BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15678 21. Wahlperiode 15.01.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Nockemann (AfD) vom 07.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Übergriffe auf LSBTI-Geflüchtete Seit Herbst 2015 ist in den Medien vermehrt darüber berichtet worden, dass es in diversen Flüchtlingsunterkünften zu Gewalt gegenüber Minderheiten gekommen sei. In diesem Zusammenhang war vor allem von den Angehörigen religiöser Gruppen wie Christen und Jesiden die Rede, die im Alltag mit den zum Teil massiven Anfeindungen ihrer muslimischen Mitbewohner konfrontiert seien („Wir hassen Dich, weil du Christ bist!“).1 Dass der Senat dieses Phänomen lange verharmlost hat und zwar auch dann noch, als es sogar in einer Studie bereits beschrieben worden war,2 ändert jedoch nichts daran, dass seine Existenz eine Tatsache ist, die faktisch auch für Hamburger Erstund Folgeunterbringungen eine immer größere Rolle spielt.3 Obwohl oder vielleicht gerade weil entsprechende Medienberichte die Darstellung des Senats widerlegen, der zufolge es sich bei der Drangsalierung von Minderheiten um Einzelfälle handelt, hat er es bislang tunlichst vermieden , konkrete Antworten zu geben und stattdessen auf andere Drucksachen verwiesen. Dies war auch bei zwei Schriftlichen Kleinen Anfragen der Fall, die die AfD-Fraktion bereits im Februar 2016 zu dem Thema eingereicht hatte .4 Bei der Beantwortung stellte sich allerdings heraus, dass der Senat bereits seit der 20. Legislaturperiode von Fällen wusste, bei denen christliche Flüchtlinge in Hamburg von muslimischen Mitbewohnern bedroht worden waren.5 Erhellend ist dabei vor allem die Aussage des Senats, dass sich Streitigkeiten zwischen Flüchtlingen in erster Linie an „alltäglichen Situationen “ entzündeten und die Religionszugehörigkeit dabei lediglich „vorgeschoben “ werde.6 Die Aufwertung des Schutzbedürfnisses religiöser Minderheiten ist daher bis heute nicht erfolgt. Das Prinzip, dem zufolge Motive wie Hass auf Minderheiten lediglich als Vorwand dienten, scheint nun offenbar nicht mehr zu gelten. Denn am 4. August 2016 hat der Senat in einer Pressemitteilung erklärt, sogenannte LSBTI-Geflüchtete (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Intersexual 1 Confer Drs 21/3166. 2 Hierzu: Religiös motivierte Übergriffe gegen christliche Flüchtlinge in Deutschland. Eine Erhebung von Open Doors Deutschland. 3 Über religiös motivierte Gewalt gegen Christen in Hamburger Flüchtlingsunterkünften hatten auch die „Tagesthemen“ in ihrer Sendung vom 3. Februar 2016 berichtet. Dabei ging es um das Schicksal dreier junger Syrer, die zum Teil körperlich und seelisch misshandelt sowie mit dem Tode bedroht worden waren. 4 Confer Drs. 21/3166, 21/3293. 5 Confer Drs. 20/12626, 21/2912. 6 Confer Drs. 21/3166. Drucksache 21/15678 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Persons) ab sofort besonders schützen zu wollen. Dazu reserviere die Stadt gegenwärtig Appartements, die gemäß dem Frauenhaus-Modell genutzt werden sollen. Laut Senatorin Melanie Leonhard habe sich der Senat zu dieser Maßnahme entschieden, nachdem geoutete Flüchtlinge immer wieder davon berichtet hatten, dass „ihnen Verwandte und Bekannte nachtstellten und sie unter Druck setzten, ihrer sexuellen Orientierung abzuschwören.“ Das Ziel sei es, LSBTI-Geflüchtete „so gut wie möglich vor weiterem psychischen Druck zu bewahren.“7 Um LSBTI-Geflüchtete vor Übergriffen zu schützen, existiert in Hamburg das Netzwerk „Hamburger Vernetzung pro LSBTI*-Geflüchtete“ (ehemals Runder Tisch gegen Rassismus, Homo- und Transphobie). Auf der Homepage des Netzwerkes heißt es dazu: „In dieser Vernetzung engagieren sich Akteur *innen, die sich in ihren Organisationen für Menschenrechte von LGBTI* in Hamburg einsetzen, Rassismus in den eigenen Reihen entgegen wirken wollen, Fortbildungen und Informationen zu Homosexualität, Lesben, Schwule , Rassismus und Transsexualität für Multiplikator*innen der Flüchtlingsarbeit und spezielle Angebote für LGBTI* sicherstellen wollen.“8 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf Grundlage von Angaben der im Auftrag der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) sowie der Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung (BWFG) fachlich zuständigen Träger wie folgt: 1. In wie vielen Fällen ist es in Hamburger Flüchtlingsunterkünften bislang zu Diskriminierungen beziehungsweise Übergriffen gegen Personen gekommen, die der Senat als LSBTI-Geflüchtete versteht (bitte die Einzelfälle gesondert sowie nach der jeweiligen Unterkunft auflisten)? 