. Unter der Überschrift Migration, Integration, Diversity bietet das ZAF unterschiedliche Fortbildungsveranstaltungen unter anderem zur interkulturellen Kommunikation, zum interkulturellen Konfliktmanagement oder zur Thematik Diskriminierung.