2. Ist dem Senat bekannt, in welchem Verhältnis die involvierten Personen dabei jeweils zueinander standen? Falls ja, wie oft ereigneten sich die angezeigten Vorfälle im Familienbeziehungsweise Bekanntenkreis? 3. Aus welchen Herkunftsländern stammen die Beteiligten? Bitte jeweils für Opfer und Täter nennen. Der Polizei Hamburg ist seit 2015 kein Sachverhalt in Flüchtlingsunterkünften im Sinne der Fragestellung bekannt geworden. Eine Auswertung der Statistik der Polizei zu allgemeinen Fallzahlen zum Thema „Hasskriminalität“ mit dem Unterthema „Sexuelle Orientieerung“ ergab für die Jahre 2017 und 2018 elf, beziehungsweise zwölf Fälle. Im Übrigen siehe Drs. 21/5581. 4. Hält der Senat es für möglich, dass die erfolgten Übergriffe gegen LSB- TI-Geflüchtete womöglich mit der im Islam postulierten Ächtung von Homosexuellen zu tun haben könnten? Falls ja, inwieweit hat er sich bislang mit diesem Aspekt beschäftigt und daraus Schutzmaßnahmen abgeleitet? Siehe. Drs. 21/5581. 5. Welcher Art von „psychischem Druck“ waren die Betroffenen dabei ausgesetzt ? Wurden Sie tatsächlich nur dazu gedrängt, ihrer sexuellen Orientierung abzuschwören oder hat es womöglich auch körperliche Übergriffe gegeben? Siehe Antwort zu 1. bis 3. 7 Stadt reserviert Apartments für besonders schutzbedürftige LSBTI-Geflüchtete. Pressestelle des Senats am 4. August 2016. 8 https://queer-refugees.hamburg. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15678 3 6. In wie vielen Fällen ist es infolge solcher Übergriffe bereits zu Strafverfahren gekommen? 7. Wie oft hat dies zu Verurteilungen geführt? Im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA wird die sexuelle Orientierung oder sexuelle Identität von Beteiligten nicht erfasst. Seit dem 1. Juli 2018 werden Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit „Hasskriminalität“, darunter auch diejenigen, bei denen Hass auf die sexuelle Orientierung/Identität das Motiv ist, bundesweit durch die Staatsanwaltschaften statistisch erfasst. Die in Drs. 21/5581 erwähnte händische Liste der Staatsanwaltschaft, die zu den genannten Zwecken auf Landesebene mangels bundesweiter Regelung diente und seit dem 1. Januar 2015 geführt wurde, wird daher nicht mehr fortgeführt. Bis zur ersten Jahreshälfte 2018 wurden in der dortigen Liste zusätzlich zu den in Drs. 21/5581 benannten neun Verfahren zwei weitere Verfahren erfasst, bei denen ebenfalls in keinem der Tatort in einer Flüchtlingsunterkunft lag oder der Fall auf Täter- oder Opferseite im Zusammenhang mit Geflüchteten stand. Die statistische Erfassung enthält keine Angaben zu Tatort oder Aktenzeichen. Zur Beantwortung der oben genannten Fragen müssten daher sämtliche Verfahrensakten, die in dem Verfahrensregister 7101 Js und 7101 UJs wegen §§ 184, 223, 224, 240, 241 StGB registriert wurden, händisch ausgewertet werden. Dabei handelt es sich allein in dem Aktenzeichenjahrgang 2018 um insgesamt 447 Verfahrensakten. Eine händische Auswertung dieser Akten ist in der Kürze der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 8. Welchen Anteil haben die LSBTI-Geflüchteten gegenwärtig an der Gesamtzahl der Flüchtlinge (die entsprechenden Angaben bitte sowohl in absoluten Zahlen als auch prozentuell angeben)? 9. Wie groß fällt der Vergleichswert in Hinblick auf Personen aus, die zur Gruppe der religiösen Minderheiten gehören, nachweislich also keine sunnitischen Muslime sind (bitte ebenfalls mittels absoluter wie prozentueller Angaben nennen)? Siehe Drs. 21/5581. 10. Wie hoch belaufen sich die Kosten für die bislang erfolgte gesonderte Unterbringung von LSBTI-Geflüchteten in Hamburg (bitte auch die monatlich zu erwartenden Aufwendungen nennen, sofern die Apartments angemietet werden)? Die Berechnung der Kosten der gesonderten Unterbringung, siehe Drs. 21/10457, erfolgt nach der üblichen Kostenberechnung siehe Drs. 21/11542, Drs. 21/12534 und Drs. 21/14709. Es fallen darüber hinaus keine zusätzlichen Kosten an. Das Projekt ABRIGO wurde im Jahr 2018 mit rund 70 000 Euro (Stand Abschluss der Buchungsperiode 12/18) gefördert. Im Übrigen siehe Drs. 21/13561 und Drs. 21/8279.